
Teilhabe Demenzchor Leipzig: Singend gegen das Vergessen
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19. März 2025, 05:00 Uhr
Sie gilt als neue Volkskrankheit - die Demenz. Besonders davon betroffen sind die geistigen, die sogenannten kognitiven Fähigkeiten - wie das Denken, das Gedächtnis, die Orientierung und die Sprache. Was früher selbstverständlich war, geht nun peu a peu verloren. Doch es gibt etwas, das das Wohlbefinden nicht nur der Betroffenen spürbar verbessert: Singen und Musik.
- Demenzerkrankte können mit Musik und Gesang Erinnerungen wieder hervorholen.
- Angehörige berichten von positive Effekten, nicht nur für die Demenzerkrankten.
- Die Arbeit des Vereins "SelbstBestimmt Leben" wäre ohne Spenden nicht möglich.
Der 90-jährige Eddi strahlt über das ganze Gesicht. Man merkt sofort, Musik macht ihn glücklich. Und was ihn glücklich macht, freut auch seine Ehefrau Moni. Seit zehn Jahren kümmert sich die 75-Jährige liebevoll um ihren an Demenz erkrankten Mann. Einmal im Monat gehen die beiden gemeinsam musizieren, zum Demenzchor des Vereins SelbstBestimmt Leben in Leipzig. So wie an diesem Montagvormittag.
Mit Gesang den Erinnerungen auf der Spur
Mit Moni und Eddi haben sich insgesamt 22 Sängerinnen und Sänger im obersten Stock des Victors Residenz Hotels direkt am Leipziger Hauptbahnhof eingefunden. Es sind sowohl die an Demenz Erkrankten als auch ihre pflegenden Angehörigen. Seit eineinhalb Jahren gibt es diesen speziellen Demenzchor, wie Sandra Wünsche MDR SACHSEN erzählt. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins SelbstBestimmt Leben in Leipzig. Das gemeinsame Singen, sagt sie, beeinflusse vieles. So wirke das Singen auf das Körpergefühl, auf die Lebendigkeit und schaffe es, Erinnerungen wieder hervorzuholen.
Das belegen auch wissenschaftliche Studien. Und in der Tat. Während der Chorstunde beginnen die Gesichter der Teilnehmenden zu strahlen. Viele können die Liedtexte auswendig und je nach Melodie wird dabei geschunkelt, besonders ausgiebig bei "Tulpen aus Amsterdam".
Das Singen wirkt auf das Körpergefühl, auf die Lebendigkeit und schafft es, kognitiv auch wirklich Erinnerungswerte wieder hervorzuholen.
Musik mit allen Sinnen
Bevor es an die Lieder geht, wird jeder Sänger und jede Sängerin mit Namen musikalisch von der Chorleiterin und Musikpädagogin Katharina Merz begrüßt. Dieses Ritual sei sehr wichtig, sagt Merz. "Ich habe schon das Gefühl, dass auch die Demenzerkrankten das irgendwie wiedererkennen und dann mit einstimmen in den Text", erzählt sie. Auch zum Ende der Chorstunde gibt es so ein Ritual.
Was gesungen wird, bestimmt Merz. "Ich achte darauf, bekannte Lieder auszuwählen, damit es diesen Wiedererkennungswert gibt und die alten Texte dann auch zum Teil wieder von tief aus dem Gedächtnis nach oben geholt werden", erklärt sie. Es wird aber nicht nur gesungen. Auch die Aspekte Bewegung und Sprache seien ihr wichtig. So trägt sie mal ein passendes Gedicht vor, fordert zum gemeinsamen Tanzen und Musizieren auf. Musik mit allen Sinnen.
Ich achte darauf, bekannte Lieder auszuwählen damit es diesen Wiedererkennungswert gibt und die alten Texte dann auch zum Teil wieder aus dem Gedächtnis nach oben geholt werden.
Angehörige: "Ohne den Chor wäre vieles schwerer"
Gebe es den Demenzchor nicht, wäre das für Moni und Eddi ein absoluter Verlust. Für Eddi, weil er schon immer gerne gesungen hat. "Das macht mir Freude", strahlt er regelrecht nach der Chorstunde. Und auch Moni bedeutet der Chor viel. "Da merkt man sofort , dass wir beide beschwingter rausgehen, teilweise am Nachmittag dann noch einmal ein Lied singen".
Doch nicht nur das gemeinsame Singen gibt Moni etwas. Es ist auch das Zusammentreffen mit anderen pflegenden Angehörigen, das ihr Mut macht und Kraft gibt, ihren Mann zu pflegen. "Es ist leichter und schöner", sagt sie.
Auch Kathrein und ihrer Tante Brigitte empfinden das gemeinsame Singen als Entspannung. "Ich weiß nicht, ob wir auf die Idee gekommen wären, uns Zuhause hinzusetzen und zu singen. Und ich war mir nicht bewusst, was Musik bewirken kann", erzählt Kathrein.
Bei ihr und ihrer Tante bewirke es unter anderem Zufriedenheit. "Es ist für mich auch eine Zeit, in der ich mir keine Gedanken machen muss", sagt die Nichte. Und ihre Tante Brigitte? "Man kann sich dann auch an vieles erinnern, was schön war. Auf jeden Fall fühlt man sich wohl".
Ich war mir nicht bewusst, was Musik bewirken kann.
Ohne Spenden geht es nicht
Finanziert wird der Verein SelbstBestimmt Leben und damit der Demenzchor unter anderem durch Spenden und karitatives Engagement, wie vom Victors Residenz Hotel. Kostenlos stellt das Hotel die Räume für das monatliche Treffen zur Verfügung. Doch aktuell kämpft Vereinschefin Sandra Wünsche um die wichtigste Einnahmequelle.
Denn gerade ist aufgrund der schwierigen Haushaltslage von Bund und Land nicht klar, ob der Verein noch Fördergelder bekommt. Das heißt, ohne finanzielle Zusagen könnten die Projekte wie der Demenzchor nicht mehr stattfinden. Für Sandra Wünsche und ihr Team wäre das eine Katastrophe. "Da würde ein großer Stein für die Betroffenen und für die Angehörigen wegfallen, der Freude der Lebensqualität und der kulturellen Teilhabe", so Wünsche.
Da würde ein großer Stein für die Betroffenen und für die Angehörigen wegfallen, der Freude der Lebensqualität und der kulturellen Teilhabe
Demenzchor Leipzig
Die Chorproben finden einmal monatlich von 10-11 Uhr in den Räumen des Victors Residenz-Hotel (Leipzig Georgiring 13) statt.
Um Anmeldung wird gebeten unter:
SelbstBestimmt Leben e.V.
Geschäftsführerin Frau Sandra Wünsche
Tel.: 0341 24 33 05 66
E-Mail: info@sbl-leipzig.de
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 19. März 2025 | 19:00 Uhr