Luftballon-Aktion in Kita Sonneberger AfD-Helfer tauchte schon in NSU-Akten auf

28. Juni 2023, 16:03 Uhr

Der Sonneberger AfD-Helfer, der blaue Ballons an einer Kita im Kreis Sonneberg verteilt hat, wurde schon früh mit militanten Kontakten aktenkundig. Gemeinsame Recherchen von MDR THÜRINGEN und dem SPIEGEL belegen, dass Daniel W. schon Anfang der 2000er-Jahre mit seinen rechtsextremen Aktivitäten in den Fokus der Behörden geriet.

Ein Mann in Neonazi-Shirt verteilt aus dem Kofferraum seines Autos mit Sonneberger Kennzeichen heraus blaue Luftballons an Kinder eines Kindergartens. Im Kofferraum des Autos, auf dessen Heckscheibe ein Aufkleber mit der Aufschrift "Ehrenamtlicher Abschiebehelfer" klebt, liegen zwei weitere Luftballons mit dem Logo der AfD. Auf dem T-Shirt des Mannes wird die Wehrmacht verherrlicht. Dieses Video geht seit Montag viral und sorgt bundesweit für Empörung.

Vernetzung in militante Strukturen

Gemeinsame Recherchen von MDR THÜRINGEN und "SPIEGEL" zeigen nun: Daniel W. war bereits vor Jahrzehnten aktives Mitglied der militanten Sonneberger Neonaziszene. Demnach soll der Rechtsextremist und ehemalige Wehrdienstleistende bei der Bundeswehr, Anfang der 2000er-Jahre in der sogenannten "Kameradschaft Sonneberg" gewesen sein.

Laut Szenekennern wie Martina Renner, Linken-Bundestagsabgeordnete, handelte es sich bei der Kameradschaft um die Sonneberger Sektion des Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz", jener militanten Dachstruktur, aus der auch der rechtsterroristische "Nationalsozialistische Untergrund" hervorgegangen war.

Daniel W. habe eine eindeutige Neonazi-Biografie, die aus dem NSU-Umfeld zur AfD führt, so Rechtsextremismus-Expertin Martina Renner. Aus dem Protokoll einer Befragung von Daniel W. durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD) aus jener Zeit geht hervor, dass W. regelmäßig an Stammtischen der Kameradschaft und NPD-Aufmärschen teilnahm und mit dem NSU-Vertrauten Tino Brandt vertraut war.

Ebenfalls anwesend bei diesen Kameradschaftsabenden soll Ricky N. gewesen sein, ein einschlägig bekannter, gewaltaffiner Thüringer Neonazi, der seit Jahrzehnten in rechtsextremen Bands und Bruderschaften, wie dem rechtsextremen "Treuebund" und der Neonazi-Band "Unbeliebte Jungs" aktiv ist. Ricky N. stand wegen des brutalen Angriffs auf die Ballstädter Kirmesgesellschaft vor Gericht, musste aber aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden.

AfD-Helfer und Höcke-Fan

Politisch hat W. offenbar schon seit Längerem in der AfD eine neue Heimat gefunden. Auf Fotos in den sozialen Medien posiert er gemeinsam mit Sonneberger AfD-Mitgliedern, mit dem gewählten Landrat Robert Sesselmann im Wahlkampf und Arm in Arm mit Björn Höcke.

Kurz vor der Landratswahl suchte er auf Facebook nach "Wahlbeobachtern". Er verbreitet flüchtlingsfeindliche und rassistische Propaganda auf Facebook, soll maßgeblich beteiligt an den rechtspopulistischen sogenannten Sonneberger "Friedensdemos" gewesen sein. Auf Anfrage des MDR und des SPIEGEL reagierte Daniel W. nicht.

AfD Thüringen distanziert sich

Derweil geht die Thüringer AfD auf Distanz zu Daniel W. Auf aktuelle Anfrage teilte Parteisprecher Torben Braga mit: Personen mit einem Geschichts- und Gesellschaftsbild wie bei W. werden "als Mitglied der Partei weder aufgenommen noch geduldet". "Der Landesvorstand distanziert sich stellvertretend für den gesamten Landesverband aufs deutlichste von dieser Person, die im Übrigen weder Mitglied der AfD ist noch jemals war", sagte Braga.

Gleichwohl sei es richtig, teilte Braga zudem mit, dass "diese Person nach Berichten unserer Mitglieder vor Ort mehrfach den Versuch unternommen" habe "als Wahlhelfer - etwa auf Bildern - wahrgenommen zu werden oder sich in der Nähe von AfD-Funktionären oder dem Kandidaten Sesselmann fotografieren" zu lassen. Was ihm augenscheinlich gelang. Auf seinem Facebook-Account finden sich zahlreiche Fotos, die ihn in mit Werbematerial der AfD und in AfD-Montur zeigen. Ein Foto mit Björn Höcke ist mittlerweile gelöscht worden.

Der Landesvorstand distanziert sich stellvertretend für den gesamten Landesverband aufs deutlichste von dieser Person, die im Übrigen weder Mitglied der AfD ist noch jemals war.

Torben Braga

Torben Braga: "Maximal möglicher öffentlicher Schaden"

AfD-Sprecher Braga sagte außerdem: "Weder den AfD-Wahlkämpfern in Sonneberg noch dem AfD-Landesverband ist die geschilderte Biografie dieser Person bekannt gewesen." Gleichzeitig mutmaßte der AfD-Funktionär mit Blick auf eben jene Biografie: "Die Verortung im Umfeld etwa des 'Thüringer Heimatschutzes' oder von Kameradschaften bestätigt angesichts der aus diesen Kreisen bekannten hohen V-Mann-Dichte aus unserer Sicht den Verdacht, dass er sich gezielt das Vertrauen von AfD-Mitgliedern vor Ort erschlichen hat, um dann als Agent Provocateur den maximal möglichen öffentlichen Schaden für die AfD zu verursachen." Dies sei Daniel W. "bedauerlicherweise offensichtlich" gelungen. Belege dafür lieferte Braga nicht.

Rechtsextremer Landesverband mit militantem Personal

Dabei ist Daniel W. nicht der Einzige mit Neonazi-Vergangenheit, der sich heute für die Thüringer AfD stark macht. Beispiel: Martin S., Fotograf in der Erfurter Landtagsfraktion und zuvor jahrelang aktiv in der Thüringer Neonazi-Szene. Heute ist Martin S. häufig - ausstaffiert mit Kamera und Laptop - bei öffentlichen AfD-Veranstaltungen zu sehen.

Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN stand Martin S. von Anfang der 2010er-Jahre bis ins Jahr 2018 mit zahlreichen Personen in Kontakt, die rechtsextremen Organisationen angehörten. Darunter: Mitglieder der Neonazi-Organisation "Blood & Honour", der NPD-Jugendorganisation JN, der sogenannten "Freien Kameradschaften" sowie Akteure des neurechten Milieus.

Die Aufkleber auf dem Auto und die Verherrlichung der nationalsozialistischen Wehrmacht sind unmissverständlich. In so einer kleinen Stadt ist das unübersehbar.

Martina Renner

Auch der Nordthüringer AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl beschäftigt mit Benedikt Kaiser einen langjährigen Neonazi. Kaiser hatte in der Vergangenheit an Neonazi-Aufmärschen in Chemnitz und Zwickau sowie an Demonstrationen der NPD teilgenommen. Fotos zeigen ihn im Umfeld der Kameradschaft "Nationale Sozialisten Chemnitz" sowie der Hooligangruppe "NS-Boys".

In dem als vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuften Verlag "Antaios" war Kaiser jahrelang als Lektor, Redakteur und Autor tätig. Der Inhaber des Verlags Götz Kubitschek gilt als enger Vertrauter des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke.

Martina Renner sagte dem MDR und dem SPIEGEL, es sei ausgeschlossen, dass der AfD die nationalsozialistische Gesinnung nicht bekannt gewesen sei. "Die Aufkleber auf dem Auto und die Verherrlichung der nationalsozialistischen Wehrmacht sind unmissverständlich. In so einer kleinen Stadt ist das unübersehbar." Wo Neonazis so akzeptiert seien, lebten viele andere Menschen gefährlich", so Renner weiter. Daniel W. hatte bei Facebook erklärt, er habe die "falsche Kleidung" getragen, wofür er sich entschuldige.

Gewalttäter und Hitler-Fan

Gemeinsam mit Ricky N. soll Daniel W. nach MDR- und SPIEGEL-Informationen im Jahr 1995 auch in eine Schlägerei mit Bikern in Rauenstein (Landkreis Sonneberg) verwickelt gewesen sein. In der Befragung durch die MAD gab er zu Protokoll mehrfach gewalttätig geworden zu sein beziehungsweise sich "mit Ausländern geprügelt zu haben."

Tatsächlich machte W. auch bezüglich seiner Ideologie schon damals keinen Hehl. So vermerkten die Beamten des Militärischen Abschirmdienstes im August 2001 in ihrem Protokoll. W. hätte "einiges an Hitler gut gefunden. So zum Beispiel, dass er die Behinderten umgebracht hätte (…) Adolf Hitler war clever, er ist es nur zu schnell angegangen!", wird W. dort zitiert. Und weiter: "Ich bin kein Mitläufer, meine Überzeugung habe ich schon immer. Ich bin rechts."

MDR (ahem/baw/cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 28. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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