Gewalt gegen Frauen
Gewalt gegen Frauen findet alltäglich statt - auch in Sachsen. (Symbolbild) Bildrechte: Colourbox.de

Dunkelfeldstudie vorgestellt Viele Frauen in Sachsen leiden unter Gewalt - und schweigen

07. April 2023, 11:06 Uhr

In Sachsen sind weit mehr Frauen von verschiedenen Formen von Gewalt betroffen, als es die offizielle Kriminalitätsstatistik aussagt. Das ergab eine Studie, die das sogenannte Dunkelfeld untersucht hat, vor allem in Hinblick auf sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt und Stalking. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, gibt sie Anhaltspunkte für die Gewaltverbreitung und die Gründe, warum nur ein Bruchteil öffentlich bekannt wird.

  • Neun von zehn Studienteilnehmerinnen der nicht repräsentativen Untersuchung wurden mehrfach sexuell belästigt.
  • Weniger als jede zehnte befragte Betroffene erstattete Anzeige.
  • Sachsen will mit einem Aktionsplan die Gewalt gegen Frauen verringern.

Viele Frauen in Sachsen haben in ihrem Leben offenbar schon einmal Gewalt erfahren, sehr viele haben Angst davor, aber die wenigsten zeigen die Taten an oder machen sie anderweitig öffentlich. Das sind die Hauptergebnisse einer Dunkelfeldstudie, die das sächsische Justizministerium in Auftrag gegeben hatte. Dafür hat die Hochschule Merseburg Antworten von 1.316 Frauen ausgewertet, die sich an einer Online-Umfrage beteiligt hatten. Ein Ziel war, den mutmaßlichen Umfang von sexualisierter und häuslicher Gewalt gegen Frauen sowie Stalking abseits der offiziellen Kriminalitätsstatistik zu erfassen. Wie Projektleiter Heinz-Jürgen Voß bei der der Vorstellung am Donnerstag erklärte, ist die Studie zwar nicht repräsentativ, aber "aussagekräftig", so dass sich Rückschlüsse treffen lassen.

Selbstbeschränkung, um Aufdringlichkeit zu entgehen

So haben 96 Prozent der befragten Frauen schon sexuelle Belästigung beziehungsweise Gewalt in Form von aufdringlichen Blicken, Rufen und Pfiffen, aber auch obszönen Äußerungen, eindeutiger Anspielungen und Gesten erlebt, fast alle von ihnen mehrfach. Neun von zehn Befragten berichteten von ungewolltem Körperkontakt und die Hälfte war mindestens einmal Opfer eines Vergewaltigungsversuches.

Fast ebenso viele wurden zu Hause bedroht oder eingeschüchtert, mehr als ein Drittel in den heimischen vier Wänden geschlagen. Dementsprechend hoch ist die Furcht vieler Teilnehmerinnen der Studie vor physischer oder psychischer Gewalt, vor allem in den Großstädten. Ein Großteil von ihnen verzichtet deshalb sogar auf bestimmte Aktivitäten. So gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an, häufig oder sehr häufig abends weder alleine aus dem Haus, noch allein von einer Veranstaltung nach Hause zu gehen und nicht die Kleidung zu tragen, die sie eigentlich wollten.

Es kann jede Frau treffen

Auffällig war in der Befragung, dass sich die Gewalt gegen Frauen durch alle Schichten der Gesellschaft zieht. Die Opfer stammen aus allen Altersgruppen, allen Bildungsschichten, allen Regionen Sachsens und unterschiedlichen Religionsgruppen. Deutsche Frauen sind ebenso betroffen wie eingewanderte, behinderte genauso wie nicht behinderte.

Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist kein Randphänomen.

Katja Meier Justizministerin in Sachsen

Nur wenige Anzeigen

Gemeinsam ist den betroffenen Frauen auch, dass nur die wenigsten von ihnen die Übergriffe anzeigten. Bei den Befragten lag der Anteil je nach Vergehen zwischen drei und zwölf Prozent. So zeigte nur jede elfte Frau, die in der Studie von einer Vergewaltigung berichtete, die Tat auch an. Bei sexueller Nötigung wurde nur jeder 17. Fall angezeigt. Zum Vergleich: Die polizeiliche Kriminalstatistik für das vergangene Jahr weist fast 300 Frauen in Sachsen als Opfer solcher Gewaltdelikte aus. Auch wenn die jetzt vorgestellte Studie nicht repräsentativ ist, legt sie die Vermutung nahe, dass es eine sehr hohe Dunkelziffer gibt.

Scham und Angst

Aber warum werden so wenige Fälle angezeigt? Und warum suchen sich auch nur wenige betroffene Frauen anderweitig Hilfe, zum Beispiel bei Psychotherapeuten, Fachberatungsstellen oder in Frauenhäusern? Scham und Angst sind der Studie zufolge die Hauptgründe. So erklärten 84 Prozent der laut der Befragung vergewaltigten Frauen, sie hätten sich geschämt. Gut drei Viertel befürchteten, dass ihnen niemand glaubt. Den gleichen Grund gab eine Mehrheit der Frauen an, die zu Hause geschlagen wurde. Zudem berichteten befragte Frauen auch über entsprechende negative Erfahrungen, unter anderem bei der Polizei, aber auch bei Ärzten.

Frau und Schaufensterpuppen stehen mit zugeklebten Mündern in einer Reihe
Viele Gewaltopfer sagen nichts, weil sie Angst haben, dass ihnen nicht geglaubt wird. Bildrechte: Colourbox.de

Aktionsplan angekündigt

Auch Sachsens Justizministerin Katja Meier (Bündnis '90/Die Grünen) geht davon aus, dass geschlechtsspezifische Gewalt häufig verharmlost und den Opfern eine Mitschuld unterstellt wird. Die Studie zeige sehr deutlich, welche Bedarfe beim Schutz- und Hilfesystem für betroffene Frauen noch vorhanden seien, sagte die Grünen-Politikerin.

Diese Studie ist eine wichtige Grundlage, um präventiv zu arbeiten und Maßnahmen zu entwickeln, mit denen wir gezielt auf die Bedarfe von Menschen eingehen können, die von häuslicher oder sexualisierter Gewalt oder Stalking betroffen sind.

Katja Meier Justizministerin in Sachsen

Die Ministerin kündigte an, die sächsische Regierung werde noch in diesem Jahr einen Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verabschieden. Er soll Schritte für die kommenden sechs Jahre enthalten. Gefordert seien dabei alle potentiellen Anlaufstellen für die Opfer, vor allem auch Behörden wie Polizei und Jugendhilfe.

Wie weit Gewalt gehen kann

Wenn von Gewalt Betroffene schneller und unkomplizierter Hilfe erhalten, könnte künftig die Zahl schwerer Fälle wie beispielsweise in Nossen im Landkreis Meißen zurückgehen. Dort soll Anfang 2021 ein 52-Jähriger seine Lebensgefährtin mit Ethanol übergossen und angezündet haben. Das damals 42 Jahre alte Opfer erlitt nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft großflächig schwerste Verbrennungen und wird dauerhaft entstellt bleiben. Jetzt wurde Anklage gegen den Mann erhoben, der vor der Tat mit seiner Frau gestritten und sie auch mehrfach geschlagen haben soll.

MDR (stt)/dpa/epd

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 06. April 2023 | 19:00 Uhr

Mehr aus der Landespolitik

Mehr aus Sachsen