Premiere Verrätselt und zauberhaft: Kafkas "Das Schloss" am Staatsschauspiel Dresden
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06. Mai 2024, 10:59 Uhr
Passend zum Kafka-Jahr feiert in Dresden "Das Schloss" nach einem Romanfragment von Franz Kafka Premiere. Der aus Russland stammende Regisseur Maxim Didenko inszeniert erstmalig am Staatsschauspiel Dresden und versetzt das Stück in eine dystopisch-düstere Gegenwart. Darin kommt der Landvermesser K. in einer hochbürokratischen Dorfgemeinde an und wird zunehmend zu einem Irrgänger. Ein durch und durch kafkaesker Abend, der sein Publikum durch außergewöhnliche visuelle und akustische Reize fordert.
- Der russische Regisseur Maxim Didenko hat Franz Kafkas Romanfragment "Das Schloss" am Staatsschauspiel Dresden inszeniert.
- In der Aufführung sind der Kuppelhorizont, eine sich drehende Bühne und außergewöhnliche Kostüme zu sehen.
- Die Inszenierung ist visuell und akustisch außergewöhnlich und lässt viele Deutungsmöglichkeiten des Kafka-Textes zu.
Das Dresdner Schauspielhaus war komplett ausverkauft, nur das Publikum war ein wenig anders als sonst. Es wurde auffallend viel Russisch gesprochen im Zuschauerraum. Der Grund dafür: Die Inszenierung stammt von Maxim Didenko, geboren in Omsk, einer Millionenstadt in Sibirien. Didenko hat sich gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgesprochen und lebt seitdem in Berlin. Inszeniert hat er Kafkas berühmtes Romanfragment "Das Schloss" mit einem Team, dem noch zwei weitere Landsleute angehören – Galya Solodovnikova hat die Kostüme entworfen und Oleg Mikhailov das Videokonzept erarbeitet.
Ein kafkaeskes Stück ohne offensichtliche Allegorie
In Kafkas "Das Schloss" geht es um einen Landvermesser, der in ein Dorf kommt, neben dem ein Schloss steht. Das Schloss bleibt allerdings eine Black Box: kaum zu durchschauen. Man erfährt nur, dass dort eine scheinbar undurchdringliche Bürokratie regiert und dass der Landvermesser daran scheitert, diese Bürokratie zu durchdringen. Nach diesem Abend weiß man wieder, was das Wort kafkaesk bedeutet.
In Maxim Didenkos Inszenierung kommt Franz Kafkas Landvermesser K. aber nicht in irgendeinem Dorf, sondern in einer Endzeit an. Die Bühne ist dunkel, allein der Mond beleuchtet ein paar brutalistische Würfelbauten darauf. In der Mitte steht ein martialisch wirkender Turm. Ein Wachturm? Schwer atmend, keuchend, nähert sich K. mit Gasmaske dieser dystopischen Kulisse. Ist das gar ein Straflager? Es schneit. Oder sind das dunkle Flocken, die da vom Himmel fallen? Schwarzer Regen?
Didenko holt Kafkas Romanfragment "Das Schloss" samt dem von Max Brod hinzugefügten Ende in unsere Zeit. Es gibt zum Beispiel eine scheinbar unüberbrückbare Feindschaft zwischen der Familie eines Boten und Frieda, einer Frau aus dem Dorf, in die sich der Landvermesser verliebt. In einem Nebensatz wird erwähnt, diese Feindschaft sei überwindbar – man konnte dabei durchaus an den Krieg in der Ukraine und die Möglichkeit eines Friedens denken. Aber: In der Inszenierung bleibt alles kafkaesk verrätselt, nichts wird explizit erklärt oder gar bebildert, eine offensichtliche Allegorie ist nichts von alldem.
Bühne und Kostüm sind außergewöhnlich gut
Didenkos Inszenierung zieht alle Register, sie ist Theater im Breitwandformat. Wieder einmal zu sehen (und wie immer ein Erlebnis) ist der Kuppelhorizont mit dem Sternenhimmel. Die Bühne dreht sich, zusätzlich dreht sich darauf der Wachturm. Nahaufnahmen der Schauspieler werden auf eine bühnenbreite Gaze-Leinwand projiziert. Es wird in Zeitlupe gespielt, es wird musiziert und gesungen. Elektronische Klänge geben dem Spiel den Takt. Es wirkt fast, als bestimme die unsichtbare Bürokratie des Schlosses dadurch, was gespielt wird. Eine Diktatur, eine finstere Macht, die aus den Dorfbewohnern akustisch gesteuerte Marionetten macht.
Und dann sind da die Kostüme von Galya Solodovnikova: Sie streifen durch Epochen und Regionen, sind voller Andeutungen. Hier ein bisschen Folklore, da ein bisschen Uniform. Das wäre sogar ohne Text ein Fest für die Augen. Zum Beispiel teilen sich einmal vier Personen ein Riesenkostüm mit zahlreichen Ärmeln und Halsausschnitten. Man staunt und schmunzelt darüber, wer gerade wo aus der Wäsche guckt. Dazu kommen Ausstattungs-Details, die geradezu surrealistisch wirken. Briefe, die übergeben werden, sind Fische und Vögel. Kurzum, es ist zauberhaft.
Ein intensiver Abend voller Reizüberflutung
Das Ideen-Feuerwerk reicht zumindest bis zur Pause. Danach fordert die Reizüberflutung der ersten 90 Minuten ihren Tribut, und es wird ein wenig anstrengend. Was die Spannung hoch hält – meistens – ist das konzentriert spielende Ensemble, allen voran Moritz Kienemann als Landvermesser, der in schier unglaublicher Intensität spielt. Er leidet, er liebt, er bäumt sich auf, und dass sein K. am Ende übermüdet zusammenbricht – gerade als er seinem Ziel, den Verwalter des Schlosses oder zumindest dessen Sekretär persönlich zu treffen, so nah wie nie zuvor ist – kann man im Parkett beinahe körperlich mitfühlen.
Dann folgt noch ein starkes Schlussbild: Der Landvermesser K., der an den absurden Verhältnissen regelrecht eingegangen ist, quasi ermordet von einem unmenschlichen System, wird an zwei Zügen in den Bühnen-Himmel gezogen: eine Art Auferstehung. Ein visuell und auch akustisch außergewöhnlicher, zugleich aber auch fordernder Abend (drei Stunden lang mit einer Pause). Ohne Zweifel großes Theater, das die vielen Deutungsmöglichkeiten dieses Kafka-Textes in faszinierende Bilder und Stimmungen übersetzt.
Mehr Informationen zum Stück:
"Das Schloss" von Frank Kafka am Staatsschauspiel Dresden
Regie: Maxim Didenko
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Galya Solodovnikova
Die Aufführung dauert drei Stunden, es gibt eine Pause.
Termine:
8. Mai um 19:30 Uhr
13. Mai um 19:30 Uhr
1. Juni um 19:30 Uhr
6. Juni um 19:30 Uhr
20. Juni um 19:30 Uhr
Mehr Informationen finden Sie hier.
Redaktionelle Bearbeitung: as
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. Mai 2024 | 08:40 Uhr