"Eines langes Tages Reise in die Nacht" Dresden: Sebastian Hartmann sorgt für Theaterereignis am Staatsschauspiel
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01. Dezember 2024, 09:36 Uhr
Die Familientragödie "Eines langes Tages Reise in die Nacht" von Eugene O'Neill hat am Freitagabend am Staatsschauspiel Dresden Premiere gefeiert. Inszeniert hat den Klassiker des amerikanischen Theaters ein Regisseur, der für Außergewöhnliches bekannt ist: Sebastian Hartmann. Der ehemalige Intendant des Leipziger Schauspiels machte seinem Ruf in Dresden nun erneut alle Ehre und lieferte ein hochkomplexes Gesamtkunstwerk ab.
- In Dresden feierte am Freitag eine Inszenierung des Star-Regisseurs Sebastian Hartmann Premiere.
- Geboten wurde Schauspielkunst auf höchstem Niveau – mit Pathos und Ironie.
- Besonders das Bühnenbild von "Eines langen Tages Reise in die Nacht" begeisterte unseren Kritiker.
Wenn Sebastian Hartmann inszeniert, sind die Erwartungen groß. Das hatte am Freitag im Staatsschauspiel Dresden eine Art Kritiker-Vollversammlung zur Folge – fast hätte sich ein Sonderzug aus Berlin gelohnt. Die Premiere bestätigte, warum Hartmanns Arbeiten sozusagen in der Theater-Champions-League spielen.
In Eugene O’Neills Tragödie vom Untergang der Familie Tyrone war ein großartiges Ensemble zu erleben: Cordelia Wege als Mutter Mary und Marin Blülle als ihr Sohn Edmund ragten heraus. Dazu kamen – in einem von Hartmann selbst erdachten Bühnenbild und mit teilweise expressionistischen Kostümen von Adriana Braga Peretzki – viele bezaubernde Theater-Bilder.
Unterstützt von Samuel Wiese als Live-Musiker, fand auf der riesigen, anfangs fast leeren Bühne des Dresdner Schauspielhauses dann aber viel mehr statt als nur ein Familiendrama.
Inszenierung ein Gesamtkunstwerk
Hartmanns Theater ist immer auch Meta-Theater, Theater über das Theater, das an den Konventionen zieht und zerrt. So endet der Abend mit einer Art nachgereichter "Bedienungsanleitung", einem langen theatertheoretischen Text, den Marin Blülle mit Inbrunst und Spielfreude bühnentauglich macht.
Wie schön wäre es doch, rief er geradezu beschwörend, wenn das Theater wieder seine ursprüngliche, quasi archaische Form hätte und nicht mehr nur aus dem Nachspielen von Geschichten bestünde, diesem So-tun-als-ob à la Iffland aus dem 18. Jahrhundert. Genau das ist es, was es in Dresden zu sehen gab: ein hochkomplexes Gesamterlebnis aus großen Texten, Bildern und Spielern. Ein bisschen verrätselt natürlich auch.
Familiendrama über Drogensucht, Alkoholismus und Trauma
Dabei beginnt das Spiel vergleichsweise realistisch. Sehr kompakt wird erzählt, wie James Tyrone, ein Schauspieler, seine Frau Mary und die beiden Söhne James Junior und Edmund aufeinander losgehen und ihre zahlreichen Lebenslügen platzen lassen. Edmund ist schwer krank, sein Bruder James wirft dem Vater vor, daran schuld zu sein, weil er zu geizig war, um eine bessere Behandlung zu bezahlen.
Mutter Mary ist drogenabhängig, Vater und Sohn James Junior sind nicht nur beide Schauspieler, sondern auch Trinker, und irgendwie gibt schließlich jeder jedem die Schuld an dem familiären Unglück. Hartmann erzählt das nicht chronologisch, aber man hat schnell verstanden, worum es geht. Eine Familien-Tragödie, angereichert mit komischen Momenten, etwa wenn Mary mit einer Pistole herumfuchtelt und dabei sagt, sie brauche mal wieder einen Schuss.
Hinzugefügt hat Sebastian Hartmann eine Figur, die es eigentlich im Stück nicht gibt – den dritten, bereits verstorbenen Sohn Eugene, besetzt mit dem aus Brasilien stammenden Tänzer Rônni Maciel. Eine spannende Idee, nicht nur weil dieser tote Sohn ein wichtiges Puzzle-Stück im Drama der Familie darstellt, ein Trauma, das nie verarbeitet wurde, sondern weil Maciel auch formal viel einbringt in den Abend – Körperlichkeit und Tanz an den Grenzen zur Akrobatik.
Schauspiel auf höchstem Niveau
Im Laufe des Abends werden die Bilder dann immer traum- beziehungsweise alptraumhafter. Zwei große schwarze Flügel werden aus dem Theaterhimmel herabgelassen, Nebel wabert, die Musik wechselt von sanftem Klavier auf technoide Sounds. Die Texte geraten in den Hintergrund und man hat auch das Gefühl, dass das Ensemble jetzt mehr improvisiert. Es wird gesungen, getanzt, geklettert.
Bei den Passagen, in denen es um das Schauspiel geht, den Beruf der Tyrones, zieht Hartmann doppelte Böden ein, weil man manchmal gar nicht mehr weiß, ob die Schauspieler jetzt nicht auch sich selbst spielen – Torsten Ranft (als Vater Tyrone) zum Beispiel bezieht Autobiografisches in einen langen Monolog ein.
Wie bei einem Battle feuern sich die Spieler an: "Los, spiel mal Totlachen" oder "Du bist so ein schlechter Schauspieler". Um dann zu zeigen, was Schauspiel kann: Sie torkeln, schreien, fallen immer wieder um, stehen immer wieder auf – das Einmalseins der Schauspielkunst auf höchstem Niveau und mit viel Ironie.
Theater für den Kopf und für den Bauch
Sebastian Hartmann geht es vordergründig nicht um das Drama und die Psychologie der Figuren, sondern zugleich darum, wie Schauspieler das Drama spielen. Er will – wie im Grunde immer in seinen Arbeiten – Theater für den Kopf und den Bauch. Er will verzaubern mit seiner teilweise wilden Mischung aus Text-Passagen und Bildern, die er ihnen hinzufügt.
Eines davon ist ein Bild für die Theatergeschichte: Kurz vor dem Ende der knapp drei Stunden wird ein symbolischer Schiffsrumpf auf die Bühne gefahren, und die aus dem Himmel herabhängenden Flügel - das, was man bislang für Flügel hielt - werden so nach unten gekippt, dass sie zu zwei Segeln für das Schiff werden, das schließlich mit den Schauspielern an Bord davonsegelt. Großartig!
Champions League-Niveau im Staatsschauspiel Dresden
Vieles aber bleibt im Vagen, soll Wirken statt verstanden werden. Ein Mann mit einem Hirschgeweih, die Schauspieler mit goldenem Brustpanzer und Maske. Mit Flügeln auf dem Rücken. Einsam irren sie auf der Bühne umher, umhüllt von Nebel und Klangwolken.
Selbst mit der theatertheoretischen "Bedienungsanleitung" am Ende, die letztlich sagt: Schaut her, genau das ist meine Kunst, nehmt und genießt und denkt nicht über alles nach, gibt es in dieser Inszenierung Momente, in denen man sich etwas verloren vorkommt. Trotzdem würde ich sagen: Unbedingt hingehen, so etwas kriegt man nicht alle Tage geboten. Ein Champions-League-Spiel in Dresden!
Weitere Informationen zum Stück
"Eines langen Tages Resie in die Nacht"
von Eugene O'Neill
Deutsch von Michael Walter
Dauer der Aufführung: ca. 3 Stunden
Staatsschauspiel Dresden
Theaterstraße 2, 01067 Dresden
Termine:
6. Dezember 2024, 19:30 Uhr
20. Dezember 2024, 19:30 Uhr
9. Januar 2025, 19:30 Uhr
Quelle: MDR KULTUR (Matthias Schmidt)
Redaktionelle Bearbeitung: vp
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Vormittag | 30. November 2024 | 10:15 Uhr