Eine Mann mit Bart steht auf der Bühne und streckt seine Arme kraftvoll in beide Richtungen vom Körper weg
Bildrechte: Elizabeth Pearl

Tanz- und Theaterfestival Nach Streit um Stückabsage: Euro-Scene in Leipzig startet

05. November 2024, 03:00 Uhr

Einladung, Ausladung, Streit – nach der Aufregung in der vergangenen Woche beginnt heute Tanz- und Theaterfestival Euro-Scene. Bis zum 10. November treten Künstler aus 14 Ländern in Leipzig auf. Die Debatte um den vom Festival abgesagten Auftritt einer palästinensischen Theatergruppe aus dem Westjordanland ist noch nicht beendet. Zum Auftakt der Euro-Scene ist eine Demonstration angekündigt.

Heute startet das Leipziger Tanz- und Theaterfestival Euro-Scene mit einem HipHop-Tanzwettbewerb sowie der Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht" zur Präsidentschaftswahl in den USA. Bis 10. November werden in der Messestadt insgesamt 14 Produktionen gezeigt, darunter eine Uraufführung und drei Deutschlandpremieren. Eingeladen sind Künstlerinnen und Künstlern aus insgesamt 14 Ländern, darunter Argentinien, Belarus, Polen oder die Ukraine. Zudem finden eine Fachtagung, Talks und Workshops statt.

Eine Tänzerin
Mit "Ubuntu Connection", einem Tanzwettbewerb, wird die Euro-Scene 2024 am Dienstag eröffnet. Bildrechte: Anna Ihle

Auszeichnung für Kula Compagnie

Am Samstag wird die internationale Kula Compagnie mit dem Preis des deutschen ITI-Zentrums (Internationales Theaterinstitut) ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: "Die Kula Compagnie steht exemplarisch für ein transnationales, mehrsprachiges Theater, das künstlerische Praxis verschiedenster Ästhetiken und humanitäres Engagement zusammenführt."

Im Anschluss an die Preisverleihung wird der Film "Das fünfte Rad" der Kula Compagnie gezeigt, der aus dem afghanischen Untergrund heraus mit Mobiltelefonen gedreht wurde.

Stückabsage und umstrittener Nahost-Schwerpunkt

Einen Schwerpunkt legt das Festival in diesem Jahr auf den Nahen und Mittleren Osten, vertreten durch Länder wie Iran, Libanon und Palästina. Im Vorfeld gab es bereits Diskussionen, da kein Künstler aus Israel eingeladen wurde.

Verschiedene Personen stehen in Posen und halten sich die Hände vor ihr Gesicht.
In dem Ort Shiraz im südlichen Iran fand in den 1970er-Jahren ein Tanzfestival zur Musik u.a. von Karl-Heinz Stockhausen oder John Cage statt. Daran erinnert die gleichnamige Performance von Armin Hokmi mit internationalen Tänzerinnen und Tänzern. Bildrechte: Armin-Hokmi-Kiasaraei

Der Konflikt spitzte sich zu, als die Performance "And here I am" des palästinensischen Freedom Theatres aus dem Westjordanland abgesagt wurde. In dem Stück geht es um die Lebensgeschichte des künstlerischen Leiters der Theatergruppe, Ahmed Tobasi, der in seiner Jugend für die Terrororganisation Islamischer Dschihad aktiv war.

Unter anderen kritisierten die Leipziger Initiative Artists against Antisemitism und der Beauftragten für jüdisches Leben in Sachsen, Thomas Feist, den geplanten Auftritt. Es wurden auch Antisemitismusvorwürfe gegen das Freedom Theatre laut. Der Theatergruppe wurde vorgeworfen, zum kulturellen Boykott Israels aufzurufen und den Terror des sogenannte "Palästinensischen Islamischen Dschihad" zu verharmlosen.

Festivaldirektor Christian Watty beteuert im Gespräch mit MDR KULTUR, ihm wäre eine Hetzkampagne gegen das Freedom Theater nirgendwo in der Welt bekannt geworden, sonst wäre er aufmerksamer gewesen. Auch habe er die aufgeladene Stimmung in Deutschland unterschätzt. Watty betont: "Ich halte Ahmed Tobasi weiterhin für einen absolut integren Künstler."

Ich halte Ahmed Tobasi weiterhin für einen absolut integren Künstler.

Christian Watty, Festivaldirektor der Euro-Scene

Die Euro-Scene berief sich bei ihrer Absage unter anderem auf einen Beschluss der Ratsversammlung der Stadt Leipzig, wonach städtische Kultureinrichtungen verpflichtet sind, sich von jeglichen Boykottaufrufen gegenüber Israel zu distanzieren.

Zugleich hatten die Veranstalter ihr Bedauern über diese Absage ausgedrückt. Festivaldirektor Watty sagte: "Boykott ist für mich auf keinen Fall zielführend. Ich bin gegen jeden Boykott. Und man muss hier aber auch fragen, wie frei die Kunst denn überhaupt noch sein will, wenn sie Selbstzensur und Boykott fordert."

Man muss hier aber auch fragen, wie frei die Kunst denn überhaupt noch sein will, wenn sie Selbstzensur und Boykott fordert.

Christian Watty, Festivaldirektor der Euro-Scene

Tänzer in einem leuchtenden Kreis, drei von ihnen halten leuchtende Reifen.
Das Stück "Fremde Seelen" basiert auf realen Ereignissen, dem Suizid eines Pfarrers vietnamesischer Herkunft in dem Schweizer Dorf, in dem die Mutter von Regisseurin Eva-Maria Bertschy damals lebte. Bildrechte: Julie Folly

Demonstration gegen Stückabsage

Am Eröffnungstag der Euro-Scene plant eine Gruppe "Intersektionaler Künstler:innen und Theaterbegeisterter aus Leipzig" eine Kundgebung zur Absage des Stückes "And here I am". Die Teilnehmenden wollen damit ihre Solidarität mit der Euro-Scene Leipzig und dem Freedom Theatre Jenin (Palästina) ausdrücken.

Die Aktivisten setzen sich nach eigenem Bekunden "kritisch mit der Reproduktion von Queerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus" auseinander und teilen mit: "Insbesondere im Kontext der aktuell von Israel an Palästinenser:innen begangenen Kriegsverbrechen, hat Kunst die Aufgabe Perspektiven zu ermöglichen, die im jetzigen Diskurs fehlen." Die Demonstration findet parallel zur Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht" an der Nikolaikirche statt.

Eine künstlich gestaltete tropische Landschaft auf einer Bühne.
"Au jardin des Potiniers" ist ein für Kinder ab 7 Jahren konzipiertes Stück voller Fantasie. Bildrechte: B. Soulage

Höhepunkte der Euro-Scene 2024

Eröffnungstag 5. November
19:30 bis 22:30 Uhr | Schauspiel Leipzig
Festivaleröffnung mit Grußworten und Stück "Ubuntu Connection" des Somogo Kollektivs

12:00 bis 18:00 Uhr | Nikolaikirche
Marathonlesung "Was auf dem Spiel steht", Meditation über Demokratie, Freiheit und Menschenrechte

Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten
6. November 19:30 bis 20:45 Uhr, 7. November 17:30 bis 18:45 Uhr | Lofft Theater
"Basis for Being" - traditioneller und moderner iranischer Tanz mit Sina Saberi (Hamburg, Teheran)

6. November 21:30 bis 22:30 Uhr, 7. November 21:30 bis 22:30 Uhr | Schaubühne Lindenfels
"Shiraz" - Tanzstück von Armin Hokmi (Berlin) zum gleichnamigen legendären iranischen Festival in den 1970er-Jahren

8. November 21:30 bis 22:30 Uhr, 9. November 21:30 bis 22:30 Uhr | Schaubühne Lindenfels
"Dance is not for us" - libanesischer zeitgenössischer Tanz von Omar Rajeh / Maqamat (Beirut / Lyon)

Europäische Theatermacherinnen
7. November 17:30 bis 20:30 Uhr | Schauspiel Leipzig
"Mothers a Song for Wartime" Chortheater von Marta Górnicka (Warschau) zum russischen Angriffskrieg, mit 21 ukrainischen, belarusischen und polnischen Frauen

9. November 19:30 bis 21:15 Uhr, 10. November 15:30 bis 17:15 Uhr | Schauspiel Leipzig
"Fremde Seelen" - dokumentarisches Musiktheater der als Zürich-Tatort-Kommissarin bekannt gewordenen Schauspielerin Carol Schuler (Zürich / Palermo)

9. November 19:30 bis 21:00 Uhr, 10. November 17:30 bis 19:00 Uhr | Schauspiel Leipzig
"Es war an einem Samstag" - Stück zur Vernichtung des europäischen Judentums durch die deutsche Wehrmacht der griechischen Schauspielerin Fotini Banou (Athen) und Regisseurin Irène Bonnaud (Paris)

Familienprogramm
Verschiedene Termine vom 8. bis 10. November | Westflügel Leipzig
"Au Jardin des Potiniers" – fantasievolles Stück über die Schönheit der Welt, ab 7 Jahren

Preisverleihung ITI-Preis
9. November 16:00 bis 18:00 Uhr | Schaubühne Lindenfels
Preis des deutschen ITI Zentrums 2024 an die KULA Compagnie mit anschließendem Filmscreening

Fachtagung
8. November 13:30 bis 17:00 Uhr | Theater der Jungen Welt
"Internationale Bühne Inklusion" Austausch und Vernetzung der inklusiven Kulturarbeit

Quelle: Quelle: MDR KULTUR (Thomas Bille), Euro-Scene Leipzig
Redaktionelle Bearbeitung: op, bh

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 05. November 2024 | 08:40 Uhr

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