Eine Gruppe von Menschen läuft durch eine Allee, teilweise halten sie Instrumente in die Höhe. 18 min
Jung und Alt, Alteingesessene und Zugereiste singen bei der Dresdner Bürgerbühne für mehr demokratische Teilhabe. Mehr erfahren Sie im Audio. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Premiere "Musikalisiert euch!" Bürgerbühne Dresden singt gegen Klimakrise und Rechtsruck

20. Juni 2024, 03:00 Uhr

Die Bürgerbühne in Dresden möchte der Spaltung der Gesellschaft mit ihrer neuen Inszenierung "Musikalisiert euch" entgegenwirken. Die Theatergruppe aus Dresdnerinnen und Dresdnern macht sich mit der Musikerin und Theatermacherin Bernadette La Hengst auf die Suche nach positiven Visionen für ihre Stadt. In neu komponierten Disco-Chansons singen die Mitwirkenden gegen Klimakrise und Rechtsruck an. Im Interview spricht La Hengst über die Hintergründe des Stücks, das am Donnerstag Premiere hat.

MDR KULTUR: "Musikalisiert euch" ist die neue Produktion der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden. Auf der Homepage sehen wir eine sehr bunte Truppe von Leuten: Schwarze, Weiße, Alte, Junge. Ist das ein repräsentativer Schnitt durch die Dresdner Bevölkerung?

Bernadette La Hengst: Ich finde schon. So divers waren wenige Bürgerbühnenproduktionen, wurde mir gesagt. Sie sind zwischen 16 und 70 Jahren alt. Es sind viele Menschen, die nicht in Dresden geboren sind, sondern zum Teil auch in anderen Ländern, die hier auf Reisen sind oder fliehen mussten aus dem Land, aus dem sie kamen.

Es sind ein paar Westdeutsche dabei, aber auch junge Menschen, die die DDR noch nicht erlebt haben. Es ist immer so die Frage: Wer kommt jetzt aus Dresden? Und was heißt das für die Familiensozialisation? Kommen die aus der DDR oder sind die zugereist?

Und es sind viele Aktivist*innen aus den unterschiedlichsten Feldern dabei: Klimaaktivisten, LGBTQI+-Engagierte, non-binäre Personen, People of Colour oder auch ganz viele Mütter, Väter und Familien, die aus der Mitte der Gesellschaft mit Bürgerinitiativen versuchen, die Zukunft von Dresden zu gestalten. Es gibt aus allen Bereichen sehr politisch interessierte Menschen, die bei dem Stück mitmachen.

Menschen stehen auf einer Bühne und singen in Mikrofone, teilweise spielen sie auch Instrumente.
Die Beteiligten der Bürgerbühne am Staatsschauspiel sind laut Bernadette La Hengst aktuell so divers wie sonst kaum. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Welche Themen sind denn hauptsächlich vertreten in diesem Bürgerbühnen-Abend?

Es geht beispielsweise um die Zukunft von Dresden in Bezug auf Klima. Nachhaltigkeit ist ein ganz wichtiges Thema. Das ist allen sehr wichtig und verbindet, glaube ich, auch so über unterschiedliche politische Spektren hinaus. Weniger Autoverkehr, erneuerbare Energien, den Konsum einschränken und so weiter – da sind sich alle mehr oder weniger einig.

Care-Arbeit ist auch ein ganz wichtiges Thema. Es gibt viele Frauen, die in Care-Berufen arbeiten oder zu Hause auf die Kinder aufpassen und zum Teil deswegen weniger zu Proben kommen können, weil sie sich keinen Babysitter leisten. Das ist ja auch ein Thema in der Gesellschaft, also die faire Bezahlung von Care-Arbeit und damit größeren Respekt für die Arbeit, die da geleistet wird.

Es geht natürlich um den Rechtsruck und wie man zum Beispiel mit den Konflikten umgeht, wenn jemand aus der Familie oder aus dem engsten Freundeskreis sozusagen nach rechts abgedriftet ist und bei Pegida-Demos mitläuft. Wie kann man Leute dann noch erreichen? Muss man die dann gleich als rechts oder rechtsextrem abstempeln oder kann man sie noch zurückholen?

Wie kann man da auch anders innerhalb der Familie miteinander kommunizieren? Das ist ein riesiges Thema, da haben wir wahnsinnig viel darüber diskutiert. Wir stellen diesen Konflikt jetzt schon auch dar, aber es gibt natürlich nicht für alle die gleichen Lösungen. Das muss jeder selber entscheiden.

Was gab es für Themen, wo die Leute erstmal miteinander zusammengebracht werden mussten? Wo sind Reibungen entstanden?

Genau darum geht es: Wie ist das Bild von Dresden? Wie wird Dresden von außen wahrgenommen? Es gibt ein Lied in unserem Abend, das heißt "Baby, du bist ambivalent". Ein Love-Song oder fast ein Breakup-Song an die Stadt Dresden.

Die Außenwahrnehmung ist teilweise wirklich sehr irritierend. Wenn man sagt, dass man in Dresden wohnt oder auch wie ich, dass man dort ein Theaterstück macht, dann gucken einen die Leute mitleidsvoll an und denken: Da hast du dich in die Brennnesseln gesetzt.

Und in dem Song wird gesagt: Ich möchte mich nicht für dich schämen. Ich möchte, dass du auch was dafür tust, dass du eine andere Außenwahrnehmung bekommst. Aber das kann natürlich nur passieren, indem man sich innen aus der Stadt heraus engagiert für eine lebenswerte und demokratische Stadt.

Menschen stehen auf einer Bühne und singen in Mikrofone, teilweise spielen sie auch Instrumente.
In eigens für die Inszenierung komponierten Disco-Chansons singen die Mitwirkenden der Bürgerbühne gegen Abgrenzung und Polarisierung an. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Sie haben schon 2019 mit der Bürgerbühne Dresden gearbeitet. Damals gab es ein Lied, das hieß "Oh mein Prohlis", benannt nach dem Stadtteil, der nach der Wende mit Problemen wie Arbeitslosigkeit und Abwanderung zu kämpfen hatte. Wie nehmen Sie selbst Dresden eigentlich wahr?

Ich bin froh, dass ich aus meiner Berlin-Mitte- oder Berlin-Wedding-Komfortzone mal rausgekommen bin, in der die Konflikte natürlich auch spürbar sind. Aber hier in Dresden ist es wirklich von Stadtteil zu Stadtteil so unterschiedlich. Es ist für mich tatsächlich ein Lernprozess, wie man mit Menschen ins Gespräch kommt, mit denen man normalerweise nicht sprechen würde oder die man gar nicht kennenlernen würde.

Bei "Oh mein Prohlis" war es noch extremer. Da habe ich in dem Stadtteil Prohlis mit den Leuten zusammen diesen Song geschrieben und wollte eine Hymne schreiben, dass die Menschen aus Prohlis sich nicht schämen müssen für diesen Stadtteil mit der angeblich höchsten Kriminalitäts- und Ausländerrate. Sondern, dass es ein Stadtteil ist, in den man gerne zieht und den man gerne mitgestaltet.

So empfinde ich das hier in Dresden vor allen Dingen in der Neustadt, dass Menschen, die hier bleiben und nicht wegziehen, die Stadt mitgestalten wollen. Und dadurch gibt es auch einen größeren Verbund und Zusammenhalt von den Leuten, die eine demokratische und weltoffene Zukunft für Dresden wollen. Und das mag ich sehr. In Berlin ist das sehr viel vereinzelter.

Hier trifft man sich tatsächlich auf Demos oder bei Veranstaltungen von zum Beispiel dem Montagscafé. Das finde ich großartige Institutionen, die man unbedingt erhalten muss.

Eine Frau mit kinnlangen, blonden Haaren und silbernem Kleid hält eine E-Gitarre.
Die Musikerin Bernadette La Hengst verantwortet die neue Inszenierung der Dresdner Bürgerbühne. Bildrechte: Christiane Stephan

Mehr Infos zur Inszenierung

"Musikalisiert euch"
Sing-Wettstreiten für Dresdens Zukunft
von Bernadette La Hengst
eine Produktion der Bürger:Bühne

Kleines Haus
Staatsschauspiel Dresden
Glacisstraße 28
01099 Dresden

Termine:
20. Juni 2024, 19:30 Uhr (Uraufführung)
21. Juni 2024, 19:30 Uhr
22. Juni 2024, 19:00 Uhr
23. Juni 2024, 19:00 Uhr
27. September 2024, 19:30 Uhr

Das Interview führte Julia Hemmerling für MDR KULTUR.

Quellen: MDR KULTUR (Stefan Petraschewsky, Julia Hemmerling)
Redaktionelle Bearbeitung: vp, hro

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 18. Juni 2024 | 16:10 Uhr

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