Bildung Zu lang, zu wenig Praxis: Thüringer Lehramtsausbildung in der Kritik
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28. August 2024, 15:37 Uhr
Um junge Lehrerinnen und Lehrer im Beruf zu halten, werden Reformen der Ausbildung gefordert - wie kürzere Dauer und mehr Praxis. Wie es um die Ideen gegen den Lehrermangel in Thüringen steht.
Anne Lämmermann ist im zweiten Jahr ihrer praktischen Lehrerausbildung. An der Universität in Jena hat sie Lehramt für Englisch und Sozialkunde studiert. Fünf Jahren Studium, zwei Jahre Referendariat - bald darf sie sich endlich Lehrerin nennen. Auch ihre jungen Kollegen am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Erfurt haben sich bewusst dafür entschieden, vor vollen Klassen zu stehen und zu unterrichten. Trotz der Hürden, die sie während Studium und Vorbereitungsdienst erlebt haben.
Schon lange, so heißt es, müsste die Ausbildung zur Lehrkraft reformiert werden. Stellenweise zu wenig Praxis, Dozenten, die zwar gut im Vermitteln von Fachwissen sind, selbst aber nie vor einer Klasse standen, so die Kritiker. Die Interessenvereinigung der Gymnasien Thüringen fordert jetzt in einem Schreiben, die Lehrerausbildung zu verkürzen.
"Wir leisten uns in Deutschland eine siebenjährige Berufsausbildung und müssen eben auch erleben, dass Lehramtsanwärterinnen und -anwärter fertig werden und sich nach diesen sieben Jahren nicht gut auf den Beruf vorbereitet fühlen", weiß Sven Stötzer, Vorsitzender der Vereinigung, aus eigener Erfahrung. Seit 15 Jahren ist er Schulleiter am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Erfurt.
Theorie im Studium und Praxis im Alltag sind verschieden
Lehrermangel und Unterrichtsausfall - auch hier keine Fremdwörter. Aktuell fehlen Lehrkräfte in Kunst, Bio und Physik. "Die Politik muss begreifen, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht genug Lehrerinnen und Lehrer da sein werden. Wo sollen die denn herkommen? In anderen Berufen fehlen auch Menschen", sagt der Schulleiter. Die Interessenvereinigung will deshalb die Politik zum Umdenken bewegen - und endlich Veränderungen.
Die Politik muss begreifen, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht genug Lehrerinnen und Lehrer da sein werden.
Das duale Lehramtsstudium für Regelschulen, das jetzt in Thüringen mit 50 Studierenden in Erfurt gestartet ist, sei ein guter Anfang und müsste auch für andere Schulformen angeboten werden. Da sind sich der Schulleiter und Lehramtsanwärterin Anne Lämmermann einig. "Ich halte das für die beste Lösung. Die lange Dauer des Lehramtsstudiums schreckt viele ab. Das muss man sich auch erst einmal leisten können. Bei dem dualen Studium sammelt man Praxiserfahrung, kann schon ein bisschen seinen Lebensunterhalt bestreiten und ist dann auch viel besser auf den Lehrerberuf vorbereitet", sagt Lämmermann.
Auch der Thüringer Lehrerverband begrüßt das Pilotprojekt. "Wir wünschen uns aber auch, dass man sich einfach mal das Studium und die Inhalte anschaut und dieses auch der Schulrealität anpasst", sagt Vorsitzender Tim Reukauf.
Nahezu alle Lehramtsanwärter bekommen Stelle in Thüringen
Dass niemand mehr Lehrerin und Lehrer werden möchte, das können Universitäten in Mitteldeutschland nicht bestätigen. Seit Jahren sei die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger stabil und schwanke nur leicht. In Thüringen wurden seit 2014 etwa 6.000 Lehramtsanwärterinnen und -anwärter eingestellt. Das Land, so teilt das Bildungsministerium mit, habe dafür die Kapazitäten sukzessiv erhöht.
Jeder, der in Thüringen als Lehrkraft seinen Vorbereitungsdienst antreten möchte, bekommt auch eine Stelle dafür. Seit diesem August gibt es vier Einstellungs- und sechs Nachrücktermine für zukünftige Lehrkräfte.
Das war vor gut 15 Jahren noch völlig anders. Viele junge Menschen, die im Freistaat ihr zweites Staatsexamen ablegen wollten, wurden damals abgelehnt, mussten in andere Bundesländer ausweichen. Lehrkräfte, die heute an den Thüringer Schulen fehlen.
Viele der Ideen, die in diesem Papier [mit den Änderungswünschen fürs Lehramtsstudium] stehen, sind auch da schon aufgegriffen.
Ausbildung zur Lehrkraft ist Baustelle
Im Thüringer Bildungsministerium sind die Forderungen der Interessenvereinigung der Gymnasien bekannt. Es habe bereits gute Gespräche gegeben, sagt Pressesprecher Felix Knothe. "Die Lehrerausbildung ist in Thüringen eine Baustelle, an der auch schon gearbeitet wird. Auch die zweite Phase der Lehrerausbildung, das Studienseminar, also das sogenannte Referendariat, ist bei uns im Fokus. Wir haben das Studienseminar neu aufgestellt. Da ist viel in Bewegung und viele der Ideen, die in diesem Papier stehen, sind auch da schon aufgegriffen."
Wie viele Referendarinnen und Referendare ihren Vorbereitungsdienst abbrechen oder am Ende sich doch dagegen entscheiden, Kinder und Jugendliche zu unterrichten, dazu gebe es keine Statistik, so das Bildungsministerium.
Anne Lämmermann wird keine von ihnen sein: "Ich möchte definitiv Lehrerin bleiben. Ungeachtet der ganzen Hürden ist es dennoch mein absoluter Traumberuf. Der Vorbereitungsdienst hat mich jetzt nicht so abgeschreckt. Aber es gibt schon viele, die sich von dieser Zeit, von diesem Praxisschock, nicht so schnell erholen und denen dann auch die Luft ausgeht und die eben dann auch tatsächlich wieder aus dem System ausscheiden."
Das allerdings können sich Thüringen und auch die anderen Bundesländer im Jahr 2024 nicht leisten.
MDR (jml/ost)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 28. August 2024 | 19:00 Uhr
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