Gegen Kriminalität Erfurter Anger: Gutachten sieht hohe Hürden für Videoüberwachung

13. September 2023, 17:17 Uhr

Spätestens seit der großen Schlägerei am Wochenende wollen sie (fast) alle: Videoüberwachung auf dem Erfurter Anger. Allerdings: Die Hürden sind hoch. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des städtischen Rechtsamts.

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Auf dem Anger ist am vergangenen Wochenende die Gewalt eskaliert. Rund 50 Männer haben sich eine Massenschlägerei geliefert, bei der sich die Prügelnden auch gegen die Polizei verbündet haben, wie es hieß. "Das dürfen wir uns nicht länger gefallen lassen", sagt Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) dazu.

Bausewein weiter: "Da war der Anteil von Migranten sehr hoch. Wer sich nicht an unsere Normen hält, muss schnell und hart bestraft werden. Gerichtsverfahren müssen auf dem Fuß folgen. Auch um die vielen Anständigen mit Migrationshintergrund zu schützen. Wer in diesem Land ist, muss sich an die Regeln halten."

Oberbürgermeister Andreas Bausewein änderte seine Meinung

Es brauche viel mehr Polizei, aber eben auch eine Videoüberwachung auf dem Anger, so Bausewein: "Hier habe ich meine Meinung inzwischen geändert. Anfangs war ich dagegen. Aber wir haben auf dem Anger ein echtes Problem, und die Menschen wollen die Videoüberwachung. Das hat eine Umfrage ergeben. Danach waren 90 Prozent der Frauen und 80 Prozent der Männer dafür."

Die CDU treibt das Thema Videoüberwachung auf dem Anger seit Jahren um. Immer wieder wurde es auch im Stadtrat diskutiert. Erfurts Ordnungsdezernent Andreas Horn, der der CDU angehört, sagt: "Wir wollen das seit Jahren. Auch wenn die Hürden hoch sind, müssen wir gemeinsam mit dem Land daran arbeiten, sie zu überwinden."

Kritik von den Grünen

Kritik kommt von den Grünen im Stadtrat. Auch mit einer Videoüberwachung hätte die Schlägerei am Wochenende nicht verhindert werden können, sagte der sicherheitspolitische Sprecher Jasper Robeck. Seiner Meinung nach braucht es ein Konzept, dass die Prävention in den Mittelpunkt stellt.

Die Grünen hätten dafür einen entsprechenden Antrag gestellt. Konkret gehe es um vier Streetworkerstellen. Denn bislang gebe es überhaupt kein Erwachsenenstreetwork auf dem Anger, so Robeck.

Zudem kritisierte Robeck, erst aus der Presse von dem Rechtsgutachtenerfahren zu haben. Das vorliegende Rechtsgutachten sei den städtischen Gremien bisher nicht bekannt. Mit dem Vorpreschen der beiden OB-Kandidaten Bausewein und Horn würden Erwartungen an die Videoüberwachung geweckt, die diese Technologie nie leisten könne, so Robeck.

Juristen: Grundsätzlich möglich

Das Rechtsamt der Stadt hat inzwischen juristisch die Möglichkeiten einer solchen Videoüberwachung geprüft. Das Rechtsgutachten liegt vor. Darin heißt es unter anderem, dass "grundsätzlich eine Videoüberwachung von der Rechtsgrundlage gedeckt sein kann."

Die Anforderungen an deren Rechtmäßigkeit seien jedoch sehr hoch. "Anders als die Überwachung von Gebäuden unterliegt die Überwachung von öffentlichen Plätzen und Anlagen sehr strengen Anforderungen. Schließlich erfolgt eine Nutzung der öffentlichen Fläche Anger durch eine hohe Anzahl von 'Unschuldigen', die dort zu Erholungs- und Freizeitzwecken verweilen und kommunizieren", so die Juristen.

Für das Überwachen von öffentlichen Straßen und Plätzen gibt es in Thüringen bisher keine Rechtsprechung. Ordnungsdezernent Horn sagt dazu: "Das kann und darf uns nicht davon abhalten, die Videoüberwachung jetzt endlich auf den Weg zu bringen. Hierfür brauchen wir aber die Polizei und damit das Land mit im Boot."

Auch Innenminister Maier dafür

Nachdem Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) im August nach einer gemeinsamen Streife mit der Polizei erklärt hat, dass er den Einsatz von Videotechnik begrüßt, hat die Stadt eine Sicherheitspartnerschaft mit dem Land angeregt.

Was nützt das Filmen, wenn es nicht ausgewertet wird?

Andreas Horn Ordnungsdezernent (CDU)

Im Konkreten würde das heißen: zusätzlich zu den gemeinsamen Streifen von Polizei und städtischem Ordnungsdienst eine verstärkte Präsenz der Landespolizei vor allem auf dem Anger und eine Videoüberwachung, die das Land übernimmt. "Wir bauen ja mit Kameras auch eine gewisse Erwartungshaltung der Menschen auf. Was nützt das Filmen, wenn es nicht ausgewertet wird, wenn sich nicht jemand bei der Polizei das nächtliche Geschehen anschaut, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können?", argumentiert Erfurts Ordnungsdezernent Horn.

Verfahren wie zur Buga auf dem Petersberg möglich

Im Gutachten des Erfurter Rechtsamtes heißt es dazu: "Wenn aber durch die Beobachtung ein zeitnahes Eingreifen durch Vollzugsdienstkräfte möglich ist, kann die Geeignetheit durchaus bejaht werden (Leitfaden für die Videoüberwachung durch öffentliche Stellen in Thüringen Stand Juli 2021 TLfDI, S. 28/29). Die Geeignetheit ist für jede eingesetzte Kamera darzulegen".

Das hatte die Stadt bereits zur Bundesgartenschau 2021 für den Petersberg durchexerziert. Es war ein nervenaufreibender Prozess, bis jede der 20 Kameras so ausgerichtet war, dass sie nur den zu überwachenden Bereich filmt und dass alles dem Datenschutz genügt.

Anger als Kriminalitätsschwerpunkt eingestuft

Der Anger ist seit Jahren als Kriminalitätsschwerpunkt eingestuft. Im Vorjahr gab es dort - Ladendiebstähle eingerechnet - rund 1.100 Straftaten. Das waren nach Polizeiangaben doppelt so viele wie 2021. Jugendbanden, die Kinder und Jugendliche auf ihrem Schulweg "abgezockt" hatten, sie bedrohten, Handy und Geld entwendeten, haben aufgeschreckt.

Die Massenschlägerei vom vergangenen Wochenende hat nun offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht. "Wir haben schon seit langem eine erhöhte Polizeipräsenz auf dem Anger, arbeiten gut mit der Polizei zusammen. So war am Wochenende auch schnell Verstärkung zur Stelle. Aber das alles muss mit Videotechnik nun noch ergänzt werden", sagt Horn.

Mannheim liefert Beispiel

Dass es - trotz der hohen Hürden - funktionieren kann, zeigt das Beispiel Mannheim. Ordnungsdezernent Horn sagt, in genau definierten Zeiten werde dort die Videotechnik eins zu eins von der Polizei ausgewertet. Diese Sicherheitspartnerschaft funktioniere. "Momentan haben die Leute Angst, in den Abend- und Nachtstunden über den Anger zu laufen. Das darf so nicht weitergehen."

Rechtliche Feinheiten bei der Begründung

Die Stadt wünscht sich, dass das Land die Videokameras aufstellt und durch die Polizei auswertet. So könnten auch Täter besser identifiziert und danach verurteilt werden, hofft Oberbürgermeister Bausewein. Nur: Mit dieser Begründung dürfen Videokameras laut Rechtsgutachten ebenso wenig installiert werden, wie mit dem Motiv der Abschreckung vor Straftaten.

Im Gutachten heißt es dazu: "Die Videoüberwachung wird in der Regel ein gefährliches oder schädigendes Verhalten nicht verhindern können. Eventuell kann diese eine Abschreckungswirkung entfalten, wenn die Gefahr der Feststellung und Ahndung besteht. Da dies jedoch keine objektiv messbare Größe ist, kann allein die Verhinderung von XY die Überwachung nicht rechtfertigen."

Das kann die Stadt nicht allein.

Andreas Bausewein Oberbürgermeister (SPD)

Die bisherigen Maßnahmen wie erhöhte Polizeipräsenz an den Wochenenden mit einem Mannschaftswagen oder einem Alkoholverbot, sollen mit Videotechnik ergänzt werden. "Das kann die Stadt nicht allein", sagt Oberbürgermeister Andreas Bausewein. Eine Kamera, ohne dass sie jemand auswertet, sei so was wie ein zahnloser Tiger.

Eine Videoüberwachung ist nach Ansicht von Bausewein auch nicht das Allheilmittel. Wenn das so wäre, würde man überall Kameras aufhängen und hätte keine Kriminalität mehr. So einfach sei das alles nicht. Aber der Anger müsse wieder zu einem Ort werden, an dem sich alle wohl und sicher fühlen. "Die Kameras können aber das Sicherheitsgefühl stärken." 

Horn: Überwachung soll wissenschaftlich begleitet werden

Den Menschen sei es egal, wer die Videoüberwachung übernimmt, ob sie in kommunaler Regie oder vom Land betrieben wird, sagt Horn. "Wichtig ist, dass sie jetzt kommt." Er plädiere dafür, dass die Videoüberwachung wissenschaftlich begleitet wird, um auszuwerten, welche Effekte sie hat.

Die Videoüberwachung wird in der Regel ein gefährliches oder schädigendes Verhalten nicht verhindern können, kommentieren die Juristen Erfurts Bemühen. Um Kameras aufhängen zu können, muss viel beachtet werden.

Hohe Hürden für die Kameras

Unter anderem muss nachgewiesen werden, dass ohne die Kameras der öffentliche Raum - sprich der Anger - nicht mehr ungestört von allen genutzt werden kann. Für eine Videoüberwachung spricht in dem Fall, laut Rechtsamt, auch die "ungestörte Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs auf dem Anger."

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hat mit der Stadt Erfurt nun ein Gespräch vereinbart, um über die Sicherheitspartnerschaft zu sprechen und auszulosten, wie die die Hürden für eine Videoüberwachung des Angers übersprungen werden können.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 13. September 2023 | 18:00 Uhr

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