Wintermärchen Staatsschauspiel Dresden 7 min
Shakespeares "Wintermärchen" wird am Staatsschauspiel Dresden inszeniert – Theaterredakteur Wolfgang Schilling mit einer Kritik. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Theaterkritik Staatsschauspiel Dresden begeistert mit Shakespeares "Wintermärchen"

13. Oktober 2024, 06:00 Uhr

Shakespeares "Wintermärchen" ist nicht unbedingt der Favorit auf den Spielplänen deutscher Theater. Doch das könnte sich ändern. Denn das Stück passt genau in unsere Zeit, wie die aktuelle Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden beweist. Erzählt wird, wie eine scheinbar heile Welt grundlos aus den Fugen gerät – aber auch, wie sich Willkür und Tyrannei überwinden lassen, indem der Versöhnung eine Chance gegeben wird. Kritiker Wolfgang Schilling war begeistert und spricht eine "unbedingte Empfehlung" für die Inszenierung aus.

Es ist eines der letzten Stücke Shakespeares, fünf Jahre vor seinem Tod geschrieben. Der Meister musste niemandem mehr etwas beweisen. Die Komödien, Tragödien und Historiendramen hat er alle schon geliefert. Voller Altersweisheit und trotzdem locker drauf hat er sich ans Werk gemacht, um all die schon behandelten Themen noch einmal zusammen zu packen. Es geht um Liebe und Macht, Treue und Verrat, Verwechslung und das berühmte Böhmen am Meer. Das freilich nicht in der sächsischen Nachbarschaft jenseits des Erzgebirges verortet ist, sondern an einer phantastischen mediterranen Küste.

Szene aus "Wintermärchen" am Staatsschauspiel Dresden
"Das Wintermärchen" ist eines der letzten Stücke Shakespeares. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Tyrann à la Putin und Outfit wie Taylor Swift

Das Spiel beginnt mit neun Stühlen, auf denen sich die Spielerinnen und Spieler in einer Reihe entlang der Rampe zusammensetzen. Halb schon im Kostüm, alle haben eine närrische Papierkrone auf und führen uns erzählerisch in das ein, was da jetzt kommen wird. So ein bisschen Wintermärchenstunde. Peu à peu werden die Stühle beiseitegestellt, die Kostüme ergänzt, man schlüpft in die Rollen. Das Spiel beginnt.

Szene aus "Wintermärchen" Staatsschauspiel Dresden, mehrere Personen sitzen an einem Tisch, davor steht ein Mann
Zu Beginn von "Das Wintermärchen" führen die Schauspieler, an einem Tisch sitzend, erzählerisch in das Stück. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Wir werden Zeuge, wie die höfische Heiterkeit einer heilen Welt durch die grundlose Eifersucht des Königs von Sizilien in Brutalität und Tyrannei umschlägt. Der wuchtig-kernige Viktor Tremmel spielt das mit einer beiläufigen Leichtigkeit. Eben noch guter Buddy, rutscht er ins Ungeheuer. Und verkündet später in Camouflage-Unterhose und nacktem Oberkörper like Putin das Todesurteil für seine Frau, die Königin. Die das hinter einer Glasscheibe entgegennehmen muss. Vergiftete Liebesgrüße aus Moskau.

Die Inszenierung überzeugt auf ganzer Linie.

Wolfgang Schilling, Theaterkritiker

Das Orakel, von dem der Tyrann sein Tun legitimieren lassen will, zeigt sich im Taylor-Swift-Outfit moralisch standhaft und, bestens bei Stimme, der Wahrheit verpflichtet. Albertine Sarges übernimmt diesen und viele andere musikalische Jobs des Abends an Keyboard und Gitarre. Was den Tyrannen "Musik aus!" und nach einem alternativen Orakel schreien lässt. Eine Welt ohne viel Hoffnung, wie wir sie kennen.

Szene aus "Wintermärchen" am Staatsschauspiel Dresden, ein Mann mit Krone und rotem Umhang
Viktor Tremmel spielt die Rolle des Königs, der zum Tyrannen wird. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Inszenierung zeigt Versöhnung, Hoffnung und ein Happy-End

Die Zeit spielt als allegorische Figur am Keyboard mit und läutet nach der Pause die Wende ein. 16 Jahre sind vergangen und eine junge Generation schiebt die der Väter auf ihrem langen Tisch der Macht seitwärts von der Bühne. Doch Shakespeare war altersweise genug zu wissen, dass mit dem Ruf "Tyrannen raus" noch lange keine Lösung des Problems gefunden ist. Er setzt auf Versöhnung. Die ehrliche Reue des Gewalttäters und Tyrannen ist in dieser hoffnungsfrohen Rechnung freilich eingepreist. Dann kann es was werden, mit einem Happyend, bei dem sogar die tote Ehefrau wieder zum Leben erwacht. Es ist halt ein Wintermärchen. Aber eines, das von Hoffnung erzählt.

Ein Triumph der Schauspielkunst.

Wolfgang Schilling, Theaterkritiker

Szene aus "Wintermärchen" am Staatsschauspiel Dresden, eine Frau steht mit weißer Farbe beschmiert vor einem weißen Tuch
Friederike Ott spielt in Dresden Hermione, die Königin von Sizilien. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Schauspiel und Regie in Dresden überzeugen

Die Inszenierung überzeugt auf ganzer Linie. Weil hier eine Regisseurin am Werk ist, die dem Text vertraut, dem guten alten Shakespeare die Luft zum Atmen lässt. Was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass Lily Sykes Engländerin ist. Aber schon seit vielen Jahren an den wirklich guten Adressen des deutschsprachigen Theaters arbeitet. Und seit nunmehr zwei Jahren ihre neue Heimat hier in Dresden gefunden hat. Und offenbar auch das vollste Vertrauen ihrer Schauspielerinnen und Schauspieler.

Szene aus "Wintermärchen" am Staatsschauspiel Dresden, mehrere Personen stehend und sitzend auf der Bühne
Sowohl Regie als auch das Schauspielendemble vom "Wintermärchen" in Dresden überzeugen. Bildrechte: Sebastian Hoppe

"Alle Neune", die da mitmachen, sind durch die Bank großartig. Weil die Regie ihnen die Chance gibt, bei allem, was sie tun, ganz bei sich zu sein. Und aus diesem Vertrauen, dieser Wahrhaftigkeit eine beglückende spielerische Kraft entwickeln. Dank der sind die spielerischen Verrücktheiten, die man sich hier auch erlaubt, nie aufgesetzt. Der Abend ist lang, fast drei Stunden, aber immer fesselnd, voller Überraschung – einfach richtig gutes Theater. Neben den schon Genannten glänzen Friederike Ott, Simon Werdelis, die unglaubliche Betty Freudenberg, Hanny Lorenz, Hans-Werner Leupelt, Lukas Vogelsang und Jonas Holupirek. Eine unbedingte Empfehlung.

Angaben zum Stück

"Das Wintermärchen"
von William Shakespeare
Deutsch von Angelika Gundlach

Dauer der Aufführung: ca. 2 Stunden und 45 Minuten, mit einer Pause.

Regie: Lily Sykes
Bühne: Jelena Nagorni
Dramaturgie: Uta Girod

Besetzung: Viktor Tremmel, Friederike Ott, Simon Werdelis, Betty Freudenberg, Hanni Lorenz, Lukas Vogelsang, Hans-Werner Leupelt, Jonas Holupirek, Albertine Sarges

Termine (Auswahl):
14. Oktober 2024, 19:30 Uhr
30. Oktober 2024, 19:30 Uhr
13. November 2024, 19:30 Uhr
23. November 2024, 19:30 Uhr

Redaktionelle Bearbeitung: lig, bh

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. Oktober 2024 | 12:10 Uhr

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