Theaterkritik Staatsschauspiel Dresden begeistert mit Shakespeares "Wintermärchen"
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13. Oktober 2024, 06:00 Uhr
Shakespeares "Wintermärchen" ist nicht unbedingt der Favorit auf den Spielplänen deutscher Theater. Doch das könnte sich ändern. Denn das Stück passt genau in unsere Zeit, wie die aktuelle Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden beweist. Erzählt wird, wie eine scheinbar heile Welt grundlos aus den Fugen gerät – aber auch, wie sich Willkür und Tyrannei überwinden lassen, indem der Versöhnung eine Chance gegeben wird. Kritiker Wolfgang Schilling war begeistert und spricht eine "unbedingte Empfehlung" für die Inszenierung aus.
- Das Staatsschauspiel Dresden inszeniert mit "Das Wintermärchen" ein Spätwerk von William Shakespeare.
- Das Stück erzählt, wie die Tyrannei eines Königs durch Versöhnung überwunden wird.
- Kritiker Wolfgang Schilling lobt die Regiearbeit und die schauspielerischen Leistungen des Ensembles.
Es ist eines der letzten Stücke Shakespeares, fünf Jahre vor seinem Tod geschrieben. Der Meister musste niemandem mehr etwas beweisen. Die Komödien, Tragödien und Historiendramen hat er alle schon geliefert. Voller Altersweisheit und trotzdem locker drauf hat er sich ans Werk gemacht, um all die schon behandelten Themen noch einmal zusammen zu packen. Es geht um Liebe und Macht, Treue und Verrat, Verwechslung und das berühmte Böhmen am Meer. Das freilich nicht in der sächsischen Nachbarschaft jenseits des Erzgebirges verortet ist, sondern an einer phantastischen mediterranen Küste.
Tyrann à la Putin und Outfit wie Taylor Swift
Das Spiel beginnt mit neun Stühlen, auf denen sich die Spielerinnen und Spieler in einer Reihe entlang der Rampe zusammensetzen. Halb schon im Kostüm, alle haben eine närrische Papierkrone auf und führen uns erzählerisch in das ein, was da jetzt kommen wird. So ein bisschen Wintermärchenstunde. Peu à peu werden die Stühle beiseitegestellt, die Kostüme ergänzt, man schlüpft in die Rollen. Das Spiel beginnt.
Wir werden Zeuge, wie die höfische Heiterkeit einer heilen Welt durch die grundlose Eifersucht des Königs von Sizilien in Brutalität und Tyrannei umschlägt. Der wuchtig-kernige Viktor Tremmel spielt das mit einer beiläufigen Leichtigkeit. Eben noch guter Buddy, rutscht er ins Ungeheuer. Und verkündet später in Camouflage-Unterhose und nacktem Oberkörper like Putin das Todesurteil für seine Frau, die Königin. Die das hinter einer Glasscheibe entgegennehmen muss. Vergiftete Liebesgrüße aus Moskau.
Die Inszenierung überzeugt auf ganzer Linie.
Das Orakel, von dem der Tyrann sein Tun legitimieren lassen will, zeigt sich im Taylor-Swift-Outfit moralisch standhaft und, bestens bei Stimme, der Wahrheit verpflichtet. Albertine Sarges übernimmt diesen und viele andere musikalische Jobs des Abends an Keyboard und Gitarre. Was den Tyrannen "Musik aus!" und nach einem alternativen Orakel schreien lässt. Eine Welt ohne viel Hoffnung, wie wir sie kennen.
Inszenierung zeigt Versöhnung, Hoffnung und ein Happy-End
Die Zeit spielt als allegorische Figur am Keyboard mit und läutet nach der Pause die Wende ein. 16 Jahre sind vergangen und eine junge Generation schiebt die der Väter auf ihrem langen Tisch der Macht seitwärts von der Bühne. Doch Shakespeare war altersweise genug zu wissen, dass mit dem Ruf "Tyrannen raus" noch lange keine Lösung des Problems gefunden ist. Er setzt auf Versöhnung. Die ehrliche Reue des Gewalttäters und Tyrannen ist in dieser hoffnungsfrohen Rechnung freilich eingepreist. Dann kann es was werden, mit einem Happyend, bei dem sogar die tote Ehefrau wieder zum Leben erwacht. Es ist halt ein Wintermärchen. Aber eines, das von Hoffnung erzählt.
Ein Triumph der Schauspielkunst.
Schauspiel und Regie in Dresden überzeugen
Die Inszenierung überzeugt auf ganzer Linie. Weil hier eine Regisseurin am Werk ist, die dem Text vertraut, dem guten alten Shakespeare die Luft zum Atmen lässt. Was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass Lily Sykes Engländerin ist. Aber schon seit vielen Jahren an den wirklich guten Adressen des deutschsprachigen Theaters arbeitet. Und seit nunmehr zwei Jahren ihre neue Heimat hier in Dresden gefunden hat. Und offenbar auch das vollste Vertrauen ihrer Schauspielerinnen und Schauspieler.
"Alle Neune", die da mitmachen, sind durch die Bank großartig. Weil die Regie ihnen die Chance gibt, bei allem, was sie tun, ganz bei sich zu sein. Und aus diesem Vertrauen, dieser Wahrhaftigkeit eine beglückende spielerische Kraft entwickeln. Dank der sind die spielerischen Verrücktheiten, die man sich hier auch erlaubt, nie aufgesetzt. Der Abend ist lang, fast drei Stunden, aber immer fesselnd, voller Überraschung – einfach richtig gutes Theater. Neben den schon Genannten glänzen Friederike Ott, Simon Werdelis, die unglaubliche Betty Freudenberg, Hanny Lorenz, Hans-Werner Leupelt, Lukas Vogelsang und Jonas Holupirek. Eine unbedingte Empfehlung.
Angaben zum Stück
"Das Wintermärchen"
von William Shakespeare
Deutsch von Angelika Gundlach
Dauer der Aufführung: ca. 2 Stunden und 45 Minuten, mit einer Pause.
Regie: Lily Sykes
Bühne: Jelena Nagorni
Dramaturgie: Uta Girod
Besetzung: Viktor Tremmel, Friederike Ott, Simon Werdelis, Betty Freudenberg, Hanni Lorenz, Lukas Vogelsang, Hans-Werner Leupelt, Jonas Holupirek, Albertine Sarges
Termine (Auswahl):
14. Oktober 2024, 19:30 Uhr
30. Oktober 2024, 19:30 Uhr
13. November 2024, 19:30 Uhr
23. November 2024, 19:30 Uhr
Redaktionelle Bearbeitung: lig, bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. Oktober 2024 | 12:10 Uhr