Schreiendes Baby, kurz nach der Geburt im Krankenhaus.
In Thüringen kommen immer weniger Kinder zur Welt. Das ist einer der Gründe, warum in den vergangenen Jahren gleich mehrere Geburtsabteilungen an Kränkenhäusern geschlossen wurden. Bildrechte: picture alliance/dpa/MAXPPP | Neville Mountford-Hoare

Gesundheitswesen Fünf Thüringer Geburtsstationen in drei Jahren geschlossen: Das sind die Gründe

23. Juli 2023, 17:22 Uhr

In drei Jahren sind in Thüringen fünf Geburtsstationen an Kliniken geschlossen worden. Am Klinikum Sonneberg droht der nächsten Abteilung das Aus. Dafür gibt es mehrere Gründe. Am fehlenden Geld liegt es oft nicht mehr.

Greiz, Schleiz, Schmalkalden, Hildburghausen und vor kurzem Sömmerda: In den vergangenen Jahren haben gleich mehrere Geburtsabteilungen an Thüringer Krankenhäusern geschlossen. Aktuell droht der Betreiber des Sonneberger Krankenhauses die Geburtsabteilung zu schließen, wo zuletzt noch rund 250 Kinder im Jahr zur Welt kamen. Es betrifft dabei kleinere oder mittelgroße Kliniken im ländlich geprägten Süd- und Ostthüringen.

Die größten Probleme für Krankenhäuser

Das größte Problem ist inzwischen vor allem für Kliniken abseits der größeren Städte, genug gut qualifizierte Ärzte, Krankenschwestern und Hebammen zu finden. Drei Ärzte und vier Hebammen arbeiten derzeit noch im Sonneburger Krankenhaus, das auch nach dem möglichen Ende von Geburten weiter gynäkologische Behandlungen anbieten wird. Doch würden allein für die Geburtsstation noch einmal so viele Ärzte und Hebammen benötigt, sagte ein Klinik-Sprecher MDR THÜRINGEN.

Die seit vielen Jahren bestehende Personalnot am Krankenhaus hatte sich zuletzt wegen Elternzeit oder Krankheit immer weiter verschärft. Stellenbörsen, Personalagenturen, Social Media-Aufrufe - all die Maßnahmen haben nach Angaben des Sprechers so gut wie nichts gebracht. Bis Dezember soll nun endgültig entschieden werden. Die lokale Politik hat sich eingeschaltet und fordert einen Runden Tisch mit Klinikvertretern, Hebammen und niedergelassenen Ärzten. Der Ausgang ist ungewiss.

Als weiteres großes Problem sinkt seit mehreren Jahren - wie fast überall in Deutschland - die Zahl der Geburten in Thüringen. Seit Ende der 90er-Jahre Jahre blieb die Zahl der Geburten in Thüringen weitgehend stabil. Noch 2016 kamen im Freistaat nach Angaben des Datendienstes Statista fast 18.500 zur Welt. Doch danach ging die Zahl neuer Babys stark zurück. Im Vorjahr gab es nur noch gut 14.000 Geburten.

Beide Gründe verstärkten sich dabei gegenseitig, heißt es beim Thüringer Gesundheitsministerium: Wenn die Geburtenzahlen sinken, würden die Krankenhausstandorte für Ärzte oder Krankenschwestern unattraktiver. Das dringend gebrauchte Personal könnte dann abwandern. Und so besteht die Gefahr, dass am Ende eine Geburtsstation wegen des fehlenden Personals schließen muss. Auch wenn dem Ministerium aktuell in Thüringen keine weiteren drohenden Schließungen bekannt sind, rechnet es damit, dass sich Fachkräftemangel und weniger werdende Geburten künftig noch verstärken werden.

Das liebe Geld: Was Kliniken für Geburten bekommen und was sich ändern soll

Die Finanzierung der Geburtsstationen ist dagegen wohl inzwischen nicht mehr das entscheidende Problem. So begründete auch das KMG-Klinikum die Schließung der Kinderklinik in Sömmerda nicht mit fehlendem Geld, sondern mit den zurückgehenden Geburtenzahlen und fehlendem Personal. Und die Geburtsstation in Sonneberg hatte laut dem Träger Regiomed über Jahre ein Defizit erwirtschaftet, zuletzt von mehr als einer Million Euro. Doch das sei nicht der Grund für die Schließung gewesen, betonte ein Klinik-Sprecher.

Bis vor wenigen Jahren rechneten die Krankenkassen Kosten für Geburten ausschließlich über so genannte Fallkostenpauschale mit den Krankenhäusern ab. Es fließt nur Geld, wenn auch eine Geburt stattgefunden hat. Aber ein Kreißsaal muss rund um die Uhr betrieben werden, Hebammen und Ärzte 24 Stunden lang in Bereitschaft sein - auch wenn es vor allem in kleineren Krankenhäusern einmal für längere Zeit keine Geburt gab. Das hatte dazu geführt, dass aufgrund der sinkenden Geburtenzahlen auch die Einnahmen der Kliniken weiter gesunken seien, erklärt auch die Krankenkasse AOK Plus.

Das hat die Politik nach vielen Jahren endlich erkannt und reagiert. So fördert die Bundesregierung die Thüringer Geburtsstationen in diesem und im nächsten Jahr mit jeweils fast 3,2 Millionen Euro.

Außerdem hat die Bundesregierung seit dem vergangenen Jahr so genannte Sicherstellungszuschläge. Damit soll in der Geburts- und Kindermedizin von kleineren Krankenhäusern mit jährlich 200 bis 500 Geburten gerade in ländlichen Gebieten das Defizit zu großen Teilen ausgeglichen werden. Das Land Thüringen plant dafür in diesem und im nächsten Jahr vier Millionen Euro ein. Darüber hinaus unterstützt das Land einzelne Krankenhäuser zusätzlich mit mehreren Hunderttausend Euro.

Das ist jedoch alles nur ein Herumdoktoren an den Symptomen. Der große Wurf steht noch aus: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) arbeitet aktuell auch mit den Bundesländern an einer Krankenhaus-Reform, bei dem das System der Fallkostenpauschalen teilweise abgeschafft werden soll. Geplant ist, dass künftig die Geburtsstationen auch dafür Geld erhalten, wenn Ärzte, Hebammen, aber auch der Kreißsaal in Bereitschaft gehalten werden, also auch wenn noch gar keine Geburt stattfindet. "Damit haben auch kleinere Fachabteilungen bei sinkender Geburtenzahlen eine sichere, fallunabhängige Finanzierung", begrüßte eine Sprecherin des Thüringer Gesundheitsministeriums das Vorhaben. Geburtshilfen, die zuletzt finanziell eher stiefmütterlich behandelt wurden, sollen zudem weitere Gelder erhalten.

Wie viel Geld "kostet" eine Geburt? - Geburt per Kaiserschnitt ohne Komplikationen in einer Klinik: Ca. 3.000 Euro

- Vaginale Geburt ohne Komplikationen zum Termin in einer Klinik: Ca. 2.000 Euro

- Geburt in einer Hebammen-Einrichtung: 530 bis 660 Euro

- Hausgeburt: 640 bis 790 Euro

Die AOK verweist darauf, dass jeweils weitere Kosten dazu kommen können.

Quelle: Leistungskatalog AOK

Erreichen schwangere Frauen Kliniken in Thüringen weiter rechtzeitig?

Doch erreichen nach den Schließungen schwangere Frauen überall in Thüringen weiterhin rechtzeitig ein Krankenhaus? Vorgeschrieben ist, dass eine schwangere bei einer Fahrt mit dem Auto in maximal 40 Minuten ein Krankenhaus erreichen soll. Das Gesundheitsministerium und auch die AOK erklärten auf Anfrage von MDR THÜRINGEN, dass ihnen keine Region in Thüringen bekannt sei, bei denen eine Frau eine längere Zeit bis zu einer Klinik benötige.

Viel kritischer sieht dies dagegen der Thüringer Hebammenverband. "Bereits jetzt gibt es in Süd- und Ostthüringen Lücken in der Versorgung", erklärte kürzlich Landesvorsitzende Annika Wanierke. Nach der Schließung der Geburtsstationen in Greiz, Schleiz und Hildburghausen während der Corona-Pandemie seien die umliegenden Krankenhäuser weder personell noch strukturell vorbereitet gewesen. Schwangere benötigten in dieser Gegend nun einen deutlich längeren Weg zum Kreißsaal als die vorgegebenen 40 Minuten. Und Studien in anderen Ländern hätten gezeigt, dass die Zahl ungeplanter Geburten außerhalb von Krankenhäusern ansteigt. Auch befürchtet der Verband mehr Komplikationen bei Schwangeren, etwa weil Probleme erst mit Verzögerung erkannt oder womöglich zu spät behandelt werden könnten.

Was kann getan werden?

Die Zahl der Geburtsabteilungen schrumpft nicht nur in Thüringen, sondern in ganz Deutschland seit Jahren. In 30 Jahren sank laut dem Hebammenverband bundesweit die Zahl um mehr als 40 Prozent. In Kliniken würden dadurch inzwischen im Schnitt doppelt so viele Geburten betreut. Dabei ist es nicht automatisch so, dass größere Krankenhäusern von geschlossenen Geburtsstationen kleinerer Kliniken quasi profitieren. Im Suhler SRH-Klinikum, wo zuletzt zwei benachbarte Geburtsstationen geschlossen hatten, erblickten im Vorjahr 910 Kinder das Licht der Welt. Das liege im Trend von jeweils 800 bis 900 Kinder seit mehreren Jahren, erklärte ein Kliniksprecher.

Aber auch wenn mit den angedachten Reformen und den bereits erhöhten staatlichen Zuschüssen den Kliniken der größte wirtschaftliche Druck genommen wurde, es bleiben sinkende Geburtenzahlen und zunehmender Personalnot. Für mehr Geburten können wohl weder Kliniken noch Hebammen sorgen. Aber beim Problem fehlender Ärzte entstehen gerade neue Möglichkeiten. So haben im vergangenen Juni die Ilm-Kreis-Kliniken Arnstadt-Ilmenau den ersten von Hebammen geleiteten Kreißsaal in Thüringen geöffnet. Mit diesem Modell sollen Ärzte entlastet werden, die nur noch bei Komplikationen eingreifen. Bundesweit gibt es laut Hebammenverband schon 30 von Hebammen geleitete Kreißsäle. In Arnstadt sollen schon im August die ersten Babys das Licht der Welt erblicken.

MDR (rom)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 19. Juli 2023 | 15:00 Uhr

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