Neukieritzsch Bürgerentscheide über Energieparks gescheitert
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26. Februar 2024, 05:45 Uhr
Am Sonntag haben die Bürger von Neukieritzsch im Süden von Leipzig über die Zukunft von zwei weiteren Solar- und Energievorhaben entschieden. Sie waren aufgerufen, in vier Bürgerentscheiden über die Projekte abzustimmen. Die Entscheidung fiel knapp aus. Zwar hatte sich etwas mehr als die Hälfte der Abstimmenden gegen die Ansiedlungen ausgesprochen, jedoch war die Wahlbeteiligung für eine bindende Wirkung zu gering.
- In Neukieritzsch sind Bürgerentscheide gescheitert und haben den Stopp von zwei Energie-Vorhaben nicht durchsetzen können.
- Eine Bürgerinitiative befürchtet Verluste für die Landwirtschaft und den Artenschutz.
- Die Bürgerentscheide sind laut dem Fachverband "Mehr Demokratie" ein landesweites Novum.
Knappes Ergebnis
In Neukieritzsch bei Leipzig sind die Bürgerentscheide über die Zukunft von zwei Energie-Projekten gescheitert. Rund 5.700 Einwohner waren am Sonntag zur Abstimmung aufgerufen. Das Ergebnis war denkbar knapp: Zwar konnte die Bürgerinitiative etwas mehr Stimmen für ihr Ziel - den Erhalt der Natur - verbuchen, erreichte aber nicht die benötigten 25 Prozent plus eins aller Stimmberechtigten. Wenige Stimmen fehlten. Der Antrag der Bürgerinitiative erhielt 54 Prozent der abgegebenen Stimmen, aber nicht die für den Stopp der Vorhaben benötigten 1.456. Trotz gut gefüllter Wahllokale lag die Wahlbeteiligung insgesamt bei rund 42 Prozent.
Damit sind die Weichen für das neue Datenspeicherzentrum mit Wasserstoffproduktion und Solarpark gestellt. Im Rathaus herrschte Erleichterung. Von der Ansiedlung erhofft sich die Gemeinde nämlich Gewerbesteuereinnahmen, zwischen 100 und 150 Arbeitsplätze und eine wirtschaftliche Perspektive für die Zeit nach dem Kohleausstieg. "Die Investitionen sind wichtig für die Gemeinde, weil wir direkt vom Kohleausstieg betroffen sind", sagt Bürgermeister Thomas Meckel nach der Abstimmung. Deshalb sollte man Chancen nutzen.
Die Investitionen sind wichtig für die Gemeinde, weil wir direkt vom Kohleausstieg betroffen sind.
Auch wenn die bindende Wirkung des Bürgerentscheids nicht erreicht wurde, stimmten doch mehr als die Hälfte der Menschen, die gekommen waren, gegen die geplanten Anlagen. Im nächsten Schritt werde sich der Gemeinderat nochmals mit den Themen beschäftigen, so Meckel. Wie sich jeder Gemeinderat dann positioniert, müsse dieser selbst entscheiden. Für den Bürgermeister lässt sich aus dem Votum am Sonntag wegen der geringen Wahlbeteiligung nicht klar die Meinung aller Neukieritzscher ablesen.
Um welche Pläne geht es?
Bei den Investitionen geht es zum einen um einen 85 Hektar großen Solarpark, zum anderen sollen auf einem 29 Hektar großen Gelände unter anderem eine Wasserstoffproduktionsanlage und ein Stromspeicher errichtet werden. Der Gemeinderat hatte beide Projekte bereits befürwortet. Eine Bürgerinitiative hat dagegen Bedenken wegen des Artenschutzes und kritisiert große Eingriffe in das Natur- und Landschaftsbild.
Nach dem Energiepark Witznitz geht es jetzt um weitere insgesamt 114 Hektar: 85 Hektar für den "Energiepark Kleinzössen" und 29 Hektar für den "Green Power Park Lobstädt". Hinter den Vorhaben steht die Firma PV Backoffice, deren Geschäftsführer wiederum zu den Akteuren hinter dem Solarpark Witznitz gehört. Dieser will künftig Deutschlands größter Solarwerk werden.
Die Pläne im Detail
Energiepark Kleinzössen: Solarpark
Mit der Energiepark Kleinzössen GmbH soll ein weiterer Solarpark in der Region entstehen. Wie "Green Power Park Lobstädt" und die "Energiepark Kleinzössen" auf einer Einladung zum Bürgerforum schreiben, soll dieser auf Flächen der Orte Kleinzössen, Großzössen, Kahnsdorf, Hain und Haubitz - auf der sogenannten Innenkippe Kleinzössen - errichtet werden. Die Kippenfläche habe Böden minderer Qualität, heißt es.
Während die Bürgerinitiative jedoch von größtenteils landwirtschaftlich genutzten Flächen spricht, verweisen die beiden Unternehmen auf eine Nachnutzung brachliegender ehemaliger Industrieflächen und werben mit Gewerbesteuereinnahmen, Arbeitsplätzen und einer geplanten Parkanlage.
Green Power Park Lobstädt: Wasserstoffstoffproduktion und Batteriespeicher
Grundsätzlich Neues ist auf dem Gelände des "Green Power Parks Lobstädt" geplant. Auf dem einstigen Gelände der Brikettfabrik und dem Kraftwerk Großzössen sollen laut Grundsatzbeschluss der Gemeinde Neukieritzsch "eine Wasserstoffproduktionsanlage, ein Pufferspeicher aus Kombination von Wasserstoff- und Batteriespeicher zur Bereitstellung von Regelleistungen für das 380 kV Übertragungsnetz der 50 Hertz Transmission GmbH sowie ein Hochleistungsdatenspeicherzentrum" gebaut werden.
Beim Wasserstoff, das wurde beim Bürgerforum deutlich, gehe es nicht darum, Wasserstoff für den Verkauf zu produzieren, sondern um die Energie zu speichern, die im benachbarten, geplanten Solarpark erzeugt wird.
Bürgerinitiative gegen die Vorhaben
Während der Investor mit zukunftsweisender Energie, Arbeitsplätzen und Einnahmen in der Gemeindekasse wirbt, warnt die Bürgerinitiative vor weiterem Flächenverbrauch. "Wir möchten die Natur auf dem Gemeindegebiet Neukieritzsch erhalten", heißt es auf ihrer Internetseite. Es wird auf Tier- und Pflanzenarten auf dem geplanten Areal des "Green Power Parks Lobstädt" hingewiesen, deren Lebensraum geschützt werden müsse.
Auch die größtenteils landwirtschaftlich genutzten Flächen vom "Energiepark Kleinzössen" gelte es zu erhalten. Die Gemeinde habe bereits genug Flächen für derartige Projekte zur Verfügung gestellt.
Außerdem, so sagt ein Vertreter der Initiative bei einem Bürgerforum im Vorfeld, gehe es darum, die Bürger bei den Entscheidungen über solche Vorhaben, die die Region für Jahrzehnte prägen werden, mitentscheiden zu lassen.
Bürgermeister verteidigt Pläne
Der Bürgermeister von Neukieritzsch, Thomas Meckel, hat die Projekte verteidigt. Der SPD-Politiker sagte MDR AKTUELL, man brauche Ersatz für das Kohlekraftwerk Lippendorf, das in knapp zehn Jahren abgeschaltet werden solle. Zudem gehöre es zu den Aufgaben der Gemeinde, auch in Zukunft für Gewerbesteuer-Einnahmen zu sorgen. Nur so könne der gewohnte Wohlstand aufrecht erhalten werden.
Allerdings äußerte sich Meckel ablehnend zu weiteren Energiewende-Vorhaben. Der Gemeinderat sei der Ansicht, dass Neukieritzsch jetzt seinen Beitrag geleistet habe.
Bürgerentscheide sind Novum
Die Bürgerentscheide sind nach Angaben des Landesverbands Sachsen von "Mehr Demokratie" ein landesweites Novum. "Noch nie gab es in einer sächsischen Gemeinde vier Bürgerentscheide an einem Tag", sagte der Sprecher von "Mehr Demokratie Sachsen", Frank Rosberger. Der Fachverband erfasst gemeinsam mit der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Bergischen Universität Wuppertal direktdemokratische Verfahren in ganz Deutschland.
Noch nie gab es in einer sächsischen Gemeinde vier Bürgerentscheide an einem Tag.
"Mehr Demokratie" geht davon aus, dass es künftig mehr direktdemokratische Verfahren geben werde. Das sei auch auf die Reform der Sächsischen Gemeindeordnung aus dem Jahr 2022 zurückzuführen, bei der die Unterschriftenhürde auf fünf Prozent der Stimmberechtigten reduziert wurde. 2023 wurden in Sachsen demnach 14 neue direktdemokratische Verfahren initiiert - eine deutliche Steigerung zu den Vorjahren.
Großer Teil der Bürgerbegehren in Sachsen scheitert
Ein Problem ist den Angaben zufolge die fehlende Rechtssicherheit bei Bürgerbegehren. Das Bürgerbegehren lässt sich als Antrag der Bürger einer Gemeinde auf einen Bürgerentscheid verstehen. Laut "Mehr Demokratie" werden in Sachsen 42 Prozent aller Bürgerbegehren für unzulässig erklärt. Um diese Anzahl zu reduzieren, empfiehlt der Verein eine Vorprüfung der Bürgerbegehren sowie eine Beratungspflicht durch die Kommunen. Ebenso müsse der Kostendeckungsvorschlag reformiert werden.
MDR (phb),dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 25. Februar 2024 | 19:00 Uhr
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