1,1 Millionen Module Witznitz: Welche Umweltfolgen hat der riesige Solarpark?
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11. Februar 2024, 05:00 Uhr
Seit Dezember liefert der Energiepark Witznitz im Süden von Leipzig Strom. Sind wie geplant im Frühjahr alle 1,1 Millionen Solarmodule am Netz, schafft der Energiepark unter idealen Bedingungen mehr als ein Drittel der Leistung des nahen Braunkohlenkraftwerks Lippendorf. Damit ist der Solarpark auf früheren Tagebauflächen ein wichtiger Teil der Energiewende. Doch der Bau und der Betrieb von Witznitz haben Folgen für die Umwelt.
- Großer Aufwand, damit Tiere möglichst nicht durch Solarpark verdrängt werden.
- Bisher ist nicht abschließend geklärt, ob sich Umgebungstemperatur durch PV-Module ändert.
- Aus Sicht von Experten gibt es keine Probleme mit Flächenverdichtung.
Ein Versicherungskonzern hat mehrere hundert Millionen Euro in den Solarpark investiert. Den größten Teil des produzierten Stroms nimmt ein Mineralöl-Riese ab. Der Energiepark Witznitz ist ungewöhnlich. Auch ungewöhnlich groß. Wenn bis zum Frühjahr alle installierten Photovoltaik-Felder (kurz: PV-Felder) angeschlossen sind, dann ist Witznitz der mit Abstand größte Solarpark Deutschlands. Auf über 500 Hektar oder umgerechnet fünf Quadratkilometern erstreckt sich die Anlage auf der Kippfläche eines früheren Braunkohletagebaus.
Auf der riesigen Fläche zwischen der Gemeinde Neukieritzsch, der Stadt Böhlen und der Stadt Rötha greifen die Betreiber in die Umwelt ein. Mit mal größeren und mal kleineren Folgen für den Boden, für die Natur und die Anwohner.
Stört der Solarpark Tiere und Pflanzen?
Größere Auswirkungen auf Flora und Fauna will der Projektentwickler und Betreiber von Witznitz, die "MoveOn Energy GmbH", offensichtlich mit viel Aufwand vermeiden. Das zeigt auch die Zusammenarbeit mit dem Leipziger Planungsbüro "Hochfrequent", das zum Tierschutz berät. Etwa wurden Trafostationen mit Nistkästen für Vögel und mit Fledermauskästen ausgestattet. Auf Freiflächen gibt es Stein- und Totholzhaufen und kleine Tümpel.
Die Zäune um die Flächen mit PV-Modulen sind laut MoveOn auf der ganzen Länge so gestaltet, dass kleine Tiere wie Igel, Hasen oder Füchse hindurchkommen. Rehe und andere große Tiere können den Energiepark in so genannten Freihaltungskorridoren durchqueren. Die wurden zwischen den eingezäunten Arealen mit den PV-Modulen freigelassen und mit Hecken versehen.
Die "Durchwanderbarkeit" und das Erhalten von "Lebensraumverbunden" sollten laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) von vornherein eingeplant werden, um die Solarenergie möglichst naturverträglich auszubauen.
Trotzdem könnten Energieparks wie Witznitz negative Folgen für manche Tiere haben, sagt BfN-Sprecherin Ruth Birkhölzer: "Wiesenbrüter wie Kiebitz und Braunkehlchen gehören zu den am stärksten gefährdeten heimischen Vogelarten. Da sie in der Regel Abstand zu Vertikalstrukturen halten, kann das Errichten einer Freiflächensolaranlage zum Verlust von Lebensraum führen."
Vögel wie Steinschmätzer und Schwarzkehlchen brüten zwischen den PV-Modulen. Das kennen wir aus anderen Solarparks.
Auch Feldlerchen bräuchten offene Flächen zum Brüten, sagt Tomas Brückmann von der Sächsischen Landesstiftung für Natur und Umwelt (LaNU): "Aber Vögel wie Steinschmätzer und Schwarzkehlchen brüten zwischen den PV-Modulen. Das kennen wir aus anderen Solarparks wie Waldpolenz."
Der Energiepark Witznitz könne auch anderen Tieren und auch Pflanzen neuen Lebensraum bieten: "In Witznitz wird die Biodiversität unterstützt, mit Blühflächen, 70 Hektar Blühstreifen und 21 Kilometer Hecken und Kleingewässern." Davon sind laut MoveOn bisher etwas über zwei Drittel angelegt. Bis zum nächsten Jahr will das Umweltministerium Sachsen einen Leitfaden für Freiflächen-Solarparks fertig haben. Der stützt sich auf Beobachtungen aus großen Energieparks in Brandenburg und Bayern.
Der Leitfaden soll Vorschläge enthalten, wie die Biodiversität auf den Flächen verbessert werden kann.
Heizen sich durch die vielen PV-Module die Böden auf?
Laut MoveOn können die Temperaturen unter den Modulen nachts um bis zu fünf Grad höher sein als in der Umgebung. Am Tag dagegen können die Temperaturen unter den Modulen durch deren Schattenwirkung um bis zu fünf Grad niedriger ausfallen. Die Luft direkt über den Solarflächen könnte sich um bis zu ein Grad erwärmen. Der letzte Wert wurde aber bisher noch nicht erfasst.
Wegen der geringen Auswirkungen auf die Temperatur, die bekannt sind, seien Gutachter zu der Einschätzung gelangt, dass es durch die Module in Witznitz keine Beeinträchtigung gebe, so MoveOn. Bisher ist aber nicht abschließend geklärt, ob und wie durch große Solarparks die Böden unter den Modulen und in umliegenden Gebieten erwärmt werden.
Das könnte den Lebensraum von Tieren oder Pflanzen beeinflussen. "Zu den Aspekten Wärme und Strahlung fehlt noch Forschung. Die kommt aber, wenn mehr Solaranlagen gebaut werden", sagt LaNu-Sprecher Tomas Brückmann.
Könnte der Energiepark die Anwohner stören?
Auf zwei Dinge müsse beim Planen von Solarparks wie in Witznitz geachtet werden, so Sachsens Umweltministerium auf MDR-Anfrage:
- Anwohner und Auto- oder Motorradfahrer auf nahen Straßen könnten geblendet werden, wenn die tiefstehende Sonne von den PV-Modulen reflektiert wird.
- Bei großen Anlagen könnten Geräusche durch Umrichter, Trafos und deren Lüfter Anwohner stören.
Dafür wurden für die riesige Anlage in Witznitz vorab Gutachten erstellt. Mit einem Simulationsprogramm untersuchten Gutachter, ob die Spiegelungen auf den Modulen blenden könnten. Die Blendwirkung falle "gering" bis "minimal" aus, so das Ergebnis. Die maximale Lautstärke des Energieparks im Betrieb liegt laut den Gutachten mindestens fünf Dezibel unter den Werten für Wohngebiete.
Die befinden sich laut MoveOn zudem mindestens 600 Meter weit weg von Witznitz (Großzössen, Lobstädt, Gaulis / Rötha). Kahnsdorf und Neukieritzsch liegen nur 300 Meter weit entfernt vom Energiepark. Die Gemeiden und Witznitz trennen aber breite Waldgürtel.
Werden durch den Solarpark Flächen versiegelt?
Nur sehr wenige. Anders als bei Windkrafträdern sind für Solarmodule keine Fundamente nötig. Die Module sind in einem flachen 20-Grad-Winkel auf Gestellen montiert (siehe Foto unten). Die wurden vorher in den Boden gerammt. "Daher haben wir keine Befürchtungen, was die Flächenverdichtung angeht. Ein Solarpark ist mit einer normalen landwirtschaftlichen Flächennutzung vergleichbar", sagt Ulrike Würflein vom Umweltbundesamt. Sie kümmert sich um die Umweltaspekte von Photovoltaik-Freiflächenanlagen.
Ähnlich sieht das auch Tomas Brückmann von der Sächsischen Landesstiftung für Natur und Umwelt. Er hat einen anderen Solarpark auf einem Flughafen selbst kartiert und sagt: "Die PV-Module sind nicht allzu schwer und die Flächenverdichtung ist daher nicht so stark. Die großen Landwirtschafts-Maschinen auf Ackerflächen sind im Vergleich schwerer und verdichten den Boden mehr."
Die in vielen großen Solarparks genutzten PV-Module wiegen ohne Halterung und Verkabelung unter 30 Kilogramm. Davon werden dann mehrere auf einer Tischkonstruktion montiert. Nur bei den Trafostationen gebe es eine Bodenverdichtung, gibt der Betreiber MoveOn für Witznitz an. In dem Energiepark wurden von dem Unternehmen Kreuzpointner 200 Trafostationen gebaut.
Blockiert der Solarpark Flächen für Landwirtschaft oder Naturschutz?
Eher nicht. Der Solarpark steht auf Flächen, die nach dem Abbau von Braunkohle zwar wieder saniert wurden. Doch das passierte vor 1990 und damals waren die Standards für die Sanierung noch nicht so hoch wie heute, sagt Professor Andreas Berkner vom Regionalen Planungsverband Westsachsen: "Die Vorgaben zur Aufschüttung von Kulturboden wurden oft nicht eingehalten. Die Flächen sind daher für Landwirtschaft nicht geeignet und auch für Forstwirtschaft nicht." Die großen Bäume würden irgendwann verkümmern.
Die Flächen für den Energiepark haben im Schnitt Bodenwerte zwischen 19 und 24. Dieser Wert gibt vereinfacht gesagt an, wie ertragreich ein Boden ist. Flächen mit dem Wert 0 sind nicht für die Landwirtschaft nutzbar.
Flächen mit einem Maximalwert von 100 wie beispielsweise einige in der Börde in Sachsen-Anhalt können dagegen sehr gute Erträge liefern. Auf die Bodenwerte wird übrigens auch in Brandenburg ganz genau geschaut. Das sagt Helge Suhr vom Bau- und Ordnungsamt Barnim Oderbruch.
In Neutrebbin steht ein großer Solarpark mit mehr als 340.000 PV-Modulen auf Ackerflächen. "Wir schauen bei zukünftigen Bauvorhaben wie diesen auf die Bodenpunkte. Bessere Werte als 25 Bodenpunkte sollten die Flächen nicht haben."
Wie wirken sich die Flächen mit Solarmodulen auf das Grundwasser aus?
Das ist nicht komplett geklärt. Der Südraum von Leipzig gehört zu den Regionen, in denen sich Fachleute viele Gedanken über Grundwasser und Wasserversorgung machen. Das liegt zum einen an der großen Zahl von Abnehmern für Wasser: Für die Trinkwasserversorgung, das Fluten von ehemaligen Tagebaulöchern, das Kühlen des Kraftwerks Lippendorf und bald auch für das Herstellen von grünem Wasserstoff.
Zudem hatte das großflächige Abbaggern der Kohle Folgen für das Grundwasser. Das wurde abgesenkt. Daher sind für Tomas Brückmann auch Überlegungen nicht abwegig, die einen Solarpark auf seine Wirkungen auf das Wasser in den Blick nehmen. Er sagt zu Witznitz: "Das sind Flächen mit gestörtem Grundwasser nach der Tagebau-Nutzung. In Witznitz speziell ist durch den Braunkohleabbau das Grundwasser weit von den PV-Modulen entfernt."
Ob der Solarpark das Grundwasser gefährde, dazu sei der Landesstiftung nichts bekannt. Während der Bauphase habe es dafür die ökologische Bauüberwachung gegeben.
Ich gehe davon aus, dass viel Wasser direkt auf den PV-Modulen verdunstet, vor allem wenn es nur leicht regnet.
Für Professor Andreas Berkner vom Regionalen Planungsverband Westsachsen sind die Auswirkungen des großen Solarparks auf den Wasserhaushalt bisher nicht komplett klar. "Ich gehe davon aus, dass viel Wasser direkt auf den PV-Modulen verdunstet, vor allem wenn es nur leicht regnet. Auf dem Boden kommt also nur wenig an."
Für den nahen Fluss Pleiße hat das aber aus seiner Sicht möglicherweise sogar positive Folgen. So gelange weniger Eisensulfat aus den ehemaligen Tagebauböden in den Fluss. Laut Betreiber MoveOn wurde umfangreich begutachtet, ob es durch die PV-Module Auswirkungen auf das Wasser gibt. Danach konnte eine Verschlechterung durch Gutachter ausgeschlossen werden. Laut dem Bebauungsplan soll diese Frage durch ein Monitoring geklärt werden.
Welche Erfahrungen wurden mit anderen großen Solarparks gemacht?
"Einen Solarpark in der Form und Größe würden wir nicht mehr bauen", sagt Helge Suhr vom Bau- und Ordnungsamt Barnim Oderbruch. Das war für die Bauleitplanung des Solarparks Alttrebbin zuständig, der Anfang 2022 ans Netz ging. Der Energiepark ist nur rund ein Drittel so groß wie Witznitz.
Die Anlage erstreckt sich auf einer Länge von zweieinhalb Kilometern auf mehr als 100 Hektar Ackerflächen und wird wie Witznitz durch eine Straße geteilt. "Nach dem Bau wurde in der Öffentlichkeit darüber diskutiert, ob der Solarpark eine Beeinträchtigung für Rehwild sein könnte. Die Tiere bräuchten die Möglichkeit, von Gehölz zu Gehölz zu gehen", sagt Suhr.
Kommende Anlagen würden daher nur noch mit Wildkorridoren geplant. Für kleine Tiere wie Hasen oder Igel haben die Zäune um PV-Module von vornherein alle zehn Meter Durchschlupfmöglichkeiten. "Zu denen laufen zahlreiche Wildpfade und die werden auch rege genutzt", hat Helge Suhr beobachtet.
Da wurde der Park teils zu dicht bis auf wenige hundert Meter an die einzelnen losen Höfe ran gebaut.
Als Ausgleich für den Solarpark und als Sichtschutz wurde ab Herbst 2023 ein 15 Meter breiter Streifen mit Büschen bepflanzt. Die sind aber noch sehr niedrig und entsprechend sichtbar sind die PV-Module für Anwohner.
"Da wurde der Park teils zu dicht bis auf wenige hundert Meter an die einzelnen losen Höfe ran gebaut", zieht Suhr Bilanz. Bei neuen Solarparks solle auf mehr Abstand zu bewohnten Häusern geachtet werden. Nach der Bauphase mit dem Rammen der Halterungen für die PV-Module gab es für die Anwohner weitere Beeinträchtigungen. "Die Wechselrichter sind sehr große Trafostationen und deren Lüftertische liefen sehr laut." Auch nachts. "Da musste technisch nachgebessert werden", sagt Suhr. Die Lüfter würden jetzt nur noch am Tag laufen und brummten deutlich leiser.
Welche Folgen für die Umwelt haben die Millionen verbauten Photovoltaikmodule?
Die Tagesschau hat 2021 übersichtlich gezeigt, warum Solarzellen nicht ganz ohne Schadstoffe auskommen und welche Klimaemissionen in ihrer Nutzungszeit anfallen. Dabei wurde unter anderem mit Zahlen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) und des Umweltbundesamtes gearbeitet.
Das hält die wichtigsten Aussagen der Tagesschau-Übersicht auch drei Jahre später noch für gültig. Weil es bei der Herstellung der Module Fortschritte gibt, wurden für diesen Artikel einige Zahlen vom Umweltbundesamt selbst aktualisiert.
- In Deutschland aufgestellte Solarzellen haben meist nach einem Jahr so viel Energie produziert, wie zu ihrer Herstellung nötig war. Selbst unter ungünstigen Bedingungen sind es laut Umweltbundesamt nicht mehr als zwei Jahre. Die Investition der Versicherungstochter Hansainvest Real Assets in den Solarpark Witznitz ist auf mindestens 30 Jahre angelegt.
- Bei der Produktion von PV-Modulen wird CO2 freigesetzt. Umgerechnet verursacht eine Kilowattstunde Strom aus heute errichteten PV-Anlagen einen Treibhauseffekt, der rund 40 Gramm Kohlendioxid entspricht. Zum Vergleich: Eine Kilowattstunde Strom aus Braunkohle verursacht rund 1.000 Gramm CO2 allein durch den Brennstoff.
- Die Solarmodule für Witznitz kommen aus China. Der Transport macht laut Fraunhofer ISE rund drei Prozent des gesamten Ausstoßes an Emissionen aus. Damit würde der Wert für die PV-Module leicht auf 41 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Strom steigen.
- Laut Umweltbundesamt enthalten PV-Module keine knappen Rohstoffe oder solche, deren Beschaffung als problematisch angesehen wird. Verbaut sind aber Stoffe, die für die Umwelt schädlich sein können. Dazu gehören Blei und Cadmium. Daher ist wichtig, dass die PV-Module fachgerecht entsorgt werden. Die EU hatte schon für letztes Jahr eine Ökodesign-Richtlinie für PV-Module geplant. Mit Grenzwerten und der Vorgabe, Haltbarkeit und Inhaltsstoffe transparent zu machen. Diese Richtlinie ist noch in Arbeit.
- Das Aufkommen an verschrotteten PV-Modulen ist laut Umweltbundesamt weiter gering. Ein Vergleich: 2020 wurden in Deutschland knapp 14.000 Tonnen Module verschrottet, aber mehr als eine Million Tonnen Elektro-Altgeräte.
Die PV-Module, die in Neutrebbin verbaut wurden, wiegen pro Stück und ohne Halterung genau 27 Kilogramm. Umgerechnet auf Witznitz wäre das also ein Aufkommen von ca. 30.000 Tonnen PV-Modulen, die verschrottet werden müssten. In frühestens 30 Jahren.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 09. Februar 2024 | 09:51 Uhr
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