Protest "Wir wollen einfach unseren Beruf ausüben und davon leben können" - Warum Hebammen jetzt protestieren
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05. Mai 2024, 06:00 Uhr
Am 5. Mai ist Internationaler Hebammentag. An diesem Tag starten Hebammen deutschlandweit einen Protest für eine bessere Bezahlung. Wir haben die Erfurter Hebamme Susan Küpper nach den Gründen gefragt.
Ihr Beruf ist ihre Berufung. Susan Küpper ist Hebamme. "Hier geht es nicht darum, dass ich morgens aufstehe und etwas abarbeite", sagt sie. Vielen Hebammen gehe es so. Doch sie haben ein Problem: Ihr Verdienst sei inzwischen so niedrig, dass er gerade die Kosten decke. Davon leben zu können, sei so gut wie unmöglich, erzählt Susan Küpper.
Gemeint sind freiberufliche Hebammen. Die Leistungen, die sie anbieten, sind für Schwangere und junge Familien wesentlich: Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse, Schwangerschaftsvorsorge, Wochenbettbetreuung, medizinische Nachsorge für Mutter und Baby, Geburten mit einer Beleghebamme in der Klinik und Hausgeburten gehören etwa dazu.
Letzte Vergütungserhöhung vor sieben Jahren
Für jede dieser Leistungen bekommen freiberufliche Hebammen eine Pauschale. Das heißt, die Krankenkassen zahlen einen festgelegten Betrag, egal, wie hoch der Aufwand tatsächlich ist, egal, wie viel Zeit investiert wurde. "Diese Pauschalen sind enorm niedrig", sagt Susan Küpper. "Wir hatten 2017 die letzte Anpassung der Gebühren." Das ist sieben Jahre her. Seitdem ist viel passiert, unter anderem die Coronakrise, der Ukrainekrieg, die Energiekrise und die Inflation.
"Uns wurde versprochen, dass wir 2020 damit rechnen können, dass die Gebühren angepasst werden." Doch passiert sei nichts. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verhandelt die Pauschalen für freiberufliche Hebammen mit den Hebammenverbänden.
Auf die Frage, wie weit die Verhandlungen seien und wann mit einem Ergebnis zu rechnen sei, antwortete ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands MDR THÜRINGEN: "Die Verhandlungen zu einem neuen Hebammen-Hilfevertrag laufen noch. Ich bitte um Verständnis, dass wir uns grundsätzlich nicht zu laufenden Verhandlungen und ihren Inhalten äußern."
Es gibt bisher nur ein konkretes Angebot: Zum 1. April wurden die Vergütungen für Leistungen der Hebammenhilfe um fünf Prozent erhöht, solange, bis ein neuer Hebammen-Hilfevertrag in Kraft tritt.
Wir können uns im wahrsten Sinne des Wortes die Ausübung unseres Jobs nicht mehr leisten. Es ist sehr viel Arbeit für ganz wenig Geld.
Derweil geben immer mehr freiberufliche Hebammen auf, erzählt Susan Küpper. "Wir können uns im wahrsten Sinne des Wortes die Ausübung unseres Jobs nicht mehr leisten. Es ist sehr viel Arbeit für ganz wenig Geld." Hebammen, die aufhören, gehen in eine Klinik, in eine Anstellung etwa in einer Arztpraxis oder machen beruflich etwas ganz anderes, erzählt Susan Küpper.
Sie selbst ist seit 15 Jahren Hebamme. Jahrelang hat sie freiberuflich gearbeitet. Seit einiger Zeit ist sie im Katholischen Krankenhaus in Erfurt angestellt, auf 60-Prozent-Basis. Daneben arbeitet Susan Küpper weiterhin freiberuflich. Und sagt: "Ich verdiene an der Freiberuflichkeit gerade gar nichts, weil die Kosten zu hoch sind."
Mit diesen Kosten sind etwa Fortbildungskosten, die Beiträge für den Berufsverband, Unterhaltskosten für Räume und ihr Lastenfahrrad und die Kosten für die Haftpflichtversicherung gemeint. Allein die Haftpflichtversicherung kostet rund 13.000 Euro im Jahr für freiberufliche Hebammen mit Geburtshilfe.
Um ein Beispiel zu nennen: Für einen Geburtsvorbereitungskurs bekommt eine Hebamme pro Person und Stunde 7,96 Euro brutto als pauschalen Stundensatz. Bis 14 Stunden sind anrechenbar, maximal zehn Personen dürfen in der Gruppe sein. Hochgerechnet sind das 79,60 Euro brutto pro Stunde. Davon gehen Energiekosten ab, die Miete für den Raum, Materialkosten, etwa für Matten oder die Reinigung, die Versicherung und die Beiträge für die Berufsgenossenschaft. "Da bleiben vielleicht 30 Euro übrig, je nach Steuerklasse", sagt Susan Küpper.
Der bürokratische Aufwand ist enorm. Jede einzelne Leistung muss extra abgerechnet werden und vorher von der Schwangeren, Gebärenden oder jungen Mutter unterschrieben werden. Das kostet viel Zeit. Susan Küpper nennt diese Bürokratie den "allergrößten unbezahlten Aufwand" bei ihrer Arbeit als Hebamme. So schickten etwa Krankenkassen Briefe, um Cent-Beträge einzufordern, die niedriger als das Briefporto seien. "Das stellt die größte Schikanierung dar", sagt sie.
Nun haben sich Hebammen aus dem ganzen Land zu einer Protestbewegung zusammengefunden, das erste Mal überhaupt, erzählt sie. "Wir sind einfach unzufrieden, dass die Verhandlungen so lange dauern. Wir können fast nicht mehr. Es ist eine wirklich große Not."
Hebammenprotest auf Social Media
In der Woche vom 5. Mai, dem Internationale Hebammentag, bis zum 12. Mai, dem Muttertag, wollen sie protestieren. "Wir wollen auf unseren Beruf aufmerksam machen und für eine bessere Bezahlung laut werden." Das wollen sie vor allem auf Social Media, Demonstrationen seien nicht geplant, erzählt Susan Küpper. "Wir können nicht mit Traktoren die Straße blockieren und laut werden, wir können die Familien nicht allein lassen oder einfach nicht zu den Geburten kommen."
Eines ist ihr bei alldem besonders wichtig: "Jede schwangere Person soll eine kompetente Hebammenbetreuung erleben dürfen." Sie befürchtet, dass Hebammenleistungen von den Familien irgendwann selbst bezahlt werden müssen. Denn wenn es immer weniger Hebammen gibt, würden ihre Leistungen ersatzlos wegfallen. Dann müssten sich Schwangere und junge Familien andere Unterstützung suchen, vorausgesetzt, sie können sich diese Unterstützung leisten.
Damit gemeint sind beispielsweise Pränatal-Coaches, Postnatal-Coaches, Doulas und Stillberaterinnen, die es auch heute schon gibt. Sie könnten, so Susan Küpper, Hebammenleistungen teilweise auffangen. "Aber diese Personen haben keine spezifische medizinische Ausbildung, verfügen nur über ein kleines spezifisches Wissen und werden nicht von der Krankenkasse getragen, sie müssen selbst finanziert werden."
Eine Stillberaterin könne zum Beispiel 120 Euro pro Stunde nehmen, denn sie mache ihren eigenen Stundensatz. "Wenn ich als Hebamme eine Stillberatung mache, kann ich pauschal 30 Euro bei der Krankenkasse abrechnen, egal, ob die Beratung eine halbe Stunde oder zwei Stunden dauert." Hebammen werden nicht nach der tatsächlich geleisteten Zeit abgerechnet, auch darin liegt ein Nachteil der pauschalen Vergütung.
Wir stärken unsere Familien in der gesunden Schwangerschaft, im gesunden Wochenbettverlauf, wir sorgen für ein entspanntes Ankommen als Familie.
Zudem sind Hebammen rund um die Uhr im Einsatz, sie sind immer erreichbar, Tag und Nacht, an den Wochenenden und an Feiertagen. Beispielsweise in der Wochenbett-Betreuung: "Die ersten sieben Tage komme ich täglich, in bestimmten Fällen zweimal täglich", sagt Susan Küpper. "Ich gehe erst, wenn die Familie beruhigt, empowert und sicher im Umgang mit dem Baby ist. Bis zum nächsten Tag, wenn ich wiederkomme, weiß die Familie, was sie tun muss." Da sitze sie auch mal zwei Stunden.
Susan Küpper betreut etwa 60 Familien im Jahr. Würde sie nicht in der Klinik arbeiten, müsste sie sehr viel mehr Familien betreuen. "Als rein freiberufliche Hebamme mit Hausgeburten habe ich locker 70 bis 80 Stunden pro Woche gearbeitet."
Mit ihrem Protest wollen die Hebammen auch darauf hinweisen. Susan Küpper: "Dafür, dass wir so wichtig sind, werden wir sehr schlecht bezahlt. Das ist beschämend für das ganze Land, dass so mit dem Beginn des Lebens umgegangen wird." Sie erhoffen sich neben einer besseren Vergütung, dass ihre Arbeit gesehen wird und anerkannt wird. "Wir stärken unsere Familien in der gesunden Schwangerschaft, im gesunden Wochenbettverlauf, wir sorgen für ein entspanntes Ankommen als Familie." Und sie fügt hinzu: "Wir wollen einfach unseren Beruf ausüben und davon leben können."
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 05. Mai 2024 | 19:00 Uhr
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