Nachruf Wolfgang Engel gestorben: Theatermann mit Leib und Seele
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08. März 2025, 17:30 Uhr
Wolfgang Engel war einer der bedeutendsten Regisseure der DDR – und in der Zeit danach. Wie das Schauspiel Leipzig mitteilte, starb sein langjähriger Intendant am Freitag im Alter von 81 Jahren. Mit seinen Inszenierungen zeigte er sich als Meister der politischen Metapher. Im Herbst 1989 war er Mit-Initiator der berühmten Erklärung "Wir treten aus unseren Rollen heraus", die nach den Vorstellungen verlesen wurde. Wolfgang Engel wurde damit zu einer der letzten moralischen Instanzen der untergehenden DDR.
- Wolfgang Engel, geboren 1943 in Schwerin, prägte von 1980 bis 1991 als Regisseur das Staatstheater Dresden maßgeblich mit.
- Als Intendant am Schauspiel Leipzig 1995 bis 2008 läutete er eine neue Ära ein und brachte unter anderem Theater an historische Orte.
- Der "Meister der politischen Metapher" wurde 2011 für sein Lebenswerk mit dem Theaterpreis "Der Faust" ausgezeichnet.
Das Theater war, so scheint es, sein Lebenselixier. Und weil Wolfgang Engel sein Leben lang ein Theatermann mit Leib und Seele war, setzte er als Intendant und Regisseur alles daran, dass das Theater möglichst vielen Zuschauern ebenfalls ein Ort der Verzauberung ist.
Legendäre Dresdner Inszenierungen
In den 80er Jahren holte Engel das Staatsschauspiel Dresden mit seinen Inszenierungen in die erste Reihe der DDR-Theater. Weil er in klassischen Stoffen stets Gegenwärtiges suchte. In der Zeit des Wettrüstens hat er die "Nibelungen" als Spießer gezeigt, die ihre Waffen putzen. Ob Hebbel, Kleists "Penthesilea", Heiner Müllers "Anatomie Titus" oder die erste große Beckett-Inszenierung der DDR überhaupt, "Warten auf Godot" – man pilgerte nach Dresden, wenn Engel inszenierte.
Bei Beckett insbesondere, weil die DDR-Kulturpolitik Autoren wie Beckett eigentlich als spätbürgerliche Weltfremde verpönte und dann doch irgendwie hoffte, dass man wenigstens die kapitalistische Entfremdung der Menschen zu sehen bekommen würde. So stand es im "Neuen Deutschland" – damals, 1987. Aber Engels Inszenierung tat genau das eben nicht. Er inszenierte das Stück so, dass das Warten auf Godot, der bekanntlich nie kommt, als ein Warten auf bessere Zeiten verstehbar war.
Faust als Kommentar zur Währungsunion
Als diese dann vermeintlich kamen, arbeitete Engel gerade an einer "Faust"-Inszenierung und geriet damit mitten hinein in die Umbrüche der Zeit. Immer wieder musste geändert und neu geprobt werden, weil sich draußen vor dem Theater alles rasant änderte. Während der Proben fand die Währungs-Union statt, am 1. Juli 1990, und so hing schließlich ein riesiger 1.000-DM-Schein im Zentrum der Kulissen.
Was gerne vergessen wird: Wolfgang Engel war auch als Schauspieler aktiv. In dieser Faust-Inszenierung spielte er einen von zwei "Fäusten", der die neue Zeit komödiantisch mit dem alten Stoff zu verbinden suchte, und zwar mit einer Narren- oder Gauklerkappe auf dem Kopf. Auch hier galt: Wolfgang Engel machte Stücke für die jeweilige Zeit anwendbar.
Intendanz in Leipzig begründete eine neue Ära
Als er 1995 seine Intendanz in Leipzig antrat, tat er das mit Peter Handkes "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten", einem Stück ohne Text, das erstmal die Bühne freiräumte für das Neue. Da liefen einfach nur verschiedenste Menschen über die Bühne, und man konnte sich selbst eine Handlung dazu denken.
Engel wollte Raum zum Nachdenken, zum Denken überhaupt schaffen, und er hat sich dafür in den Dienst der Stücke und Themen gestellt, die er inszeniert hat. Um grelles, plakatives Theater oder gar darum, seine Regie-Handschrift zur Marke zu machen, ging es Wolfgang Engel nie.
Aufführungen vor Leipziger Kulissen
Er hatte aber auch viel übrig für das Theater als Erlebnis-Ort, als Spielfläche für Spektakel. So hat er in Leipzig – jeweils mehrteilig – noch einmal den "Faust" sowie den "Wallenstein" inszeniert. Als "Feldzug durch Leipzig", wie es hieß. Inklusive Ausflug ans Völkerschlachtdenkmal, wo man "Wallensteins Lager" als Rap-Konzert erleben konnte.
Bis 2008 war er Intendant, 13 Jahre lang, in denen er das Leipziger Schauspiel durch eine Zeit voller Unsicherheiten zu lotsen hatte. Es gab, das haben viele schon vergessen, sogar Restitutionsansprüche auf das Schauspielhaus. Manchen galt Engels Theater am Ende seiner Intendanz als zu unspektakulär, aber er hat es der Stadt überhaupt erstmal erhalten.
Meister der politischen Metapher
Als Regisseur war Engel immer gefragt. Bereits zu DDR-Zeit arbeitete er gelegentlich im Westen, nach 1990 einige Jahre am Schauspiel Frankfurt/ Main und nach der Leipziger Intendanz mehrfach in Düsseldorf. Und schließlich wieder in Dresden, wo er 2010 die Deutsche Erstaufführung von Uwe Tellkamps "Der Turm" auf die Bühne brachte. Wieder gelang es ihm, mehr in dem Stoff zu entdecken als nur eine Dresdner Geschichte.
Es gab Zuschauer, die erst in der Inszenierung einen Zugang zu Tellkamps Buch gefunden haben. Engel konnte das. Weil er nichts obendrauf gesetzt hat, weil er sicher wie nur wenige auf dem Grat zwischen Komik und Tragik wandeln konnte. Weil er sich wieder in den Dienst dieses Stoffes gestellt hat. Dafür und für sein Lebenswerk wurde er 2011 mit dem Theaterpreis "Der Faust" ausgezeichnet.
Auch nachdem er aufgehört hatte, selbst zu inszenieren, konnte man Wolfgang Engel sehr oft im Theater sehen, zuletzt in Halle, wo sein Lebensgefährte Martin Reik Ensemblemitglied ist. Zum letzten Mal auf einer Bühne stand er ebenfalls in Halle, 2020, in einer Inszenierung von Wajdi Mouawads Stück "Vögel". Dass ihn die Folgen eines Schlaganfalls immer noch etwas beeinträchtigten – Wolfgang Engel trug es in seine Rolle ein.
Redaktionelle Bearbeitung: lm
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 08. März 2025 | 08:40 Uhr