Demenz: Der lange Abschied - Zwei Töchter und ihre Mütter 29 min
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Reportage Demenz: Wie zwei Töchter Abschied von ihrer Mutter nehmen

13. Januar 2025, 10:04 Uhr

Was, wenn die eigene Mutter an Demenz erkrankt? Die junge Magdeburger Filmemacherin Roxana Hennig hat zwei Töchter begleitet, die genau vor dieser Frage standen. Sie entscheiden sich dafür, ihre Mütter durch die Krankheit zu begleiten. Was das bedeutet, wie und ob sie das durchhalten, zeigt die Reportage "Demenz: Der lange Abschied. Zwei Töchter und ihre Mütter."

Niemand prägt uns so wie unsere Mutter. Manchmal ist die Beziehung konfliktreich, idealerweise liebevoll und innig. Aber was, wenn die eigene Mutter an Demenz erkrankt, langsam ihre Erinnerung verliert und das eigene Kind, die Tochter nicht mehr erkennen kann?

Was heißt eigentlich Demenz?

Medizinisch bedeutet Demenz eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Gedächtnis, räumliches Orientierungsvermögen und das Sprachvermögen zunehmend beeinflusst werden.

Die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen lautet "ohne Verstand sein". Der Betroffene verliert die Kontrolle über sein Denken und damit über sich selbst.

"Immer sportlich und lebhaft", Diagnose: Alzheimer mit 55

Demenz: Der lange Abschied - Zwei Töchter und ihre Mütter
Heute erkennt Kerstin Elfmann ihre Tochter nicht mehr. Bildrechte: MDR / D. Laudowicz

Die Diagnose Alzheimer bekam Peggys Mutter Kerstin Elfmann mit 55 Jahren. Eine sportliche und lebhafte Frau sei die Mutter immer gewesen, erinnert sich Peggy, die mit ihrem Bruder in Zeitz aufgewachsen ist. Heute lebt sie mit ihren drei Töchtern in München, arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Schreibend versucht sie, sich klar zu werden über diese andere Welt, in der ihre Mutter jetzt lebt. Es ist ein Weg in Kontakt zu kommen, wenn doch kein Gespräch mehr möglich ist und sich der Mensch, der einem so nahe war, immer weiter entfernt:

Liebe Mama, ich wüsste gerne, wo diese Erinnerungen wohnen, damit ich sie besser wecken kann.

Peggy Elfmann in einem Brief an die Mutter
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Peggy verabschiedet sich nach einem Besuch von ihrer Mutter Kerstin. Bildrechte: MDR / D. Laudowicz

Dass Kerstin Elfmann noch zu Hause leben kann, ist möglich, weil sich ihr Mann um sie kümmert. Seit mehr als 40 Jahren sind die beiden verheiratet. So oft sie kann, reist Peggy zu ihren Eltern zurück in die Heimat. Sie möchte ihre Mutter durch die Krankheit begleiten, was ihr viel abverlangt. Denn ihre Mutter erkennt sie nicht mehr und kann auch nicht mehr mit ihr sprechen. Dennoch sagt Peggy auch, sie wolle die gemeinsame Zeit genießen. Damit sie dieses Ziel nicht aus den Augen verliert, hat sie eine Mutter-Tochter-Bucket-Liste geschrieben, wie sie erzählt: "mit ganz einfachen Sachen drauf, z.B. mit nackten Füßen über Gras laufen".

Als Peggy die Diagnose ihrer Mutter erfuhr, konnte sie kaum mit jemandem darüber sprechen. Inzwischen hat sie Wege gefunden, ihre Erfahrungen zu teilen, in ihrem Blog "Alzheimer und Wir" und einem Buch. So stellte sie fest, wie befreiend die Möglichkeit zum Austausch ist. Meist seien es Frauen, die ihr schrieben, sagt sie. Gerade Töchter fühlten sich verpflichtet, die Pflege der Eltern zu stemmen, "um sich später nichts vorwerfen zu müssen".

Stichwort: Alzheimer

Die bekannteste Form der Demenz ist die Alzheimer-Erkrankung. Rund 60 Prozent aller Demenzerkrankungen werden als Alzheimer diagnostiziert.

Bislang gibt es keine Therapie, die die Erkrankung stoppen oder heilen könnte. Symptome können aber gemildert, der Verlauf verlangsamt werden, unter anderem durch gesunden Lebensstil und Bewegung.

Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen nimmt mit dem Lebensalter zu: Sind in der Altersgruppe von 70 bis 74 Jahren noch unter vier Prozent betroffen, so sind es bei den 80- bis 84-Jährigen bereits mehr als 15 Prozent, bei den über 90-Jährigen mit 41 Prozent sogar rund zwei Fünftel. In Einzelfällen können auch unter 65-Jährige an einer Demenz erkranken.

Als Ursache gelten Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn außerhalb der Zellen, Eiweißverklumpungen innerhalb der Zellen und Fehlfunktionen des Immunsystems. Nach Einschätzung von Medizinern werden zwei bis fünf Prozent der Erkrankungen durch familiär weitergegebene Genmutationen verursacht. Bei den übrigen Fällen gibt es offenbar eine Mischung aus genetischem Risiko und Lebensstil. Übergewicht, Bluthochdruck oder Entzündungen im Körper spielen eine Rolle.

Bei einem weiteren Teil wird das Gehirn durch Durchblutungsstörungen dauerhaft geschädigt, dann ist die Rede von vaskulärer Demenz.

Bei der Pflege an Grenzen stoßen

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Sonja und ihre Mutter Vreni, die vor 3 Jahren an einer schnell fortschreitenden Demenz erkrankte. Bildrechte: MDR / D. Laudowicz

Sonja Traxels Vater ist früh gestorben, so hat sie ein besonders enges Verhältnis zu ihrer Mutter Vreni Herlan. "Nur 1,50 Meter, aber eine ganz starke Frau und immer für einen Plausch zu haben", so erinnert sie sich an die Mutter. Immer frisch gekocht habe sie, bis sie dann plötzlich umgestiegen sei auf Tütensuppen. "Da muss es angefangen haben", meint Sonja Traxel. Ihre Mutter Vreni erleidet damals einem Schlaganfall. Eine vaskuläre Demenz wird festgestellt. Sonja nimmt sich bewusst Zeit, um sich über den "Abschied auf Raten" von ihre Mutter klar zu werden, schreibt Erinnerungen auf und merkt so, was sie von ihrer Mutter übernommen, was sie ihr weitergegeben hat: "Ich bin dafür dankbar, aber ich weiß, dass sie so wie sie war, nicht mehr da ist."

Demenz: Der lange Abschied - Zwei Töchter und ihre Mütter
Inzwischen lebt Vreni im Pflegeheim, Tochter Sonja kommt aller zwei Tage zu Besuch. Bildrechte: MDR / D. Laudowicz

Trotzdem versucht sie unermüdlich, die Nähe zu ihrer Mutter aufrechtzuerhalten, sie zu unterstützen und so ein vertrautes Gefühl inmitten der Orientierungslosigkeit zu geben. Sie weiß, dass es der Wunsch der Mutter ist, so lange wie möglich zuhause zu leben. Dafür hat sie ihre Arbeit in der Schweiz aufgegeben, um öfter bei der Mutter sein zu können. Schließlich muss sie sich eingestehen, dass sie an ihre Grenzen stößt und meldet die Mutter in einem Pflegeheim an:

Man muss dringend versuchen, solche Entscheidungen nicht als persönliches Versagen zu begreifen. Das fällt mir aber schwer.

Sonja Traxel

Netzwerke und Austausch suchen

Aller zwei Tage kommt sie nun zu Besuch. Auch Sonja Traxel gibt inzwischen ihre Erfahrungen weiter. Wie wichtig solche Netzwerke sind, betont auch die 2020 von der Bundesregierung ausgerufene Nationale Demenzstrategie, die regional und lokal Betreuung und Teilhabe verbessern helfen soll. Keine Kleinigkeit angesichts von 1,6 Millionen Menschen, die in Deutschland an Demenz erkrankt sind. Angesichts der demografischen Entwicklung könnten es einer Prognose zufolge 2050 bereits 2,8 Millionen Menschen sein. Der Großteil wird von Angehörigen zuhause gepflegt.

Daten & Fakten Demenz: 1,8 Millionen Betroffene nur in Deutschland

*Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft geht von rund 1,8 Millionen Betroffenen aus.

*Weil die Menschen immer älter werden, könnten es 2050 bereits 2,8 Millionen sein. Pro Jahr erkranken rund 300.000 Bundesbürger neu.

*Die menschlichen, aber auch die finanziellen Belastungen sind erheblich: Grobe Kostenschätzungen für Deutschland gehen von 40 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr aus.

*Weltweit gibt es nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation rund 50 Millionen Demenzkranke; jedes Jahr kommen 10 Millionen Neuerkrankungen hinzu. Die internationale Alzheimer-Organisation bezeichnet die Krankheit deshalb als "globale Epidemie".

Alzheimer erkennen und vorbeugen

Ursachen und Symptome: Bei der Alzheimer-Erkrankung kommt es zum fortschreitenden Verlust von Hirn-Nervenzellen sowie zu Ablagerungen. Die ersten Symptome von Alzheimer werden oft nicht mit der Krankheit in Verbindung gebracht: Kopfschmerzen, leichte Depressionen, Leistungsschwäche. Bald kommt es zu ersten Ausfallerscheinungen des Gehirns.

Frühwarnzeichen:

1. Der Betroffene wiederholt immer wieder die gleiche Frage.

2. Er oder sie erzählt ständig dieselbe Geschichte mit denselben Worten.

3. Es gelingt nicht mehr, alltägliche Verrichtungen (Kochen, Kartenspielen, Benutzung der Fernbedienung) vorzunehmen.

4. Der Umgang mit Geld, Rechnungen und Überweisungen klappt nicht mehr.

5. Gegenstände werden verlegt oder unbewusst versteckt, Angehörige werden verdächtigt, sie weggenommen zu haben.

6. Der Patient weigert sich, sich zu waschen oder frische Kleider anzuziehen und behauptet fälschlich, dies gerade erst getan zu haben.

7. Er wiederholt an ihn gerichtete Fragen.

Mit dem Fortschreiten der Krankheit nimmt das Orientierungsvermögen stark ab, die sprachlichen Fähigkeiten verkümmern, die Persönlichkeit beginnt zu zerfallen. Im späten Stadium der Krankheit baut der Körper stark ab. Betroffene können ihren Alltag ohne ständige Pflege nicht mehr meistern. Nach der Diagnose leben die Betroffenen meist noch zwischen acht und zehn Jahren. Heilung ist bislang nicht möglich. Mit Medikamenten werden die Symptome behandelt. Das Voranschreiten der Krankheit wird so verlangsamt.

Vorbeugung: Einige Verhaltensweisen können laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, senken. Dazu gehören körperliche, geistige und soziale Aktivität; eine ausgewogene, cholesterin- und fettarme Ernährung; die Behandlung von Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen und Diabetes Mellitus.

(Erstsendung der MDR-Doku "Demenz: Der lange Abschied", 2022)

Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt

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