Tanz- und Theaterfestival Nach Streit um Stückabsage: Euro-Scene in Leipzig startet
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05. November 2024, 03:00 Uhr
Einladung, Ausladung, Streit – nach der Aufregung in der vergangenen Woche beginnt heute Tanz- und Theaterfestival Euro-Scene. Bis zum 10. November treten Künstler aus 14 Ländern in Leipzig auf. Die Debatte um den vom Festival abgesagten Auftritt einer palästinensischen Theatergruppe aus dem Westjordanland ist noch nicht beendet. Zum Auftakt der Euro-Scene ist eine Demonstration angekündigt.
- Vom 5. bis 10. November findet in Leipzig das 34. Tanz- und Theaterfestival Euro-Scene statt.
- Die Absage des Stückes einer palästinensischen Theatergruppe sorgte vorab für Diskussionen.
- Am Eröffnungstag soll deshalb eine Kundgebung stattfinden.
Heute startet das Leipziger Tanz- und Theaterfestival Euro-Scene mit einem HipHop-Tanzwettbewerb sowie der Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht" zur Präsidentschaftswahl in den USA. Bis 10. November werden in der Messestadt insgesamt 14 Produktionen gezeigt, darunter eine Uraufführung und drei Deutschlandpremieren. Eingeladen sind Künstlerinnen und Künstlern aus insgesamt 14 Ländern, darunter Argentinien, Belarus, Polen oder die Ukraine. Zudem finden eine Fachtagung, Talks und Workshops statt.
Auszeichnung für Kula Compagnie
Am Samstag wird die internationale Kula Compagnie mit dem Preis des deutschen ITI-Zentrums (Internationales Theaterinstitut) ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: "Die Kula Compagnie steht exemplarisch für ein transnationales, mehrsprachiges Theater, das künstlerische Praxis verschiedenster Ästhetiken und humanitäres Engagement zusammenführt."
Im Anschluss an die Preisverleihung wird der Film "Das fünfte Rad" der Kula Compagnie gezeigt, der aus dem afghanischen Untergrund heraus mit Mobiltelefonen gedreht wurde.
Stückabsage und umstrittener Nahost-Schwerpunkt
Einen Schwerpunkt legt das Festival in diesem Jahr auf den Nahen und Mittleren Osten, vertreten durch Länder wie Iran, Libanon und Palästina. Im Vorfeld gab es bereits Diskussionen, da kein Künstler aus Israel eingeladen wurde.
Der Konflikt spitzte sich zu, als die Performance "And here I am" des palästinensischen Freedom Theatres aus dem Westjordanland abgesagt wurde. In dem Stück geht es um die Lebensgeschichte des künstlerischen Leiters der Theatergruppe, Ahmed Tobasi, der in seiner Jugend für die Terrororganisation Islamischer Dschihad aktiv war.
Unter anderen kritisierten die Leipziger Initiative Artists against Antisemitism und der Beauftragten für jüdisches Leben in Sachsen, Thomas Feist, den geplanten Auftritt. Es wurden auch Antisemitismusvorwürfe gegen das Freedom Theatre laut. Der Theatergruppe wurde vorgeworfen, zum kulturellen Boykott Israels aufzurufen und den Terror des sogenannte "Palästinensischen Islamischen Dschihad" zu verharmlosen.
Festivaldirektor Christian Watty beteuert im Gespräch mit MDR KULTUR, ihm wäre eine Hetzkampagne gegen das Freedom Theater nirgendwo in der Welt bekannt geworden, sonst wäre er aufmerksamer gewesen. Auch habe er die aufgeladene Stimmung in Deutschland unterschätzt. Watty betont: "Ich halte Ahmed Tobasi weiterhin für einen absolut integren Künstler."
Ich halte Ahmed Tobasi weiterhin für einen absolut integren Künstler.
Die Euro-Scene berief sich bei ihrer Absage unter anderem auf einen Beschluss der Ratsversammlung der Stadt Leipzig, wonach städtische Kultureinrichtungen verpflichtet sind, sich von jeglichen Boykottaufrufen gegenüber Israel zu distanzieren.
Zugleich hatten die Veranstalter ihr Bedauern über diese Absage ausgedrückt. Festivaldirektor Watty sagte: "Boykott ist für mich auf keinen Fall zielführend. Ich bin gegen jeden Boykott. Und man muss hier aber auch fragen, wie frei die Kunst denn überhaupt noch sein will, wenn sie Selbstzensur und Boykott fordert."
Man muss hier aber auch fragen, wie frei die Kunst denn überhaupt noch sein will, wenn sie Selbstzensur und Boykott fordert.
Demonstration gegen Stückabsage
Am Eröffnungstag der Euro-Scene plant eine Gruppe "Intersektionaler Künstler:innen und Theaterbegeisterter aus Leipzig" eine Kundgebung zur Absage des Stückes "And here I am". Die Teilnehmenden wollen damit ihre Solidarität mit der Euro-Scene Leipzig und dem Freedom Theatre Jenin (Palästina) ausdrücken.
Die Aktivisten setzen sich nach eigenem Bekunden "kritisch mit der Reproduktion von Queerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus" auseinander und teilen mit: "Insbesondere im Kontext der aktuell von Israel an Palästinenser:innen begangenen Kriegsverbrechen, hat Kunst die Aufgabe Perspektiven zu ermöglichen, die im jetzigen Diskurs fehlen." Die Demonstration findet parallel zur Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht" an der Nikolaikirche statt.
Höhepunkte der Euro-Scene 2024
Eröffnungstag 5. November
19:30 bis 22:30 Uhr | Schauspiel Leipzig
Festivaleröffnung mit Grußworten und Stück "Ubuntu Connection" des Somogo Kollektivs
12:00 bis 18:00 Uhr | Nikolaikirche
Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht", Meditation über Demokratie, Freiheit und Menschenrechte
Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten
6. November 19:30 bis 20:45 Uhr, 7. November 17:30 bis 18:45 Uhr | Lofft Theater
"Basis for Being" - traditioneller und moderner iranischer Tanz mit Sina Saberi (Hamburg, Teheran)
6. November 21:30 bis 22:30 Uhr, 7. November 21:30 bis 22:30 Uhr | Schaubühne Lindenfels
"Shiraz" - Tanzstück von Armin Hokmi (Berlin) zum gleichnamigen legendären iranischen Festival in den 1970er-Jahren
8. November 21:30 bis 22:30 Uhr, 9. November 21:30 bis 22:30 Uhr | Schaubühne Lindenfels
"Dance is not for us" - libanesischer zeitgenössischer Tanz von Omar Rajeh / Maqamat (Beirut / Lyon)
Europäische Theatermacherinnen
7. November 17:30 bis 20:30 Uhr | Schauspiel Leipzig
"Mothers a Song for Wartime" Chortheater von Marta Górnicka (Warschau) zum russischen Angriffskrieg, mit 21 ukrainischen, belarusischen und polnischen Frauen
9. November 19:30 bis 21:15 Uhr, 10. November 15:30 bis 17:15 Uhr | Schauspiel Leipzig
"Fremde Seelen" - dokumentarisches Musiktheater der als Zürich-Tatort-Kommissarin bekannt gewordenen Schauspielerin Carol Schuler (Zürich / Palermo)
9. November 19:30 bis 21:00 Uhr, 10. November 17:30 bis 19:00 Uhr | Schauspiel Leipzig
"Es war an einem Samstag" - Stück zur Vernichtung des europäischen Judentums durch die deutsche Wehrmacht der griechischen Schauspielerin Fotini Banou (Athen) und Regisseurin Irène Bonnaud (Paris)
Familienprogramm
Verschiedene Termine vom 8. bis 10. November | Westflügel Leipzig
"Au Jardin des Potiniers" – fantasievolles Stück über die Schönheit der Welt, ab 7 Jahren
Preisverleihung ITI-Preis
9. November 16:00 bis 18:00 Uhr | Schaubühne Lindenfels
Preis des deutschen ITI Zentrums 2024 an die KULA Compagnie mit anschließendem Filmscreening
Fachtagung
8. November 13:30 bis 17:00 Uhr | Theater der Jungen Welt
"Internationale Bühne Inklusion" Austausch und Vernetzung der inklusiven Kulturarbeit
Quelle: Quelle: MDR KULTUR (Thomas Bille), Euro-Scene Leipzig
Redaktionelle Bearbeitung: op, bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 05. November 2024 | 08:40 Uhr