Fakt ist! aus Erfurt Corona aufarbeiten: Kann das ein Untersuchungsausschuss?
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22. Oktober 2024, 01:23 Uhr
Ist ein Untersuchungs-Ausschuss das richtige Instrument, um die Coronamaßnahmen zu überprüfen und zu bewerten? Oder spaltet er noch mehr als die Pandemie selbst? Diese und andere Fragen diskutierten die Gäste am Montag bei "Fakt ist!" aus Erfurt.
Immer wieder ist von Gräben die Rede in der Sendung. Von denen, die die Corona-Pandemie gerissen hat und von denen, die jetzt ein Untersuchungsausschuss reißen könnte.
Geschlossene Schulen und abgeschottete Seniorenheime, Impfgebote und Abstand halten selbst im Freien - die Corona-Verordnungen waren für viele Menschen eine Zumutung.
Und über eines waren sich die Gäste und das Publikum im Studio einig: all das muss aufgearbeitet werden. Über die Kränkungen, über die Erfahrungen muss gesprochen werden, man muss verhindern, dass jemals wieder Kinder so isoliert leben oder alte Menschen einsam sterben müssen.
Untersuchungsausschuss als Mittel der Wahl?
Die Differenzen, das zeigt die Sendung, liegen eher beim "Wie". Ist ein Untersuchungsausschuss besser geeignet oder eine Enquete-Kommission? Auch Umfragen können das nicht klären, nur knapp liegt da der Untersuchungsausschuss vorn.
BSW will Corona-Untersuchungsausschuss
Das Bündnis Sahra Wagenknecht will ein Wahlversprechen umsetzen. Deshalb soll es im neuen Landtag einen Untersuchungsausschuss zur Corona-Pandemie geben. "Wir wollen vorbereitet sein auf eine erneute Gefahrenlage", so begründet Dr. Stefan Wogawa den Antrag seiner BSW-Landtagsfraktion auf Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses.
Die Grundrechtseinschränkungen während der Pandemie bezeichnete Wogawa als die "umfassendsten in der bundesdeutschen Geschichte". Immer wieder hätten im Wahlkampf die Menschen darüber reden wollen.
Margarethe Brandt aus dem Publikum allerdings findet, dass die Aufarbeitung etwas für die Zukunft bringen müsse. "Und sie muss im Kontext der Zeit erfolgen. Denn natürlich hatte man damals Angst, das muss berücksichtigt werden."
Für Kathrin Wolff-Peter darf sich eine solche Einschränkung der Grundrechte nicht wiederholen. Und sie vertraut auch nicht auf eine politische Aufarbeitung. Das ginge nur mit einem unabhängigen Ausschuss, sagt sie "damals Involvierte können das nicht".
Im Untersuchungsausschuss sitzen ausschließlich Politiker
Stefan Wogawa beispielsweise war damals noch bei den Linken und hat im Gesundheitsministerium gearbeitet. Und auch in den anderen Fraktionen sitzen Menschen, die bei der Bekämpfung der Pandemie dabei waren, sagt er. "Bürgermeister, Polizisten und viele mehr."
Allen ist an diesem Abend klar und das wurde auch deutlich ausgesprochen, dass Fehler gemacht worden sind. War es wirklich nötig, dass Menschen nicht besucht werden durften in Pflegeheimen? Waren die Schulschließungen nötig?
Allerdings könne man künftig Fehler nur vermeiden, wenn sie zunächst identifiziert würden, so Wogawa. Deshalb der Untersuchungsausschuss. Auch die AfD möchte übrigens einen eigenen Ausschuss.
Enquete-Kommission als Alternative
Der Thüringer Bürgerbeauftragte Dr. Kurt Herzberg sieht das anders. "Im Rahmen des Untersuchungsausschusses will ich Schuldige finden und Fehler aufdecken. Der gesellschaftlichen Diskussion hilft das nicht" sagt er.
Aus seiner Sicht wäre das bei einer Enquete-Kommission besser. Damit könne man als Gesellschaft miteinander ins Gespräch kommen über Kränkungen und Erfahrungen in der Pandemie. "So könnten Gräben zugeschüttet werden."
Diese Meinung teilt auch Rechtswissenschaftlerin Prof. Svenja Behrendt von der Universität Mannheim. Es bringe nichts, Einzelne "an den Pranger zu stellen". "Ein Untersuchungsausschuss darf kein Tribunal sein" sagt sie.
Natürlich könne man Menschen vor einen Untersuchungsausschuss laden. "Aber das ist so ein komplexer Sachverhalt, da müssen unbedingt Experten aus verschiedenen Disziplinen mitwirken." Und das tun sie in einem Untersuchungsausschuss nur begrenzt. Sie können zwar gehört werden, sitzen aber nicht im Gremium.
Zum Aufklappen: Was ist der Unterschied zwischen Untersuchungsausschuss und Enquete-Kommission?
In einem Untersuchungsausschuss sitzen ausschließlich gewählte Politiker. Sie haben ein Erzwingungsrecht, zum Beispiel gegenüber der Landesregierung. Das heißt: Ausschussmitglieder dürfen zur Beweisführung Zeugen vorladen und Akteneinsicht verlangen.
In einer Enquete-Kommission sitzen nicht nur gewählte Politiker, sondern auch externe Experten. Die Kommission hat allerdings keine Erzwingungsrechte gegenüber einer Landesregierung.
Juristen definieren den Unterschied so: Untersuchungsausschüsse sollen Missstände aufklären.
Enquete-Kommissionen sollen Lösungsvorschläge erarbeiten.
Ein Untersuchungsausschuss schaut also eher in die Vergangenheit, eine Enquete-Kommission nach vorn.
Linke zweifelt Erfolg des Ausschusses an
Dem Ziel, die Fehler aus der Pandemie aufzuarbeiten, kann Lena Saniye Güngör, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, durchaus etwas abgewinnen.
Großer Kritikpunkt für sie ist jedoch, dass entscheidende Fragen, aus denen man wichtige Lehren ziehen könnte, gar nicht gestellt würden. Beispielsweise, wie man das Gesundheitssystem auf solche Ereignisse vorbereiten kann oder wie man "extreme Übergewinne verhindern kann, die beispielsweise die Supermärkte während der Pandemie eingefahren haben".
Darüber hinaus erinnert sie daran, dass ein Untersuchungsausschuss aufwändig und teuer ist.
Sie selbst hat schon in einem mitgearbeitet. "Am Ende darf ich nicht öffentlich über die Erkenntnisse sprechen. Das ist absurd, dass hier der Untersuchungsausschuss das Mittel der Wahl ist." Denn die Menschen wollten ja gerade öffentliche Antworten.
Publikum ist geteilter Meinung
Dustin Keith beispielsweise hat die Pandemie sein Geschäft gekostet. Trotzdem sagt er, "die Gesundheit steht über wirtschaftlichen Entscheidungen". Für ihn wäre vor allem eine wissenschaftliche Aufarbeitung wichtig.
Auch Willie Wieland hat als Freiberufler zwei Jahre lang nichts verdient. Dennoch hat er sich an die Regeln gehalten, weil er Angst hatte um seine Frau, die früher Krebs hatte. "Das Fehler gemacht wurden, steht außer Frage. Aber wem hilft es, jetzt nachzutreten?"
Rocco Stade glaubt, dass die Entscheidungen damals getroffen wurden, um Menschenleben zu retten. Dem stimmt Svenja Behrendt zu. "Auch wenn die Maßnahmen belastend waren - der Staat hat auch eine Schutzpflicht für die Bürger." Für sie hat ein Untersuchungsausschuss zu viele Ähnlichkeiten zu einem Strafverfahren. Das bringe eine Stigmatisierung mit sich, keine Befriedung.
Corona hat die Gesellschaft gepalten. Aber offenbar, stellt Moderator Lars Sänger am Ende fest, hat auch die Aufarbeitung der Pandemie das Zeug dazu.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 21. Oktober 2024 | 22:10 Uhr
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