Juwelendiebstahl Aus dem Gerichtssaal: Prozesstagebuch zum Grünen Gewölbe
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30. März 2023, 16:30 Uhr
Der Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden sorgte weltweit für Aufsehen. Inzwischen stehen die mutmaßlichen Diebe der historischen Juwelen vor Gericht. Für MDR SACHSEN berichten die Journalistinnen Ina Klempnow und Heike Römer-Menschel aus dem Gerichtssaal in Dresden. Abseits der großen Schlagzeilen und Entwicklungen im Prozessverlauf schildern sie im Prozesstagebuch ihre eigenen Beobachtungen und Geschichten am Rande der Verhandlung.
28. Januar 2022: Der Prozess beginnt
Endlich geht der Prozess los. Fünf Monate nachdem die Staatsanwaltschaft dem Landgericht Dresden die Anklageschrift und damit die gesammelten Ermittlungsergebnisse übergeben hat. Das Medieninteresse ist riesengroß und die Plätze im Gerichtssaal coronabedingt gering. Und so stehen wir an diesem Morgen als erste vor dem Einlass des Hochsicherheitstraktes des Oberlandesgerichtes Dresden, um tatsächlich bei der Verhandlung im Saal dabei sein zu können.
Hochsicherheitstrakt und kreisende Hubschrauber
In dem Sicherheitstrakt wird sonst gegen Terrorgruppen und Links- oder Rechtsextreme verhandelt. Der Pressesprecher vom Landgericht Dresden, Thomas Ziegler, begründet die Wahl des Ortes damit, dass die Tat der Organisierten Kriminalität zugerechnet werden könnte. Auch die enormen Sicherheitsmaßnahmen erklärt er damit. Ein Hubschrauber kreist, bewaffnete Polizisten in Mannschaftsstärke sind rund um das Gerichtsgebäude aufmarschiert, Zuschauer und Medienvertreter werden wie am Flughafen gescannt und einer Leibesvisitation unterzogen. Unter den Zuschauern befindet sich auch die Freundin eines der Angeklagten. In der Schlange stehend hat sich ein kurzes Gespräch mit der jungen Frau aus Berlin ergeben. Zu einem Interview ist sie allerdings nicht bereit. Im Verhandlungssaal ist der Zuschauer- und Medienbereich durch hohes Sicherheitsglas vom eigentlichen Gerichtssaal abgetrennt. Beide Bereiche werden von Justizbeamten in Schutzwesten bewacht.
Tricks und Kniffe der Verteidigung
Um 9:45 Uhr soll der Prozess beginnen. Doch stattdessen verlassen die elf anwesenden Verteidiger den Raum und kommen erst nach einer Stunde wieder. Der Grund: Sie haben einen gemeinsamen Antrag formuliert. Mit diesem Antrag protestieren sie gegen die Anwesenheit eines Rechtsanwaltes, der den Freistaat Sachsen als Nebenkläger vertreten soll. Der Freistaat hatte sich erst wenige Tage vor Prozessbeginn entschieden, als Nebenkläger aufzutreten. Der Anwalt hatte daraufhin Akteneinsicht beantragt, die ihm noch am selben Tag vom Richter gewährt wurde. Die Verteidiger sagen, dass sie zur Frage der Nebenklage im Vorfeld hätten gehört werden müssen und dass die - aus ihrer Sicht - übereilte Gewährung von Akteneinsicht ein "nicht mehr zu heilender Verfahrensfehler" sei.
Überhaupt zieht die Verteidigung an diesem Verhandlungstag alle Register. Insgesamt sechs Anträge wegen Verfahrensmängeln wird sie stellen. So kritisiert die Verteidigung unter anderem, dass bei der Besetzung der Schöffenstellen auch diverse Personen hätten berücksichtigt werden müssen. Außerdem behaupten die Verteidiger, dass sie nicht genug Zeit und Gelegenheit hatten, sich das Beweismaterial anzuschauen. Auch die Abtrennung des Verfahrens gegen die Erwachsenen von dem gegen die zur Tatzeit Heranwachsenden wird gefordert. Über all diese Anträge soll am 2. Verhandlungstag entschieden werden.
Die Angeklagten: Nette junge Männer von nebenan?
Das Auftreten der Beschuldigten ist an diesem ersten Verhandlungstag eher zurückhaltend. Die Männer sind zwischen 22 und 28 Jahre alt und kommen versteckt hinter Aktenmappen oder unter Kapuzenjacken ins Gericht und verhindern so Filmaufnahmen oder Fotos von sich. Die Beschuldigten beantworten anschließend die Fragen des Richters zu ihrem Wohnort und ihrem Alter, ansonsten äußern sie sich nicht. Alle sechs stammen ja aus dem arabischstämmigen Remmo-Clan in Berlin und sind Polizei und Justiz in der Bundeshauptstadt gut bekannt.
Zwei der Angeklagten wurden zum Beispiel im Gold-Münzen-Prozess in Berlin rechtskräftig verurteilt. Sie sitzen derzeit ihre daraus resultierenden Haftstrafen ab. Die anderen vier Männer sind in Untersuchungshaft. In Dresden geben sich die sechs als nette junge Männer von nebenan und verkneifen sich zumeist irgendwelche emotionalen Regungen. Nur ab und an huscht ein Grinsen über eines der Gesichter, wenn einer der Verteidiger eine besonders forsche Formulierung nutzt.
Drei Staatsanwälte und zehn Verteidiger
Die Gegenseite ist mit drei Staatsanwälten vertreten. Christian Weber ist einer von ihnen. Er verliest die Anklageschrift. In etwa 20 Minuten fasst er darin Details zum Tatablauf, zur Tatvorbereitung, zur Flucht und zur Tatbeteiligung einzelner Beschuldigter zusammen. Ansonsten äußert sich die Staatsanwaltschaft nicht zu den verschiedenen Anträgen und Vorwürfen der Verteidiger.
Am Schluss der Verhandlung kritisieren die Verteidiger in ihren Open Statements das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft als einseitig. Die Beweislage sei dünn und es existierten kaum objektive Spuren, die eine Tatbeteiligung ihrer Mandanten belegten. Einige Verteidiger formulieren, dass sie der Überzeugung sind, dass ihre Mandanten am Ende des Prozesses freigesprochen würden.
Am Ende des Tages bleibt für uns die Frage, ob es der Staatsanwaltschaft tatsächlich gelingen wird, die Tatbeteiligung jedes einzelnen Angeklagten zu beweisen. Darüber hinaus ist offen, ob einer der Anträge der Verteidigung zur Aussetzung des Verfahrens – also zu einer kurzzeitigen Unterbrechung – oder gar zu Beendigung und Neubeginn führen könnte. Platzt der Prozess, bevor er richtig begonnen hat? Wir sind gespannt auf den zweiten Verhandlungstag, am 11. Februar.
11. Februar 2022: Platzt der Prozess?
Schon einen Tag vor dem zweiten Verhandlungstag schlagen die Wellen hoch. Die DNN spekuliert darüber, dass der Prozess platzen könnte. Der Grund: Das Landgericht hat den Freistaat als Nebenkläger abgelehnt. Die Verteidiger haben sich mit ihrer Forderung vom ersten Prozesstag durchgesetzt. War die Akteneinsicht, die dem Rechtsanwalt des Freistaates gewährt worden war, tatsächlich "ein nicht zu heilender Verfahrensfehler"? Und könnte das ein Grund für einen Befangenheitsantrag der Verteidiger gegen den Richter sein? Damit stände die Verhandlung vielleicht wirklich vor dem Aus. Juristen, die wir zu der Problematik befragen, wiegeln ab. Sie sehen hier eher keinen Anlass für einen Befangenheitsantrag.
Der Befangenheitsantrag über den die Zeitungskollegen spekulierten, spielt heute in der Strafkammer gar keine Rolle, wird nicht mal erwähnt. Richter Andreas Ziegel geht stattdessen auf vier andere Anträge der Verteidiger vom ersten Verhandlungstag ein. Und lehnt sie alle ab.
1. Antrag: Mehr Zeit für Akteneinsicht
Der Richter führt aus, dass den Verteidigern regelmäßig und vollständig Einsicht in die Beweismittel gewährt wurde. Sie hätten ausreichend Zeit gehabt, die Akten zu studieren. Auch für das Sichten der drei Stunden Videomaterial von den Überwachungskameras am und im Schloss wäre genug Zeit gewesen. Ansonsten könne man das ja im Laufe des Prozesses, der sich über Monate hinziehen werde, nachholen.
2. Antrag: Mehr Diversität bei Auswahl der Jugendschöffen
Ziegel erklärt, dass die Auswahl der Jugendschöffen aus Sicht der Kammer zulässig sei. Eine Besetzung mit einer Person des dritten Geschlechts sei durch Gesetzesänderungen der letzten Jahre nicht angezeigt.
3. Antrag: Abtrennung des Verfahrens
Die Abtrennung des Verfahrens gegen die Erwachsenen von dem gegen die zur Tatzeit Heranwachsenden wird von der Kammer abgelehnt. Die Verbindung der Strafverfahren sei geboten, weil die Straftat gemeinschaftlich und laut Staatsanwaltschaft sogar bandenmäßig begangen wurde und mit einer umfangreichen Beweisaufnahme zu rechnen sei. Außerdem seien die Heranwachsenden zur Tatzeit schon 20 Jahre und 8 Monate alt gewesen und damit fast schon Erwachsene. Darüber hinaus seien die mitangeklagten Erwachsenen nicht wesentlich älter als sie und damit nicht zu befürchten, dass die Jüngeren beeinflusst würden. Die Ablehnung begründet der Richter auch mit dem Beschleunigungsgebot.
4. Antrag: Ausschluss von Zuschauern
Zu guter Letzt lehnt die Kammer auch den Antrag der Verteidigung ab, sächsische Polizisten und alle aktuellen und ehemaligen Mitglieder der Soko "Epaulette" als Zuschauer vom Verfahren auszuschließen.
Der Richter begründet alle Ablehnungen detailliert und trägt das sehr entschieden vor. Diese klare und umfassende Abweisung von fast allen Anträgen der Verteidigung hatten wir so doch nicht erwartet. Die Anträge waren von den Verteidigern am ersten Prozesstag ausgesprochen wortgewandt, mit großer Überzeugung und Vehemenz gestellt worden. War das alles nur Budenzauber? Wollen die Verteidiger mit der Antragsflut einfach Zeit schinden?
Befragung der Zeugen beginnt
Richter Andreas Ziegel tritt an diesem zweiten Verhandlungstag dominanter auf. Er nimmt die Verfahrensführung stärker in die Hand, weist die Verteidigung auch mal in die Schranken. So schafft er es, diesen Freitag fast wie geplant ablaufen zu lassen. Drei Zeugen sind geladen, alle drei können gehört werden. Die Sicherheitsmänner der Firma DWSI hatten in der Tatnacht Dienst am Zwinger. Jetzt schildern sie ihre Beobachtungen und Wahrnehmungen.
Alle Männer sahen in der Tatnacht das Fluchtfahrzeug. Einer machte sogar ein Handyvideo von dessen Abfahrt. Alle drei Wachleute haben auch drei bis vier Personen gehört oder gesehen. Näher beschreiben können sie diese aber nicht. Alle seien dunkel gekleidet gewesen, hätten Kapuzen getragen und ein Mann habe gebrochenes Deutsch gesprochen. Die Befragungen der Zeugen dauern von 30 Minuten bis zu anderthalb Stunden. Sie werden vom Richter angehalten, sich möglichst genau zu erinnern und detailliert zu schildern. Nach mehr als zwei Jahren ist das für die Befragten offensichtlich eine Herausforderung, zumal sie teilweise recht aufgeregt sind. Bei einem der Zeugen kommen trotz Dolmetscherin Verständnisprobleme hinzu. Seine Muttersprache ist Russisch.
Durch die vielen Nachfragen der Verteidigung fühlen sich die Männer scheinbar teilweise kritisiert und angegriffen. Die Verteidiger versuchen, die Glaubwürdigkeit der Wachmänner in Zweifel zu ziehen und Widersprüche zwischen den ersten Aussagen der drei bei der Polizei und dem heute Gesagten herauszuarbeiten. In wenigen Details gelingt ihnen das auch. Was Aufgabe für die Verteidiger ist, ist für die Zeugen sicher unangenehm.
Gelassenheit auf der Anklagebank
Die Beschuldigten verfolgen den Prozess ungerührt und gelassen. Sie wirken entspannt. Beim Hereinführen begrüßen sie Bekannte und Verwandte im Publikum. Die Freundin eines der Angeklagten ist wieder angereist, auch ein Bruder. Heute ist der Zuschauerraum nicht mehr ganz so voll wie beim Auftakt. Das Interesse ist aber nach wie vor groß. Sogar ein brasilianischer Kollege ist da. Er will über die Gerichtsverhandlung und den Remmo-Clan einen längeren TV-Bericht für sein Heimatland machen. Das würde seine Landsleute ganz sicher interessieren, sagt er. Die Tatverdächtigen wirken von Öffentlichkeit und Gericht unbeeindruckt. Einige von ihnen scheinen die Aufmerksamkeit zu genießen. Sie schauen interessiert zu den Prozessbeobachtern und geben sich selbstbewusst. Wir werden sie in 25 Tagen wiedersehen. Zuvor ist Prozesspause.
08. März 2022: Polizisten im Zeugenstand
Nachdem der Prozess vor zwei Wochen verschoben werden musste, weil ein Verfahrensbeteiligter wegen Corona in Quarantäne musste, beginnt die Verhandlung pünktlich und ohne Verzögerung. Am Vormittag werden zwei Zeuginnen vernommen, die am Tatmorgen auf dem Weg zur Arbeit in die Semperoper bzw. in den Sächsischen Landtag waren. Die erste Frau passierte die Schinkelwache gegen 5 Uhr und sah an der Ecke vom Westflügel des Schlosses ein Auto mit offenem Kofferraum und zwei Männer, die sich am Fahrzeug unterhalten haben. Es klang osteuropäisch.
Die zweite Frau überquerte den Theaterplatz erst gegen 5:15 Uhr und beobachtete zwei Männer an der Straßenbahnhaltestelle. Ein Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr da. Wirklich zur Aufklärung kann diese Aussage nicht beitragen.
Polizisten im Zeugenstand
Nach der Mittagspause wird es spannender. Denn jetzt kommen zwei Streifenpolizisten zu Wort, die als erste am Tatort waren. Nachdem der Notruf einging, fuhr das Streifenteam über den Dresdner Neumarkt, am Fürstenzug und der Hofkirche vorbei direkt zum Tatort, wo Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes aus der Entfernung gerade das Beladen und Wegfahren des Tatfahrzeuges beobachtet und zum Teil mit dem Handy gefilmt hatten. Die beiden Polizisten waren auch die ersten Beamten im Schloss unmittelbar nach der Tat. Dieser Umstand führt zu einer längeren Befragung durch die Verteidigung. Diese zielt offenbar darauf ab, zu erfahren, wer (außer den Tätern) wann und in welchen Räumen noch Spuren verursacht haben könnte. Trotz Lageplan scheint es den Zeugen schwer zu fallen, sich nach über zwei Jahren noch in den Räumlichkeiten des Historischen Grünen Gewölbes zu orientieren und genau zu rekapitulieren, wann sie wo waren. Beide mussten nach der Rückkehr in die Dienststelle ihre Schuhe abgeben, damit ihre Spuren später von den anderen unterschieden werden konnten.
Der erste Blick ins Juwelenzimmer nach der Tat
Der letzte Zeuge an diesem Tag ist ein Polizist des Kriminaldauerdienstes (KDD), der mit seinen Kolleginnen und Kollegen gegen 6 Uhr am Tatort eintraf. Er hat auch direkt vor Ort einen der Sicherheitsmitarbeiter des Schlosses vernommen. Dieser schilderte ihm den Stromausfall und dass er ein helles Auto (er hielt es für einen Mercedes) von der Elbe kommend gesehen hat. Das Fahrzeug wendete kurz vor dem Taschenbergpalais und stand mit laufendem Motor in Richtung Elbe vor dem Schloss. Wieder war von zwei männlichen Stimmen die Rede, die nicht Deutsch sprachen und von einem metallischen Geräusch.
Dieser Kriminalpolizist war der erste, der den damaligen Direktor des Grünen Gewölbes Dirk Syndram bis zum Eingang des Juwelenzimmers begleitete. Er habe gut beobachten können, wie Herrn Syndram beim Anblick des Schadens die Gesichtszüge entgleisten, ohne dass dieser schon genau wusste, was wirklich gestohlen worden war.
Überwachungsvideos für nächsten Prozesstag angekündigt
Am Schluss des Verhandlungstages gibt es noch eine interessante Diskussion zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, in welcher Form Videomaterial aus dem Schloss beim nächsten Verhandlungstag präsentiert werden soll. Es geht wohl um umfangreiches Material per Splitscreen, wie das bei Beobachtungen von mehreren Kameras auf Monitoren durch Sicherheitsdienste üblich ist. Die Verteidigung möchte Einzelkameras sehen, was bei 13 Terabyte offenbar den Rahmen der Verhandlung sprengen würde. Wir werden sehen, worauf sie sich geeinigt haben, denn der nächste Prozesstag ist bereits Ende dieser Woche.
15. März 2022: Sicherheitslücken, Videos und Diskussionen
Der Tag beginnt mit einem Antrag der Verteidigung. Rechtsanwalt Toralf Nöding kritisiert eine unvollständige Aktenlage und fordert eine Unterbrechung der Hauptverhandlung. Es geht um einen möglichen siebten Tatverdächtigen, der mit den Angeklagten nach Dresden gefahren sein soll. Die Akten dazu liegen bei der Staatsanwaltschaft, wurden aber weder den Verteidigern noch dem Gericht zur Kenntnis gegeben.
Warum die Staatsanwaltschaft die anderen Beteiligten nicht einweihte, bleibt leider unklar. Ist das eine Taktik? Die Verteidigung spricht hier von bewusster Vorenthaltung. Jedenfalls verspricht die Staatsanwaltschaft, die Akten zeitnah allen zur Verfügung zu stellen. Dem Richter gelingt es nach umfänglicher Diskussion mit der Verteidigung, den Prozess fortzuführen.
Juwelendiebstahl und Autobrand - Zusammenhang offenbar schon früh vermutet
Beeindruckt hat dann eine sehr taffe Polizistin vom Kriminaldauerdienst, die am Tatort ihre Kollegen von der Nachtschicht abgelöst hat, erste Befragungen der Sicherheitsmitarbeiter durchführte und die Spurensicherung einleitete. Sie erkannte offenbar die Dimension des Verbrechens und forderte die Tatortgruppe an. Die wird mit modernster Technik zur Spurensuche und –sicherung bei Kapitaldelikten und bedeutenden Straftaten eingesetzt. Und bereits um 10 Uhr vermutete die Polizei einen Zusammenhang zwischen dem Einbruch im Stadtzentrum und einem Brand in einer Tiefgarage im Stadtteil Pieschen.
Sicherheitsmitarbeiter: "Hat immer wieder kleine Probleme gegeben"
Der interessanteste Zeuge aber ist einer der beiden Sicherheitsmitarbeiter, die an dem Morgen in der Zentrale der Staatlichen Kunstsammlungen im Schloss vor den Monitoren gesessen haben. Dieser DWSI-Mitarbeiter, gegen den auch noch ermittelt wird, beschreibt den Ablauf der einzelnen Alarm-Meldungen. Er wunderte sich, dass kein Alarmlicht in den Räumen anging, als die Diebe diese durchquerten. Aber es hätte ja immer mal wieder kleine Probleme mit dem Licht gegeben – so seine Aussage. Das sagt auch einiges über den Zustand der Sicherheitsanlagen aus. Waren die Juwelen ausreichend gesichert?
Das Einbruchsfenster hätte seiner Meinung nach mit einer Glasbruchsicherung oder Magnetkontakten ausgerüstet sein müssen. Das war aber nicht der Fall, denn den ersten Alarm gab es beim Betreten des Fußbodens hinter dem Fenster. Der Mann macht generell einen überforderten Eindruck, der in keinster Weise auf ein solches Szenario vorbereitet gewesen war. Selbst das Licht im Juwelenzimmer anzuschalten – "dazu sei er nicht mehr gekommen". Allerdings hatte er wohl kurz überlegt, zum Tatort zu gehen. Er war aber nur mit einem Schlagstock bewaffnet. Richtige Waffen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem Tresor. Hätte er damit routiniert umgehen können?
Spannend wird es, als er über die Außenscanner am Schloss spricht. Da gebe es einige, die stündlich Fehlalarme auslösen – je nach Wetter. Starkregen oder Gewitter reichen da aus. Dass Scanner, die viele Fehlalarme auslösten, nicht wieder aktiviert wurden, käme öfter vor. Spannend wird, was der Sicherheitschef der Staatlichen Kunstsammlungen Michael John dazu sagt. Er soll an einem der nächsten Verhandlungstage vernommen werden.
Aufschlussreiche Videoaufnahmen vom Morgen des Diebstahls
Absolute Stille und Spannung herrscht im Gerichtssaal, als ein rund 45 Minuten langer Zusammenschnitt der Außen- und Innenkameras gezeigt wird. Dabei handelt es sich vor allem um zwei Kameras, die am Zwinger angebracht sind und den Westflügel des Schlosses zeigen, und zwei Kameras an der Schlossfassade, für die das Einbruchsfenster aber erkennbar im toten Winkel liegt.
Solange die Straßenbeleuchtung brennt, sind die Bilder auch recht deutlich. So ist gut zu sehen, dass schon gegen 4:22 Uhr vier Personen über die kleine Mauer am Ende des Zaunes steigen und mit Taschenlampen vor dem Fenster ausharren, bis um 4:56 Uhr die Straßenbeleuchtung ausfällt. Eine Minute später sind die Täter im Schloss und greifen um 4:58 Uhr die Vitrine an. Zeitgleich fährt draußen das Fluchtfahrzeug vor. Punkt 5 Uhr verlässt ein Täter das Juwelenzimmer Richtung Preciosensaal und Einbruchsfenster, während der zweite Einbrecher weiter einpackt und erst eine Minute später den Rückweg antritt. Um 5:02 Uhr fährt der Audi mit den Tätern und der Beute im Kofferraum Richtung Augustusbrücke und genau eine Minute später, um 5:03 Uhr, kommt die Polizei über den Fürstenzug zum Tatort.
Wenn man das so sieht, staunt man wieder über die Schnelligkeit und Unverfrorenheit der Täter. Die Angeklagten selbst schauen interessiert diese Szenen an, lassen aber mit keiner Regung irgendeine Art von Betroffenheit spüren.
29. März 2022: Ein Teil-Geständnis und andere Überraschungen
Eigentlich haben wir heute mit einer ruhigen Verhandlung gerechnet. 3 Zeuginnen sind geladen. Zwei Mitarbeiterinnen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und eine Polizistin. Sie sollen über die gestohlenen Schmuckstücke berichten und über deren Versicherungswert. Das tun sie auch. Dabei wird deutlich, dass viele Stücke beim Diebstahl zerstört wurden. Das heißt, es befanden sich einzelne Steine und Fragmente noch in der Vitrine bzw. auf dem Boden. Dieser Umstand weist darauf hin, dass es sich wohl nicht um einen Auftragsdiebstahl eines Kunstverständigen handeln kann. Am Nachmittag kommt es dann zu einer kleinen Sensation und der Prozess-Tag endet alles andere als unspektakulär.
Ein Angeklagter packt aus
Kurz nach der Mittagspause gibt einer der Tatverdächtigen völlig überraschend eine Erklärung zu seiner Tatbeteiligung ab – in schriftlicher Form, vorgelesen von seinem Anwalt. Darin legt der 28-Jährige ein Teilgeständnis ab. Er gibt zu, dass er bei dem Einbruch mitmachen sollte und wollte und bei der Vorbereitung auch tatsächlich dabei gewesen sei.
Ein Paukenschlag, denn normalerweise äußern sich Mitglieder der arabischstämmigen Großfamilie Remmo nie gegenüber Polizei oder Justiz. Es herrscht eine Mauer des Schweigens. Die wird nun mit der schriftlichen Einlassung des Tatverdächtigen durchbrochen.
Was genau gab der Angeklagte zu?
Der Mann räumt in seiner Einlassung ein, dass er am 20.11.2019 von einem der Täter – dem maßgeblichen Tatplaner – angesprochen worden sei. Der Mann habe ihn überredet, bei einer Sache mitzumachen, die gut vorbereitet sei und eine lukrative Beute verspreche. Dafür sollte er ein Auto besorgen und mit zwei anderen Männern noch am gleichen Abend nach Dresden fahren. Das erledigte der Geständige auftragsgemäß.
Auf der Fahrt hätten ihm die beiden anderen Männer dann erklärt, was genau geplant sei - nämlich ein Einbruch ins Grüne Gewölbe. Bei dem Einbruch solle er Schmiere stehen und sich um das Einpacken der Beute kümmern. Nachdem das Trio in Dresden angekommen sei, habe man etwas entfernt vom Schloss geparkt und dann den künftigen Tatort zu Fuß besichtigt. Dabei sei der Geständige gemeinsam mit einem zweiten Mann über die Mauer geklettert und habe sich eine Weile am Einstiegsfenster aufgehalten und alles genau angesehen.
Außerdem lässt der Angeklagte von seinem Anwalt verkünden, dass er sich am Vorabend des Einbruchs, also am 24.11. um 21.00 Uhr mit anderen Tätern in Berlin getroffen habe. Gemeinsam wollte man zur Wohnung des 28-Jährigen fahren, um Kleidung zu holen. Im Anschluss wollte man weiter nach Berlin-Tempelhof und dort eines der Tatfahrzeuge abholen – den Audi S6. Doch noch bevor man die Wohnung erreichte, sei man von der Polizei gestoppt worden.
Die hätte bei der Kontrolle die Personalien der Autoinsassen festgestellt und auch Einbruchswerkzeug im Kofferraum gesehen. Daraufhin hätte der Angeklagte kalte Füße bekommen. Er sei der Meinung gewesen, die Kontrolle sei kein Zufall, man würde möglicherweise schon observiert. Die ganze Sache sei im zu heiß geworden und darum sei er aus dem Auto und der Aktion ausgestiegen. Der Angeklagte habe danach die Wohnung seiner Eltern in Berlin aufgesucht und die Nacht dort verbracht. Der Einbruch in Dresden sei ohne ihn durchgeführt worden.
Nach dem Verlesen bestätigt er mündlich, dass das seine Worte seien und das alles so stimmen würde. Fragen zu der Erklärung beantwortet er nicht. Auch Angaben zu den anderen Angeklagten macht er keine.
Warum hat sich der Angeklagte mutmaßlich geäußert?
Offenbar gibt es stichhaltige Beweise, die belegen, dass der Angeklagte hinter der Mauer am Schloss war. Und zwar direkt am Einstiegsfenster. Außerdem belegt wohl eine DNA-Spur, dass er auch in einem der Tatfahrzeuge gewesen ist. Mit seiner Einlassung wollte der junge Mann nun wohl erklären, wie seine Spuren dorthin gekommen sind, obwohl er beim eigentlichen Einbruch nicht mitgemacht habe. Die Spur im Mercedes sei demnach erst nach dem Diebstahl in den Wagen gelangt. Das Auto habe man in der Familie noch eine Weile genutzt. Wohlgemerkt – die Erklärung ist die Darstellung des Angeklagten. Ob das Beschriebene so stimmt, ist völlig offen.
Interessant ist auch, dass der Geständige nur das einräumt, was ihm in der Anklageschrift explizit persönlich vorwirft. Darüber hinaus gibt er nichts zu. Unser Eindruck: Der Angeklagte weiß um eine erdrückende Beweislast und will mit diesem Manöver seinen Kopf aus der Schlinge ziehen.
Die anderen Tatverdächtigen nehmen die Erklärung ihres Mitangeklagten übrigens ruhig und gelassen aufgenommen. Sie wirken in keiner Weise überrascht davon. Wir vermuten, dass sie von der Aktion wussten. Das Vorgehen der verschiedenen Verteidiger schien uns schon an den anderen Prozesstagen gut abgestimmt und im gegenseitigen Einvernehmen. Die Aussage des 28-Jährigen macht hier wohl keine Ausnahme.
Der Tag bot noch eine Überraschung
Ein knapp einstündiger Videozusammenschnitt von vier Überwachungskameras zeigt die Vorgänge am Westflügel des Schlosses sechs Tage vor dem Diebstahl. In der Nacht vom 18. zum 19. November tauchen gegen 2:20 Uhr mehrere Männer an der Schinkelwache auf. Einer übersteigt etwa zehn Minuten später die kleine Mauer vor dem Einbruchsfenster. Möglicherweise soll er testen, ob Alarm ausgelöst wird. Das passierte nicht.
Gegen 2:42 Uhr klettern drei Männer über die Mauer – einer hat eine große Tasche dabei. Sie machen sich am Einbruchsfenster zu schaffen. Dabei blitzt immer mal wieder ein Taschenlampenlicht auf. Innerhalb einer halben Stunde trennen sie die Gitterstäbe am Fenster durch – offenbar nicht mit einer Funken oder Lichtbogen erzeugenden Technik, sondern mit einem hydraulischen Schneidegerät.
Um 3:10 Uhr verlassen alle Männer den Tatort über den Theaterplatz in Richtung Elbe. Wieder einmal bleibt nach diesen Bildern die Frage, warum das alles nicht vom Sicherheitssystem am Schloss bzw. den Wachmännern bemerkt wird.
5. April 2022: Der sechste Prozesstag
Auf diesen Tag sind wir besonders gespannt. Heute soll es im Prozess um das Sicherheitskonzept des Residenzschlosses und des darin befindlichen Historischen Grünen Gewölbes gehen. Über Monate und Jahre haben wir dazu recherchiert. Immer wieder haben wir lange Fragenkataloge bei verantwortlichen Behörden, zuständigen Ministerien und der im Schloss tätigen Sicherheitsfirma DWSI eingereicht. Oft vergebens.
Die Firma DWSI antwortete gar nicht auf unsere Mails und sprach auch am Telefon nicht mit uns. Ministerien und Behörden erklärten sich für nicht zuständig oder redeten sich damit heraus, dass unsere Fragen sicherheitsrelevante Aspekte streifen würden und sie darum nicht beantwortet werden könnten. Nur einige wenige Interviews wurden uns gewährt. Dass was trotzdem in den letzten zweieinhalb Jahren publik wurde, warf kein gutes Licht auf Alarmanlage, Vitrinenglas und Sicherheitsmanagement.
Geladen sind heute unter anderem der Mann, der die Sicherheitsanlage am Residenzschloss technisch plante - nennen wir ihn Herrn D. - und der Prokurist und Leiter für museale Sicherheit von DWSI – Herr P. Um es vorweg zu nehmen, nach ihren Aussagen sind wir sprachlos, ja entsetzt. Alle unsere Vermutungen haben sich bestätigt. Darüber hinaus ist die Mängelliste rund ums Schloss noch länger geworden. Die Aussagen bestätigen, wie blauäugig, naiv, ja beinahe fahrlässig die Verantwortlichen die Sicherheit im Historischen Grünen Gewölbe handhabten. Aber der Reihe nach...
Der 66-jährige Ingenieur Herr D. hat 2005 das Sicherheitskonzept am Schloss zumindest teilweise technisch geplant und umgesetzt. Er bekam den Auftrag dazu von den Staatlichen Kunstsammlungen und dem Sächsischen Bau- und Immobilienmanagement, mit denen er offensichtlich jahrelang eng zusammenarbeitet.
Herr D. macht im Gericht einen unvorbereiteten Eindruck. Auf detaillierte Fragen sagt er immer wieder: "Da müsste ich in der Akte nachschauen." Dabei hatte er diese aber nicht, und es scheinbar im Vorfeld seiner Zeugenbefragung auch nicht für notwendig erachtet, sich darin schlau zu machen. Oder sind das nur vorgeschobene Erinnerungslücken? Will Herr D. möglicherweise an der einen oder anderen Stelle keine genauen Angaben machen? Auf jeden Fall antwortet er oft ausweichend und vorsichtig. Nichtsdestotrotz bringen er und der DWSI-Mann P. einige unfassbare Details zur Sprache:
1. Es gab kein umfassendes Sicherheitskonzept am Schloss, nur Teilplanungen und einige Skizzen.
Wie wir aus unseren Hintergrundgesprächen mit Experten musealer Sicherheit wissen, ist ein aufeinander abgestimmtes Gesamtkonzept von fundamentaler Bedeutung. Darin werden mechanische Widerstände, elektronische Detektion und menschliches Agieren aufeinander abgestimmt. Es wird auch festgelegt, wie lange z.B. ein mechanischer Widerstand wie ein Gitter oder ein Fenster halten muss, bis Interventionskräfte vor Ort sind. Schwachpunkte z.B. bei der Alarmierung sollen in so einem Konzept durch Maßnahmen in anderen Bereichen ausgeglichen werden.
Sebastian Brose von der Firma "Vertrauen durch Sicherheit" (VDS) sagt darüber hinaus, dass so ein Gesamtkonzept regelmäßig evaluiert werden muss. "Unsere Richtlinien besagen, dass man ein Sicherheitsmanagement-Prozess etablieren muss und spätestens einmal im Jahr im Wege eines Reviews, einer Aktualisierung all dessen, was man in ein Sicherheitskonzept schreibt, überprüfen soll. Gibt es neue Bedrohungen, gibt es Schwachstellen, gibt es eventuell geänderte Täterarbeitsweisen? Und daraus kann man dann ableiten, wo muss ich neue Schutzmaßnahmen umsetzen, wo reicht vielleicht das Vorhandene nicht mehr aus." In Dresden hatte man weder ein umfassendes Sicherheitskonzept noch war festgeschrieben, in welchem Turnus man sich grundsätzlich mit der Sicherheit am Residenzschloss beschäftigt.
2. Der viel gelobte Scanner-Vorhang hatte große Löcher.
Bereits bei der Planung der Sicherheitsmaßnahmen im Außenbereich des Grünen Gewölbes wusste man, dass die Laser-Scanner nicht alle Fenster abdecken würden. Da man die Detektoren am Schloss aus ästhetischen Gründen in etwa 20 Meter Höhe angebracht hatte, sorgten Fassadenvorsprünge für tote Flecken und Winkel – vor allem im besonders sensiblen Erdgeschoss. Hier wurden einige Fenster übrigens gar nicht von den Scannern erfasst. Diese Fenster bekamen eine zusätzliche Sicherung per Lichtschranken.
Beim Einbruchfenster aber entschied man sich gegen diesen zusätzlichen Schutz. Begründung: Dieses Fenster werde von den Scannern nur teilweise nicht "gesehen". Herr D. spricht zunächst von einem "kleinen nicht abgedeckten Fleck". Im Laufe seiner Befragung wird klar, dass der kleine Fleck ein Drittel, eventuell sogar die Hälfte des angegriffenen Fensters ausmachte. In der Planungsphase wussten das alle Beteiligten. Man war offenbar der Meinung, dass das nicht schlimm sei, und das Gitter einen ausreichenden Schutz darstellte.
Womöglich war diese Annahme 2005 akzeptabel. Damals gab es bestimmte Technik noch nicht. Akkubetriebene Hydraulikscheren zum Beispiel. Mit solch einem Rettungsgerät ist höchstwahrscheinlich das Fenstergitter am Historischen Grünen Gewölbe zertrennt worden. 2005 hätte man solch ein Geräte mit einem Aggregat betreiben müssen. Aggregate sind laut und groß – also auffällig. Seit 2011 aber sind diese Geräte auch akkubetrieben auf dem Markt. Enorm stark, aber gut handhabbar und leise. Seitdem sind diese nicht frei verkäuflichen Spezialwerkzeuge deutschlandweit immer wieder bei Feuerwehren gestohlen worden. Es gab einen regelrechten Run auf die Technik.
Spätestens seit 2016 berichteten dann vermehrt Medien darüber, dass diese Werkzeuge zunehmend zum Knacken von Geldautomaten und Geldtransportern eingesetzt werden. Eine Entwicklung, die man in Dresden bei der turnusmäßigen Überprüfung eines Sicherheitskonzeptes hätte registrieren und darauf reagieren können. Hätte…
Später am Tag erzählt übrigens ein anderer Zeuge, ein Kriminalhauptkommissar, der beim zweimaligen Nachstellen der Tat in der Leitzentrale des Schlosses vor den Monitoren saß, dass die Diebe wahrscheinlich noch mehr Spielraum hatten. Bei den Tatnachstellungen im Dezember 2019 kletterten zwei Polizisten nachts an dem angegriffenen Fenster hoch, ohne dass ein Alarm losging. Auch als einer von beiden – immerhin 1,90 Meter groß – mit ausgestreckten Armen an der Schlossfassade entlang lief, passierte nichts. Wie war das möglich?
Wahrscheinlich hatte man es unterlassen, die Scanner von Tag- auf Nachtbetrieb umzustellen. Im Tagbetrieb begann die Überwachung wegen des Besucherverkehrs erst in einer bestimmten Höhe. Das hatten Ingenieur D. und DWSI-Mann P. in ihren Aussagen zugegeben. Zur genauen Höhe machen sie allerdings widersprüchliche Angaben. In einer im Gericht gezeigten Skizze ist aber eine Überwachungshöhe von 2,50 Meter eingezeichnet. Die Beobachtungen des Kriminalhauptkommissars legen nahe, dass das wohl die Höhe war, ab der die Scanner scharf gestellt waren. Erst. Auch nachts. Damit setzte der so wichtige Scanner-Vorhang wohl erst etwa in der Mitte der Erdgeschossfenster ein. Beim Außen-Schutz des Residenzschlosses verließ man sich demnach auf Zaun bzw. Mauer, jahrhundertealtes Fenstergitter und überalterte Überwachungskameras.
3. Die Videoüberwachung überließ vieles dem Zufall.
Im und am Residenzschloss arbeiteten über 300 Kameras. 20 davon im Außenbereich. Über die Qualität der gelieferten Bilder ist schon vieles gesagt worden. Nichts desto trotz, davon konnten wir uns bei Vorführungen im Gerichtssaal überzeugen, haben die Außenkameras zumindest in drei Nächten - u.a. in der Tatnacht - Aufnahmen gemacht, wie Männer über die Mauer am Residenzschloss klettern und sich eine ganze Weile im abgesperrten Bereich aufhalten. Warum hat das niemand bemerkt?
Die Aussagen von Zeugen D. und P. liefern dafür einige Erklärungsansätze. In der Leitzentrale des Schlosses gibt es insgesamt vier große Bildschirme, die wiederum geviertelt werden konnten. Auf diese Bildschirme kann man somit maximal 16 Kameras gleichzeitig aufschalten und deren Bilder beobachten. Welche Kameras das sind, ist teilweise festgelegt und wird teilweise von den jeweiligen Wachleuten selbst ausgewählt. Mehr oder weniger Glückssache also, ob gerade die Kamera im Blick ist, die etwas Verbotenes zeigt. Zeuge D. dazu: "Die haben die Mauer nicht präsent in der Leitzentrale." Zeuge P. formuliert: "Es kann sein, dass die Außenfassade in bestimmten Bereichen in einer Nacht gar nicht gesehen wurde."
Außerdem war das Überklettern teilweise nur sehr kurz im Bild, und die Kletterer nur als Schatten zu erkennen. Also, selbst wenn die entscheidenden Kameras im Augenblick der Aktionen in der Leitzentrale aufgeschaltet gewesen wären, hätten einem diese wenigen Sekunden in einer 12-Stunden-Schicht tatsächlich einfach durchrutschen können. Sicherheitsexperte Sebastian Brose meint dazu, dass man bei Videoüberwachung mit intelligenter Auswertetechnik arbeiten müsse. Es komme darauf an, Unregelmäßigkeiten mit Bildanalyse automatisch zu erkennen.
Der Bereich direkt vor dem Einstiegsfenster wurde übrigens von den Kameras gar nicht erfasst. Er lag komplett im Dunkeln. An der entscheidenden Stelle überschnitten sich also auf fatale Weise der tote Winkel der Scanner und der tote Winkel der Videotechnik. Ein Umstand, auf den man in der Planung eventuell hätte achten müssen.
4. Keine Außenkontrollen vorgesehen, Bewaffnung kurz vor Einbruch abgeschafft, Benachrichtigung der Polizei nicht verbindlich festgelegt und Alarmlicht eingespart.
Herr D. und Herr P. machen an diesem Gerichtstag noch weiter Angaben, zu durchaus diskussionswürdigen Sicherheitsentscheidungen rund ums Residenzschloss. Sie erzählen unter anderem, dass es nicht vorgeschrieben war, dass die Wachleute nachts im Außenbereich auf Streife gehen. Das wäre bei einer Besetzung mit zwei Mann pro Schicht wahrscheinlich auch gar nicht möglich gewesen. DWSI-Mann P. führt hierzu aus, dass seine Firma im Vorfeld des Einbruchs den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vorgeschlagen habe, die Mitarbeiterzahl in der Leitzentrale zu erhöhen. Es blieb bei dem Vorschlag.
Auch wie die Polizei im Falle eines Einbruchs zu informieren sei, ob per Alarmknopf oder per Telefonat, war nicht verbindlich festgeschrieben. Die DWSI-Mitarbeiter hatten die Wahl. Eine Wahl, die im Stress eines tatsächlichen Angriffs wertvolle Sekunden kosten kann. Am Tatmorgen entschied sich der diensthabende Wachmann, bei der Polizei anzurufen. Das Drücken des Knopfes wäre sicher schneller gegangen.
In der Planungsphase 2005 habe man sich im Historischen Grünen Gewölbe gegen das Einrichten eines durchaus üblichen Alarmlichtes entschieden. Solch ein Licht springt an, wenn im Objekt ein Alarm ausgelöst wird. In anderen Teilen des Residenzschlosses aber auch im Zwinger gibt es das teilweise. Im Historischen Grünen Gewölbe habe man stattdessen die Sicherheitsleute angewiesen, das Licht bei Einbruch einzuschalten. Einer der am Tatmorgen diensthabenden Wachmänner gab an, er hätte das unterlassen, um "Folgeschäden zu vermeiden".
Und noch ein spannendes Detail bringt dieser Verhandlungstag ans Licht. Ein Detail, um das es viele Spekulationen gab und nach dem auch wir immer wieder die Verantwortlichen gefragt hatten - die Bewaffnung der Wachleute. Herr P. sagt dazu aus, dass die Wachleute während des Einbruchs Zugriff auf Waffen gehabt hätten. Die Waffen lagerten in einem Safe in der Leitzentrale. Ein uns bereits bekannter Fakt. Doch was der Zeuge danach erwähnt, war für uns neu.
Demnach trugen die Sicherheitsmitarbeiter bis zum 3. Oktober 2019 – also bis nicht mal zwei Monate vor dem Einbruch – Schusswaffen am Mann bzw. der Frau. Tagsüber und nachts. Diese permanente Bewaffnung wäre auf Ansinnen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und des LKA aufgegeben worden. Die Begründung für diesen Schritt sei gewesen, dass man die Waffen sowieso nicht im Publikumsbereich einsetzen könne. Warum man auch nachts auf eine Bewaffnung verzichtet habe, wisse P. nicht.
Für uns machen die Befragungen im Gerichtssaal heute einmal mehr und erschreckend deutlich, dass der Staatsschatz Sachsens alles andere als gut verwahrt war. Im Gegenteil, wenn man es zugespitzt formulieren will, standen im angeblichen "Fort Knox von Dresden" die Türen der Schatzkammer sinnbildlich ziemlich offen.
12. April 2022: In der Notaufnahme statt am Tatort?
Spannend ist für uns an diesem Tag wieder mal etwas Ungeplantes. Gleich morgens - noch bevor der erste Zeuge aufgerufen wird - geben die Rechtsanwälte von Ahmed Remmo eine Stellungnahme ab. Sie erklären, dass ihnen letzten Donnerstag von der Staatsanwaltschaft entlastende Umstände mitgeteilt worden seien. Demnach hätte die Soko Epaulette Indizien dafür ermittelt, dass sich ihr Mandant am Tatmorgen womöglich in Berlin-Neukölln in der HNO-Abteilung des Vivantes-Krankenhauses aufgehalten habe. Es gebe Belege, dass er sich dort kurz vor Mitternacht mit seiner Krankenkassenkarte angemeldet habe und um 2:46 Uhr sein Arztbrief ausgedruckt wurde.
Auch Fotos aus dem Wartezimmer sollen existieren. Aufgenommen wohl von der Freundin des Angeklagten, womöglich gepostet auf Instagram. Hat Ahmed Remmo also ein Alibi für die Tatnacht? Laut Anklageschrift sollen die Einbrecher am 25. November 2019 bereits um 1:34 Uhr in Berlin gestartet und um 3:41 Uhr in Dresden angekommen sein. Wenn Ahmed R. in einem der Tatfahrzeuge saß, hätte zumindest jemand anderes für ihn den Arztbrief entgegennehmen müssen.
Was ist über Ahmed Remmo bekannt?
Ahmed wurde neben Wissam Remmo im Gold-Münzen-Prozess in Berlin rechtskräftig verurteilt. Zu viereinhalb Jahren. Damals nach Jugendstrafrecht. Darum saß er vor Prozessbeginn in Dresden im Berliner Jugendstrafvollzug. Seine Anwälte hatten bereits zum Auftakt im Grüne-Gewölbe-Prozess behauptet, dass es hier für ihren Mandanten am Ende einen Freispruch geben werde. Sie begründeten das in ihren Open Statements damit, dass es keine validen Beweise für seine Tatbeteiligung gäbe.
Einziger objektiver Beweis sei eine DNA-Mischspur aus einem der Tatfahrzeuge. Dieser Mercedes wäre aber sechs Monate im Besitz der Großfamilie gewesen. Die Spur könne vor oder nach dem Einbruch dort entstanden sein. Daneben gäbe es nichts - nur ein von der Dresdner Polizei erzeugter Scheinbeweis. Gemeint hatten sie damit eine Geruchsspur Ahmeds, die ein sogenannter Mantrailer-Hund anderthalb Jahre nach dem Einbruch auf dem Theaterplatz erschnüffelt hat. Die Verteidiger werteten diese Spur als "kriminalistische Esoterik".
Erneut abgetrennte Verhandlung gefordert
Die Verteidiger fordern nach ihrer Erklärung zum möglichen Alibi, dass der Prozess gegen ihren Mandanten von dem gegen die anderen fünf Angeklagten abgelöst wird. Sie kritisieren darüber hinaus, dass es angeblich eine illegale Befragung von Ahmed R. in der Justizvollzugsanstalt gegeben habe. Dabei hätte ein JVA-Bediensteter versucht, etwas zum Rauchverhalten des Angeklagten herauszubekommen, ohne dass dieser wusste, dass seine Antwort im Prozess verwendet werden könnte.
Staatsanwalt Christian Weber weist den Vorwurf, eine illegale Befragung in der JVA angeordnet zu haben, weit von sich. Er informiert darüber, dass es derzeit noch keine Antwort aus den USA zu den Instagram-Fotos gäbe und merkte an, dass er nicht verstehe, warum die Verteidigung überrascht darüber sei, dass seine Behörde auch entlastendes Material sammle. Dazu seien Polizei und Staatsanwaltschaft schließlich verpflichtet. Weber kündigt für den nächsten Verhandlungstag eine Stellungnahme zu dem gesamten Vorgang an.
Kleinteilige Zeugenbefragungen
Danach gestaltet sich der Verhandlungstag etwas zäh. Insgesamt acht Zeugen werden vernommen - eine Passantin, zwei Feuerwehrmänner, ein Ingenieur vom Straßen- und Tiefbauamt Abteilung Brückenbauwerke und vier Polizisten. Es ging vor allem um den Brand im Pegelhaus, der dafür gesorgt hatte, dass die Straßenbeleuchtung am Tatmorgen rund um das Residenzschloss ausfiel.
Wann wurde der Brand erstmalig wahrgenommen? Wie gefährlich und wie aufwendig war es, ihn zu löschen? Welche Schäden sind bei dem Brand entstanden? Wurde der Brand gelegt und wenn ja, wie sind die Brandstifter in das zweistöckige Gemäuer seitlich der Augustusbrücke eingedrungen? Kleinarbeit im Rahmen der Beweisaufnahme. Und für uns ein eher unspektakulärer Verhandlungstag mit überraschendem Auftakt.
19. April 2022: Sicherheit im Grünen Gewölbe - Wer war verantwortlich?
Heute sind zwei für uns sehr interessante Zeugen geladen. Zum einen Dirk Syndram, der ehemalige Direktor des Grünen Gewölbes. Er war seit 1993 in dieser wichtigen Funktion. Zum anderen Michael John, der seit 30 Jahren für die Sicherheit bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) zuständig ist. Wir erhoffen uns von diesem Tag Erkenntnisse zu den bekannt gewordenen eklatanten Sicherheitsmängeln rund ums Dresdner Residenzschloss.
Syndram: Diamanten heute unverkäuflich
Zuerst wird Dirk Syndram befragt. Der Direktor a.D. wird von einem Rechtsanwalt als juristischem Beistand begleitet und tritt selbstbewusst auf. Er präsentiert sich mit lässig um den Hals geworfenem Schal und gelber Krawatte. Syndram erzählt davon, dass es in den 1990er Jahren seine Aufgabe gewesen sei, das Grüne Gewölbe zu rekonstruieren und die Schmuckstücke zeitgemäßer darzubieten. Die Trennung von Historischem und Neuem Grünen Gewölbe sei seine Erfindung gewesen, betont er stolz. Der Mann gibt sich als Kunsthistoriker, der von Sicherheitsfragen keine Ahnung habe. Trotzdem hätte er in der Planungsphase 2005 immer wieder "optimale Sicherheit gefordert" – auch und vor allem in konservatorischer Hinsicht. Bei den so genannten Nutzergesprächen mit dem Sächsischen Bau- und Immobilienmanagement (SIB), das für Bau und technische Ausstattung des Schlosses verantwortlich ist, habe er diesbezüglich auch alles durchgefochten. In den Jahren nach der Eröffnung des Historischen Grünen Gewölbes 2006 sei er "nie auf Sicherheitsdefizite hingewiesen worden."
"Kunsthistoriker, kein Sicherheitsexperte"
Das Gericht befragt Dirk Syndram aus unserer Sicht überraschenderweise kaum zum Sicherheitskonzept. Stattdessen geht es nochmal um den Wert der gestohlenen Schmuckstücke, um die Bedeutung des Grünen Gewölbes. Syndram erwähnt in diesem Zusammenhang, dass die Juwelengarnituren so etwas wie Weltkulturerbe gewesen seien, weil es sie in der Geschlossenheit wie in Dresden sonst nirgends gegeben hätte. Die Verwertbarkeit der Steine für Kriminelle sieht er hingegen kritisch. Die Steine waren zu Zeiten August des Starken zwar enorm teuer - allein der Sächsische Weiße habe damals 200.000 Taler gekostet, der Bau der Frauenkirche im Vergleich 280.000 Taler. Aber heute wäre das anders. Die Diamanten und Brillanten hätten viele Einschlüsse, sind leicht gelblich oder grau. Syndram sagt: "Heute sind die Steine wohl unverkäuflich, heute würde man daraus wohl Industriediamanten machen."
Zum Tatmorgen gibt Syndram an, dass er von den Wachleuten telefonisch über den Diebstahl informiert worden sei. Er habe sich danach gefragt, wie die Täter durch die Tür gekommen seien, weil er sich etwas anderes nicht habe vorstellen können. War der Mann wirklich so naiv? Und gehört zu den Aufgaben eines Direktors nicht auch die Sicherheit der ihm anvertrauten Kunstwerke im Blick zu haben? Syndram betont vor Gericht: "Ich bin Kunsthistoriker, kein Experte für Sicherheit." Außerdem erklärt er, dass es "…die Politik des Freistaates Sachsen gewesen sei, die Schmuckstücke nicht zu versichern. Man hätte sie natürlich versichern können, aber man habe sich entschieden, sie stattdessen zu sichern." Wie gut das funktioniert hat, weiß jetzt jeder.
John: emotionalerer Auftritt vor Gericht
Im Anschluss geht Sicherheitschef Michael John in den Zeugenstand. Auch ihm steht der Rechtsanwalt zur Seite. John wirkt aufgeregter, emotional stärker involviert. Uns kommt Johns Auftritt mitunter wie eine Verteidigung vor, wie der Versuch, sich zu rechtfertigen. Durch seinen Eifer kommt es zu einer skurrilen Situation. John sagt zu einer der beisitzenden Richterinnen, dass er die Frage anders formulieren würde. Dass ein Zeuge das Gericht korrigiert, ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang.
John betont mehrmals, dass es nicht eine Person gäbe, die für die Sicherheit am Schloss zuständig sei. Hier wären mehrere Parteien in der Verantwortung und ein Großteil der Betreiberaufgaben seien auf Grundlage der RLBau Sachsen an die Hochbaufirma SIB übergegangen. Die habe die Planungshoheit gehabt und das Planungsteam zusammengestellt. Der Ingenieur, der die Sicherheitsanlage technische geplant und umgesetzt habe, sei auch von der SIB beauftragt worden. Die SKD und er selbst seien hingegen nur teilweise bei den Planungsrunden dabei gewesen.
Sicherheitsexperte weiß auf viele Fragen keine Antwort
In seiner Aussage erwähnt John mehrmals zwei Sitzungen, die zwischen SKD und SIB stattgefunden haben. 2002 und 2005 sei festgestellt worden, dass wegen Gebäude-Unregelmäßigkeiten nicht alle Flächen durch den virtuellen Scanner-Vorhang abgedeckt werden könnten. 2005 habe man daraufhin festgelegt, dass diese Flächen mit anderen Maßnahmen abgesichert werden müssten. Darüber gäbe es auch eine Protokollnotiz. John wörtlich: "Ich habe mich darauf verlassen, dass die SIB das genauso umsetzt, wie das in der Notiz festgelegt wurde. Wenn ich gewusst hätte, dass das nicht passiert ist, dass es an dem Fenster eine Lücke gibt, hätte ich sofort gehandelt." Zu anderen Fragen gibt sich John unwissend. So könne er nicht sagen, in welcher Höhe genau die Scanner-Überwachung an der Außenfassade begann. Ein für die Sicherheit im Schloss kein ganz unwichtiger Aspekt. Warum im Historischen Grünen Gewölbe kein Alarmlicht eingebaut wurde, weiß der Sicherheitschef auch nicht.
Wachleute ohne Schusswaffen ab Oktober 2019
In seiner weiteren Zeugen-Befragung geht es um viele Teilaspekte. Die Bewaffnung der Wachleute etwa. John sagt, dass die Bewaffnung 2019 von den SKD – also seinem Arbeitgeber - zur Diskussion gestellt worden sei. Man habe beim Landeskriminalamt gefragt, ob Schusswaffen im öffentlichen Bereich überhaupt genutzt werden könnten. Nach einigen Diskussionen habe man sich gegen den weiteren Einsatz von Schusswaffen entschieden. Ab Oktober 2019 waren die Wachleute ohne Schuswaffen unterwegs.
Wie sich die Wachmänner in den verschiedenen Szenarien verhalten sollen, schrieb laut John eine 80-seitige Dienstanweisung vor. Dort wäre unter anderem festgelegt gewesen, dass die Sicherheitsleute bei einem Einbruch den Alarmknopf drücken müssen, statt zum Telefon zu greifen. Auch dass die Wachmänner bei einem Einbruch das Licht anschalten müssen, hätte in der Dienstanweisung gestanden. Praktische Übungen aber, wie man im Fall der Fälle agieren muss, das gab John zu, habe es in 13 Jahren nicht einmal gegeben. Die hätten aber auch im Verantwortungsbereich der Sicherheitsfirma DWSI gelegen. DWSI habe stattdessen theoretische Schulungen gemacht. Die hätten tatsächlich stattgefunden. Da gäbe es Protokolle.
Ernüchternder Prozesstag
Der Tag hat uns ernüchtert. In unseren Recherchen in den letzten zweieinhalb Jahren hatten wir immer wieder den Eindruck, dass sich die verschiedenen Verantwortlichen und Institutionen gegenseitig den schwarzen Peter im Fall Grünes Gewölbe zuschieben. Dieser Eindruck hat sich heute erneut bestätigt. Keiner hatte die Gesamtverantwortung für die Sicherheit des sächsischen Staatsschatzes, niemand gesteht Versäumnisse ein oder hat etwas falsch gemacht. Von Konsequenzen oder gar Rücktritt war auch nie die Rede. Besonders bitter: Laut Aussage eines von uns befragten Richters, können sich die Tatumstände bei der Festlegung des Strafmaßes durchaus auswirken. Das heißt konkret, wenn den Tätern bei einem Diebstahl das Eindringen eher leichtgemacht wird, kann das am Ende eine kürzere Haftzeit bedeuten.
22. April 2022: Zigarettenstummel, Kaugummis und Schuhabdrücke: akribische Spurensuche am Grünen Gewölbe
Heute geht es vor allem um die Spurensicherung am Tatort. Dazu sagten drei Kriminalhauptkommissarinnen aus. Es waren interessante Einblicke in die Polizeiarbeit. So haben sich die Spurensicherer von der Schinkelwache am Theaterplatz über die Straße vor dem Schloss (Sophienstraße) in einem großen Radius immer weiter auf die Schlossfassade zubewegt. Akribisch sammeln sie alles ein, was irgendwie im Zusammenhang mit dem Einbruch stehen könnte: mehr als 40 Zigarettenkippen, dazu Streichhölzer, Kronkorken, Kaugummis, Glassplitter, Nussschalen, Papierschnipsel, Taschentücher, Textilfasern. Neben diesen Fundstücken werden farblich auffällige Anhaftungen an der Überstiegsmauer, der Fassade und dem Einbruchsfenster untersucht und per Abkleben DNA-Spuren ermittelt. Am Ende sind es insgesamt 746 Spuren in und am Schloss.
360°-Tatort: Technik für die Ermittlungen
Eine Kriminalbeamtin bringt auf ihrem Laptop eine 360° Panoramatour mit. Die wurde am Tattag mit einer speziellen Kugelkamera erstellt und ermöglicht einen Rundumblick sowohl außen vor dem Residenzschloss als auch innen. Darin sind alle Spuren markiert und über einen Klick können die dazugehörigen Beschreibungen abgerufen werden. Das ist ein gutes Arbeitsmittel, um über den langen Ermittlungszeitraum immer wieder den betreffenden Mitarbeitern einen Überblick über Tatort und Spuren zu geben. Gut zu erkennen ist auf dieser Präsentation auch der Zustand der Vitrine unmittelbar nach dem Angriff. Die vergleichsweise wenigen Schläge reichten aus, um in die Vitrine insgesamt drei große Löcher zu schlagen. Über die Qualität dieses Sicherheitsglases wird sicher noch zu reden sein.
Auch Schuhabdruckspuren wurden im Schloss und unterhalb des Einstiegsfensters festgestellt und konnten den Herstellermarken Boss und Nike zugeordnet werden – allerdings sehr gebräuchliche Schuhmodelle.
Manipuliertes Fenstergitter mit Klebeband getarnt
Spannende Informationen gibt es auch zum Einbruchsfenster. Das Loch im Gitter war genau 43 cm hoch und 61 cm breit. Dieses Gitterelement wurde schon Tage vor dem Einbruch mit einem Hydraulischen Schneidegerät rausgetrennt, welches blaue Farbspuren an der Schlossfassade hinterlassen hatte. Das Gitter wurde provisorisch wiedereingesetzt und mit Klebeband befestigt. Damit das nicht auffällt, haben die Täter es mit grauschwarzer Farbe gestrichen. Auch von dieser Farbe fanden die Ermittler Spuren. Das Fenster selbst ist offensichtlich mit einem hydraulischen Rettungszylinder aufgedrückt worden – auch ein Gerät, das normalerweise nur von Feuerwehren genutzt wird.
Anfang Mai wird es noch einmal um die sichergestellten Spuren gehen, denn an der Überstiegsmauer gab es DNA-Spuren, die zwei Angeklagten zugeordnet werden konnten.
26. April 2022: Der Tiefgaragenbrand – ein wenig beachteter Aspekt
An diesem Prozesstag geht es ausschließlich um den Brand in der Tiefgarage Kötzschenbroder Straße 8-16. Wie man heute weiß, gelegt höchstwahrscheinlich von den Dieben, wohl um Spuren an ihrem Tatfahrzeug zu vernichten. Insgesamt sind sechs Zeugen geladen, drei davon aktuelle oder ehemalige Mieter in dem Wohnkomplex. Der Brand hat die Medien bisher weniger beschäftigt. Auch wir sind in unseren Filmen und Beiträgen darauf eher am Rande eingegangen. Der Einbruch stand im Vordergrund, die kostbare Beute, die Täter und ihr Milieu, die Sicherheitsmängel am Schloss und die dafür Verantwortlichen. Im Prozess aber spielt der Brand keine unwesentliche Rolle, wird am Ende eventuell sogar das Strafmaß bestimmen. Die Staatsanwaltschaft will den Angeklagten hier besonders schwere Brandstiftung nachweisen. Die Höchststrafe dafür wären 15 Jahre Haft. Und damit fünf Jahre mehr als maximal möglich für den Einbruch ins Grüne Gewölbe. Dafür müssen aber bestimmte Tatmerkmale erfüllt sein. Zum Beispiel, dass der Täter in der Absicht handelte, eine andere Straftat zu verdecken oder dass durch den Brand ein Mensch in Todesgefahr gebracht wurde.
Nur noch mit Panik in den Keller
Die erste Mieterin, die auftritt, wirkt mitgenommen, emotional angefasst. Während sie vom 25. November 2019 erzählt, dreht sie nervös die Schutz-Maske in ihrer Hand. Am Tatmorgen war die Frau um kurz nach 5 Uhr auf dem Weg zur Arbeit. Sie verließ ihre Wohnung und ging in die Tiefgarage in dem Augenblick, als sich der Brand ausbreitete. Als die 59-Jährige die Tiefgarage betrag, sprang nur die Notbeleuchtung an. Sie wunderte sich, auch weil es nach Feuer roch, erzählt sie. Trotzdem ging die Frau weiter Richtung Auto. Zeugin H. war damals Selbstständige und immer als erste in ihrem Geschäft. Sie wollte unbedingt auf Arbeit. Noch bevor die Frau ihr Auto erreichte, sprang allerdings die Alarmanlage eines anderen Wagens an, dann löste ein Rauchmelder aus. Jetzt sah die Zeugin auch schwarzen Qualm und wie sich das Brandschutztor zwischen den beiden Garagenhälften schloss. Als sie eine Explosion wahrnahm, rannte sie in Panik aus der Garage. Im Gericht geht es eine Weile darum, ob die Zeugin die Explosion direkt gesehen hat oder "nur" um die Ecke. Ein Verteidiger hakt immer wieder nach, weil es geringe Widersprüche zwischen der Aussage heute und der Vernehmung bei der Polizei gibt. Irgendwann beendet der Richter die Fragerei mit dem Hinweis, dass es nach so langer Zeit normal sei, dass es leichte Abweichungen gäbe und die Kammer diese, falls notwendig, würdigen würde.
Zeugin H. erzählt noch, wie stark der Innenhof der Wohnanlage verqualmt war, dass sie dort auch Flammen aus den Lüftungsschächten der Tiefgarage gesehen und weitere drei oder vier Knallgeräusche gehört habe. Die Frau ist inzwischen umgezogen, leidet aber immer noch unter Panik, wenn sie in ihren Keller muss. "Ich habe dann immer ein ganz komisches Gefühl."
Die Tiefgarage – noch immer nicht nutzbar
Eine andere Mieterin erzählt dem Gericht, dass sie am Tatmorgen mit ihrem Auto aus der Tiefgarage fahren wollte, als direkt vor dem Rolltor ein anderes Auto stand – ein weißer Audi, glaubt Zeugin K. Als sie mit einem Strick das Tor öffnete, sei der Wagen gleichzeitig mit ihr losgefahren. Das war ungewöhnlich, normalerweise würde der Einfahrende immer warten. Die 61-Jährige hätte zu tun gehabt, dass es nicht zu einem Zusammenstoß kommt und darum nicht auf die Insassen des Wagens geachtet.
Zeugin K. erzählt weiter, dass die Tiefgarage zweieinhalb Jahre nach dem Brand noch immer gesperrt sei. Laut Anklageschrift soll darin ein Schaden von 420.000 Euro entstanden sein, bei den Fahrzeugen ein Schaden von mehr als 170.000 Euro. Neben dem Tatfahrzeug brannten drei Autos komplett aus, 61 Pkw wurden beschädigt. Die Mieter, so die Zeugin, könnten die Garage nach wie vor nicht nutzen und müssten jeden Tag um die in der Gegend raren Parkplätze kämpfen. Ein Ärgernis, wie uns bei einem Dreh auf der Kötzschenbroder Straße auch andere Mieter bestätigen. Sie berichten durchaus genervt, dass Hausverwaltung und Vermieter die langwierigen Arbeiten mit neuen Bau- und Brandschutzvorschriften erklären. Die Kommunikation dazu sei allerdings schlecht und sie erführen wenig. Überhaupt fühlten und fühlen sich die Anwohner nach dem Brand mit ihren Problemen allein gelassen. Einige von ihnen haben zum Beispiel nicht den kompletten Schaden an ihren Autos ersetzt bekommen.
Der 92-jährige Henry Pietsch etwa musste nach dem Totalschaden an seinem Auto 4.500 Euro aus der eigenen Tasche für einen neuen Wagen draufzahlen. Anderen fiel es schwer, den Brand psychologisch zu verkraften. Damit ihre Situation mehr Beachtung findet, hat Rentner Pietsch sogar an Bürgermeister, Innenminister und Staatsanwaltschaft geschrieben. Nur die Staatsanwaltschaft hätte geantwortet. Fakt ist, dass im Innenhof des Komplexes derzeit zwei Bereiche mit Absperrband gesichert sind. Dort werden zwei neue Lüftungsschächte gebaut. In einem Aushang von April 2022 informiert die Hausverwaltung: "Aufgrund der erneuten behördlichen Einbindung kann ein exakter Termin zur Wiedereröffnung der Tiefgarage heute leider nicht vorhergesagt werden."
Mieter: "Sogar das Hochzeitskleid mussten wir wegschmeißen"
Am Nachmittag wird ein weiterer Mieter gehört. Er und seine Frau wohnten in einer Erdgeschosswohnung in der Anlage und schliefen immer bei offenem Fenster. Am 25. November morgens wurde der Mann von seinem Schwager, der zu Besuch war, geweckt. Die Wohnung wäre voll schwarzem Rauch gewesen, der über die Tiefgaragen-Lüftungsschächte vor Terrassentür und Küchenfenster, aus der Toilette und dem Versorgungsschacht im Bad eindrang. Zeuge W. sei verwirrt gewesen. Es sei ihm nicht gut gegangen. Sein Schwager habe ihn rausgeschleppt. Alle drei, so der 45-Jährige, hatten Husten und gingen deswegen noch am selben Tag zum Arzt. Sie wollten abklären, ob alles in Ordnung sei. Der Arzt hätte ihre Lungenleistung getestet und bei seiner Frau und ihm "Missstände" festgestellt. Die sollten sie beobachten und wiederkommen. Da nach etwa einer Woche der Husten weg war, seien sie aber nicht nochmal hingegangen.
W. büßte durch den Brand sein Auto ein, das einen Totalschaden hatte. Dafür wäre aber die Versicherung aufgekommen. Der Mann erzählt auch, dass auf den Gegenständen in seiner Wohnung eine klebrige Masse war. Etliches hätten sie wegschmeißen müssen - auch das Hochzeitskleid seiner Frau, das fürchterlich gestunken habe. Genauso wie die gesamte Wohnung. Und zwar monatelang. Da der Vermieter nichts dagegen unternommen habe, sei W. nach sechs Monaten ausgezogen.
Polizist spricht über enorme Schäden in der Tiefgarage
Neben den Mietern sagen auch ein Postbote, ein Polizist und ein Feuerwehrmann aus. Der Polizeibeamte war am Tattag in der Tiefgarage und bestätigt enorme Schäden. Man habe recht schnell in einer Ecke einen Audi mit offenen Türen gefunden, der ein gestohlenes Kennzeichen hatte und stillgelegt war. Im Kofferraum hätten er und seine Kollegen ein Stemmeisen, einen Feuerlöscher und ein Behältnis entdeckt. So lag der Verdacht nahe, dass es einen Zusammenhang zum Einbruch ins Grüne Gewölbe gibt. Der Postbote konnte sich zweieinhalb Jahre nach dem Ereignis kaum noch an seine Aussage bei der Polizei erinnern. Der Feuerwehrmann berichtete über mindestens 40 Einsatzkräfte mit zwei Löschzügen und einem Umweltschutzzug. Seiner Meinung nach könnten die Explosionsgeräusche, die die Zeugin gehört hatte, von geplatzten Autoreifen stammen. Das sei normal bei der Hitze. Das hätte er schon oft erlebt. In den von der Feuerwehr kontrollierten Treppenhäusern sei keine Verrauchung festgestellt worden. Allerdings war die Rauchentwicklung draußen sehr stark. Deswegen und wegen der notwendigen Handlungsfreiheit wurde vorübergehend der Radweg an der Elbe gesperrt.
An diesem Tag wird nochmal deutlich, wie komplex dieser Fall ist mit drei Tatorten in Dresden, sechs Angeklagten und 40 Personen, gegen die noch ermittelt wird. Nach den Aussagen heute scheint uns offenkundig, dass die Täter in der Wohnanlage Kötzschenbroder Straße zumindest die gesundheitliche Gefährdung der Mieter billigend in Kauf genommen haben. Ob das am Ende für eine Verurteilung wegen besonders schwerer Brandstiftung reicht, bleibt abzuwarten.
10. Mai 2022: Eine überraschende Verhaftung und ein souveräner Gutachter
Die entscheidende Nachricht zum Prozess erreicht uns heute erst, wie alle anderen Medienvertreter auch, als die Verhandlung bereits beendet ist und wir gerade wieder in der Redaktion sitzen. Per Pressemitteilung teilt die Staatsanwaltschaft mit: Jihad R. – der Bruder eines der Angeklagten – ist am Rande des Prozesses verhaftet worden. Das Ganze passierte unbemerkt von Journalisten und der Öffentlichkeit.
Völlig überraschend aber kommt die Festnahme nicht. Der 22-jährige Jihad verfolgte bis heute fast jeden Prozesstag als Zuschauer. Er kam zumeist in einer kleinen Gruppe von anderen Mitgliedern der Familie Remmo und mit Freundinnen der Angeklagten. Bereits am 2. Prozesstag, dem 11. Februar, gab es Diskussionen darum, ob Jihad im Saal anwesend sein darf. Der Grund: Gegen ihn wurde schon zu diesem Zeitpunkt ermittelt. Daraufhin bat Richter Andreas Ziegel den jungen Mann in der Mittagspause zu einem Vieraugen-Gespräch. Danach entschied Ziegel, dass Jihad im Gericht bleiben dürfe, weil er sowieso nicht im Prozess aussagen werde und damit auch nicht zu befürchten sei, dass seine Aussage durch das in der Verhandlung Gehörte verändert würde.
Teilgeständnis führt zur Verhaftung
Nun also die Festnahme. Die Staatsanwaltschaft erklärt am Nachmittag in einem Interview, dass Jihad vorgeworfen wird, "die Tat der sechs Hauptangeklagten umfassend mit vorbereitet und geplant zu haben in Kenntnis des gesamten Tatplans." Außerdem sagt Pressesprecher Jürgen Schmidt: "Der dringende Tatverdacht gegen diesen Beschuldigten konnte im Zuge weiterer umfangreicher Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dresden und der SOKO Epaulette begründet werden. Nicht unmaßgeblich zur Begründung dieses dringenden Tatverdachts beigetragen hat dabei eine Aussage eines der Angeklagten vom 29. März 2022."
Gemeint ist hiermit das Teilgeständnis eines der Angeklagten. Darin hatte dieser zugegeben, dass er in der Tatnacht in Berlin von der Polizei gestoppt worden sei. Er sei in einem Auto gemeinsam mit anderen Tatbeteiligten auf dem Weg nach Dresden gewesen - zum Einbruch. Die Polizisten hätten seine Personalien festgestellt und im Kofferraum Einbruchswerkzeug gesehen. Nach der Kontrolle habe der Geständige kalte Füße bekommen und sei angeblich aus dem Coup ausgestiegen. Wer noch im Wagen saß bzw. wer ihn für den Diebstahl angeworben habe, verriet der Teilgeständige nicht. Nur einen Namen nannte er in seiner Erklärung - den von Jihad. Der hätte den in Berlin gestoppten Wagen gefahren. Das Teilgeständnis war damit eine Steilvorlage für die Staatsanwaltschaft und ein Bärendienst für Jihad.
Ob gegen Jihad R. Anklage erhoben werden kann, wird die Zukunft zeigen. Sollte es dazu kommen, wird der Prozess wieder vor einer Jugendkammer und losgelöst vom aktuellen Verfahren stattfinden. Der 22-Jährige sitzt derzeit in Untersuchungshaft.
DNA-Spuren am Tatort von fast allen 6 Angeklagten
Vor der Aufregung um die Verhaftung tritt an diesem Tag im Prozess ein Sachverständiger auf. Dr. Nixdorf leitet beim LKA Sachsen den Fachbereich DNA-Analytik. Er erzählt, dass von seiner Abteilung im Fall Grünes Gewölbe allein am Residenzschloss Dresden 1.000 DNA-Proben geprüft wurden. Die Erstellung seines Gutachtens habe elf Monate gedauert. Für den Fall relevant seien die Spuren, die seine Kollegen vor dem Einbruchsfenster und an der Schlossmauer gefunden haben. 122 Proben seien es dort insgesamt gewesen, zwölf davon waren verwertbar. Von den verwertbaren Spuren könne er fünf mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vier der Angeklagten zuordnen.
Die Übereinstimmungs-Wahrscheinlichkeit, so der Sachverständige, liege einmal bei eins zu einhundert Trilliarden, einmal bei eins zu einer Trilliarde und einmal bei eins zu zehn Trillionen. Bei solchen Wahrscheinlichkeiten spreche man davon, dass der Spurverursacher erwiesen sei. Damit steht fest, dass vier Angeklagte irgendwann im November die Schlossmauer vorm Einstiegsfenster berührt haben müssen. Wann genau das war, kann Nixdorf nicht sagen. Denn DNA-Spuren können im Freien bei trockenem und kühlem Wetter ein bis zwei Wochen überleben. Der Sachverständige führt weiter aus, dass es bei einer Mischspur sein könne, dass sie vom fünften Angeklagten stamme. Nur bei einem Angeklagten, dem sechsten jungen Mann, habe das LKA keine DNA-Übereinstimmung gefunden.
Der Sachverständige Nixdorf tritt ruhig und überzeugend auf. Er beantwortet die Fragen der Rechtsanwälte unaufgeregt und mit großer Sachkenntnis. Er erklärt, wie die DNA-Spuren am Tatort abgenommen werden und wie die Auswertung im Labor erfolgt. Eine Information prägt sich uns besonders ein: Laut Nixdorf müssten zwei Menschen 17 Millionen Mal ein Kind zeugen, um zwei DNA-Gleiche zu zeugen.
Spannende Details zur Vorgeschichte des Audi S6
Am Schluss des Verhandlungstages sagt noch eine Kriminalhauptkommissarin aus. Sie berichtet von den Ermittlungen der SOKO zum Verkauf eines der Tatfahrzeuge. Der Audi S6 gehörte zuletzt einem Magdeburger, der den Wagen stillgelegt hatte und zum Basteln und Schrauben benutzte. Nach zwei Jahren habe er sich entschieden, das Auto zu verkaufen und es auf einer Internetverkaufsseite und bei Facebook angeboten. Daraufhin habe sich bei ihm ein Autohändler gemeldet. Man habe sich auf eine Summe geeinigt und den Verkauf für einen Augusttag 2019 verabredet. Doch der angekündigte Mitarbeiter des Autohändlers ließ an dem Tag auf sich warten – mehr als vier Stunden.
Der Besitzer des Audis habe seine Freundin gebeten, den Verkauf für ihn abzuwickeln, da er am nächsten Tag früh raus gemusst habe. Gegen 22:30 Uhr sei ein junger, sehr schlanker, südländisch aussehender Mann zu Fuß erschienen. Dieser habe kaum Deutsch sprechen können und das Auto bar bezahlt. Später wurden die Angaben jener Freundin des Autobesitzers zur Erstellung eines Phantombildes genutzt.
31. Mai 2022: DNA und Mikro-Splitter - eindrucksvolle Kriminaltechnik
Dieser Prozesstag beginnt mit einem Nachtrag zur Verhaftung eines siebten Tatverdächtigen am 10. Mai 2022. Damals wurde zeitgleich die Berliner Wohnung des Festgenommen durchsucht, wo die Polizei sein Tablet sicherstellte. Auf dem befanden sich die kompletten Ermittlungsakten. Eigentlich unglaublich, denn darauf haben nur das Gericht, die Staatsanwälte, die Verteidiger und die Angeklagten Zugriff.
Das brennende Beweisstück
Doch auch der Mercedes, der als Taxi umgestaltet wurde und als Fluchtfahrzeug nach Berlin diente, ist heute Thema. Das Auto war mit einem gefakten Dresdner Nummernschild von der automatischen Kennzeichen-Erfassung (KESY) auf der A13 registriert worden. Ein Berliner Polizeioberkommissar erläutert als Zeuge, wie das Fahrzeug später in Berlin aufgefallen sei. Ohne Taxikennung und mit inzwischen falschem Berliner Kennzeichen war das Auto mit offener Seitenscheibe in einem Wohngebiet abgestellt worden. Das fiel einer Bewohnerin auf, die die Polizei informierte.
Der Mercedes wurde drei Wochen nach der Tat zu einem Sicherstellungsgelände der Polizei in Berlin-Biesdorf gebracht. Immer wieder gehen dort aber Fahrzeuge in Flammen auf, weil offensichtlich Spuren vernichtet werden sollen. Auch der Mercedes wurde am 25. Dezember 2019 dort angezündet, nachdem das Navi herausgerissen worden war. Allerdings konnte er rechtzeitig gelöscht werden, sodass nur geringe Brandschäden entstanden. Glück für die Dresdner Ermittler, denn ein Rest Taxifolie am Fahrzeug führte die Berliner Beamten zum Dresdner Einbruchsfall. Nach dem vermeintlichen Fluchttaxi war zuvor überregional gefahndet worden.
Spurensicherung: Vitrinensplitter im vermeintlichen Taxi
Spannend sind dann auch die Schilderungen einer Dresdner Polizistin, wie der Mercedes nach Dresden gebracht wurde, um hier alle verbliebenen Spuren zu sichern. Es gab Fotos, auf denen das Auto komplett mit Folie umwickelt war, sogar die Räder waren einzeln eingepackt. In Dresden befasste sich dann die Kriminaltechnik eine Woche lang mit dem Fahrzeug.
Dabei wurden weitere Taxiklebefolie-Reste gefunden und DNA-Spuren von drei Angeklagten gesichert. Außerdem fand man im Kofferraum blaue Lackteilchen vom Tatwerkzeug (Schneid- und Spreizgerät der Firma Lukas). Und nachdem das ganze Fahrzeug mit einem Mikrospurenstaubsauger ausgesaugt worden war, konnten von mehr als 100 winzigen Glassplittern neun dem Vitrinenglas im Historischen Grünen Gewölbe zugeordnet werden. Alles in allem eine wirklich eindrucksvolle Vorführung, was moderne Kriminaltechnik leisten kann.
3. Juni 2022: Über Brände, literweise Benzin und vermeintliche Explosionen
Thema des Tages sind die Brände am Tattag. Die Täter hatten kurz vor dem Einbruch ins Grüne Gewölbe im Pegelhaus an der Elbe ein Feuer gelegt, damit die Straßenbeleuchtung rund um das Schloss ausfällt. Nach der Tat zündeten sie in einer Tiefgarage das Tatfahrzeug (einen Audi S6) an, um Spuren zu vernichten. Als Zeuge kommt Thomas Redmer, Brandsachverständiger vom LKA Sachsen. Mit Fotos erklärt er anschaulich, wie die Täter vorgegangen sind.
Gezielte Feuer im Pegelhaus
Im Pegelhaus neben der Augustusbrücke befinden sich Stromverteileranlagen von mehr als zehn Objekten - unter anderem auch zwei Schaltschränke der DREWAG für die Straßenbeleuchtung. Die Täter waren auch hier gut vorbereitet, denn sie hatten zielgerichtet nur unter diesen beiden DREWAG-Stromkästen einen Topf mit rund einem Liter Benzin angezündet. Außerdem war in einem Nebenraum auf einer Kabelbrücke als zweiter Brandherd ein weiterer benzingefüllter Topf stationiert. Um das Ganze zu beschleunigen, wurde zusätzlich von außen durch ein Lüftungsgitter Benzin direkt auf die Zuleitungskabel zum DREWAG-Schaltschrank geschüttet. Es ist sicher, dass die Täter bei einer ihrer Erkundungstouren vor dem Einbruch auch im Pegelhaus gewesen sein müssen, um so gezielt den Brand zu planen.
Besonders schwere Brandstiftung in der Tiefgarage?
Der Brand in der Tiefgarage lies die Experten sofort auf Brandstiftung schließen. Die fast völlige Zerstörung des dort abgestellten Audi A6 in kürzester Zeit kann nicht durch einen technischen Defekt erfolgen. Wenn im Innenraum rund fünf Liter Benzin verteilt werden, dann brennt ein Auto innerhalb von zehn Minuten komplett aus.
Spannend sind die Ausführungen des Sachverständigen zur Gefährdungslage. Das ist wichtig für die Einschätzung, ob es sich um besonders schwere Brandstiftung handelt. Die von einer Zeugin beschriebenen Explosionsgeräusche haben seiner Meinung nach drei Ursachen: Platzen der Reifen, Zerstörung der Airbags, Gasdruckfedern der Heckklappe. Um wirkliche Explosionen handelte es sich dabei nicht. Aber er schätzt die Rauchentwicklung als extrem stark ein und sprach von großen Mengen an stark giftigen Rauchgasen, die freigesetzt wurden. Diese zogen dann durch die Entlüftungsschächte nach oben und über die zum Teil geöffneten Fenster in die Wohnungen.
Noch am Tattag wurden in dem ausgebrannten Audi eine Pistole, ein Magazin, zwei Nageleisen, zwei Feuerlöscher, ein Akku-Pack und die Gitterstäbe vom Einbruchsfenster sichergestellt. Weitere Spuren hatte der Brand vernichtet.
10. Juni 2022: Hunde auf Spurensuche
An diesem Tag geht es im Gericht ausschließlich um Geruchsspuren, die einige Angeklagte im Historischen Grünen Gewölbe und in der Nähe vom Dresdner Residenzschloss hinterlassen haben sollen. Die Staatsanwaltschaft sieht die Gerüche bis zum heutigen Tag als Beweise an. Die Verteidiger kritisieren das vehement. Aufgespürt haben die angeblichen Geruchsspuren "Man-Trailer-" und "Differenzierungshunde". Das sind Polizeihunde, die dank einer speziellen Ausbildung den individuellen Geruch eines Menschen erschnüffeln können. Sie können bei der Suche nach Vermissten oder Verschütteten helfen. Angeblich können diese Hunde sogar im Nachhinein mit ihrer Nase feststellen, ob sich jemand an einem bestimmten Ort aufgehalten hat.
Im Prozess erklärt zunächst eine Dresdner Polizistin, wie der Einsatz der Hunde im Fall Grünes Gewölbe organisiert wurde. Ihr Kollege führt anschließend aus, wie die Geruchsproben der Angeklagten gewonnen wurden. Dabei wurden sterile Mullkompressen über den nackten Oberkörper und die Achseln gewischt. Vier Angeklagte hätten das selber gemacht, zwei andere verweigerten dies. Bei diesen beiden Männern habe er darum das Prozedere selbst durchgeführt. Die so gewonnenen Geruchsproben seien anschließend in geruchsdichten Gläsern, die zusätzlich mit Alufolie umwickelt und in Tüten eingeschweißt waren, gelagert worden.
Kascha und Tiger im Einsatz
Im Anschluss sagen zwei Polizei-Hundeführer aus Schleswig-Holstein aus. Sie waren mit ihren Differenzierungshunden im März und Juli 2021 im und am Dresdner Schloss im Einsatz - jeweils kurz nacheinander. Dabei hielten sie ihren Hunden die Geruchsproben von allen sechs Angeklagten vor. Beide Hunde hätten unabhängig voneinander die Gerüche von jeweils den selben zwei Angeklagten gefunden - am Einstiegsfenster und an der Einbruchsvitrine.
Die Aussagen der Polizisten werden durch Videos illustriert. Darauf sieht man, wie Hündin Kascha und Hund Tiger ihre Nase in die Probengläser stecken und danach auf dem Weg vom Pretiosensaal zum Juwelenzimmer nach dem vorgehaltenen Geruch suchen. Ob ihre Hunde einen Geruch finden, das könnten nur sie beurteilen, sagen die Hundeführer, denn sie hätten den Tieren kein generelles Anzeigeverhalten antrainiert. Stattdessen zeige jeder Hund anders und ganz individuell an, ob er einen Geruch erkannt hat. Tiger etwa erstarre bei einem Treffer. Tatsächlich sieht man bei den als erfolgreich eingeschätzten Suchen sehr eindeutig, wie der Rüde kurz einfriert und sein Herrchen demonstrativ anschaut.
Sachverständige demontieren Beweise
Prof. Kai-Uwe Goss tritt danach als Sachverständiger auf. Er arbeitet am Leipziger Helmholtz-Institut für Umweltforschung. Dort untersucht er, wie sich organische Moleküle verhalten, wenn sie in die Umwelt gelangen. Menschengerüche basieren auf mindestens 20 unterschiedlichen organischen Molekülen. Die Zusammensetzung gibt jedem Menschen einen ganz eigenen, individuellen Geruch. Die Geruchsmoleküle sind nanomillimeterklein. Sie können sich auf anderen Partikeln, wie beispielsweise Hautschuppen, festsetzen. Wie lange Gerüche irgendwo bleiben, hängt von vielen Faktoren ab - unter anderem von Temperatur, Feuchtigkeit und der Einwirkzeit, aber auch davon, auf welchem Material das Molekül anhaftet.
Goss ist sich sicher, Geruchsmoleküle sowie Hautschuppen mit Geruchsmolekülen sind nur wenige Stunden lang riechbar – auch für Hunde. Das hätten Praxistests gezeigt. Zwar gebe es nur wenige seriöse Studien dazu, aber die seien eindeutig. Goss erwähnt auch, dass die Bundesarbeitsgruppe für Personenspürhunde, in der Polizei und Zoll mitarbeiten, 2018 empfohlen habe, man solle nur mit Geruchsspuren arbeiten, die maximal 36 Stunden alt sind. Eine Suche mit Man-Trailern oder Differenzierungshunden mache aus seiner Sicht nach 24, spätestens aber nach 48 Stunden, keinen Sinn mehr. Im Fall Grünes Gewölbe seien die Hunde aber mehr als ein Jahr nach der Tat eingesetzt worden. Für Goss sind die Ergebnisse damit wertlos.
Zu alte Fährten für das Gericht
Auch die Sachverständige Dr. Esther Schalke sieht den Einsatz der Personenspürhunde im Fall Grünes Gewölbe sehr kritisch. Als Hundeführerin arbeitet sie seit Jahren für die Polizei in Nordrhein-Westfalen. Die Tierärztin gilt als Expertin für Verhalten und Training von Diensthunden. Sie kritisiert beim Einsatz von Kascha, Tiger und den Man-Trailer-Hunden aus Sachsen, dass die Fährten viel zu alt waren. Außerdem verfügten die Hundeführer über Wissen, dass die Tiere habe beeinflussen können. Darüber hinaus sei das Anzeigeverhalten nicht eindeutig gewesen.
Vom Gericht wird beschlossen, dass die sächsischen Hundeführer nicht mehr gehört werden, weil die Sachverständigen deren Aussagen nicht benötigen, um sich ein Urteil zu bilden. Schon jetzt lehnen Prof. Goss und Dr. Schalke die angeblich von den Hunden gefundenen Geruchsspuren als Beweismittel in diesem Fall ab. Das Gericht folgt diesen Empfehlungen.
14. Juni 2022: Forderung nach Freispruch und spannende Zeugen aus Berlin
Dieser Prozesstag findet leider ohne uns statt. Wir haben beide andere, wichtige Termine. Über das, was im Gericht passiert, können wir dieses Mal nur aus 2. Hand berichten und versuchen, es einzuordnen und zu interpretieren.
"Lassen Sie unseren Mandanten frei"
Verteidiger Andreas Boine fordert heute den Freispruch seines Mandanten Ahmed Remmo. Das deutete sich seit dem Prozessauftakt am 28. Januar an. Boine und seine Kollegin Lara Wolf hatten bereits in ihren Open Statements - eine Art Eröffnungsplädoyers - darauf hingewiesen, dass es ihrer Meinung nach keine gültigen objektiven Beweise gegen Ahmed Remmo gebe. Unter objektiven Beweisen versteht man Fingerabdrücke, Materialreste, Formspuren wie Ab- oder Eindrücke und DNA-Spuren. Boine kritisierte schon im Januar auf Schärfste, dass die Staatsanwaltschaft ihre Anklage gegen seinen Mandanten auf Geruchsspuren aufbaue. Geruchsspuren, die Personenspürhunde im und am Grünen Gewölbe erschnüffelt haben sollen - allerdings erst mehr als ein Jahr nach dem Einbruch. Der Anwalt warf der Polizei hierzu vor, Scheinbeweise erzeugt zu haben und - Zitat - "kriminalistische Esoterik" zu betreiben.
Die Argumentation der Verteidiger wurde in der vergangenen Woche durch zwei Gutachter gestützt. Beide hatten zu dem Einsatz von Personenspürhunden im Fall Grünes Gewölbe ausgesagt, dass auch Hunde Menschengerüche nur maximal 48 Stunden nach deren Entstehen an einem Ort riechen können. Es sei schlichtweg unmöglich, dass sie im März 2021 am Tatort einen Geruch von Ahmed Remmo festgestellt haben. Laut Boine und Wolf sei damit das Beweisprogramm gegen den 24-Jährigen erschöpft, zumal auch die DNA-Spuren gegen ihn nicht eindeutig seien und er sich in der Tatnacht in einer Berliner Klinik aufgehalten haben soll. Über dieses angebliche Alibi hatten wir bereits am 12. April berichtet.
Hätten Berliner Polizisten den Einbruch verhindern können?
Im Gericht sagen heute auch Polizisten aus, die in der Tatnacht in Berlin ein Auto stoppten. Wie man inzwischen weiß, saßen in dem Golf drei Angeklagte aus dem Prozess rund um den Einbruch ins Grüne Gewölbe. Das Auto war der Zivilstreife wegen seiner ungewöhnlichen Fahrweise aufgefallen. Außerdem waren die vier Insassen nicht angeschnallt und verhielten sich verdächtig. Als die Beamten an einer roten Ampel neben dem Golf anhielten, seien sie von den Insassen als Polizisten erkannt worden. Daraufhin wurden die jungen Männer nervös und tuschelten miteinander.
Die Zivilfahnder entschieden sich, eine Kontrolle durchzuführen. Dabei ergab die Abfrage der Personalien, dass alle vier Männer im Golf wegen Einbruchs aktenkundig waren. Nun sahen die Kontrolleure noch genauer hin und entdeckten im Kofferraum eine Plastiktüte. Der Golf-Fahrer wollte den Inhalt nicht zeigen, woraufhin die Beamten einen Sofort-Durchsuchungsbescheid erwirkten und in der Tüte Kleidung, zwei Bolzenschneider und ein Brecheisen fanden. Die Polizisten beauftragten daraufhin die Observation des Golfs. Was bei der Observation heraus kam und warum diese womöglich abgebrochen wurde, bleibt heute im Prozess offen. Fest steht aber: Nur fünf Stunden nach der Polizeikontrolle in Berlin brachen in Dresden bisher Unbekannte ins Historische Grüne Gewölbe ein und stahlen einen Teil des sächsischen Staatsschatzes. Die Staatsanwaltschaft versucht zu beweisen, dass es die verdächtigen Männer aus dem Berliner Golf und damit drei der Angeklagten waren.
28. Juni 2022: Verrußte Möbel, verweigerte Aussagen und kontrollierte Kennzeichen
Es geht heute Vormittag noch einmal um den Brand in der Tiefgarage. Die erste Zeugin hat zum Tatzeitpunkt mit ihrem Mann in einer Erdgeschosswohnung unmittelbar über dem Brandherd gelebt. Diese Wohnung war am stärksten betroffen, was die Rauchgasentwicklung und den Ruß betraf. Bemerkt hat den Rauchgeruch zuerst der Bruder der Zeugin, der gerade zu Besuch war und Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr ist. Er hat sie und ihren Mann geweckt. Dann sind sie raus. Gerade noch rechtzeitig, denn sie hatten alle schon einiges an Rauchgasen eingeatmet. Am Vormittag diagnostizierte ein Arzt bei allen dreien eine Rauchgasvergiftung, die mit Medikamenten behandelt werden musste.
Überall Ruß
Beeindruckend sind darüber hinaus die Handyfotos und -videos der Zeugin. Wirklich alle Räume der Wohnung waren mit einer feinen Rußschicht überzogen: die Böden, die Wände, die Decken, alle Möbel und Gegenstände, die in den Räumen standen. Das Bad war am schlimmsten betroffen, denn offenbar hatte sich der Rauch aus der Tiefgarage seinen Weg nicht nur über die Lüftungsschächte nach draußen gesucht, sondern war über die Wirtschaftsleitungen durch Toilette und Waschbecken in die Wohnung gelangt. Das Ehepaar hat danach tagelang beim Schwiegervater gewohnt und ist nur zum Putzen in die Wohnung gegangen.
Spannend waren die Aussagen eines Versicherungsvertreters des Haftpflichtverbands der Deutschen Industrie (HDI). Sein Unternehmen hatte die Tiefgarage versichert. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, hätte die Tiefgarage im November 2020 wieder genutzt werden können. Das wird sie aber bis heute nicht, weil durch die Brandsanierung im Nachhinein grundlegende Versäumnisse bei der Be- und Entlüftung festgestellt wurden. Diese hatten offenbar nichts mit dem Brand zu tun, sondern die Entlüftung hat schon vorher nicht den Vorgaben entsprochen. Das belege ein Gutachten, welches er dem Gericht zur Verfügung stellen wird. Die Versicherung hat einen Schaden in Höhe von 450.000 Euro beglichen und trägt außerdem den Mietausfall (bis November 2020) für die 138 Tiefgaragen-Parkplätze von 45.600 Euro.
Zäher Prozessverlauf durch fehlenden Zeugen und verweigerte Aussagen
Drei Zeugen der serbischen Familie Stankovic sind geladen: Goran und Denis aus Berlin sowie ihr Onkel Milutin Stankovic. Über diese Kontakte soll ein VW-Golf angemietet worden sein, mit dem Rabieh Remo und weitere Personen am 20. November 2019 nach Dresden gefahren sind, um den Einbruch vorzubereiten und den Tatort auszuspähen.
Goran Stankovic erscheint grundlos gar nicht zum Termin. Denis Stankovic machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, weil parallel gegen ihn ermittelt wird. Das war aber nicht neu. Hätte das nicht vorher vom Gericht abgeklärt werden können? Da reist jemand an, bekommt seine Auslagen ersetzt und sagt nicht aus. Den Prozess bringt das nicht voran.
Der dritte Zeuge, Milutin Stankovic, gibt an, Rabieh Remo aus dem Gefängnis zu kennen. Rabieh habe ihn angerufen und gefragt, ob er ein Fahrzeug für ihn habe. Daraufhin habe Stankovic mit seinen Neffen Goran und Denis telefoniert, die angeblich genau am 20. November um 22:54 Uhr einen VW Golf bei Sixt gemietet hatten. Sie sollten dieses Auto Rabieh zur Verfügung stellen, es sei am nächsten Tag wieder da. Wofür Rabieh Remo das Auto brauchte, habe er nicht gewusst. Er habe erst aus den Medien vom Einbruch erfahren und war sauer, weil er da hineingezogen wurde, denn es gab während der Ermittlungen eine Hausdurchsuchung bei ihm und das Telefon wurde überwacht.
Widerspruch der Verteidiger
Ein Mitarbeiter der Soko Epaulette ist ebenfalls zum Thema VW-Golf geladen. Er erzählt, dass bezogen auf den 20. und 21. November 2019 eine Kennzeichenerfassungssystem-Überprüfung (KESY) stattfand. Diese wurde eingeleitet, nachdem die Außenkameras am Schloss ausgewertet wurden. Da war offensichtlich, dass schon in der Nacht vom 20. zum 21. November 2019 die Schlossmauer überstiegen wurde. Die KESY-Überprüfung ergab dann auch eindeutig, dass in dieser Nacht ein VW-Golf von Berlin nach Dresden und wieder zurück gefahren sei. Das Kennzeichen führte die Ermittler zum Autovermieter Sixt und der Familie Stankovic, die vom 20. November bis 18. Dezember 2019 als Langzeitmieter für dieses Auto eingetragen und damit rund 5.250 Kilometer gefahren war.
Daraufhin geben alle Rechtsanwälte der Verteidigung eine Erklärung ab, dass sie der Verwertung von KESY-Daten widersprechen. Sie beziehen sich darauf, dass es zum damaligen Zeitpunkt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gab, die das automatische Erfassen von Autokennzeichen für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat.
1. Juli 2022: Beobachtung, Observation und Erinnerungslücken
Heute tritt erneut Dr. Ralf Nixdorf, Leiter der DNA-Analytik beim Landeskriminalamt Sachsen, als Sachverständiger auf. Dieses Mal geht es um die DNA-Spuren im Mercedes - dem falschen Taxi und Fluchtfahrzeug nach Berlin. Der Mann wirkt wieder sehr sachkundig und kompetent. Nixdorf erzählt, dass seine Abteilung den aus Berlin angelieferten Wagen vom Fachbereich Daktyloskopie übernommen habe - also von den Experten für Fingerabdrücke. Außerdem habe man in Dresden beschlossen, bei der Suche nach DNA-Spuren bei null anzufangen - auch wenn die Berliner Polizei bereits Untersuchungen am Mercedes angestellt habe. Es folgten in Sachsen zwei große und acht oder zehn kleine DNA-Abnahmen am Mercedes bzw. an Gegenständen, die man darin fand. Dabei hätten er und seine Mitarbeiter insgesamt 230 Proben gesichert. 30 davon enthielten verwertbares Zellmaterial.
Zwei Angeklagte als Spurenverursacher überführt
Im Mercedes fanden Nixdorf und sein Team DNA-Spuren, die auf vier Angeklagte hinweisen. Allerdings, so der Sachverständige, hätten diese Spuren nur bei zwei Angeklagten Beweiskraft. Die Polizisten konnten insgesamt vier DNA-Spuren - von einer Sitzfläche, von einem Gurtöffner, von einem Gurtschloss und von einem Kreppklebeband - eindeutig einem der angeklagten Zwillingsbrüder zuordnen: bei einer Spur mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 290 Trilliarden, bei einer anderen mit eins zu 5,6 Quadrillionen. Nixdorf sagt, dass man hier von "erwiesen" spreche.
Einem anderen Angeklagten - Wissam Remmo - konnten zwei DNA-Spuren zugewiesen werden, wieder mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit. Bei zwei anderen DNA-Mischspuren könnte Wissam der Verursacher sein.
Sechs unbekannte DNA-Spuren
Daneben fanden die Experten DNA-Spuren von fünf inzwischen indentifizierten Verursachern. Das seien Personen, die nicht als Beschuldigte gelten. Außerdem gab es im Mercedes noch Spuren von sechs Unbekannten - Menschen also, deren Identität von der SOKO Epaulette nicht aufgeklärt werden konnte.
Wann und wie die DNA in den Mercedes gelangte, kann Nixdorf nicht sagen. Da der Mercedes angeblich lange von der Familie Remmo genutzt wurde, kann das vor oder nach dem Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe passiert sein.
Eine Observation, die keine war
Nachmittags sagen vier Berliner Polizisten aus. Sie verfolgten am 24. November 2019 in der Hauptstadt einen verdächtigen Golf, nachdem dieser von Kollegen kontrolliert worden war. Wie man inzwischen weiß, saß in dem Golf zumindest einer der Angeklagten und befand sich auf dem Weg zum Einbruch. Der Wagen bzw. seine Insassen waren den Kollegen an einer roten Ampel aufgefallen. Nach einer allgemeinen Verkehrskontrolle riefen die Beamten Zivilfahnder an und baten sie, den Wagen und die Leute darin im Auge zu behalten.
Die vier Zivilfahnder folgten dem Golf mit zwei Fahrzeugen etwa eine halbe Stunde bis Mitternacht. Allerdings erinnert sich heute vor Gericht nur einer von ihnen relativ konkret an diese Aktion. Der 48-jährige Polizeikommissar möchte die Verfolgung nicht als richtige Observation bezeichnen. Dafür habe es keinen Auftrag gegeben. Es war eher die Bitte eines alarmierten Kollegen.
Polizisten mit Erinnerungslücken
Der Zeuge sagt aus, dass er sah, wie kurz nacheinander an zwei unterschiedlichen Stellen zwei Personen aus dem Golf ausgestiegen seien. Es seien jeweils Männer gewesen - einer von ihnen 1,75 bis 1,80 Meter groß, habe kurz geschnittenes Haar und einen Bart gehabt. Beide seien dunkel gekleidet und arabisch-stämmig gewesen. Für Letzteres habe der Polizist aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung einen Blick. Da der Wagen danach mit nur noch einem oder maximal zwei Insassen in Richtung der Adresse des Fahrzeughalters fuhr, habe man die "Beinahe-Observation" abgebrochen. Notizen über diese Beobachtung habe sich der Kommissar nicht gemacht.
Die Verteidiger hinterfragen immer wieder, warum sich der Polizist ausgerechnet an diese eine, erstmal eher unspektakuläre Aktion so detailliert erinnern könne, vieles andere aber nicht mehr weiß. Der Zeuge kann zum Beispiel nicht sagen, wann ihn die Dresdner Ermittler angerufen haben und wie sie begründeten, dass er zu dem Vorgang aussagen solle. Der 48-Jährige kontert daraufhin, er sei eben so gestrickt - bestimmte Dinge, die er besonders interessant findet, präge er sich lange ein, anderes vergesse er schnell.
Zivilfahnder widerrufen Aussage
Ein weiterer Zivilfahnder gibt vor Gericht an, dass er sich gar nicht mehr an die Nacht erinnern könne. Die zwei anderen widerrufen im Prozess, was sie bei der Dresdner Polizei vor nur wenigen Wochen ausgesagt hatten. Dort hatten beide Beamte angegeben, dass sie während der Verfolgung des Golfs gesehen haben, wie drei Männer auf einmal aus dem Auto ausgestiegen seien. Sie hatten Personenbeschreibungen gemacht und darüber erzählt, dass einer von ihnen sogar ausgestiegen und den Männern gefolgt sei. Außerdem sagten sie bei der Polizeivernehmung, dass sie den Golf verloren haben.
Heute nun erklären die beiden Zivilfahnder dem Gericht, sie hätten die "Pseudo-Observation" am 24. November mit einer ähnlichen Aktion verwechselt. Sie hätten täglich sehr viele Beobachtungen, speziell in dieser Gegend - auch oft mit arabisch-stämmigen Personen. Da könne man schon mal durcheinanderkommen. Außerdem beriefen sie sich darauf, dass sie sich nach zweieinhalb Jahren einfach nicht mehr sicher seien.
Absprachen unter Polizisten?
Die Verteidiger - speziell vom teilgeständigen Angeklagten, in dessen Aussage die Polizeikontrolle in Berlin eine wichtige Rolle spielt - bezweifeln, dass sich die drei Zivilfahnder nicht mehr erinnern können oder ihre Aussagen bei der Polizei durch eine Verwechslung zustande gekommen sind. Die Verteidiger arbeiten durch wiederholtes Nachhaken heraus, dass es nach den Polizeivernehmungen Absprachen zwischen den vier Berliner Polizisten gab. Die Anwälte äußern den Eindruck, dass sich hier "Zeugen zusammengehockt, Widersprüche festgestellt und diese jetzt abgeglichen haben." Nun versuche man, die sich widersprechenden Aussagen mit angeblichen Erinnerungslücken zu begründen oder zu negieren.
Am Schluss geben die Verteidiger eine mündliche Erklärung ab, worin sie das Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft und Polizei kritisieren. Die Befragungen der vier Berliner Zivilfahnder hätten in der laufenden Hauptverhandlung im Gericht stattfinden müssen. Die Anwälte widersprechen den Aussagen von allen vier Polizisten.
8. Juli 2022: Schlagabtausch zwischen Verteidigern und Staatsanwälten
Zu Beginn des Verhandlungstages wirft die Verteidigung der Staatsanwaltschaft vor, prozessordnungswidrig zu handeln. Der Grund dieses Mal: die Polizisten, welche am Vorabend der Tat vier Verdächtige in einem Golf in Berlin gestoppt und kontrolliert haben, sind außerhalb des Gerichtsverfahrens vernommen worden. Die Staatsanwaltschaft weist den Vorwurf der Prozesswidrigkeit zurück. Es wird laut und fast aggressiv im Gerichtssaal. Schließlich gibt es von Seiten der Verteidigung vier neue Beweisanträge. Darin fordern die Anwälte unter anderem, dass die beiden Vernehmerinnen vom LKA Sachsen, die die vier Berliner Beamten befragten, als Zeuginnen geladen werden. Außerdem soll einer der Berliner Polizisten erneut im Gericht befragt werden. Das erste Mal war er am 1. Juli vor Gericht erschienen, worüber wir im Tagebuch ausführlich berichtet hatten.
Handyauswertung und ein überraschender Chat
Insgesamt hat die SOKO Epaulette mehr als 100 Handys ausgewertet. Einer der Ermittler ist heute als Zeuge geladen. Er berichtet, dass die Polizei durch Funkzellenabfragen vier sogenannte Fake-Handys aufgespürt hat, die in der Tatnacht in Dresden eingeschaltet waren. Diese Handys gelten heute als die Täter-Handys. Sie können allerdings den Angeklagten oder anderen realen Personen nicht direkt zugeordnet werden. Denn es wurden fiktive oder gestohlene Identitäten benutzt, um die verwendeten SIM-Karten zu registrieren - sogenannte vorregistrierte SIM-Karten. Die vier Dresdner Fake-Handys gingen am 18. November 2019 erstmals in Betrieb. Genutzt wurden sie bis zum 25. November 2019 kurz nach 5 Uhr. Die Ermittler haben die einzelnen Nutzungszeiten mit den Bildern der Überwachungskameras am Dresdner Residenz-Schloss abgeglichen und Übereinstimmungen festgestellt. Immer dann, wenn die Handys in Betrieb waren, hatten einzelne Personen eine Hand am Ohr.
Die eigentlichen Handys der Angeklagten, die man bei ihrer Festnahme sichergestellt hat, wurden hingegen nicht für Absprachen während der Tat oder bei der Vorbereitung benutzt. Zum Teil hatten sich die jungen Männer ihre iPhones erst 2020 zugelegt. Zwei Angeklagte aber nutzten bei der Verhaftung noch ihre alten Handys. Auf einem davon fand die Polizei eine interessante Medienrecherche. Demnach suchte der 26-Jährige am 25. November 2019 um 9:36 Uhr - also viereinhalb Stunden nach der Tat - nach dem Stichwort "Millionenraub in Dresden". Außerdem verschickte er mittags eine Nachricht an einen Kumpel und verlinkte darin die Berichterstattung über den Einbruch ins Grüne Gewölbe und kommentierte mit "krass".
Das Geschäft mit vorregistrierten SIM-Karten
Ein anderer Polizist erzählt später im Prozess wie die SOKO anhand der vier Fake-Handys und der darin verwendeten SIM-Karten auf einen Handy-Laden in Berlin-Neukölln stieß. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Täter ihre SIM-Karten dort gekauft haben. Seit 2017 gibt es eine Ausweispflicht bei der Registrierung von SIM-Karten. Erst nach Vorlage des Personalausweises dürfen die Karten aktiviert werden. Theoretisch. Denn die Vorschrift wird oft umgangen. Bei der Durchsuchung des Ladens in Berlin-Neukölln fand die SOKO 93 vorregistrierte SIM-Karten. Dafür werden zumeist Daten von unbeteiligten, nichts ahnenden Menschen gestohlen. Die Daten stammen von Ausweiskopien, die die Karten-Anbieter zum Teil aus dem Ausland bekommen - von Hotels oder Autoverleihern. Das Geschäft mit den anonymen SIM-Karten ist lukrativ. Je nach Größe kosten sie zwischen 10 und 25 Euro. Der Betreiber des Handy-Ladens auf der Hermannstraße hat zehn bis 15 solche Geschäfte in Berlin und inzwischen auch eins in Dresden. Laut Aussage des Polizisten soll er in normalen Monaten 20.000 vorregistrierte SIM-Karten umsetzen, in Spitzenmonaten sogar 50.000.
Dresdner Polizeibeamte hatten versucht, in dem Berliner Laden vorregistrierte SIM-Karten zu kaufen. Vergeblich. Ein in diesem Zusammenhang vernommener arabischstämmiger Zeuge, der Kunde des Ladens ist, sagte dazu: "Sie als Milchgesicht bekommen da keine SIM-Karte." Die SIM-Karten liegen unter dem Ladentisch und gehen eben nur an bestimmte Leute. Dabei sind nicht alle Käufer kriminell. Manche nutzen die SIM-Karten auch, um billig im Netz zu surfen. Andere legen besonderen Wert auf Datenschutz.
Neue Vitrinen für das Juwelenzimmer
Holger Krause sagt als Leiter aller baulichen Maßnahmen am Residenzschloss im Auftrag der SIB (Sächsisches Immobilien- und Baumanagement) aus. Er macht Angaben über die Reparaturkosten und die Beseitigung der Schäden im und am Residenzschloss. Die Gesamtkosten für Baumaßnahmen am Einstiegsfenster, im Juwelenzimmer und an den Vitrinen belaufen sich bisher auf 315.921 Euro. Interessant dabei ist, dass nicht nur die zerstörte Vitrine nach neuesten technischen Standards erneuert wurde, sondern auch die drei anderen im Raum. Das war nötig, damit das künstlerisch-museale Gesamtbild des Juwelenzimmers wiederhergestellt werden konnte. Welches Glas diesmal verwendet wurde, sagt der SIB-Mann nicht, da das der Geheimhaltung unterliege. Kein Geheimnis ist aber, dass das Gitter vor dem Einbruchsfenster noch nicht endgültig ersetzt wurde. Schade, dass wir Journalisten im Gericht keine Fragen stellen dürfen, denn das hätte uns brennend interessiert, warum das Gitter zweieinhalb Jahre nach dem Einbruch noch immer ein Provisorium ist.
Im brennenden Audi ging ein Schuss los
Ein Kriminaloberkommissar vom LKA steht am Nachmittag als Sachverständiger Rede und Antwort. Er hat einen Revolver Taurus Modell 689, insgesamt zehn Patronenhülsen und einen Schalldämpfer untersucht. Diese Gegenstände wurden im ausgebrannten Audi aus der Tiefgarage gefunden. Der Sachverständige führt aus, dass ein Teil der Patronenhülsen und auch der Schalldämpfer nicht zu dem Revolver passen. Sie hätten für eine Browning Kaliber 7,65 oder eine andere Selbstladepistole mit diesem Kaliber genutzt werden können. Das spricht dafür, dass die Diebe womöglich nicht nur eine, sondern zwei Schusswaffen dabei hatten.
Die wichtigste Information des Oberkommissars ist aus unserer Sicht, dass sich durch die große Hitze im angezündeten Fluchtfahrzeug eine Patrone im Lauf des Revolvers umsetzte. Es ist also ein Schuss abgegangen. Der Schuss verursachte im Fußraum des Audi eine Eindellung. Dort lag der Revolver nachdem er wahrscheinlich aus dem vom Feuer zerstörten Handschuhfach gefallen war. Wäre der Schuss in eine andere Richtung abgegangen, hätte laut Sachverständigem die Energie ausgereicht, dass die Kugel aus dem Auto austritt und mehrere hundert Meter weit fliegt.
15. Juli 2022: Das angebliche Alibi eines der Angeklagten
Für einen der Angeklagten ist das heute ein besonders wichtiger Prozesstag. Ahmed Remmo behauptet seit April über seine Anwälte, dass er in der Tatnacht in Berlin und nicht beim Einbruch in Dresden war. Der 24-Jährige will sich demnach am 25. November 2019 morgens in der Notaufnahme einer Klinik aufgehalten haben. Seine Krankenkassenkarte sei dort um 0:40 Uhr eingelesen und zwei Stunden später ein Arztbrief ausgedruckt worden. Laut Anklageschrift brachen die Täter aber schon gegen 1:34 Uhr mit zwei Autos in Berlin auf, um nach Dresden zu fahren. Gegen 3:41 Uhr trafen sie dort ein. Stimmt Ahmeds Alibi, kann er nicht dabei gewesen sein. Das wird heute von der Kammer geprüft.
Dafür wird als erstes ein Mitglied der SOKO Epaulette befragt. Der Polizeihauptkommissar hat Chatverläufe auf Ahmeds Handy und auf dem Handy von dessen ehemaliger Freundin überprüft. Die Auswertung des Telefons der 31-Jährigen war sehr ergiebig. Dabei ist ein kompletter Sonderband in den Prozessakten entstanden. Außerdem hat der Polizist im Vivantes Klinikum Neukölln und bei Ahmeds Krankenkasse recherchiert. Die Ermittlungen bestätigen an und für sich die Angaben des Angeklagten. Der Polizist hat sogar ein Foto gefunden, dass Ahmed Remmo in der Notaufnahme von sich aufgenommen hat - um 00:42 Uhr. Das Selfie hat der junge Mann an seine Freundin verschickt. Allerdings kann sich in der Klinik niemand an den Angeklagten erinnern. Es ist also nicht hundertprozentig klar, wie lange Ahmed Remmo tatsächlich in der Tatnacht dort gewesen ist. Den Arztbrief könnte rein theoretisch auch jemand anderes abgeholt haben.
Ein ganzer Sonderband mit Chat-Nachrichten
Der Hauptkommissar erzählt außerdem ausführlich über die Auswertung des Handys von der Ex-Partnerin des Angeklagten. Die junge Frau hat exzessiv Botschaften in die Welt geschickt – an Ahmed Remmo, andere Mitglieder der Großfamilie, aber auch an Freundinnen. Glaubt man den Chat-Verläufen, war Ahmed Remmo in der Tatnacht nachdem er in der Klinik war, noch bei ihr. Das Paar hatte sich gestritten, was häufig vorkam, und darum verlangte die Freundin, dass Ahmed den Schlüssel zur gemeinsamen Wohnung in den Briefkasten werfen soll. Das dokumentierte der junge Mann mit einem Foto vom Briefkasten um 3.30 Uhr.
Auf dem Handy fanden sich aber auch belastende Äußerungen. So hat Ahmed Remmo in einem späteren Dialog von seiner Freundin verlangt, dass sie Nachrichten vernichten und ihm das auch beweisen solle. Zitat: "Schick mir einen Screen, wie du diesen Verlauf komplett gelöscht hast." Die junge Frau wiederum formulierte an anderer Stelle sinngemäß: "Du hast mir doch selbst gesagt, dass Du bei den Juwelen dabei warst." Einmal drohte sie: "Ich gehe zur Polizei. Ich erzähle alles mit den Juwelen und den Schlägen, einfach alles."
Belastendes Material
Und auch sich selbst hat die 31-Jährige mit ihren Handybotschaften belastet. An ihren damaligen Partner Ahmed Remmo etwa schrieb sie: "M. geht es gut. Er ist immer noch bei mir und ich kümmere mich um ihn. […] Die werden nie darauf kommen, dass er bei mir ist." Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass hiermit einer der Angeklagten gemeint war. Dieser war zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht und versteckte sich vor der Polizei. Gegen die Ex-Partnerin Ahmeds wird darum ermittelt.
Die Ex-Freundin stützt das Alibi
Nach dem Polizisten tritt die ehemalige Freundin Ahmed Remmos in den Zeugenstand. Sie wirkt aufgewühlt, mitunter den Tränen nahe. Sie scheint offenbar noch immer sehr an ihrem Ex-Partner zu hängen, beschreibt die mehr als zwei Jahre Beziehung mit ihm, als die schönste Zeit ihres Lebens. Es wird aber auch deutlich, dass das Zusammenleben der beiden alles andere als unkompliziert war. Es sei eine On-Off-Beziehung gewesen – an einem Tag stritt man sich massiv, am nächsten unterzeichnete man den Mietvertrag für eine gemeinsame Wohnung.
Mit ihrer Aussage untermauert die Ex-Partnerin das Alibi von Ahmed Remmo. Nachdem dieser in der Tatnacht den Schlüssel in den Briefkasten geworfen habe, sei sie um 3.30 Uhr aus ihrer Wohnung nach unten gelaufen. Sie habe ihren Freund unbedingt sehen und sprechen wollen. Dieser wollte sich aber nicht mit ihr unterhalten und sei einfach weggegangen. Später hätte man nur noch einmal und eher flüchtig über die Tatnacht geredet. Die Zeugin erklärt, dass sie dazu nicht nachgefragt habe, weil sie ja wusste, dass Ahmed nicht beim Einbruch dabei gewesen sein konnte, da er ja bei ihr war.
Eine Zeugin, die es scheinbar mit der Wahrheit nicht so genau nimmt
Zu den belastenden Chat-Nachrichten erklärt die junge Frau, dass sie in der Zeit "psychisch am Ende" gewesen sei. Wenn sie sich über Ahmed ärgerte, habe sie "viel Müll gelabert". Zitat: "Ich war eifersüchtig […] Wenn er bei anderen Frauen war, habe ich unüberlegte Sachen gesagt. Ich wollte ihm dann schaden." An andere Nachrichten - wie die zum Verstecken des von der Polizei gesuchten Verdächtigen - könne sie sich nicht mehr erinnern.
Die Staatsanwaltschaft versucht in Nachfragen an den Ermittler und die Ex-Partnerin die Glaubwürdigkeit der 31-Jährigen in Zweifel zu ziehen. Dabei kommt heraus, dass die Zeugin in der Vergangenheit schon zwei Mal der Polizei gegenüber gelogen hat bzw. andere dazu bringen wollte. Einmal hatte sie in einer Vernehmung bei der SOKO Epaulette behauptet, noch nie in Dresden gewesen zu sein und die Stadt nicht zu kennen. Das entpuppte sich später durch Fotos von einer Polizeikontrolle auf der Stauffenberg als falsch. Und nach einem Unfall in Berlin, in den die junge Frau verwickelt war, hatte sie bei Freunden und Bekannten nach Zeugen gesucht, die ihre Version vom Crash bestätigen würden, obwohl sie gar nicht dabei gewesen sind.
Verteidiger bekräftigen Forderung nach Freispruch
Die Verteidiger von Ahmed Remmo erinnern am Ende dieses Prozesstages daran, dass sie die Abtrennung des Verfahrens gegen ihren Mandanten vom Hauptverfahren gefordert haben. Bisher habe sich die Staatsanwaltschaft dazu nicht geäußert. Das müsse nun zeitnah erfolgen, denn Ahmed Remmos Alibi habe sich erhärtet und ansonsten gebe es keine objektiven Beweise gegen ihn. Die Geruchsspuren, die so genannte Man-Trailer-Hunde von ihm in der Nähe des Dresdner Residenzschlosses erschnüffelt haben sollen, sind in Sachverständigengutachten als Beweise abgelehnt worden. Und DNA- oder andere Spuren am Tatort fand man von ihm scheinbar nicht.
Wird es zu einer eher aufwendigen Abtrennung kommen oder nicht? Bei der Entscheidung darüber wird das Gericht wahrscheinlich auch berücksichtigen, dass der 24-jährige Angeklagte derzeit wegen des Gold-Münzen-Diebstahls in Berlin eine Haftstrafe verbüßt. Er käme zeitnah also sowieso nicht auf freien Fuß. Allerdings wird sich der Grüne-Gewölbe-Prozess wohl mindestens 2 Monate länger hinziehen, als ursprünglich geplant. Der Richter verkündet heute, dass man sieben zusätzliche Verhandlungstage angesetzt hat – den letzten für den 20. Dezember. Ob Ahmed Remmo kurz vor Weihnachten noch in Dresden hinter Gitter sitzen wird, bleibt abzuwarten.
19. Juli 2022: Eine Vorgängertat mit auffälligen Parallelen
Wieder mal ein Prozesstag mit vielen neuen Erkenntnissen und überraschenden Wendungen. Am Vormittag geht es um den versuchten Raubüberfall auf eine Bankfiliale in Berlin. Am 4. November 2019 hatte drei Männer versucht in die Filiale einzudringen. Wir fragten uns im Vorfeld, was dieser Überfall mit dem Einbruch ins Grüne Gewölbe zu tun hat. Im Prozess wird das schnell klar: Berliner Polizisten berichten, dass die Räuber in der Hauptstadt ganz ähnlich wie die Diebe in Dresden vorgegangen waren. Auch an der Bankfiliale wurden wie in Dresden im Vorfeld der Tat Gitterstäbe durchschnitten und mit farblich passendem Klebeband befestigt und getarnt.
Und dann der Knüller: An einem der herausgetrennten Gitterstäbe wurde DNA gefunden. DNA von einem der Angeklagten im Grüne-Gewölbe-Prozess. Es handelt sich um einen der Zwillingsbrüder. Die Dresdner Staatsanwaltschaft wirft ihm in der Anklageschrift vor, mit einem zweiten Mann direkt ins Grüne Gewölbe eingedrungen zu sein, die Vitrinen zerstört und die Schmuckstücke gestohlen zu haben. Oberstaatsanwalt Matthias Allmang informiert am Rande des Prozesses, dass man nun überlege, den versuchten Raubüberfall auf die Bankfiliale in Berlin als Nachtragsklage in den Dresdner Prozess zu integrieren.
Bedeutung für den Grüne-Gewölbe-Prozess
Der versuchte Raubüberfall in Berlin könnte der Staatsanwaltschaft extrem nützen. Zum einen, um die womöglich zwielichtige Vorgeschichte des Remmo-Zwillings und seine Persönlichkeit zu erhellen. Darüber hinaus stützt die Vorgängertat aber auch den Vorwurf, dass die Dresdner Diebe als Bande agierten. Der Bundesgerichtshof hat zum schweren Bandendiebstahl festgelegt: "Eine Bande setzt in den Fällen der §§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 244a StGB den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Mehrzahl selbständiger Diebstähle verbunden haben. Erforderlich ist eine - ausdrückliche oder stillschweigende - Bandenabrede, bei der das einzelne Mitglied den Willen hat, sich mit mindestens zwei anderen Personen zur Begehung dieser Straftaten zusammenzutun."
Außerdem heißt es: "Liegen diese Voraussetzungen vor und ist die in Rede stehende Tat Ausfluss der Bandenabrede, genügt es nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, dass der betreffende Täter 'als Mitglied einer Bande' die Tat 'unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds' ausgeführt hat. Eine konkrete Einbindung auch des dritten Bandenmitglieds in die Tatbegehung ist hingegen nicht erforderlich." Wenn es den Dresdner Staatsanwälten gelingt, beim Einbruch ins Grüne Gewölbe das bandenmäßige Vorgehen der Täter zu beweisen, kann das Gericht am Ende aus einem wesentlich höheren Strafrahmen schöpfen. Eine Verurteilung bis zu zehn Jahre ist dann möglich.
Ein Angeklagter äußert sich unerwartet zur Sache
Völlig überraschend äußert sich heute einer der angeklagten Zwillingsbrüder zu seiner Person und zur Sache. Der 23-Jährige gibt eine mehrseitige Erklärung ab. Er wirkt aufgeregt, liest sehr schnell und nuschelig. Teilweise ist darum schwer zu verstehen, was er vorbringt. Die Hauptaussage des jungen Mannes aber wird klar - er behauptet, beim Einbruch ins Grüne Gewölbe nicht dabei gewesen zu sein. Weiter versucht er zu erklären, wie seine DNA in eines der Fluchtfahrzeuge kam. Er sei vor der Tat immer mal in dem Mercedes mitgefahren. Der Wagen sei längere Zeit in der Nutzung der Remmo-Familie gewesen. Außerdem geht der Angeklagte in seinem Statement darauf ein, warum er am Tatabend mit drei der Angeklagten in einem Golf in Berlin saß. Dieser Golf war von der Polizei kontrolliert und die Personalien von allen Insassen festgestellt worden. Der 23-Jährige meint, er sei mit einem der Männer im Golf verabredet gewesen. Man hätte sich damals oft getroffen und wollte an diesem Abend gemeinsam essen gehen. Der Angeklagte gibt in seiner Erklärung auch an, dass er nach der Polizeikontrolle aus dem Auto ausgestiegen und mit dem Taxi nach Hause gefahren sei.
Weiter sagt er, dass er von November 2020 bis Mai 2021 vor der Polizei und seiner Festnahme geflüchtet sei, weil er schon einmal unschuldig in der JVA gesessen habe. Damals wegen des Diebstahls der Goldmünze in Berlin. Er habe befürchtet, dass das wieder passiert. Danach geht der junge Mann in seiner Erklärung auf Zeugenaussagen ein, die für diesen Freitag geplant sind.
An diesem Tag sind zwei Mitgefangene von ihm geladen. Sie werden zu belastenden Äußerungen, die der Angeklagte gemacht haben soll, befragt. Der 23-Jährige bemüht sich, diese Zeugenaussagen im Vorfeld zu entkräften. Was seine Mitgefangenen behaupten, sei alles nicht wahr. Er beteuert, dass er beim Diebstahl ins Grüne Gewölbe nicht mitgemacht habe und das erste Mal in Dresden gewesen sei, als er hier dem Haftrichter vorgeführt wurde.
Wissam Remmo stahl höchstwahrscheinlich Rettungsgeräte in Erlangen
Am Nachmittag sagen drei Polizisten aus Bayern aus. Sie hatten zum Einbruch beim Werkzeughersteller Lukas in Erlangen ermittelt. Im Dezember 2018 waren dort sieben gebrauchte Hydraulikgeräte gestohlen worden. Es handelte sich um Vorführgeräte, deren Wert vom Amtsgericht Erlangen auf 21.000 Euro festgelegt wurde. Solche Akku betriebenen Werkzeuge werden von Rettungskräften benutzt, um Menschen aus Unfallautos heraus zu schneiden oder Eingeklemmte zu befreien. Auf dem freien Markt kaufen kann man diese Geräte nicht. In den vergangenen Jahren wurden solche gestohlenen Werkzeuge immer häufiger von Kriminellen genutzt, um Geldtransporter und Geldautomaten aufzubrechen oder in Häuser einzudringen. Auch beim Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe sollen ein hydraulisches Schneid- und ein Spreizgerät eingesetzt worden sein.
An dem Fenster, durch das der oder die Diebe 2018 in Erlangen einbrachen, fand die Spurensicherung eine DNA-Spur von Wissam Remmo. Das Amtsgericht Erlangen hatte den jungen Mann daraufhin wegen des Diebstahls der Rettungsgeräte zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Das übergeordnete Gericht hatte das Verfahren dann allerdings ohne Verhängung einer Strafe eingestellt. Grund dafür: der 25-Jährige saß zeitgleich wegen des Diebstahls der 100-Kilo-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum auf der Anklagebank und in diesem Verfahren war eine höhere Haftstrafe zu erwarten. Tatsächlich wurde Wissam Remmo im März 2020 in Berlin rechtskräftig verurteilt: zu viereinhalb Jahren.
DNA-Spur führt zu Angeklagtem
Nun steht Wissam Remmo mit fünf seiner Verwandten in Dresden wieder vor dem Kadi. Im Landgericht Dresden versucht sein Anwalt heute den Gutachter, der zur Erlanger DNA-Spur aussagt, durch hartnäckiges und scharfes Nachfragen aus dem Konzept zu bringen. Der Anwalt bezweifelt sogar die Kompetenz des Wissenschaftlers. Doch Dr. Christian Winkler vom Institut für Blutgruppenforschung aus Köln hält an seiner Einschätzung fest: "Die Spur lässt sich ohne vernünftigen Zweifel Wissam Remmo zuordnen." Außerdem betont er, dass es für ihn eher auszuschließen sei, dass die DNA durch indirekte Übertragung an den Tatort gelangt ist. Stattdessen sei es für ihn wahrscheinlicher, dass es eine Primärspur ist.
Interessant ist für uns in diesem Zusammenhang auch, dass es beim Gerätehersteller in Erlangen nach dem ersten Einbruch zwei weitere gab. Hier hatte sich offenbar für interessierte Kreise eine leicht zugängliche Quelle für Einbruchswerkzeug aufgetan.
22. Juli 2022: Widerrufene Aussagen, ein verschwundener Zeuge und ein lange erwarteter Antrag
Wir sind sehr gespannt, was heute passiert. Am Dienstag hatte einer der angeklagten Zwillingsbrüder vor Gericht erklärt, dass man den Zeugen, die heute geladen sind, nicht glauben solle. Sie würden nicht die Wahrheit sagen. Richtig sei, dass er in der Tatnacht in Berlin in seiner Wohnung war. Damit versuchte der 23-Jährige bereits im Vorfeld zu entkräften, was heute möglicherweise von zwei ehemaligen Mithäftlingen vorgebracht werden würde. Beide waren 2021 für einige Wochen auf der gleichen Station wie der Angeklagte in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Dresden inhaftiert. Man kochte gemeinsam und verbrachte viel Zeit miteinander. Dabei soll der Angeklagte belastende Äußerungen gemacht haben. Wird sich das heute bestätigen?
Der Zeuge aus der JVA
In Hand- und Fußfesseln wird als Erster Ashraf I. von zwei Justizvollzugsbeamten vorgeführt. Der 33-Jährige sitzt noch immer in Haft, stammt aus Marokko und spricht nur gebrochen Deutsch. Darum werden seine Angaben von einem Dolmetscher übersetzt. Im Laufe seiner Aussage wird klar, dass Ashraf I. dem Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt (JVA) ein Handy überließ. Das war verboten und hatte für den Marokkaner Folgen. Er kassierte deswegen ein Besuchsverbot. Im Nachgang wurde er dann beim Landeskriminalamt (LKA) Sachsen vernommen. Wie genau es zu diesem Verhör kam, ist unklar. Ashraf I. behauptet, dass er nicht wusste, worum es gehen soll und annahm, dass er nur zum Handy befragt wird.
Ein geplantes Selfie?
In dem Verhör ging es dann aber vor allem um Ashrafs Mitgefangenen – den angeklagten Zwilling aus dem Grünes-Gewölbe-Prozess. Glaubt man dem Polizeiprotokoll, war Ashraf I. sehr auskunftsfreudig. So soll er bei der Polizei gesagt haben: "Sie (die Grünes-Gewölbe-Angeklagten) haben sich darüber geeinigt, in der U-Haft nicht darüber (über die Tat) zu reden."
Außerdem berichtete er über Gespräche zu einem Selfie, das der Angeklagte angeblich in der Tatnacht in Berlin von sich gemacht hatte. Ashraf sagte demnach zum Remmo-Zwilling: "Du wusstest bestimmt, dass ihr danach etwas machen wollt, deswegen hast du das Selfie gemacht." Der Angeklagte habe ihm gegenüber zugegeben: "Ich habe ungefähr zwei Stunden vorher zu Hause ein Selfie gemacht." Außerdem erzählte der Zeuge bei der Polizei von Plänen des Angeklagten. Demnach hatte er vor, bald nach seiner Entlassung zu heiraten und mit seiner künftigen Frau in die Türkei zu ziehen.
Ashraf I. widerruft Aussage bei der Polizei
An all das will sich der 33-Jährige vor Gericht aber nicht mehr genau erinnern. Der Zeuge betont hier immer wieder, dass ihm der Angeklagte mehrmals sagte, dass er mit der Sache nichts zu tun habe und freigesprochen werde. Er sei in der Tatnacht in Berlin in seiner Wohnung gewesen. Manches stellt der Zeuge jetzt sogar ganz anders dar als beim LKA. So hält ihm die Staatsanwaltschaft vor, dass er bei der Polizei Folgendes angeboten habe: "Mein Vorschlag ist, dass ich für ihn ein Telefon besorge. Dann können Sie das Telefon abhören und viele Infos bekommen. Wenn Sie mehr wissen wollen, dann muss ich ihm ein Handy besorgen." Heute beteuert der Zeuge, dass er das so nicht gesagt habe. In der Vernehmung wäre es nur um sein altes Handy gegangen, das er dem Angeklagten für ein Telefonat mit seiner Mutter überlassen hatte.
Juwelen möglicherweise in Rumänien verkauft
Dann kommt ein sehr interessanter Umstand zur Sprache. Der Richter fragt den Zeugen, ob er mit dem Angeklagten darüber redete, wie man so etwas verkauft. Bei der Polizei hatte Ashraf I. dazu angegeben, dass ihm der tatverdächtige Zwilling gesagt habe, das könne man in Rumänien verkaufen. Heute korrigiert er seine Aussage und behauptet, dass ihm das nicht der Angeklagte erzählt habe, sondern ein anderer Mitgefangener. Zitat: "Abdelaziz hat mir gesagt, dass er gehört hat, dass irgendetwas in Rumänien verkauft wurde."
Die Widersprüche zwischen seiner Aussage heute und der beim LKA begründet Ashraf I. damit, dass der Dolmetscher bei der Polizeivernehmung nicht richtig übersetzt habe. Außerdem sei ihm das Protokoll nicht nochmal auf Arabisch vorgelesen worden. Er habe am Schluss einfach alles unterschrieben und gehofft, dass ihm die Staatsanwaltschaft danach wieder Besuch in der JVA erlauben würde.
Der zweite Zeuge kneift
Nun soll ein anderer Mithäftling des Remmo-Zwillings aussagen. Der schon erwähnte Abdelaziz T. Doch der erscheint gar nicht erst vor Gericht. Inzwischen auf freiem Fuß, kommt er seiner Vorladung einfach nicht nach. Die Kammer beschließt daraufhin, dem 48-jährigen Algerier die durch sein Ausbleiben entstandenen Kosten aufzuerlegen und ihn am Nachmittag zwangsweise vorführen zu lassen. Doch das gelingt nicht. Die Polizei findet den Mann nicht an der von ihm angegebenen Adresse an. Die Suche nach ihm könnte schwierig werden. In der Vergangenheit dauerte eine Fahndung nach Abdelaziz T. schon einmal vier Wochen.
Rückzieher an der Tagesordnung
Warum entziehen sich heute beide Belastungszeugen einer klaren Aussage? Bei unseren Recherchen rund um den Einbruch ins Grüne Gewölbe hatte uns Oberstaatsanwalt Ralph Knispel aus Berlin, der schon häufiger gegen Clanmitglieder prozessiert hat, dazu erklärt: "Wir haben hier oft Personen, die in Ermittlungsverfahren belastende Aussagen machen. Sie kommen häufig aus Kreisen, die den Angeklagten nahestehen. Aber nicht nur. Auf Grundlage der Aussagen wird dann Anklage verfasst und erhoben, manchmal auch Untersuchungshaft angeordnet. Und es entspricht der Lebenserfahrung, dass aus diesen Personenkreisen vor Gericht immer wieder Aussagen relativiert und bestritten werden. Man möchte den Dolmetscher nicht verstanden haben, Polizeibeamte hätten Gesprochenes falsch wiedergegeben. Das ist leider die Erfahrung, die wir tagtäglich im Gerichtssaal machen müssen."
Was sind die Gründe dafür? Verängstigung oder Berechnung? Erhoffen sich die wankelmütigen Zeugen möglicherweise Vorteile? Oder fand sogar eine außergerichtliche Absprache bei einem so genannten Friedensrichter statt?
Staatsanwaltschaft muss Stellung nehmen
Vor der Mittagspause beantragt Rechtsanwalt Andreas Boine heute offiziell die Abtrennung des Verfahrens gegen seinen Mandanten Ahmed Remmo vom Hauptprozess und dessen Freispruch. Außerdem beantragt Boine, den angeordneten Vermögensarrest aufzuheben. Damit könnte der Angeklagte wieder das Geld auf seinem Konto nutzen. Dieser Antrag hatte sich lange angekündigt.
In den letzten Wochen hatte das Verteidigerteam von Ahmed Remmo immer wieder darauf hingewiesen, dass keine objektiven Beweise gegen ihren Mandanten vorlägen und die Staatsanwaltschaft dazu Stellung nehmen müsse. Das hat diese allerdings bis heute nicht getan und wird nun von Richter Andreas Ziegel mit Nachdruck dazu aufgefordert, es innerhalb der nächsten Woche zu erledigen.
Abtrennung des Verfahrens steht im Raum
Falls die Kammer danach tatsächlich entscheidet, das Verfahren gegen Ahmed Remmo abzutrennen, müsste der Prozess gegen ihn nicht komplett von vorne aufgerollt werden. In ein, zwei weiteren Verhandlungstagen könnte der Angeklagte zeitnah und unabhängig von den anderen freigesprochen werden. Seine Verteidiger drängen auf eine schnelle Entscheidung. Zwar leiste Ahmed Remmo derzeit wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Bode-Museum sowieso eine Jugendstrafe ab - aber eigentlich in Berlin.
Dort hatte der junge Mann bis zu seiner Verlegung nach Dresden eine Ausbildung zum zahntechnischen Assistenten absolviert. Diese Ausbildung sei durch die Unterbringung in Sachsen unterbrochen worden. Da das neue Lehrjahr im Herbst starte, könne der 24-Jährige bei einem Freispruch und der Rücküberstellung in die Bundeshauptstadt seine Ausbildung fortsetzen. Das entspräche dem Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht und diene der Resozialisierung als einem der wichtigsten Ziele im deutschen Strafvollzug.
Fluchtfahrzeug schnell wie ein Lamborghini
Nachmittags werden zwei Zeugen in Essen vernommen - per audiovisueller Schalte ins dortige Landgericht. Die Liveübertragung läuft leider mit sehr schlechtem Ton, sodass einiges schwer zu verstehen ist. Zuerst sagt ein 72-jähriger Mann zum Verkauf eines der Fluchtfahrzeuge aus. Er habe den Handel für eine gute Bekannte organisiert und abgewickelt. Der Zeuge erzählt stolz, dass der Mercedes Benz E 500 in Silbermetallic von außen eher unscheinbar wirkte, es aber in sich hatte. Nach einem Tuning hatte der Mercedes die enorme Motorleistung von 550 PS und ein Drehmoment von 880 Newtonmetern. Zitat: "Der kann beschleunigen wie ein Lamborghini."
Der Essener berichtet, dass er den Wagen auf der Internetplattform mobile.de zum Kauf anbot und sich daraufhin ein Interessent aus Berlin per Handy meldete. Der Interessent sprach akzentfreies Deutsch und man wurde sich schnell handelseinig. Der Käufer kündigte an, einen "Laufburschen" zu schicken. Diesen holte der Zeuge im Juni 2019 am Hauptbahnhof Essen ab und fuhr gemeinsam mit ihm zum Mercedes. Auf der Fahrt habe der junge Mann erzählt, dass er 28 Jahre alt sei. Ansonsten sprach er wenig. Er hatte kurze, dunkle Haare, einen Bart und sah aus wie ein Syrer, erinnert sich der Autoverkäufer. Am Mercedes bezahlte der junge Mann 17.000 Euro in bar, ohne dass er den Wagen näher angeschaut oder eine Probefahrt gemacht habe. Der Abholer nahm die Auto-Schlüssel und Papiere entgegen und ließ sich danach vom Zeugen wieder zum Hauptbahnhof chauffieren. Nach ein paar Stunden sei der Mercedes dann weg gewesen. Das alles ähnelt sehr dem Verkauf des Audi S6 Avant – dem anderen Tatfahrzeug.
Als zweite Zeugin aus Essen wird im Anschluss die eigentliche Eigentümerin des Mercedes befragt. Die 32-Jährige kann zum Verkauf aber keine näheren Angaben machen.
Kurzer Ausblick vor der Sommerpause
Der letzte Prozesstag vor der Sommerpause hält nicht ganz, was er versprochen hatte. Wir sind neugierig, wie es Ende August weitergehen wird. Jedenfalls kündigen heute alle Angeklagten über ihre Verteidiger an, Angaben zur Person machen zu wollen. Und vielleicht wird ja auch der abtrünnige Belastungszeuge schneller als gedacht gefunden und wir erfahren bald, was er vom angeklagten Zwilling im Gefängnis gehört hat.
23. August 2022: Neustart nach der Sommerpause
Nach vierwöchiger Sommerpause geht der Prozess um den Diebstahl im Grünen Gewölbe in Dresden weiter. Wir erwarten heute eine wichtige Entscheidung des Gerichts. Am letzten Prozesstag vor der Pause hatten die Verteidiger von Ahmed Remmo beantragt, das Verfahren gegen den 24-Jährigen vom Hauptverfahren abzutrennen. Die Abtrennung wäre aus unserer Sicht ein klares Signal, dass Ahmed Remmo und damit zumindest einer der sechs Angeklagten wohl tatsächlich freigesprochen würde. Wie wird die Kammer also entscheiden?
Kein separates Verfahren für Ahmed
Doch das Gericht entscheidet anders, folgt nicht der Argumentation der Anwälte und lehnt deren Antrag ab. Richter Andreas Ziegel begründet den Beschluss damit, dass den sechs Angeklagten gemeinschaftliches, sogar bandenmäßiges Vorgehen bei verschiedenen Straftaten vorgeworfen wird. Das Agieren des Einzelnen im Gesamtgeschehen zu erhellen, seine Rolle im Beziehungsgeflecht aufzuklären, wäre nur in einer gemeinsamen Hauptverhandlung möglich. Außerdem sei es nicht auszuschließen, dass noch belastende Indizien gegen Ahmed Remmo auftauchen. Darüber hinaus würden auch prozessökonomische Gründe für einen gemeinsamen Hauptprozess sprechen.
Diese Entscheidung ist endgültig, die zwei Verteidiger Ahmeds können dagegen keine Rechtsmittel einlegen. Für Anwältin Lara Wolf kommt die Ablehnung nicht unerwartet. Sie erklärt am Rande des Prozesses: "Das ist ein Verfahren mit viel Prestige, viel Öffentlichkeit. Ich glaube, es ist ein schwerer Schritt für Staatsanwaltschaft und Kammer so schnell zu sagen, hier sitzt der Falsche auf der Anklagebank. Wir sind allerdings davon überzeugt: Es ist der Falsche."
Dünne Beweislage zu Ahmed Remmo
Tatsächlich gibt es bis jetzt kaum handfeste Indizien gegen Ahmed Remmo, die belegen, dass er beim Einbruch ins Grüne Gewölbe dabei war. Geruchsspuren aus Schlossnähe, auf die sich die Anklage gegen ihn unter anderem stützte, wurden vor Gericht von zwei Gutachtern zerpflückt. Hauptkritikpunkt hier - die Man-Trailer-Hunde wurden erst lange nach dem Diebstahl auf Schnüffeltour geschickt. Für die Verteidiger von Anfang an ein Unding.
Auch seine DNA-Spuren fanden die Ermittler an den verschiedenen Tatorten oder in den Tatfahrzeugen nicht. Darüber hinaus soll der junge Mann ein Alibi haben: Demnach war er in der Tatnacht in Berlin in einer Klinik und nicht in Dresden beim Einbruch. Dort wurde seine Krankenkassenkarte eingelesen und ein Arztbrief für ihn ausgedruckt. Es gibt sogar ein Selfie von ihm im Wartebereich der Notaufnahme und seine Ex-Freundin will ihn nur anderthalb Stunden vor dem Einbruch in Berlin gesehen haben.
Keine Sippenhaft in Deutschland
Gegen Ahmed Remmo sprechen seine engen Beziehungen zu den anderen Angeklagten und seine Vorgeschichte. Ahmed Remmo ist der ältere Bruder der mitangeklagten Zwillingsbrüder und der Cousin Wissam Remmos. Mit Letzterem hat er im März 2017 aus dem Berliner Bode-Museum die "Big Maple Leaf" entwendet. Für den Diebstahl der 100-Kilo-Goldmünze wurde die beiden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, die sie derzeit verbüßen. Aber Sippenhaft gibt es in Deutschland zum Glück nicht. Nur weil sie in einem einschlägig bekannten Clan aufgewachsen sind, werden die Dresdner Angeklagten sicher nicht verurteilt. Jedem einzelnen von ihnen muss seine Tatbeteiligung beim Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe nachgewiesen werden.
Dementsprechend zuversichtlich ist Ahmeds Verteidigerin Lara Wolf. Außerdem sei letzte Woche bereits durch das Gericht die Beschlagnahmung von Ahmeds Konto aufgehoben worden. Das sei ein gutes Zeichen, „denn der Vermögensarrest braucht noch einen geringeren Tatverdacht als beispielsweise der Haftbefehl. Der Haftbefahl braucht den dringenden Tatverdacht und der Vermögenseinzug nur den hinreichenden. Und die Kammer schreibt dort sehr ausführlich, aber auch sehr klar, dass es diesen hinreichenden Tatverdacht gegen Ahmed nicht gibt."
Bald mehr Informationen zu den Angeklagten
Am Nachmittag berichten Berliner Polizeibeamte über verschiedene andere Straftaten, in die die Dresdner Angeklagten verwickelt gewesen sein könnten. Es ist von einem versuchten Raubüberfall auf einen Berliner Juwelier im August 2019 die Rede. Damals wurde auch der in Dresden verwendete Mercedes in Taxioptik genutzt. Außerdem gibt es neue Details zu dem Raubüberfall auf eine Bankfiliale in Berlin im November 2019. Dieser wurde bereits am 19. Juli im Prozess thematisiert. An den dort aufgeschnittenen und hochgebogenen Fenstergittern fand die Spurensicherung DNA von einem der Zwillingsbrüder, der in Dresden vor Gericht steht. Zur Sprache kommen heute auch einige andere Einbruchsdelikte, die 2017 in Berlin passierten und in ihrer Begehungsweise dem Dresdner Coup und den versuchten Berliner Raubüberfällen von 2019 ähneln. Bei einem dieser Delikte fand man wieder DNA von einem der Dresdner Tatverdächtigen.
Mehr Details zu den Vorgeschichten der sechs Männern aus der Remmo-Großfamilie wird es ab nächster Woche geben. Schon ab Dienstag werden die Angeklagten selbst oder ihre Verteidiger Angaben zur Person machen. Zu erwarten sind Informationen aus ihrer Kindheit, zu ihrem Bildungsweg und etwaigen Vorstrafen oder auffälligem Verhalten. Mit diesen Einlassungen zur Person begibt sich der Prozess um das Grüne Gewölbe etwas eher als von uns erwartet auf die Zielgerade. Es wird zwar parallel auch noch Zeugenbefragungen geben, aber da ist derzeit nicht viel Neues und Spektakuläres zu erwarten.
26. August 2022: Fehlendes Licht verhindert genaue Angaben zur Körpergröße
Als Erster tritt heute der Sachverständige Dr. Andreas Düring auf. Er ist Anthropologe vom Münchner Institut für forensisches Sachverständigenwesen und hat im Auftrag der Staatsanwaltschaft Überwachungsvideos analysiert. Er untersuchte die Aufnahmen aus dem Schlossinneren und sollte Aussagen zur Körperhöhe und zur Händigkeit der beiden Täter, die ins Grüne Gewölbe eindrangen, treffen. Der Sachverständige verweist zunächst auf einige Unwägbarkeiten, mit denen er kämpfen musste. Da es die Wachleute versäumt hatten, das Licht im Grünen Gewölbe anzuschalten, blieb die Szenerie dunkel. Düring konnte darum nur einige wenige Sequenzen nutzen, in denen das Taschenlampenlicht der Täter sie selber beleuchtete. Aufnahmen, auf denen notwendigerweise die gesamte Person zu sehen war vom Kopf bis zu den Füßen.
Diese Bilder verglich der Experte Frame für Frame mit Aufnahmen, die vor dem Austausch der Kameratechnik gemacht wurden und auf denen Polizisten und andere Menschen, deren Körperhöhe bekannt ist, im Schloss zu sehen sind. In mühevoller Kleinarbeit suchte er auf diesem Video nach Übereinstimmungen. Stand zufälligerweise einer der Polizisten an genau der gleichen Stelle wie einer der im Überwachungsvideo festgehaltenen Täter, konnte er Aussagen zur Größe machen. Mit Hilfe dieser Superimpositons-Methode gibt Düring die Körperhöhe für Tatperson A mit 180 bis 186 Zentimeter mit Schuhen an, für Tatperson B mit 174 bis 182 Zentimeter. Aus den Überwachungsvideos konnte er auch ablesen, dass Tatperson A wahrscheinlich Rechtshänder ist, Tatperson B möglicherweise Linkshänder.
Die Flucht der Zwillingsbrüder
Ein Kriminalbeamter der SOKO Epaulette erzählt heute über die Großrazzia am 17. November 2019 in Berlin. Damals wurden mehr als 20 Objekte durchsucht und nach fünf Tatverdächtigen gefahndet. Drei konnten auf Anhieb festgenommen werden. Zwei Zwillingsbrüder aber entwichen. Einer davon - A.M. - war in der Nacht mit seinem Citroen unterwegs und bekam mit, dass er verfolgt wurde. Daraufhin warnte er seinen Bruder mit drei Textnachrichten. M. solle aus der elterlichen Wohnung verschwinden, nichts zurücklassen und nicht den eigenen Pkw benutzen. Der gewarnte M. ließ sich danach von einem Freund mit dessen Auto abholen und entkam. Auch A.M. gelang die Flucht. Wie sich später herausstellte durch einen Autotausch. Als die Polizei seinen Citroen nach einer Weile stoppte, saßen darin drei andere Insassen. In dem Wagen waren allerdings noch Kleidung, Dokumente und ein Handy, die wahrscheinlich A.M. gehörten. An einer im Citroen sichergestellten Joggingjacke entdeckte die Spurensicherung im Labor Anhaftungen von sehr reinem, unlegierten Gold. Aus solchem Gold bestand auch die 100-Kilo-Goldmünze, die im März 2017 von anderen Mitgliedern des Remmo-Clans aus dem Bode-Museum gestohlen worden war.
Die Suche nach den Zwillingen
Im Anschluss berichtet ein Zielfahnder vom BKA kurz über die Fahndung nach den Zwillingsbrüdern. Aufgespürt hat man beide durch die Auswertung von Telekommunikation von Familienangehörigen und Freunden. 47 TKÜ-Maßnahmen wurden durchgeführt. Sobald man etwas herausbekommen hatte, griff man zu. Bei einem Zwilling im Dezember 2020, als der sich mit einer Kontaktperson treffen wollte. Den anderen Zwilling nahm man erst im Mai 2021 fest, als er sich in der elterlichen Wohnung aufhielt. Wo die beiden vor ihren Festnahmen waren, konnte nicht ermittelt werden.
30. August 2022: Zeuge fürchtet Rache
Der Algerier Abelaziz T. war schon vor gut einem Monat im Grüne-Gewölbe-Prozess als Zeuge geladen, erschien damals aber nicht. Und auch der Polizei war es bisher nicht gelungen, ihn zwangsweise vorzuführen. Heute nun betritt der schmächtige 48-Jährige etwas widerwillig und offenkundig nervös den Gerichtssaal. Zuvor hatte er in einem Acht-Augen-Gespräch mit dem Richter, einem Staatsanwalt und einem Verteidiger darum gebeten, dass die Angeklagten während seiner Aussage den Gerichtssaal verlassen.
Zeugenschutz für Abdelaziz T.?
Diese Bitte schlägt die Kammer aus, stellt dem Mann aber den Kontakt mit dem Zeugenschutz in Aussicht. Denn Abdelaziz T. hat Angst. Das behauptet er jedenfalls. Angst davor, dass ihm die Angeklagten oder deren Verwandte schaden, ihn für seine Angaben bestrafen. T. begründet seine Sorgen auch damit, dass ihn vor anderthalb Monaten ein ihm bekannter Libanese, der wie er seit mehr als 20 Jahren in Dresden wohnt, gewarnt habe, dass "diese Leute nach ihm fragen würden". Allein das empfinde er als Bedrohung.
Belastungszeuge mit krimineller Vorgeschichte
Abdelaziz T. hatte ein paar Monate mit einem der angeklagten Zwillingsbrüder auf der gleichen Station in der Justizvollzugsanstalt Dresden gesessen. Man habe zusammen gekocht, sei auch mal spazieren gegangen. Im August 2021 signalisierte T. einem Mitarbeiter der JVA, dass er Angaben zum Einbruch ins Grüne Gewölbe machen wolle. Daraufhin fand ein Verhör mit zwei Beamten der SOKO Epaulette statt. Heute gibt der Algerier unumwunden zu, dass er seine Aussage machte, weil er für sich selbst Hafterleichterungen erhofft hatte und möglichst schnell aus der U-Haft raus wollte. Der 48-Jährige wartete 2021 auf sein endgültiges Urteil wegen Körperverletzung, Computerbetrugs und Hehlerei. Er saß damals zum wiederholten Mal im Gefängnis.
Erinnerungslücken zum Polizeiverhör
Vor Gericht und mit den sechs Remmo-Männern im Rücken windet sich der Zeuge. An die vielen belastenden Aussagen des angeklagten Zwillings, die er bei der Polizei erwähnte, kann er sich jetzt nur bedingt erinnern. Erst wenn ihm der Richter oder die Staatsanwälte bestimmte Passagen aus dem Protokoll vorlesen, räumt er ein, dass er das eine oder andere so gesagt habe. Einer dieser Vorhalte lautet: "Er hat gesagt, wir sind keine Hellseher, wir hatten einen Insider." Darauf Zeuge T.: "Ja, daran kann ich mich erinnern, das hat er so gesagt."
Im Polizeiverhör hatte T. auch erwähnt, dass ihm der Angeklagte gestanden habe, "dass er bei der Brandstiftung dabei war und befürchte, schon alleine deswegen für vier bis fünf Jahre ins Gefängnis zu müssen". Heute formuliert der Zeuge dazu eher vage: "Wenn ich das gesagt habe, dann war das so." Auf den Vorhalt, dass T. bei der Polizei ausgesagt habe, dass der Angeklagte "einen kleinen Stein vom Grünen Gewölbe in Rumänien verkauft hat", antwortet Abdulaziz T.: "Ich hatte keinen Dolmetscher an dem Tag. Kann sein, dass mich die Polizisten falsch verstanden haben. Ich habe nie gesagt, dass das von ihm kam."
So geht es mühselig von Zitat zu Zitat. Am Ende kommen viele Erinnerungsfetzen zur Sprache, die für eine Tatbeteiligung des Zwillings sprechen. Vorgebracht allerdings von einem Mann, der einschlägig vorbestraft ist unter anderem wegen Betrugs. Wie glaubwürdig die Kammer diesen Zeugen einschätzt, bleibt abzuwarten.
Baugenehmigung in einem Punkt nicht umgesetzt
Auch ein Bauingenieur aus Dippoldiswalde wird heute vernommen. Er war im April 2020 von einem privatwirtschaftlichen Auftraggeber in die Tiefgarage geschickt worden, in der die Täter eines ihrer Fluchtfahrzeuge angezündet hatten. Dort sollte er eine brandschutztechnische Begutachtung vornehmen und festlegen, welche Sanierungsmaßnahmen erfolgen müssen. Dabei stellte der Zeuge fest, dass der Brandschutz grundsätzlich funktioniert habe. Das Feuer wurde unter anderem durch Schutztüren daran gehindert, sich auszubreiten und griff nicht auf die Wohngebäude über.
Allerdings stellte der Bauingenieur auch fest, dass der Brandschutz nicht mehr den aktuellen Anforderungen entspreche. Als die Wohnanlage 1997 gebaut wurde, waren die Vorschriften noch nicht so streng wie heute, bestimmte Produkte noch nicht auf dem Markt. Außerdem sei eine Auflage aus der Baugenehmigung nicht umgesetzt worden: Die Lüftungsöffnungen sowie die Rauch- und Wärmeabzüge waren zu dicht an den Hauswänden geplant. Das sollte geändert werden. Warum das nicht umgesetzt wurde, wisse er nicht. Es könne sein, dass man sich später mit der Bauaufsichtsbehörde geeinigt habe. Das sei in den 1990er Jahren durchaus üblich gewesen. In den Unterlagen habe er dazu aber keinen Hinweis gefunden. Die andere Variante ist, dass dem Amt ein Fehler unterlaufen sei und es die zu dichten Öffnungen schlichtweg übersehen habe.
Dieser Mangel müsse aber laut dem Zeugen nicht verantwortlich dafür sein, dass in einige Erdgeschosswohnungen große Rauch- und Rußmengen eindrangen. Rauch und Ruß, so der Sachverständige heute, können durch Wind aus bis zu zehn Metern Entfernung in Gebäude eindringen.
Erklärung zum persönlichen Werdegang eines Angeklagten
Es gehört zum Prozessablauf, dass immer auch das persönliche Umfeld und die Biografie der Angeklagten beleuchtet werden. Wirklich persönlich ist so etwas meist nicht, denn oft verlesen die Verteidiger solche Lebensläufe. So auch heute. Der 1994 geborene Angeklagte ist als Ältester von sieben Geschwistern aufgewachsen. Er verließ die Schule nach zehn Jahren ohne Hauptschulabschluss - nur mit einem Abgangszeugnis. Deshalb fand er auch keine Lehrstelle. Der Angeklagte wollte eine Ausbildung zum Personenschützer machen, schaffte aber die dafür notwendige Eignungsprüfung nicht.
Personenschützer, Sicherheitsdienst und Kabelmonteur
Über das Jobcenter finanziert, sollte er seinen Schulabschluss nachholen. Diese Maßnahme brach er ab, weil er sich von seinen Mitschülern gemobbt fühlte. Nach einem zweiten abgebrochenen Versuch, sich über das Jobcenter weiterzubilden, fand er einen Job bei einem Sicherheitsdienst. Dort war er unter anderem in Berlin am Kurfürstendamm im Einkaufszentrum "Kranzlereck" und bei der "Meissen Porzellan Boutique" Unter den Linden eingesetzt.
Dann begann er eine Ausbildung zum Kabelmonteur in der Firma, in der sein Vater arbeitete. Dort hätte man ihm sogar den Job eines Logistikers angeboten, weil er so engagiert gearbeitet habe. Weil er "immer alles gab", sei er krank geworden und habe dort wieder aufgehört.
Drogenkarriere sorgt für Schmunzeln im Gerichtssaal
Der Angeklagte wurde 2017 Chef eines Pizzalieferdienstes in Berlin-Buckow. Da sei er dann ins Drogenmilieu "gerutscht". Und an dieser Stelle wird es im Prozess mal wieder bizarr. Der Angeklagte lässt erklären, dass er da wieder raus wollte, "vergaß aber ,die Ware vom letzten Deal aus seinem Auto zu nehmen". An dieser Stelle kann sich kaum ein Anwesender im Gerichtssaal das Lachen verkneifen. Ohne die Miene zu verziehen, erklärt der Anwalt weiter, dass dieses "Versehen" dazu führte, dass bei einer Polizeikontrolle 25 Gramm Kokain, mehrere Eppendorf-Pipetten und eine Feinwaage gefunden wurden. Außerdem hatte er keinen Führerschein, aber mehrere Bargeldbündel (jeweils mehrere tausend Euro) dabei.
Im darauffolgenden Gerichtsprozess im September 2018 wurde der Angeklagte zu einer Strafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. Danach hat er kurz in Chemnitz gearbeitet, wollte sich dann als Paketzusteller selbständig machen, was auch nicht klappte. Seit seiner Verhaftung im Zusammenhang mit dem Diebstahl im Grünen Gewölbe arbeitet der Angeklagt in der JVA in der Verpackung. Er ist seit Sommer 2017 mit seiner Freundin zusammen, die fast an jedem Prozesstag im Zuschauerraum sitzt.
Nachfragen zu seiner Person sind nicht zugelassen. Das wird auch bei den kommenden Einlassungen der anderen Angeklagten so sein.
6. September 2022: Verteidiger-Duo in Hochform
Mehr als zwei Stunden brauchen heute Vormittag die Anwälte eines der angeklagten Zwillingsbrüder für umfangreiche Beweisanträge. Im ersten Antrag weisen die beiden mit Nachdruck darauf hin, dass das Polizeiverhör des Belastungszeugen von letzter Woche nach der Veröffentlichung etlicher Medienberichte erfolgte. Aus Zeitungen, Internet und Fernsehen stammen ihrer Meinung nach die Informationen des Zeugen zum Einbruch ins Grüne Gewölbe und zu anderen Straftaten, die der Familie Remmo zugeordnet werden. Der mehrfach vorbestrafte Zeuge hätte all das bis zum August 2021 ganz unkompliziert in den Medien recherchieren können. Keinesfalls habe er die Infos aus vertraulichen Gesprächen mit ihrem Mandanten in der Justizvollzugsanstalt. Um ihre Behauptung zu untermauern, liest Verteidiger Konstantin Stern etliche Zeitungsartikel in voller Länge im Gerichtssaal vor.
Forderungen der Verteidigung
In den anderen Beweisanträgen machen die Verteidiger einen regelrechten Forderungskatalog auf: Sie wollen unter anderem, dass die Rechtsanwältin des Belastungszeugen, ein Justizbeamter und zwei andere ehemalige Mitgefangene ihres Mandanten als Zeugen geladen werden. Außerdem sollen die Verfahrensakten zu Abdelaziz T. - dem Mann, der vergangene Woche aussagte - allen Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus verlangen sie, dass die Aussage des Belastungszeugen von einem aussagepsychologischen Gutachter bewertet wird. Mal sehen, was das Gericht davon bewilligen wird.
Polizeioberkommissar in Erklärungsnot
Im Anschluss kommt der Polizist zu Wort, der die Verhöre mit den beiden Mitgefangenen des Angeklagten geführt hat. Wobei das Wort "Verhör" hier kaum angemessen scheint, denn der 28-Jährige stellte dem Belastungszeugen Abdelaziz T. laut Protokoll gerade mal zwei Fragen. Den Einstieg in die Vernehmung gestaltete er schlicht mit: "Was können Sie uns heute sagen?" Worauf der Zeuge antwortete: "Ich riskiere hier meinen Arsch. Deshalb möchte ich, dass es Erleichterungen für mich gibt." Im Nachgang war der Beamte nach eigenen Angaben damit beschäftigt, das von T. sehr schnell Vorgebrachte möglichst richtig und komplett mit zu tippen. So seien "auch die Rechtschreibfehler entstanden". Mehrmals habe der Polizist um eine Schreibpause gebeten. Die Aussage von T. durch Nachhaken auf ihren Wahrheitsgehalt hin abzuklopfen, sah er offenbar nicht als notwendig an.
Wir fragen uns, warum der zweite Polizeibeamte, der bei den Verhören anwesend war, hier nicht eingriff. Beide unterließen es auch, die jeweiligen Vorgespräche mit den Zeugen, in denen es um deren Motivation für die Aussage und eventuelle Vergünstigungen ging, niederzuschreiben. Notizen zum Eindruck, den die beiden Männer auf sie machten, fertigten sie nicht an. Das sorgt für Verwunderung und Unverständnis bei den Verteidigern.
Ein aufgewühlter Angeklagter
Emotional angefasst ergreift der angeklagte Zwilling das Wort. Er versucht Fragen an den Polizeibeamten zu formulieren. Kommt dabei aber nicht auf den Punkt, verhaspelt sich. Nach dem Eingreifen seiner Verteidiger und einer fünfminütigen Prozesspause fährt A.M.R. fort und sagt, dass es ihn mitnehme, wenn er hier zuhören müsse, wie einer lügt, lügt und lügt. Der Angeklagte meint damit den Belastungszeugen T. aus der letzten Woche. Weiter erklärt er, dass er "ein fröhlicher Mensch" sei und immer lächle. Das sei wie eine Verhaltensstörung, wenn ihn jemand anlächle, lächle er zurück. Damit geht der 23-Jährige auf die Aussage des Belastungszeugen ein, dass er gefragt nach dem Einbruch ins Grüne Gewölbe immer gelächelt und das Gespräch abgewürgt habe.
Knappe Angaben zur Person
Am Ende des heutigen Prozesstages machen zwei Angeklagte eher karge Angaben zu ihrer Person. Zuerst lässt ein 28-Jähriger seinen Verteidiger erzählen, dass er acht Geschwister habe und nach islamischen Recht verheiratet sei. Mit seiner Frau habe er einen fünfjährigen Sohn und eine einjährige Tochter. Das Mädchen habe er wegen der Haft noch nie gesehen. Er habe einen Hauptschulabschluss und danach in der Gastronomie und auf Trödelmärkten gejobbt. 2015 machte er sich kurzeitig mit einem Hostel für syrische Flüchtlinge selbständig. Aus unseren Recherchen wissen wir, dass er damit 25.000 Euro Steuerschulden einfuhr. Der Angeklagte räumt weiter ein, dass er über lange Zeit Cannabis und Kokain konsumierte. Derzeit besuche er eine Suchthilfegruppe in der JVA und wolle von den Drogen loskommen.
Über die vom Gericht eingeholten Fakten aus dem Bundeszentralregister wird klar, dass der Mann ein erhebliches Vorstrafenregister hat. Gegen ihn wurde schon wegen Körperverletzung, gemeinschaftlichem Diebstahl, versuchter Nötigung und Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt. Das erste Mal auffällig wurde er demnach mit 15 Jahren. Der 28-Jährige musste auch schon eine Haftstrafe verbüßen.
Die Kindheit von Wissam Remmo
Wissam Remmo ist wohl der Bekannteste unter den Angeklagten. Im Berliner Goldmünzen-Fall war er zu 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. In Erlangen stahl er 2018 nachweislich sieben Hydraulik-Geräte. Solche Geräte werden immer wieder für Einbrüche und Überfälle benutzt. All das ging durch die Presse. Glaubt man den Angaben des 25-Jährigen hatte er es als Kind nicht leicht. Wissam Remmos Vater kam in den 1980er Jahren aus dem Libanon nach Deutschland. Er verbrachte lange Jahre in Haft, darum lag die Erziehung fast komplett in Händen der Mutter. Der Vater erlitt nach der Verbüßung seiner Strafe einen Schlaganfall und ist seitdem querschnittsgelähmt. Wissam Remmo ist das dritte von insgesamt sieben Kindern. Er verließ die Schule ohne Abschluss.
Langes Vorstrafenregister
Aus den Angaben vom Bundeszentralregister wird deutlich, womit der Junge seine Zeit verbrachte: Dort gibt es zehn Einträge zu ihm. Der erste stammt von 2012, da war Wissam Remmo noch keine 16 Jahre alt. Damals verübte er einen Diebstahl mit Waffen. Später kamen gemeinschaftliche Körperverletzung, räuberischer Diebstahl, Einbruch, Tankdiebstähle, Fahren mit einem stillgelegten Auto, Betrug und Urkundenfälschung hinzu. In einem Bericht der Jugendgerichtshilfe von 2018 heißt es, dass der junge Mann ein enges Verhältnis zu seiner Mutter hatte, seine Persönlichkeit noch nicht ausgereift sei und bei ihm ein besonderer Betreuungsbedarf festgestellt wurde. In seinen persönlichen Angaben gesteht Wissam Remmo, dass er schon mit 16 Drogen nahm, zuerst nur Marihuana, später folgten Kokain, Alkohol, Ecstasy und Subutex. Künftig wolle der junge Mann sein Leben ändern. Er möchte mit seiner Verlobten eine Familie gründen und eine abgebrochene Ausbildung zum Pflegehelfer wiederaufnehmen.
Nach den Einlassungen stellt sich uns erneut die Frage, was kann die Gesellschaft unternehmen, um diese kriminelle Aufwärtsspirale frühzeitig zu stoppen? Wie kann man erreichen, dass junge Männer aus kriminellen Clanstrukturen ein normales Leben führen? Oder nehmen wir es weiterhin einfach hin, dass hier eine Generation nach der anderen zu Dieben, Räubern, Hehlern und Gewaltverbrechern heranwächst?
13. September 2022: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Was heute im Gerichtssaal passiert, können wir Medienvertreter leider nicht verfolgen. Die Öffentlichkeit wird auf Antrag der Verteidiger der beiden angeklagten Zwillinge vom Prozess ausgeschlossen. Richter Andreas Ziegel begründet die Entscheidung der Kammer damit, dass es heute im Prozess ausschließlich um die beiden Brüder gehen soll. Sie werden Angaben zur Person machen, die Jugendgerichtshilfe wird zu ihnen gehört, außerdem ein Sachverständiger. Dr. Jan Lange - Gutachtenbeauftragter der Uniklinik Dresden für forensische Psychiatrie - soll zu etwaigen psychischen Auffälligkeiten bei einem der beiden jungen Männer Auskunft geben.
Da die Zwillingsbrüder zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt waren und damit Heranwachsende, genießen sie einen besonderen Schutzstatus. Eine bundesweite mediale Berichterstattung über ihren Werdegang und ihre persönlichen Lebensumstände könne sich negativ auf ihre künftige Entwicklung auswirken, so der Richter. Wir Journalisten aber auch einige Zuschauer sind enttäuscht und verlassen gegen 11 Uhr geschlossen und frustriert den Hochsicherheitssaal.
27. September 2022: Verräterische Handys und vehemente Verteidiger
Insgesamt 113 Handys hat die Polizei im Fall Grünes Gewölbe ausgewertet. Eingesammelt wurden sie während der verschiedenen Durchsuchungsmaßnahmen in Berlin bei den mutmaßlichen Tätern, Familienangehörigen, Freunden und Geliebten. Die Beamten sahen sich die Verkehrs- und Kontaktdaten an, scrollten sich durch Chatverläufe bei Instagram und Whatsapp. Außerdem prüften sie, wonach die Täter auf ihren Handys suchten, womit sie sich im Internet beschäftigten, welche Filme sie ansahen - eine Mammut-Aufgabe. Heute berichtet nun ein Mitglied der Soko Epaulette darüber, was er bei der Beschäftigung mit zwei Smartphones herausgefunden hat.
Eines der untersuchten Handys gehört dem Cousin eines der Angeklagten. Die beiden wollten sich demnach am 23. und 24. November 2019 treffen. Beide Verabredungen platzten. Am 24. - dem Abend vor dem Einbruch - begründete der Angeklagte seine Absage damit, dass er etwas Wichtiges zu tun hat. Er würde später erklären, was. Es folgte ein Telefonat. Was dort gesagt wurde, ist unklar. Fest steht, dass der Angeklagte seinem Cousin am folgenden Tag gegen 14 Uhr den Screenshot von einem Video schickte. In dem Video ging es um den Einbruch ins Grüne Gewölbe. Zu sehen ist ein Bild-Reporter vor dem Residenzschloss Dresden. Kommentar des Angeklagten: "Schau Dir das an. Das ist eine brutal krasse Sache."
Das zweite Smartphone gehört Zwillingsschwestern aus der Familie Remmo. Es wird ein neun Minuten langes Video vom 26. November 2019 abends gezeigt, das die jungen Frauen selbst aufgenommen haben. Darauf sieht man eine Wohnung, in der sich vier Personen aufhalten - wohl Vater und Mutter und die Zwillingsmädchen. Sie bereiten scheinbar einen Umzug vor. Es werden Kartons gepackt und Dinge hin- und hergetragen. Später erscheinen in dem Filmchen drei oder vier junge Männer. Man erkennt die Zwillingsbrüder und einen weiteren Angeklagten. Alle Beteiligten sprechen arabisch miteinander. Im Gericht wird erklärt, dass das Video gezeigt wird, um das Verhältnis der mutmaßlichen Einbrecher zueinander und ihr Aussehen im Tatumfeld zu verdeutlichen.
Aussage mit Hindernissen
Im Anschluss ist die Vernehmung einer Kriminalhauptkommissarin geplant. Sie arbeitet im Rauschgiftdezernat und hat Ermittlungen gegen einen Drogenring in Dresden geleitet. Diese Ermittlungen wurden durch die Aussage von Abdelaziz T. angeschoben, der auch im Grüne-Gewölbe-Prozess als Belastungszeuge auftrat. Hier hatte er über angeblich belastende Äußerungen eines der angeklagten Zwillingsbrüder in der Haft berichtet. Heute geht es darum, seine Glaubhaftigkeit als Zeuge zu prüfen.
Doch bevor die Polizistin aussagen kann, verlangt ein Verteidiger, die Befragung zu verschieben. Man hätte nicht alle Akten zum Drogen-Verfahren bekommen und sich darum nicht adäquat auf die Vernehmung vorbereiten können. Nach langem Hin und Her entscheidet die Kammer, dass die Zeugin heute gehört wird und bei Bedarf nochmal vorgeladen werden kann.
Die Kommissarin berichtet nun ausführlich über den Ermittlungskomplex "Silberfisch". Dabei geht es vorrangig um den Handel mit Crystal Meth und zehn bis zwölf Beschuldigte. Diese seien nur aufgrund der Aussage von Abdelaziz T. ins Visier der Polizei geraten. T. habe genaue Lage- und Personenbeschreibungen gegeben und darüber erzählt, wie der Handel ablief. Die Ermittlungen hätten etwa 70 Prozent der Aussage von T. bestätigt. Es seien dadurch bisher drei Anklagen gegen vier Personen begründet worden, gegen einen fünften Verdächtigen würden die Ermittlungen noch laufen. T. habe von Anfang an klar kommuniziert, dass er auspackt, weil er nicht in Haft wolle bzw. so schnell wie möglich wieder auf freien Fuß. Versprochen habe man ihm aber nichts. Auch die Staatsanwaltschaft habe noch während der laufenden Befragung signalisiert, dass es von ihrer Seite keine Zusage für Erleichterungen gäbe.
Verteidigerteam mit engagiertem Auftritt
Am Ende des Prozesstages macht ein Verteidiger von Ahmed Remmo Angaben zu dessen Person. Sehr knapp. Das Ganze dauert etwa eine Minute. Der Richter fragt sogar nach, ob es nicht noch ein paar Informationen zur Schullaufbahn geben könne. Anwalt Andreas Boine verneint. Er und seine Kollegin Lara Wolf hatten im Prozess immer wieder die Unschuld ihres Mandanten betont und aufgrund der dünnen Beweislage die Abtrennung seines Verfahrens und seinen Freispruch gefordert. Heute steht ihnen ein dritter Strafverteidiger bei. Prof. Stefan König war erst wenige Male beim Prozess in Dresden anwesend. Er ist einer der renommiertesten Strafverteidiger in Deutschland, hat schon Rapper Fler, Stasi-Chef Erich Mielke, einen VW-Manager und den "Junge Welt"-Chefredakteur vertreten. Im Goldmünzen-Prozess war er der Verteidiger von Wissam Remmo. Nun also tritt er für die Rechte von Ahmed Remmo ein.
König erläutert, was die Anklage im Grüne-Gewölbe-Prozess für seinen Mandanten bedeutet. Ahmed Remmo war vor seiner Verlegung nach Dresden wegen des Diebstahls der Goldmünze im Berliner Bode-Museum in Haft. Er saß allerdings im offenen Jugendstrafvollzug und konnte so eine Ausbildung zum zahnmedizinischen Fachangestellten absolvieren. Die sei nun unterbrochen, was einer gewünschten Resozialisierung Ahmeds nicht diene.
Später, als der Richter die Angaben aus dem Bundeszentralregister zur kriminellen Vorgeschichte Ahmeds Remmos verliest, unterbricht ihn König. Er moniert, dass es nicht angezeigt sei, in einer öffentlichen Verhandlung so detailliert über Ahmed Remmo zu berichten und begründet seinen Einwand damit, dass mit dessen Freispruch zu rechnen sei. Tatsächlich wurde der Haftbefehl gegen Ahmed Remmo im Oktober 2021 vom Landgericht Dresden aufgehoben und auch der Einzug seines Vermögens wurde inzwischen zurückgenommen. König führt weiter aus, dass seinem Mandanten im Grüne-Gewölbe-Verfahren schon "genügend Unrecht" widerfahren sei. Ahmed Remmo sei trotz fehlender Beweise "vor Gericht gezerrt" worden. Den Schaden, den man ihm dadurch zufüge, würde man hier wohl als Kollateralschaden billigend in Kauf nehmen.
Richter Andreas Ziegel erwidert daraufhin, dass die Kammer zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht davon ausgehe, dass Ahmed Remmo freigesprochen werde. Er argumentiert weiter, dass die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen sei und durchaus noch belastende Indizien auftauchen könnten. Danach einigt man sich nach einer kurzen Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft darauf, nur die früheren Delikte und die verhängten Strafen zu verlesen, nicht aber die detaillierten Vorstrafenurteile.
Kurzer Prozess
Nach etwa zwei Stunden ist die Verhandlung heute zu Ende. Wir fragen uns, was da schiefgelaufen ist. Jeder Prozesstag im Hochsicherheitstrakt bedeutet enormen Aufwand. Die Angeklagten müssen aus den verschiedenen Gefängnissen gebracht werden, Justiz- und Polizeibeamte in großer Zahl sind im Einsatz, ein Hubschrauber sichert aus der Luft, der Saal ist blockiert, die Prozessbeteiligten reisen teilweise von weit her an. Das alles kostet Geld und dabei ist wahrscheinlich irrelevant, dass die Verhandlung nur bis mittags dauert.
25. und 28. Oktober 2022: Blick in die Zukunft - experimentelle Kriminalistik
Nach vierwöchiger Prozesspause aufgrund der Ferien und von Krankheit geht es in der letzten Oktoberwoche mit der Verhandlung weiter. Die beiden Tage im Gericht lassen sich sehr kurz zusammenfassen: Die Zeugenbefragung eines Kripobeamten, der an der Handyauswertung beteiligt war, bringt keine neuen Erkenntnisse.
Als zweiter Zeuge sagt ein ehemaliger deutscher Mitgefangener eines Angeklagten aus. Er saß mit einem der Remmo-Zwillingsbrüder in der JVA, war mit ihm von September 2020 bis Januar 2021 auf der gleichen Station. Auch dieser Zeuge kann nichts Erhellendes zum Prozess beitragen. Er betont lediglich, dass der mit ihm inhaftierte Angeklagte immer wieder beteuert habe, dass er unschuldig sei und mit dem Diebstahl im Grünen Gewölbe nichts zu tun habe.
DNA-Experte über Spurenleger
Als Sachverständiger taucht noch einmal Dr. Ralf Nixdorf vom LKA Sachsen auf. Der DNA-Experte bringt im Zusammenhang mit der Spurensicherung einen völlig neuen Begriff ins Spiel: Shedder. Das ist das englische Wort für "Vergießer", also jemanden, der Tränen, Blut oder ähnliches vergießt. In der Kriminalistik werden Menschen entsprechend ihrer Fähigkeit, Spuren zu hinterlassen als "gute" oder "schlechte Spurenleger" ("good shedder" beziehungsweise "bad shedder") bezeichnet. Um aber mögliche Täter in eine solche Kategorie einteilen zu können und Rückschlüsse auf das Tatgeschehen zu ziehen, reichen die wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit nicht aus. Das Ganze befindet sich noch in einer experimentellen Phase, kann aber für künftige Ermittlungen und Prozesse interessant werden.
Wie kam die DNA an den Tatort?
Ähnlich verhält es sich mit der indirekten Übertragung von DNA-Spuren. Nixdorf soll sich dazu äußern, ob DNA-Spuren auch über Dritte zum Beispiel an die Schlossmauer gelangt sein könnten. Ein Thema, auf dem vor allem der Anwalt von Wissam Remmo herumreitet, da von seinem Klienten dort Spuren gefunden wurden. DNA-Experte Nixdorf räumt die theoretische Möglichkeit ein, macht aber deutlich, dass die indirekte Spurenübertragung wissenschaftlich noch im Forschungsstadium steckt. Bisherige Erkenntnisse beruhten nur auf vereinzelten Experimenten. Das heißt, dass es im Prozess sehr unwahrscheinlich ist, dass das Gericht davon ausgehen wird, dass DNA-Spuren über Dritte an den Tatort gelangt sind. Spannend war außerdem die Feststellung durch Nixdorf, dass DNA-Spuren auf strukturierten, rauen Oberflächen besser und länger haften als auf glatten. "Bei Sandstein als Spurenträger jubelt der Analytiker", so sein Fazit.
Die Anklage lautet ...
Zum Schluss wird die Anklage durch das Gericht noch präzisiert: Es handelt sich demnach um einfachen Diebstahl (Kfz-Kennzeichen), Diebstahl mit Waffen in Tateinheit mit Sachbeschädigung und besonders schwere Brandstiftung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung in zwei Fällen.
Im Moment wird übrigens nicht mehr in der gleichen Schlagzahl wie bis August verhandelt. Es sind auch nicht jede Woche Termine angesetzt. Der nächste Verhandlungstag ist am 18. November geplant.
18. November 2022: Prozessende in Sicht
Nach dreiwöchiger Prozesspause erleben wir heute einen unspektakulären Tag im Gericht, der schon vor der Mittagspause endet. Geladen ist nur ein Zeuge, daneben gibt es zwei Anträge von der Verteidigung.
Der erste Antrag kommt von den Anwälten Wissam Remmos und wird von den Verteidigern eines weiteren Angeklagten unterstützt. Sie fordern die Aussetzung der Hauptverhandlung, da die Tatbeiträge ihrer beiden Mandanten völlig unklar seien. Die Kammer hatte zuvor am 28. Oktober in einem rechtlichen Hinweis verkündete, dass den beiden Männern derzeit keine Haupttäterschaft nachgewiesen werden könne. Die Staatsanwaltschaft hatte die zwei aber bisher als Haupttäter angesehen. Es gebe keine stichhaltigen Beweise, so die Kammer damals, dass eben diese beiden ins Residenzschloss eingedrungen seien, die Vitrinen zerschlugen und den Schmuck stahlen. Die Anwälte weisen heute darauf hin, dass es für eine effektive Verteidigung zwingend erforderlich sei, dass der Tatvorwurf klar ist und möglichst genau beschrieben wird.
Der zweite Antrag kommt von den Verteidigern eines der Zwillingsbrüder. Sie wollen, dass noch weitere Zeugen geladen werden, die etwas dazu sagen können, ob ihr Mandant in der Haft belastende Aussagen machte oder nicht.
Zeuge aus dem Gefängnis
Im Anschluss geht es um genau diese Aussagen. Geladen ist ein 50-jähriger Gastronom, der in der JVA Dresden fünf Wochen lang auf einer Station mit dem Angeklagten saß. Der Zeuge ist auch heute noch in U-Haft und hat nicht viel Erhellendes beizutragen. Der Mann berichtet davon, dass er ein kurzes Gespräch mit dem Belastungszeugen, der vor einigen Wochen im Prozess ausgesagt hatte, geführt habe. Darin habe dieser Belastungszeuge gesagt, dass er zu seiner Aussage bei der Polizei von einem weiteren Mithäftling angestiftet worden sei und diese Aussage inzwischen bereue und über seinen Anwalt zurücknehmen wolle. Das solle der 50-jährige Gastronom unbedingt dem Remmo-Zwilling ausrichten.
Am Schluss dieses kurzen Prozesstages gibt der Richter noch einen Ausblick zum weiteren Verlauf. Derzeit seien nur noch sieben Beweisanträge offen, wovon einige wahrscheinlich zurückgewiesen werden würden. Für neue Beweisanträge soll es eine Frist geben, in der sie gestellt werden müssen. Das deutet einmal mehr darauf hin, dass sich der Prozess auf der Zielgeraden befindet. Denn nach der Beweisaufnahme folgen nur noch die Abschlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Danach können sich die Angeklagten noch mal äußern, was in diesem Prozess nicht zu erwarten ist. Im Anschluss wird das Urteil verkündet.
22. November 2022: Urteil fällt voraussichtlich Anfang kommenden Jahres
Heute werden etliche noch offene Beweisanträge der Verteidiger behandelt und alle von der Kammer abgelehnt. So hatten in der Vorwoche vier Verteidiger einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung gestellt. Der Grund: Ihre beiden Mandanten waren in der Anklageschrift als Haupttäter beschrieben worden. Also diejenigen, die ins Residenzschloss eingestiegen waren und die Vitrinen ausgeräumt hatten. Der Richter hatte allerdings am 28. Oktober darauf hingewiesen, dass die Kammer derzeit davon ausgehe, dass man ihnen das nicht nachweisen könne und damit eine Verurteilung wegen anderer Tatbeiträge infrage komme.
Die Verteidiger wiesen im Anschluss darauf hin, dass den Angeklagten ein möglichst konkreter Tatvorwurf gemacht werden müsse. Nur so wäre eine effektive Verteidigung möglich. Bis so eine genaue Beschreibung geliefert würde, müsse die Verhandlung pausieren. Die Kammer lieferte heute einige infrage kommende Vorwürfe nach: das Heraustrennen des Gitters, das Aufstemmen des Fensters, das Absichern des Tatorts, das Verfrachten von Beute. Damit wurde der Aussetzungsantrag abgewiesen.
Antrag? Abgewiesen!
Auch mit ihren anderen Forderungen kommen die Verteidiger nicht durch. So sieht das Gericht beispielsweise keine Notwendigkeit für weitere DNA-Gutachter. Die beiden, die vor Gericht als Sachverständige aufgetreten waren, hätten alle relevanten Fragen kompetent und umfassend beantwortet. Auch ein dermatologischer Gutachter wird im Prozess nicht auftreten. Die Verteidiger von Wissam Remmo hatten einen solchen gefordert. Sie erhofften sich von ihm Aussagen darüber, dass ihr Mandant ein besonders guter DNA-Shedder (Lieferant von Erbgut-Spuren) sei und damit die indirekte Übertragung seiner DNA wahrscheinlicher. Auch das Ansinnen, weitere Mithäftlinge eines der angeklagten Zwillingsbrüder als Zeugen zu laden, wird vom Gericht abgelehnt.
Beweisaufnahme so gut wie abgeschlossen
Die Beweisaufnahme, so verkündet der Richter, sei damit am heutigen Tag de facto abgeschlossen. Die nächsten zwei Prozesstage hebt er auf. Erst am 6. Dezember kommt das Gericht erneut zusammen. An diesem Tag können Staatsanwaltschaft und Verteidigung letzte Beweisanträge stellen. Falls dann wider Erwarten nichts kommt, würden die Abschlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung folgen. Für alle Plädoyers hat die Kammer etwa vier Tage eingeplant. Danach haben die Angeklagten die Chance, sich nochmal abschließend zu äußern. Es würde uns wundern, wenn sie davon Gebrauch machen. Warum sollten sie ihr Schweigen ganz am Schluss des Prozesses noch brechen?
Die Urteile werden damit wahrscheinlich Ende Januar oder Anfang Februar gefällt.
6. Dezember 2022: Letzte Beweisanträge und ein aufgetauchtes Handy
An diesem Dienstag laufen einige der Verteidiger der sechs Angeklagten im Grüne-Gewölbe-Prozess nochmal zur Hochform auf. Vom Gericht war festgelegt worden, dass sie nur noch bis heute Beweisanträge stellen können. Vier von elf anwesenden Anwälten machen am Vormittag davon Gebrauch. Allein neun Anträge stellt der Verteidiger eines der beiden angeklagten Zwillingsbrüder. Die meisten davon zielen darauf ab, noch mehr ehemalige Mitgefangene seines Mandanten als Zeugen zu laden. Sie sollen erhellen, ob A. M. Remmo in der JVA Dresden Belastendes erzählt hat oder nicht. Insgesamt werden 13 letzte Beweisanträge eingereicht.
Neue Gutachter sollen Beweise entkräften
Unter anderem fordern zwei Verteidiger, dass neue DNA-Gutachter geladen werden. Panayiotis Manoli vom Forensischen Labor des Zypern Institut für Neurologie und Genetik in Nikosia und Prof. Cornelius Court vom Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinik Köln werden benannt. Die beiden sollen intensiv zur indirekten Übertragung von DNA – also eine Übertragung durch eine andere Person als den DNA-Träger – geforscht haben und etwas dazu sagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die DNA der Angeklagten durch Familienangehörige oder Freunde an die Schlossmauer in Dresden gelangt sein könnte. In der Familie Remmo sei es üblich, sehr eng miteinander umzugehen, sich oft zu umarmen und gegenseitig Kleidungsstücke zu leihen. Aus Sicht der Verteidiger sei es nicht auszuschließen, dass so DNA-Spuren ihrer Mandanten an den Tatort gekommen sein könnten, ohne dass diese am Einbruch beteiligt waren.
Auch das erneute Auftreten eines anthropologischen Gutachters, der bereits im August ausgesagt hatte, wird von einem Verteidiger verlangt. Der Sachverständige hatte über die Körpergrößen und die Händigkeit der beiden Männer, die im Juwelenzimmer die Vitrinen zertrümmerten, gesprochen. Und wenig Konkretes dazu sagen können. Nun soll der Gutachter analysieren, ob die Männer auf den Überwachungsvideos der Außenkameras in den verschiedenen Nächten immer die gleichen gewesen sind oder unterschiedliche sein könnten. Ob das bei der schlechten Qualität der Aufnahmen überhaupt möglich ist, gilt als fraglich. Die Verteidigung erhofft sich von so einem Gutachten sicher Belege dafür, dass die Männer, die in der Vorbereitungsphase über die Schlossmauer gestiegen sind, nicht unbedingt die gleichen Männer waren, die am 25.11.2019 den tatsächlichen Einbruch verübten. So könnte ihre Argumentation, dass DNA-Spuren nur im Vorfeld entstanden sind, untermauert werden.
High in der Haft
Verteidiger Mario Thomas beantragt das Einbringen eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zu seinem Mandanten Wissam Remmo. Wissam Remmo nehme seit Jahren regelmäßig Drogen – Ecstasy, das Opioid Subutex, Metamphetamin und Kokain. Auch im Gefängnis konsumierte er weiter. Wissam Remmo hätte deswegen sogar Halluzinationen gehabt, sah weiße Mäuse und Schlangen. Einmal musste er aufgrund einer Überdosierung im Haftkrankenhaus behandelt werden. Bei Kontrollen seien in Wissams Zelle und in seinem Körper immer wieder Drogen gefunden worden. Es sei nicht auszuschließen, dass der 25-Jährige deswegen zur Tatzeit psychisch beeinträchtigt war und die Dimension seines Handelns nicht einschätzen konnte. Über seine möglicherweise eingeschränkte Schuldfähigkeit soll nun die Psychologin Judith Rosa Braunholz aus Berlin berichten.
Ein Handy fürs Alibi
Der Verteidiger Konstantin Stern fordert kurz vor Abschluss der Beweisaufnahme noch das Beiziehen der Akte einer Verkehrsstrafsache. Darin geht es um eine Verfolgungsjagd und einen anschließenden Unfall am 20.12.2019 in Berlin. Ein silberfarbener Skoda Fabia war in dieser Nacht über mehrere rote Ampeln gefahren. Das fiel einer Polizeistreife auf. Als sie ein Stoppsignal setzte, Blaulicht und Martinshorn anschaltete, beschleunigte der Skoda. In einer verkehrsberuhigten Straße raste er mit 80 Kilometern pro Stunde davon. Laut Zeugenaussagen sollen Fußgänger und Radfahrer zur Seite gesprungen sein, um nicht erfasst zu werden. Irgendwann verlor der Fahrer des Fluchtwagens die Kontrolle und krachte in einen parkenden Transporter. Vier Männer flüchteten. Die Polizei fand in dem Skoda Kontoauszüge und Unterlagen eines Mitgliedes der Großfamilie Remmo, außerdem Sturmhauben, Cuttermesser und in Deutschland wegen ihrer Sprengkraft verbotene Böller.
A. M. Remmo gibt nun über seinen Anwalt im Grüne-Gewölbe-Prozess zu, dass er im Dezember 2019 auf dem Beifahrersitz des Skoda saß und bei der Flucht sein Handy im Auto liegen ließ. Auf dem Handy seien Belege dafür, dass der Remmo-Zwilling während des Einbruchs ins Dresdner Residenzschloss am 25.11.2019 in Berlin in der Wohnung seiner Eltern gewesen sei und "gedaddelt" habe. Außerdem würde die Auswertung des Mobiltelefons ergeben, dass er auch in der Vorbereitungsphase des Banden-Diebstahls in Berlin war. A. M. Remmo hatte bereits im Juli in einer persönlichen Einlassung in der Hauptverhandlung behauptet, dass er ein Alibi habe und beim Einbruch nicht dabei gewesen sein könne.
Kammer mit vielen Hausaufgaben
Über diese 13 Beweisanträge muss nun die Kammer entscheiden und nimmt sich dafür Zeit. Der Prozesstermin am Freitag, 9. Dezember, fällt aus. Das Gericht kommt stattdessen erst wieder am 20.12. zusammen.
Ein Urteil hatten wir für Ende Januar oder Anfang Februar 2023 erwartet. Wenn das Gericht dem einen oder anderen heutigen Antrag statt gibt, wird sich das nach hinten verschieben. Vor allem die mögliche Ladung von Sachverständigen wäre zeitaufwendig. Schließlich müssen Gutachten zunächst erstellt werden, bevor sie im Gericht vortragen können.
Erst kurz vor Weihnachten wird also klar, wie es im nächsten Jahr mit dem Grüne-Gewölbe Prozess weitergeht.
10. Januar 2023: Ein Deal und viele Details zu Rückgabe und Zustand der Beute
Was für ein Tag: Vielleicht der spannendste nach dem Prozessauftakt Ende Januar vorigen Jahres. Wir Journalisten erwarten heute nach der überraschenden Rückgabe eines Großteils der gestohlenen Schmuckstücke und der Suchaktion in einem Berliner Schifffahrtskanal weitreichende Informationen. Der Pressesprecher des Landgerichtes Dresden hatte im Vorfeld angekündigt, dass eine Restauratorin der Staatlichen Kunstsammlungen etwas zum Zustand der wiedererlangten Beute sagen wird. Ein Mitglied der SOKO Epaulette soll erzählen, wie genau die Rückgabe der 31 Einzelteile ablief.
Das Gericht muss außerdem die Öffentlichkeit darüber informieren, wie die Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft und Angeklagten zustande kam und was sie beinhaltet. Das schreibt die Strafprozessordnung vor. Sogenannte "Deals" dürfen nicht im Hinterzimmer bleiben, sie müssen in Deutschland, anders als zum Beispiel in den USA, öffentlich gemacht werden. Und erst, wenn im Prozess durch das Gericht die Verständigung vorgeschlagen wird und Staatsanwaltschaft und Angeklagte dem Vorschlag zustimmen, kommt der "Deal" zustande.
Die Staatsanwaltschaft machte den ersten Schritt
Richter Andreas Ziegel verliest gleich nach Beginn der Verhandlung ohne Vorrede eine Art Protokoll. Darin berichtet er, dass die Staatsanwaltschaft die Initiative zum "Deal" ergriff. Demnach rief Staatsanwalt Christian Weber bereits Ende August 2022 den Verteidiger von Rabieh Remo, den Berliner Anwalt Kai Kempgens, an und signalisierte ihm eine grundsätzliche Bereitschaft zur Verständigung. Voraussetzung dafür sei, dass die Angeklagten Angaben zum Schmuck, zur Rückgewinnung und zu anderen Tatbeteiligten machen würden. Kempgens wurde von der Staatsanwaltschaft als Ansprechpartner ausgewählt, weil sein Mandant Rabieh Remo bereits im März 2022 ein Teilgeständnis abgelegt und damit ein gewisse Kooperationsbereitschaft gezeigt hatte. Nur wenige Tage später kam die Absage von Kempgens. Sein Mandant habe kein Interesse an einer Verständigung.
Am 1. Dezember dann die Kehrtwende. Der Prozess befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Zielgeraden. Bis zum 6. Dezember sollten die Prozessbeteiligten ihre letzten Beweisanträge stellen. Nach Abarbeitung dieser Anträge wären die Beweisaufnahme abgeschlossen, die Plädoyers gehalten und danach die Urteile verkündet worden. Stattdessen rief Kai Kempgens bei der Staatsanwaltschaft an und teilte mit, dass er das Angebot einer Verständigung nun doch annehmen wolle. Er spreche auch im Namen der anderen Anwälte, mit denen er deshalb in Kontakt stehe. Allerdings würden nicht alle, sondern nur einige Angeklagte eine Verständigung eingehen. Er sei mit einem Kollegen schon auf dem Weg nach Dresden, um das Ganze persönlich vorzutragen. Der Verteidiger von einem der angeklagten Zwillingsbrüder war beim Gespräch mit den drei Staatsanwälten dabei. Erneut ging es um die Bedingungen eines "Deals". Schließlich schickte Kempgens einige Tage später, am 5. Dezember, eine schriftliche Zusage - auch im Namen der anderen Verteidiger.
Darin hieß es, dass unter den Angeklagten Einigkeit über die Rückführung der Schmuckstücke, auf die man noch Zugriff habe, bestünde. Es könnten aber nicht alle Stücke zurückgegeben werden. Die Angeklagten würden sich darüber hinaus zu ihrer persönlichen Beteiligung an der Tat äußern. Nach diesem Schreiben informierte die Staatsanwaltschaft das Gericht über die Gespräche. Danach erwiderte am 6. Dezember die Kammer, dass auch sie sich eine Verständigung grundsätzlich vorstellen könne. Es folgten weitere Abstimmungen zwischen allen Beteiligten und am 16. Dezember kurz vor Mitternacht die Rückgabe eines Großteils der gestohlenen Juwelengarnituren, was SKD-Chefin Marion Ackermann danach als "Weihnachtswunder" bezeichnete.
Zur Geisterstunde in einer Berliner Kanzlei
Im Prozess tritt im Anschluss ein Mitglied der SOKO Epaulette auf. Er erzählt, dass er am 16. Dezember abends darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein Teil der Beute bei einem Berliner Rechtsanwalt vorliegen würde. Der Mann und einige seiner Kollegen trafen sich daraufhin im Dresdner Präsidium und bereiteten den Einsatz und die gesicherte Rückführung vor. Um 23:45 Uhr traf der Kriminalhauptkommissar in der Berliner Rechtsanwaltskanzlei von Kai Kempgens ein. Die Polizisten wurden in einen Konferenzraum geführt, wo auf einem Tisch 31 Einzelteile lagen. Im Gericht wird ein Foto des Arrangements gezeigt. Für den SOKO-Mann war schnell klar, dass es sich hier augenscheinlich um einen Teil der Beute handelte. Er stellte aber auch bald fest, dass das Diebesgut nicht komplett war und dass etliche Stücke in Einzelteile gebrochen sind. Einige Pretiosen waren laut Aussage des Zeugen auch sichtbar verbogen. Kriminaltechniker fotografierten das Vorgefundene und verpackten die 31 Teile stoß- und spurensicher in speziellen Tüten. Die kamen in einen Karton, der von Einsatzkräften begleitet, nach Dresden gebracht wurde. Die Schmuckstücke wurden dort zunächst in einem Tresor des Landeskriminalamtes gelagert.
Am nächsten Tag untersuchte die Spurensicherung die Stücke auf Fingerabdrücke und DNA. Die Ergebnisse der daktyloskopischen Untersuchung liegen heute noch nicht vor. Bei der molekulargenetischen Untersuchung wurden Mischspuren von zwei Personen gefunden, obwohl der Schmuck augenscheinlich gereinigt worden war. Als die Polizisten die Pretiosen aus den Beuteln herausholten, rochen diese stark nach einem Putzmittel. Die trotzdem festgestellten DNA-Spuren lassen sich aber weder den Angeklagten noch anderen polizeibekannten Personen zuordnen.
Am darauf folgenden Tag wurden die Schmuckstücke von drei Mitarbeiterinnen der Staatlichen Kunstsammlungen begutachtet. Sie waren sich einig, dass es sich um den echten Schmuck handle. Über die weiteren Erkenntnisse der Expertinnen wird später im Prozess eine Restauratorin aussagen. Am 21. Dezember wurde der historische Schmuck in ein Köfferchen verpackt und vom Chef des Grünen Gewölbes, Marius Winzeler, ins Residenzschloss gebracht. Seitdem lagern die 31 Bruchstücke dort. Allerdings sind die Juwelen nach wie vor Beweismittel und dürfen von der SKD nicht öffentlich präsentiert oder Medienvertretern gezeigt werden. Alles, was nach der Übergabe mit dem Schmuck passiert, könnte später in diesem oder nachfolgenden Prozessen dazu führen, dass man zum Beispiel behauptet, dass Beschädigungen nicht durch die Tat, sondern durch andere Handlungen verursacht wurden.
Auf Tauchgang in einem Berliner Kanal
Der SOKO-Beamte berichtet in der Verhandlung weiter, wie es zur Suchaktion im Neuköllner Schifffahrtskanal an den beiden Weihnachtsfeiertagen kam. Demnach hätten die Verteidiger schon bald nach der Übergabe in Aussicht gestellt, Informationen dazu zu geben, wo die fehlende Klinge des Degens aus der Diamantrosengarnitur sei. Am 23. Dezember war es soweit – ein Abschnitt des Berliner Kanals wurde benannt. Daraufhin wurde am Heiligabend der Einsatz geplant, der am 25. Dezember begann. Am ersten Tag waren 20, am zweiten Tag 22 Taucher aus drei Bundesländern beteiligt. Sie suchten in drei Bereichen bei insgesamt vier Tauchgängen den Wasserweg ab. Da man nicht mit Metalldetektoren arbeiten konnte – dabei hätte zu viel Schrott Alarm ausgelöst – tasteten die Männer den Grund Millimeter für Millimeter mit den Händen ab. Leider vergeblich. Zwar fand man Geldkassetten und kleine Tresore mit Modeschmuck, die Degenklinge aber blieb verschwunden.
"Aufregend war das schon"
Nun kommt die Restauratorin der Staatlichen Kunstsammlungen zu Wort. Sie berichtet davon, wie aufregend es für sie war, die zurückgegebenen Schmuckstücke erstmals beim Landeskriminalamt zu sehen. Doch schon bald machte sich bei der 55-Jährigen Ernüchterung breit. Sie stellte mit ihren Kolleginnen fest, dass bedeutende Stücke fehlten – die große Brustschleife der Königin Amalie Auguste, deren Halskollier und die Epaulette aus der Brillantgarnitur mit dem berühmten "Sächsischen Weißen", außerdem einige Knöpfe. Der "Sächsische Weiße" - das betont die Fachfrau - gehört mit seinen fast 50 Karat und seiner Farblosigkeit zu den wichtigsten Diamanten weltweit. Er war ein echtes Prunkstück der Ausstellung.
Im Anschluss erklärt die Expertin dem Gericht präzise, welche Schäden sie an den zurückgegebenen 31 Stücken feststellen musste. Sie spricht von fehlenden einzelnen Edelsteinen – allein am in neun Einzelteilen vorliegenden Degen sind es 26 – von Feuchtigkeitsschäden wie Kondensat-Bildung, Rost- und Korrosionsschäden, von roten und schwarzen Verfärbungen an den Steinen, von abgerissenen Befestigungen, Verformungen, Kratzern, Schabstellen und Abplatzungen. Eine Liste des Grauens, die von Fotos belegt wird. Für uns ist es schockierend, die Juwelengarnituren in diesem erbärmlichen Zustand zu sehen. Vor allem die teilweise braun anmutenden Edelsteine machen uns betroffen.
Die SKD-Mitarbeiterin beziffert den Aufwand für die Restaurierung auf mindestens 126.800 Euro. Dabei sei der Ersatz der fehlenden Edelsteine noch nicht mit eingepreist. Die Restauratorin sagt auf Nachfrage, dass auch nach einer Restaurierung an den vorliegenden Schmuckstücken ein Schaden von 23 bis 25 Millionen vorliegen würde. Nach vorläufigen Schätzungen.
Im Gerichtssaal sitzen heute übrigens erstmals drei Vertreter des Freistaates Sachsen als Adhäsionskläger. Eine Adhäsionsklage ist ein zivilrechtliches Verfahren, bei dem Schadenersatz geltend gemacht werden kann. Sachsen will sich offenbar Millionen von den Angeklagten wieder holen. Ob das gelingt? Das Zivilverfahren ist jetzt jedenfalls Teil des Strafprozesses und kann am Ende von der Kammer des Landgerichtes mit entschieden werden.
Ein Schwächeanfall und der Abbruch der Verhandlung
Nach den Aussagen zieht sich Richter Ziegel mit den beiden Beisitzerinnen und den Schöffen zur Beratung zurück und kündigt an, danach die Verständigung öffentlich bekannt zu machen. Der Vorschlag der Kammer sieht wie folgt aus: Nachdem eine wichtige Bedingung - nämlich die Rückgabe eines Großteils der Beute - von den Angeklagten bereits erbracht wurde, müssen sie noch umfangreiche, nachvollziehbare Geständnisse ablegen. Das Gericht erwartet hier "konkrete Angaben" zu Tatentschluss, -planung, -ablauf und zum Geschehen danach. Außerdem möchte die Kammer etwas zu den jeweiligen Tatbeteiligungen hören. Nach den Geständnissen müssen die Angeklagten glaubhaft auf Nachfragen antworten.
Im Gegenzug bietet das Gericht den Erwachsenen einen Strafrahmen von fünf Jahren und neun Monaten bis maximal sechs Jahre und neun Monate an, den zum Tatzeitpunkt Heranwachsenden Strafen von vier Jahren und drei Monaten bis maximal fünf Jahre an. Außerdem könne es nach der Urteilsverkündung gegen Auflagen eine Haftverschonung geben. Das bedeutet, dass die Angeklagten aus der U-Haft entlassen werden könnten und erst später ihre Restschuld verbüßen müssen.
Im Anschluss stimmen vier Angeklagte der Verständigung zu und wollen ab nächster Woche ihre Geständnisse ablegen. Ein Angeklagter will sich bis zum 17. Januar überlegen, ob er beim "Deal" mitmacht. Der sechste Angeklagte geht offensichtlich davon aus, dass er aufgrund fehlender objektiver Beweise gegen ihn und wegen seines Alibis freigesprochen wird. Er möchte sich nicht an der Verständigung beteiligen.
Bevor jetzt über die weiteren Prozesstage gesprochen werden kann, erleidet einer der Angeklagten einen Schwächeanfall. Ahmed Remmo ging es heute immer wieder schlecht, weswegen die Verhandlung mehrmals unterbrochen werden musste. Mittags wurde der 24-Jährige bereits durch einen Notarzt behandelt. Nun liegt der junge Mann auf dem Boden. Ein anderer Angeklagte will zu ihm, ein Wachmann verhindert das. Um den Tumult nicht noch größer werden zu lassen, bricht der Richter die Verhandlung ab und lässt den Saal räumen.
Wir müssen am Ende dieses Prozesstages die ernüchternden Details zum Zustand der Beute, die heute ans Licht kamen, erstmal verdauen. Auch was wir von dem sogenannten "Deal" halten sollen, wissen wir noch nicht so richtig. Einerseits ist die Justiz per Gesetz dazu verpflichtet, auf Schadenswiedergutmachung hinzuwirken. Und tatsächlich ist ja ein Großteil des Staatschatzes wieder nach Sachsen zurückgekehrt. Einiges davon lässt sich nach Aussage der Restauratorin wieder halbwegs in den Urzustand zurückversetzten.
Andererseits fehlen nach wie vor besonders wertvolle Stücke. Und die nun angekündigten Strafen sind doch recht weit von den vorher im Raum stehenden bis zu 15 Jahren für besonders schwere Brandstiftung und besonders schweren Bandendiebstahl entfernt. Eines aber steht fest, sollte die prozessuale Verständigung endgültig zustande kommen, wird es am Ende rechtskräftige Urteile geben. Das ist bei Verhandlungen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität keine Selbstverständlichkeit.
17. Januar 2023: Drei Geständnisse und möglicherweise zwei Unschuldige vor Gericht
Die Einlasskontrollen vor dem Gerichtssaal beginnen heute schon anderthalb Stunden vor Prozessbeginn. Sehr viele Pressevertreter, Kamerateams und Besucher wollen pünktlich im Saal sein, denn heute werden die ersten Geständnisse erwartet. Ohne langes Vorgeplänkel beginnt der 29-jährige Rabieh Remo. Zur großen Überraschung aller liest er sein Geständnis persönlich vor. Er wirkt gefasst, macht aber immer wieder kurze Pausen und schluckt und atmet laut, was darauf schließen lässt, dass er innerlich doch aufgeregt ist. Vielleicht ist das alles aber auch nur gut geschauspielert?
Rabieh Remo outet sich als einer der Haupttäter
Seine Erklärung beginnt er damit, warum er jetzt hier aussagt. Ihm sei klar geworden, dass sein Cousin, der hier mit auf der Anklagebank sitzt, ins Gefängnis muss, obwohl er nicht dabei gewesen ist und ihm eine hohe Haftstrafe droht. Die Idee, ins Grüne Gewölbe einzubrechen, sei nicht von ihm gewesen. Er wurde zwei oder drei Monate vor der Tat gefragt, ob er mitmachen will. Da stand der Tatplan schon seit einem Jahr. Ein anderer hatte von einem Teilnehmer einer Klassenfahrt nach Dresden vom Grünen Gewölbe erfahren und von einem grünen Diamanten erzählt.
Der grüne Diamant sei dann aber nicht das Ziel gewesen, da er im 1. Obergeschoss ausgestellt wird. Der Einbruch sollte ins Erdgeschoss erfolgen. Da habe man durch die Fenster von der Chiaverigasse aus reinschauen und bis zum Juwelenzimmer durchgucken können. Und man konnte sehen, dass alle Räume offenstanden und keine Zwischentüren nachts geschlossen wurden. Sie hätten mehrfach ausprobiert, ob die Fassadenscanner auslösen. Da bei Probeüberstiegen nie jemand kam, sei klar gewesen, die Scanner sind defekt oder dauerhaft aus. Insider, die sie mit Informationen versorgt hätten, habe es nicht gegeben.
Im Pegelhaus am Pfeiler der Elbbrücke hätten sie den Plan abfotografiert, wo zu erkennen war, welche Kabel wohin führen. Sie gingen davon aus, dass eine Stromunterbrechung auch für das Grüne Gewölbe gelten würde. Der Zugang zum Pegelhaus sei unproblematisch gewesen, die Tür konnte einfach mit einem Schraubenzieher aufgehebelt werden.
Rabieh Remo war auch dabei, als im Vorfeld der Tat das Fenstergitter durchtrennt wurde und er wunderte sich, dass auch das nicht bemerkt wurde. Der Plan war, dass er rein sollte ins Grüne Gewölbe und zusammen mit einer weiteren Person den Schmuck rausholen würde. Er hatte die Taschenlampe und die Axt, weil er kräftig genug war für das Zerschlagen der Vitrine. Zuerst sei er aber an den Vitrinen vorbeigerannt und war schon an der Tür zum nächsten Raum. Dann sei er umgekehrt und habe mit der Axt zugeschlagen.
Ziemlich ausführlich schilderte Rabieh Remo auch den Ablauf des Tages vor der Tat. Er sei bei seinen Eltern gewesen, als ihn sein Cousin abholte und sie etwas essen gingen. Der Cousin fährt ihn öfter, da er keinen Führerschein habe. Es war klar, dass der Cousin nicht mit nach Dresden sollte, denn der sei psychisch nicht geeignet und seine "Baumarktsachen" (damit waren kleinere Werkzeug-Diebstähle gemeint) seien "lächerlich".
Rabieh wurde am Abend von Jihad und einem anderen Angeklagten abgeholt. Allerdings hatte er den Schlüssel für den Audi (Fluchtfahrzeug am Schloss) vergessen und sie mussten nochmal zu ihm nach Hause zurück. Dabei kamen sie in eine Polizeikontrolle. Das dabei auffällige Einbruchswerkzeug im Kofferraum habe mit dem geplanten Coup in Dresden nichts zu tun gehabt. Er holte den Audi-Schlüssel und dann trafen sich alle sechs Beteiligten in Tempelhof – sein Cousin sei nicht dabei gewesen. Er fuhr als Beifahrer mit nach Dresden, von einer Pistole im Handschuhfach des Audi wusste er nichts. Den zweiten Wagen, den als Taxi getarnten Mercedes, parkten sie an der Tiefgarage auf der Kötzschenbrodaer Straße.
Danach seien sie zu sechst im Audi zum Grünen Gewölbe gefahren und ausgestiegen. Im Anschluss liefen zwei Männer zum Pegelhaus, die anderen gingen zum Einstiegsfenster. Als die Straßenbeleuchtung ausging, sind sie rein und zu den Vitrinen. Rabieh habe das Glas mit der Axt zerschlagen. Doch es gab Probleme mit der Angelschnur, mit der die Schmuckstücke festgenäht waren. Der andere, der mit ihm drin war, leerte den Feuerlöscher aus zum Spurenverwischen. Außerdem habe er gehört, dass auf die Mauer vor dem Fenster eine Flüssigkeit zum Spurenvernichten aufgebracht worden sei.
Dann sind sie zu sechst im Audi zur Tiefgarage gefahren. Der Plan war, das Auto in der Einfahrt zur Tiefgarage zu verbrennen. Doch dann öffnete sich das Tor, weil ein Auto rausfuhr. Kurz entschlossen sind sie reingefahren. Drinnen sei das Auto angezündet worden. Er sei noch an dem Morgen nach der Rückkehr aus Dresden in die Schule gegangen, kam dort aber zu spät.
Rabieh Remo beendet sein Geständnis mit dem Satz, dass er nicht wüsste, was mit den gestohlenen Stücken passiert sei und er auch nicht davon profitiert habe.
Wissam Remmo: "Ich brauchte das Geld für Drogen"
Das Geständnis von Wissam Remmo wurde von seinem Rechtsanwalt Mario Thomas verlesen. Demnach sei Wissam im März 2017 am Diebstahl der Goldmünze beteiligt gewesen. Nach der Entlassung aus der U-Haft begann für ihn persönlich eine Hochphase. Denn das ging als "Riesencoup" durch die Presse und wurde mit "Ocean’s Eleven" und der "Olsenbande" verglichen. Er fühlte eine unglaubliche gesellschaftliche Anerkennung, wurde als "Meisterdieb" gehandelt. Er wurde monatelang zum Essen und Trinken eingeladen und hatte einen Kokainverbrauch von 0,5 bis 1g pro Woche. Ab März 2019 signalisierte er Interesse am Einbruch ins Grüne Gewölbe. Er hielt sich ja für einen Meisterdieb, war größenwahnsinnig, auch wenn die Idee dazu nicht von ihm sei.
"Wir waren mehrfach als Besucher im Grünen Gewölbe und haben genau geschaut, welche Türen es gibt und welche Schlösser. Sind sichtbare Kabel verlegt? Das Vitrinenglas schien schon etwas älter zu sein." Durch im Internet erhältliche Infos kamen Wissam und seine Komplizen zu dem Schluss, dass das Juwelenzimmer am interessantesten sei. Bei den Erkundungstouren vor dem Einbruch haben sie nachts mit Taschenlampen durch Fenster ins Grüne Gewölbe geschaut und gesehen, dass alle Zwischentüren offen seien und der Schmuck auch nachts in den Vitrinen bleibt.
Relativ schnell sei klar gewesen, dass es ein geeignetes Fenster gibt, bei dem der linke Rand vom Fassadenscanner nicht erfasst wird, weil er von einem Balkon verdeckt wird. Diesen toten Winkel haben sie durch Springen, Hochheben und Hochklettern überprüft.
Wissam war durch einen Diebstahl 2018 in Erlangen im Besitz von hydraulischen Rettungswerkzeugen. Als der Prozess dazu stattfand, riss ihn das aus seiner Hochphase. Nun wollte Wissam nicht mehr beim Einbruch in Dresden mitmachen und auch verhindern, dass "seine" Hydraulikgeräte dort eingesetzt werden. Darum versenkte er die Geräte in der Spree. Darüber waren die anderen Beteiligten sauer und es kam zum Streit. Schon einige Wochen später änderte Wissam seine Meinung und stieg wieder in das Grüne-Gewölbe-Projekt ein. Antrieb war seine Kokainsucht, er brauchte das Geld. Also lieh er sich eine Rettungsschere und einen Rettungszylinder aus. Die Bedienung ist sehr einfach, es gibt nur einen Hebel in zwei Richtungen. Er hat in der Vorbereitung das Gitter durchgeschnitten. Das habe doch ziemlich Lärm gemacht und sie spielten deshalb Musik ab. Eine Gitterstange haben sie dran gelassen und diese erst in der Tatnacht durchgeschnitten. Die restlichen Schnittstellen haben sie mit Kreppband umklebt und mit dunkler Farbe kaschiert. Sie sind dann noch stundenlang in Dresden geblieben und haben immer wieder kontrolliert, ob dieses Durchtrennen bemerkt wurde.
Am Tattag (24.11.2019) habe er schon früh angefangen Kokain zu nehmen und er war abends immer noch so high, dass er nicht Autofahren konnte, obwohl er als Fahrer für den Mercedes geplant war.
In Dresden sollte er das Pegelhaus anzünden und Schmiere stehen. Er habe noch "eine Line gezogen", bevor er mithilfe einer Fahrradtrinkflasche die Benzinlunten zum Schaltschrank gelegt und angezündet hat. Er verließ das Pegelhaus und lief den Zaun vor dem Schloss ab. Der Audi wurde geholt und vor der Mauer abgestellt. Die Beute haben sie über die Mauer geworfen und im Auto verstaut. Um Spuren zu vernichten, haben sie Felgenreiniger an der Überstiegsstelle auf der Mauer verteilt – das sind die roten Flecken, die die Spurensicherung später gefunden hat. Das Pulver vom Feuerlöscher hat leider nicht mehr für die Mauer gereicht. Ursprünglich wollten sie einen Teppich auf die Mauer legen, um Spuren zu vermeiden. Aber das wäre zu auffällig gewesen. Bei seiner Rückkehr in Berlin sei er noch sehr aufgeregt gewesen und hätte erst am Nachmittag des 25. November geschlafen.
Auch Wissam bestätigte, dass einer der Angeklagten nicht mit in Dresden gewesen sei. "Der ist doch ein Tollpatsch und sehr unzuverlässig."
Er sitze nun seit über zwei Jahren in Haft und habe das Gefühl, sein Leben an die Wand zu fahren. Dabei will er eigentlich heiraten und eine Familie haben. Seine Verlobte sei die Frau seines Lebens. Für ein nichtkriminelles Leben aber brauche er eine Entziehungstherapie, weil er mit Drogen immer kriminell sein wird.
Dass das, was sie weggenommen haben, einen so hohen ideellen Wert habe, hat er erst aus der Presse erfahren. Er sei froh, dass durch den Brand in der Tiefgarage keiner schwer verletzt worden sei.
Ein weiterer Angeklagter hatte die Idee für den Coup
Sein Geständnis wurde von Rechtsanwalt Uwe Mosig verlesen. Der Angeklagte gibt darin zu, dass er derjenige gewesen sei, der über einen Bekannten, der eine Klassenfahrt nach Dresden gemacht hatte, vom Grünen Gewölbe und dem großen grünen Diamanten gehört habe: "Das sei ein wirklich krasser Stein." Er habe daraufhin den anderen davon erzählt.
Bei einer Erkundungsfahrt nach Dresden sei er dabei gewesen, habe aber im Auto gewartet. Ihm schien es unmöglich, in das Schloss einzubrechen. Damit war das für ihn abgehakt. Irgendwann haben sich die anderen aber wieder dafür interessiert – wann, weiß er nicht. Er habe erst einige Wochen vor dem Einbruch von dem Plan erfahren und war sauer auf die anderen. Denn er sei schließlich der Erste gewesen, der davon erzählt habe und nun hatten die anderen seine Idee geklaut. Also habe er einen der Mittäter informiert, dass er unbedingt mitmachen will. Er sah es als eine Mutprobe an und wollte auch mal im Mittelpunkt stehen. Den anderen gefiel das nicht, dann ging es hin und her und er durfte schließlich doch dabei sein.
Die Einbruchswerkzeuge seien bei jemandem ausgeliehen worden, der mit dem Einbruch nichts zu tun hatte. Der geständige Angeklagte war beim Rausschneiden des Fenstergitters mit dabei und stand draußen am Zaun Schmiere. Mehr trauten die anderen ihm nicht zu, er sei zu dick, denn damals wog er 120 Kilogramm. Also hat er die Tasche mit dem Schneidwerkzeug zum Schloss geschleppt. Beim Auskundschaften des Pegelhauses war er nicht dabei.
Am Tattag sollte er abgeholt werden. Dies verzögerte sich, weil die anderen in eine Polizeikontrolle geraten seien. Mit Rabieh und noch einem sei er per Taxi zum Abstellort der Tat-Fahrzeuge (Mercedes und Audi) gefahren. Das war auch der Treffpunkt mit den anderen drei Tatbeteiligten. In Dresden lief er mit Wissam zum Pegelhaus, stand dort Schmiere, dann ging er zum Schloss zurück, fuhr den Audi zur Schlossmauer und hat die Tasche und den Sack mit der Beute übernommen. Dabei hat er möglicherweise Spuren an der Mauer von außen hinterlassen. Er sei aber nie drübergestiegen.
Auch er sagt aus, dass das Anzünden des Audis außerhalb der Tiefgarage geplant war, dann aber das Rolltor hochging, weil ein Auto rauskam. In der Tiefgarage hat er Tasche und Sack mit der Beute aus dem Audi genommen und dann wurde der in Brand gesteckt. Sie seien alle sechs mit dem Mercedes-Taxi nach Berlin zurückgefahren.
Er sei heute froh über die Rückgabe des Schmucks. Damals war ihm der Wert egal, er wusste nichts über die Kunstschätze des Grünen Gewölbes. Jetzt im Nachhinein, da ihm das ganze Ausmaß bekannt ist, tue es ihm Leid.
Zu den spannenden Erkenntnissen des Tages zählt die übereinstimmende Behauptung, dass einer der Angeklagten nicht mit in Dresden dabei war. Ein weiterer Angeklagter hat angeblich ein Alibi (siehe auch Tagebucheintrag vom 15. April 2022). Wenn das stimmt, dann säßen derzeit zwei Unschuldige vor Gericht, aber zwei Beteiligte wären noch auf freiem Fuß. Denn in allen drei Geständnissen war von sechs Tätern die Rede.
Für den nächsten Prozesstag ist ein weiteres Geständnis angekündigt. Außerdem soll es eine Befragung geben, bei der die Aussagen der Täter auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft werden sollen.
20. Januar 2023: Ein Tag voller Spannungen
Was für eine Woche. Nach den drei Geständnissen am Dienstag erwarten wir heute die Einlassung eines weiteren Angeklagten und die ersten Fragen an die Geständigen. Im "Deal" ist ja verabredet worden, dass alle, die von der Verständigung profitieren wollen, Gericht und Staatsanwaltschaft Rede und Antwort stehen müssen. So sollen der Wahrheitsgehalt der Angaben geprüft und Widersprüche aufgeklärt werden. Doch statt neuer Details zu Tatentschluss, Planung und Ablauf gibt es heute unerwartet Streit und wenig Neues. Offenbar sind nicht alle Konditionen des "Deals" so genau besprochen worden, wie man das hätte tun sollen. Doch dazu später mehr.
Sachverständiger wird von Verteidigern abgelehnt
Am Anfang dieses Prozesstages kündigt Richter Andreas Ziegel an, einem Antrag der Verteidiger von Wissam Remmo nachkommen zu wollen. Man werde einen psychiatrischen Sachverständigen bestellen. Der soll etwas zum Drogenkonsum des 26-Jährigen in der Tatnacht und eine etwaige verminderte Schuldfähigkeit sagen.
Die Ankündigung treibt allerdings Verteidiger Moritz Baum auf die Barrikaden. Er lehnt den vom Gericht vorgeschlagenen Gutachter, der bereits zu einem der angeklagten Zwillingsbrüder ausgesagt hat, ab. Der Sachverständige habe bei dieser ersten Begutachtung "sorgfaltswidrig und mangelhaft" gearbeitet. Stattdessen bringt Baum erneut die Berliner Psychologin Judith Rosa Braunholz ins Spiel. Sie könne genauso schnell wie der vom Gericht favorisierte Gutachter arbeiten und anders als dieser das Vertrauen von Wissam Remmo erlangen.
Die Staatsanwaltschaft betont, dass sie keinen Zweifel an der fachlichen Eignung des vom Gericht vorgeschlagenen Sachverständigen hege. Dieser kenne die Akten und sei sogar teilweise im Gericht gewesen. Er stecke also viel besser im Fall als Frau Braunholz. Die Entscheidung dazu wird vertagt. Nach diesem Auftakt kühlt die Atmosphäre im Gericht merklich ab. Die Zeichen stehen auf Sturm.
Verteidiger wollen Zivilklage verhindern
Ein erneuter Streitpunkt ist das sogenannte Adhäsionsverfahren. In diesem zivilgerichtlichen Verfahren möchte der Freistaat Sachsen im Rahmen des Strafprozesses Schadenersatz geltend machen. Der schriftliche Antrag dazu sei laut Ziegel vor Weihnachten eingegangen und das Ganze damit Teil des Prozesses. Seit 10. Januar sitzen darum im Gerichtssaal auch drei Adhäsionskläger. Und die verlangen nun Einsicht in die Akten, um auch selber Fragen an die Geständigen stellen zu können.
Die Verteidiger sehen das kritisch. Sie wollen eine Akteneinsicht nicht genehmigen, bevor überhaupt über die Zulassung des Adhäsionsverfahrens entschieden sei. Die sei bereits erfolgt, kontert der Richter, durch das Zustellen der Adhäsionsklage. Er bittet die Verteidiger darum, ihm schriftlich eine Stellungnahme zum Antrag auf Akteneinsicht zuzusenden. Die Entscheidung dazu soll am nächsten Verhandlungstag fallen.
Das vierte Geständnis und ein halbes obendrauf
Nun endlich legt der vierte Angeklagte sein Geständnis ab. Es wird von seinem Anwalt Carsten Brunzel verlesen, ist viel weniger ausführlich und detailliert als die seiner Vorgänger. Der 24-Jährige behauptet darin, dass er noch nie bei Diebstählen mitgemacht habe und darum in der Tatnacht sehr aufgeregt gewesen sei, weshalb er sich jetzt nur noch an wenig erinnern könne. Beim Einbruch ins Grüne Gewölbe sei er spontan und völlig unüberlegt dabei gewesen. Er habe Schmiere gestanden und das Diebesgut in Empfang genommen. Im Nachhinein habe er sich so dafür geschämt, dass er die Tat verdrängte, und sie nicht einmal seinen Verteidigern gegenüber zugab. Die hatten in ihrem Open Statement bei Prozessbeginn im Januar 2022 dann auch tatsächlich gesagt: "Unser Mandant sitzt zu Unrecht in Haft."
Der junge Mann betont zum Schluss, dass er auf eine Beteiligung an der Beute verzichtet habe und das Ganze zutiefst bereue. Er wolle nichts anderes, als zurück zu Familie und Freundin. Die sitzt übrigens heute wie fast jeden Prozesstag im Zuschauerraum.
Danach meldet sich überraschend der zweite angeklagte Zwillingsbruder zu Wort - mit einer Erklärung. Auch sie wird vom Verteidiger vorgetragen. Darin gibt der 23-Jährige zu, dass er von den Einbruchsplänen wusste und für die Diebe die Äxte und andere Gegenstände besorgt hatte. Er bekräftigt aber erneut, dass er in der Tatnacht in Berlin war, mit seinem Handy gespielt und seinen Eltern beim Packen für einen Umzug geholfen habe.
Streit um Beantwortung der Fragen
Gegen 11 Uhr möchte der Richter eigentlich mit der für heute geplanten Befragung der Geständigen beginnen. Er rekapituliert zunächst, dass am letzten Prozesstag einer der Verteidiger darauf bestand, dass sein Mandant nicht sofort, sondern erst nach juristischer Beratung auf die Fragen antworten werde. Dieser Hinweis scheint ein Weckruf. Nach und nach verkünden nun alle anderen Verteidiger, dass auch ihre Mandanten nicht mündlich und live auf Fragen antworten werden. Stattdessen sollen diese schriftlich bei den Anwälten eingereicht und dann im Nachgang auch schriftlich beantwortet werden. Das Ganze könne dann im Gericht verlesen werden. Ansonsten wäre die Gefahr zu groß, dass sich die Angeklagten verplappern und Dritte verraten. Und das war ja im "Deal" ausdrücklich ausgeschlossen worden.
Dieses Ansinnen überrascht nicht nur die Kammer, sondern auch die Staatsanwaltschaft. Christian Weber von der Anklage gibt zu bedenken, dass sich aus Antworten ja oft erneute Fragen ergeben. Zu dem von der Verteidigung vorgeschlagenen Prozedere sagt er: "Das geht doch nicht" und betont, dass "der Wert vorbereiteter Stellungnahmen fragwürdig ist." Entnervt unterbricht Richter Andreas Ziegel die Verhandlung für gut zwei Stunden.
Zustimmung mit Zähneknirschen
Nach der Pause geht es sehr schnell. Die Kammer segnet das von den Verteidigern geforderte umständliche Verfahren ab. Allerdings offensichtlich zähneknirschend. Richter Andreas Ziegel betont, dass der Prozess damit viel länger dauern wird als geplant. Zusätzliche Prozesstage werden daraufhin bestimmt und den Remmo-Anwälten deutlich gemacht, dass man in Zukunft weniger Rücksicht darauf nehmen könne, ob immer alle von ihnen Zeit hätten. Nach dem Ende der Verhandlung diskutieren alle Beteiligten noch intensiv im Gerichtssaal – unter anderem auch einige Verteidiger mit ihren Mandanten. Die hatten ja gehofft, nach der Urteilsverkündung (die vor dem heutigen Tag für Mitte Februar geplant war) zumindest teilweise aus der U-Haft entlassen zu werden und erst später eine etwaige Restschuld antreten zu müssen. Entsprechend groß dürfte nun die Enttäuschung bei den jungen Männern sein, dass sich der Prozess womöglich noch über Monate hinschleppt.
27. Januar 2023: Freistaat fordert fast 89 Millionen Euro Schadensersatz
Im Prozess meldet sich heute erstmals Christiane Schreiber vom Landesamtes für Steuern und Finanzen zu Wort. Sie beziffert den Gesamtschaden, der Sachsen durch den Juwelendiebstahl entstanden ist, auf 88.863,750 Euro. Die Summe würde sich aus dem Wert der noch fehlenden Stücke, den Beschädigungen am Zurückgegeben und den notwendigen Reparaturen am Residenzschloss addieren.
Berechnungsgrundlage dafür sei unter anderem der Versicherungswert des gestohlenen Schmucks. Schreiber vertritt seit Anfang Januar gemeinsam mit zwei weiteren Personen den Freistaat im Grüne-Gewölbe-Prozess als Adhäsionsklägerin. Falls das Gericht es ablehne, den Gesamtschaden auf Grundlage des Versicherungswertes festzulegen, ergänzt sie, beantrage man, den Wert durch einen Sachverständigen ermitteln zu lassen. Der Freistaat schlägt hierfür den Schmuckexperten Lukas Biehler vom Auktionshaus Christies vor.
Die Verteidiger kritisieren im Anschluss, dass die Adhäsionsklage sehr spät, nämlich erst am 16. Dezember 2022, eingereicht wurde. Die Mehrheit von ihnen fordert, dass über die Zivilklage nicht im Rahmen des Strafprozesses, sondern losgelöst davon entschieden werden soll. Ein Weg, den die Kammer tatsächlich einschlagen könnte. Die Verteidiger begründen ihre Forderung damit, dass es ansonsten zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung kommen würde, was dem Beschleunigungsgebot bei Haftsachen widersprechen würde. Eine Entscheidung hierzu fällt an einem der nächsten Prozesstage.
Gericht schlägt Prozedere für Fragenbeantwortung vor
Richter Andreas Ziegel erläutert danach, wie sich das Gericht die Beantwortung der Fragen durch die Angeklagten vorstellt. Er betont vorab, dass die Kammer dazu verpflichtet ist, die Glaubhaftigkeit der Geständnisse zu prüfen. Er stellt klar, dass das aus seiner Sicht nicht möglich ist, wenn die Verteidiger die Antworten schriftlich vorbereiten. Ziegel schlägt vor, dass die Kammer jeweils einem Angeklagten eine begrenzte Anzahl von Fragen stellt. Danach würde die Verhandlung für eine Weile unterbrochen und die Verteidiger hätten Zeit, sich mit ihrem Mandanten zu beraten. Im Anschluss müssten die Fragen beantwortet werden und zwar spätestens am gleichen Tag. Ziel dieser Regelung sei es, dass es keine detaillierten Ausarbeitungen von Juristen gebe und Absprachen mit den Verteidigern der anderen Angeklagten verhindert werden.
Nach einer 45-minütigen Pause bitten die Anwälte von Rabieh Remo um noch mehr Bedenkzeit. Sie können sich jetzt noch nicht abschließend zum vorgeschlagenen Ablauf äußern und wollen das am nächsten Prozesstag tun. Kai Kempgens und Toralf Nöding merken aber schon mal an, dass sie Bedenken haben. Zum einen sei im Deal nicht beschrieben worden, wie Fragen und Nachfragen beantwortet werden müssen. Außerdem sei es bei Verständigungen in Strafprozessen durchaus üblich, dass schriftliche Antworten durch Verteidiger verlesen werden. Und zu guter Letzt habe man Befürchtungen, was die Richtung der Fragen durch die Staatsanwälte anbelangt. Hier habe man den Eindruck gewonnen, dass bei der Staatsanwaltschaft das Interesse an der Verständigung in dem Moment erloschen sei, als man hatte, was man wollte. Jetzt würde das Agieren der Anklage nicht mehr darauf abzielen, die Glaubhaftigkeit der Geständnisse zu prüfen, sondern neue Ermittlungsansätze zu finden.
Die Verteidiger von Wissam Remmo ergänzen, dass ihr Mandant momentan in so schlechtem psychischen Zustand sei, dass man mit ihm keine ellenlagen Fragenkataloge besprechen könne. Die Fragen müssten also in kleinen Portionen gestellt werden. Daraufhin erwidert der Richter, dass das sowieso so vorgesehen gewesen sei.
Hier möchten wir nochmal anmerken, dass in Strafverfahren die Angeklagten nicht dazu verpflichtet sind, Fragen zu beantworten. Im Grüne-Gewölbe-Prozess war das aber eine Voraussetzung für die Prozessverständigung – den sogenannten Deal. Wird nach den Geständnissen nicht "glaubhaft" auf Nachfragen geantwortet, könnte der Deal platzen. Wir sind gespannt, ob die Prozessbeteiligten noch einen Kompromiss finden und wenn nicht, wie sich die Kammer dann verhält.
2. Februar 2023: High Noon im Gerichtssaal
Heute startet der Prozesstag erst mittags. Auf dem Plan steht die Befragung der geständigen Angeklagten. Das dafür nach langer Diskussion ausgehandelte Prozedere sieht so aus: Richter und Staatsanwälte stellen einem Angeklagten eine überschaubare Anzahl von Fragen zu einem bestimmten Themenkomplex. Danach gibt es eine Pause - 15, 30 oder 50 Minuten lang, je nachdem. In dieser Auszeit tauschen sich die Verteidiger mit ihrem Mandanten aus. Im Anschluss lesen die Anwälte die Antworten im Gericht vor.
Staatsanwaltschaft bezweifelt Geständnisse und fordert mündliche Befragung
Doch bevor es damit losgeht, äußern die Staatsanwälte ernste Bedenken. Sie erklären, dass das vom Gericht vorgeschlagene Prozedere ihrer Meinung nach nicht zielführend ist. Um zu prüfen, ob die Geständnisse der Wahrheit entsprechen und um Widersprüche aufzuklären, müssten die Angeklagten konfrontativ befragt werden und danach mündlich, direkt und selbst antworten. Nur so könne man einen Eindruck vom Aussageverhalten der Männer gewinnen und wirklich beurteilen, ob stimmt, was sie behaupten.
Sie begründen ihre Position auch mit der Strafprozessordnung. Darin gebe es keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Befragung, stattdessen das Prinzip der Mündlichkeit. "Niemandem ist geholfen, wenn die sprichwörtliche Bombe erst in drei Wochen platzt", formuliert Staatsanwalt Christian Kohle. Was er damit genau meint, bleibt unklar, denn nur das Gericht kann die Verständigung - den so genannten Deal - kippen. Die Staatsanwälte können höchstens einen Antrag stellen, die darin verabredeten Strafrahmen nach oben zu korrigieren. Kohle führt weiter aus, dass die Anklagevertreter die bisherigen Geständnisse kritisch sehen. Sie seien "lückenhaft und nicht glaubwürdig". Er fordert die Angeklagten auf, diese nochmal zu ändern.
Die Staatsanwaltschaft begründet ihre Zweifel an den Geständnissen überzeugend. Sie erinnert daran, dass Rabieh Remo im März noch behauptete, nicht beim Einbruch, sondern nur bei der Vorbereitung dabei gewesen zu sein. Jetzt outete er sich in seinem Geständnis als einer der Männer, die ins Grüne Gewölbe einstiegen und dort die Schmuckstücke aus den Vitrinen rissen. Die Ankläger fragen darüber hinaus, wie glaubhaft es ist, dass kein Angeklagter von der Beute profitiert haben will, dass einer der Männer angeblich ganz spontan mitmachte, die Idee für den Einbruch ausgerechnet von einem der Heranwachsenden kam und der erfahrene Wissam Remmo nur im Pegelhaus agierte.
Der Richter nimmt die Erklärung der Staatsanwälte zur Kenntnis, beginnt danach aber mit der Befragung des ersten Angeklagten. In der eben kritisierten Art und Weise.
"Ich dachte, nach dem Coup wäre ich Millionär"
Rabieh Remo und seine Verteidiger bemühen sich im Anschluss, einen kooperativen Eindruck zu hinterlassen. Das kann man nicht anders sagen. In ihren Antworten offenbaren sie etliche bisher unbekannte Details zum Tatgeschehen. Remo sagt unter anderem etwas zu seiner Motivation. Er habe wegen des Geldes bei dem Coup mitgemacht. Er räumt ein - und damit geht er über sein Geständnis hinaus - dass er neben einem zweiten Mann beim Anzünden des Audis in der Tiefgarage geholfen habe. Er hätte das Benzin ausgeschüttet. In der Vorbereitungsphase habe sich Rabieh Remo um das Umfolieren des Audis gekümmert, nachdem dieser bei einer Verfolgungsjagd in Dresden der Polizei entkommen, aber damit eigentlich als Tatfahrzeug "verbrannt" war. Außerdem erzählt der 29-Jährige davon, dass er und zwei andere in der Woche vor dem Einbruch sogar in Dresden geschlafen haben. Zur Übernachtungsmöglichkeit macht er aber keine näheren Angaben, weil er damit Dritte belasten würde, und das sei im "Deal" ja ausdrücklich ausgeschlossen worden.
Wird der Gerichtsprozess zu einer Farce?
Nachdem das Gericht mit seinen Fragen durch ist, lassen sich die Staatsanwälte doch auf das komplizierte, langwierige und von ihnen eigentlich abgelehnte Frage-Antwort-Prozedere ein. Insgesamt werden an diesem Tag 67 Fragen gestellt. Die Verhandlung geht vier Stunden. Mehr als anderthalb Stunden dauern die Pausen, in denen sich Rabieh Remo und seine Verteidiger beraten. Nicht selten gibt es danach die Auskunft – dazu schweigen wir. Der Angeklagte selber sagt kein einziges Wort.
Journalistenkollegen kritisieren in ihren Artikeln, dass der Prozess Gefahr laufe, zu einer Farce zu verkommen. Andere sprechen davon, dass es wie auf einem Basar zugehen würde, auf dem man darüber schachere, wieviel die Angeklagten preisgeben müssen. Tatsächlich kommt es in deutschen Gerichtssälen eher selten vor, dass Angeklagte schriftlich und über ihre Verteidiger auf ausführliche Fragen antworten. Beim NSU-Prozess ging man so vor. Dort wurden an manchen Tagen nur Fragen verlesen und Beate Zschäpe und ihre Verteidiger mussten darauf mitunter erst viel später antworten. Die Strafprozessordnung verbietet ein solches Vorgehen nicht grundsätzlich. In Dresden kommt als Besonderheit der "Deal" dazu. Schade nur, dass man offensichtlich versäumte, in der Verständigung genau festzulegen, wie nach den Geständnissen auf Fragen zu antworten ist.
3. Februar 2023: Die Adhäsionskläger pochen auf ihre Rechte
Bevor heute die Befragung von Rabieh Remo fortgesetzt wird, ergreift einer der Adhäsionskläger das Wort. Er drängt darauf, dass innerhalb des Strafprozesses auch zum Schadenersatz entschieden wird. Außerdem soll sich die Kammer so schnell wie möglich dazu positionieren, ob sie für die dafür notwendige Wertermittlung auf die Schätzungen des Freistaates zurückgreift oder einen Sachverständigen damit beauftragt. Die Interessen des Geschädigten - in diesem Fall die Interessen des Freistaates - hätten ein hohes Gewicht und müssten auch in diesem Verfahren berücksichtigt werden.
Im Anschluss verliest Carsten Brunzel, einer der Verteidiger, eine Stellungnahme zum Thema. Er vertritt die Meinung, dass der Adhäsionsantrag des Freistaates unzulässig sei, weil die darin verwendeten Angaben zum Wert der gestohlenen Schätze keine solide Grundlage hätten. Außerdem hinterfragt er, ob die Schmuckstücke überhaupt Eigentum Sachsens waren. Falls die Juwelen versichert gewesen sind, könnte stattdessen das jeweilige Versicherungsunternehmen Anspruch auf Schadenersatz haben.
Kein Auftraggeber für den Einbruch
Im Anschluss kommt die Staatsanwaltschaft zu Wort und stellt erneut eine Reihe von detaillierten Fragen an Rabieh Remo. Der gibt zum Teil brav Auskunft. Es habe keinen Auftraggeber für den Coup gegeben und die Verwertbarkeit der Schmuckstücke habe man als gut eingeschätzt. Der Tatplan sah, laut Remo, keine Schusswaffen vor und zur Sicherheitszentrale habe man sich keine Gedanken gemacht. Denn man sei von einem Blitzeinbruch - rein und wieder raus in wenigen Minuten - ausgegangen.
Immer wieder aber macht der 29-Jährige keine Angaben und begründet dies damit, dass er keine Dritten belasten wolle und müsse. Trotzdem hakt die Staatsanwaltschaft sehr kleinteilig nach, was wiederum die Verteidiger auf die Barrikaden bringt. Schließlich monieren die, dass die Fragen weit über das Prüfen des Geständnisses ihres Mandanten und das Klären der jeweiligen Tatbeteiligungen hinausgingen und stattdessen auf eine umfassende Aufklärung des Vorgehens zielten.
Eine Standpauke im Richterzimmer?
Nun schaltet sich Richter Andreas Ziegel ein und fordert die Staatsanwaltschaft dazu auf, sich in ihren Fragen stärker auf die Rolle der Angeklagten zu beschränken. Außerdem bittet er die Anklagevertreter darum, abzuschätzen, wie viele Fragen sie Rabieh Remo noch stellen wollen. Als die Staatsanwälte etwas pikiert für das Durchzählen ihrer Fragen eine Pause fordern, reicht das dem Vorsitzenden. Kurzerhand bittet er die anwesenden zwölf Verteidiger und zwei Staatsanwälte in sein Richterzimmer.
Die Beratung dauert 30 Minuten. Die Verteidiger scherzen danach, wirken zufrieden, die Staatsanwälte hingegen recht angespannt. Der Richter lässt zu Protokoll geben: "Zwischen der Kammer, der Staatsanwaltschaft und Verteidigung wurde der organisatorische Ablauf der weiteren Befragung der Angeklagten besprochen. Es wurde kein Konsens erzielt."
Die ominösen Unbekannten – X und Y
Weiter geht es mit dem langwierigen und zermürbenden Frage-und-Antwort-Spiel. Rabieh Remo erklärt erneut, dass es beim Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe zwei Hauptakteure gab, die nicht mit auf der Anklagebank sitzen würden. Die beiden Unbekannten waren schon gestern als Person X und Y zum Leben erweckt worden. X und Y seien die wichtigsten Planer des Einbruchs gewesen, behauptet Remo. Sie hätten auch das Besorgen der verschiedenen Tatmittel (Äxte, Klebeband, Autobatterie etc.) angeordnet und bestimmt, wer beim Coup mitmachen darf. Außerdem hätten X und Y für die beiden Tatfahrzeuge bezahlt. Der Audi und der Mercedes kosteten ja zusammen allein schlappe 23.500 Euro.
Bisweilen nimmt das Ganze skurrile Formen an. Zum Beispiel wenn der Verteidiger Remos erläutert, dass Y hinter der Mauer wartete, während X ins Grünen Gewölbe einstieg und danach die Staatsanwaltschaft wissen will, wer denn nun den Mercedes nach Dresden fuhr – X oder Y. Buchstabensuppe statt Menschen mit Namen und Adresse.
Kurzzeitig konkreter wird es, als die Staatsanwälte fragen, ob einige Personen, die in den Ermittlungen auftauchten, in den Fall involviert waren. Es ist da von dem Mann im weißen Pullover die Rede, der am 24.11.2019 durchs Grüne Gewölbe schlenderte, und von einer Vierer-Gruppe, die dort etwas eher unterwegs war. Außerdem fragt die Staatsanwaltschaft nach der Beteiligung einer Familie. All diese Menschen, betont Rabieh Remo, hatten nach seinem Kenntnisstand nichts mit dem Einbruch zu tun. Was wohl X oder Y dazu sagen würden?
10. Februar 2023: Die Kammer drückt aufs Tempo
Der Grüne-Gewölbe-Prozess hat nach einem Jahr Dauer Terminprobleme. Es ist zunehmend schwierig Tage festzulegen, an denen alle Prozessbeteiligten im Hochsicherheitstrakt auf dem Hammerweg erscheinen können. Vor allem die 14 Verteidiger, die teilweise aus Berlin, Hannover oder Leipzig anreisen müssen, terminlich unter einen Hut zu bekommen, klappt nur bedingt. Den Angeklagten muss aber an jedem Prozesstag zumindest ein Anwalt zur Seite stehen. Im Februar und März hat man darum jeweils nur vier Tage gefunden, an denen verhandelt werden kann. Dabei steht noch einiges auf dem Programm: die langwierige Befragung von drei Geständigen, das Anhören eines psychiatrischen Sachverständigen, die Abschlussplädoyers, die Urteilsbegründung, die Urteile.
Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass der Richter heute eine Ankündigung macht. Andreas Ziegel, seine Beisitzerinnen und die Schöffen beabsichtigen, das Verfahren über die Werteinziehung vom Strafprozess abzutrennen. Mittels Werteinziehung könnte das Gericht im Urteil anordnen, einen bestimmten Geldbetrag als Wertersatz für die noch fehlenden Schmuckstücke einzufordern. Danach könnte man versuchen, diesen Betrag bei den Verurteilten zu beschlagnahmen. Könnte. Denn wie das bei den auf der Anklagebank sitzenden jungen Männern gelingen soll, ist fraglich. Offiziell gelten sie als mittellos.
Die Kammer begründet ihre Abtrennungsabsicht damit, dass die Wertermittlung zu aufwendig und langwierig sei und den Prozess erheblich verzögern würde.
Auch über Schadensersatz wird wohl erst später entschieden
Genauso möchte die Kammer mit den Schadensersatzansprüchen des Freistaates Sachsen umgehen. Richter Ziegel gibt am Ende des heutigen Prozesstages bekannt, dass man von der Entscheidung zum Schmuck absehen werde. Für die Wertermittlung zu den noch fehlenden Stücken und den Schäden am Zurückgegebenen sei ein Strafverfahren ungeeignet.
Ziegel kündigt weiter an, dass man lediglich vorhabe, ein Grundurteil zu den Schäden am Schloss und den Vitrinen im Juwelenzimmer abzugeben. Damit würde die Kammer darüber urteilen, ob hier ein Anspruch auf Schadenersatz grundsätzlich besteht, ohne dessen Höhe zu bestimmen.
Staatsanwaltschaft hat Fragenkatalog entschlackt
Staatsanwalt Christian Kohle erklärt, dass er und seine Kollegen nach dem Gespräch im Richterzimmer am letzten Verhandlungstag ihre Fragen nochmal geprüft und einige gestrichen haben. Die übrig gebliebenen Fragen müssen seiner Meinung nach aber von den Geständigen beantwortet werden.
Im Anschluss wird die Befragung von Rabieh Remo fortgesetzt, vorläufig abgeschlossen und mit der eines zweiten Angeklagten begonnen. Viel Neues kommt dabei nicht heraus. Eine Situation aber können wir uns fast bildlich vorstellen. Beide Männer geben an, dass sie auf der Rückfahrt nach dem Einbruch zu sechst zusammengepfercht in dem als Taxi getarnten Mercedes saßen. Während sie mit 180 Sachen Richtung Berlin rasten, wurde die Tasche mit den Schmuckstücken herumgereicht. Jeder von ihnen habe sich genau angeschaut, was sie da erbeuteten. Für die jungen Männer wohl ein echter Adrenalin-Kick.
Die Idee zu dem Coup soll übrigens schon Ende 2017 entstanden sein. Das erklärt heute einer der angeklagten Zwillingsbrüder. Bereits damals habe angeblich die ominöse Klassenfahrt seines Bekannten stattgefunden, auf der dem ansonsten "gänzlich Unbeteiligten" der grüne Diamant aufgefallen sei. Der Schüler habe dem Angeklagten später von dem "krassen Stein" erzählt und so habe alles angefangen. Wer dieser Unbeteiligte ist, will der Angeklagte allerdings nicht verraten. Eine Drittbelastung würde damit zwar nicht passieren, aber der Angeklagte möchte seinen Bekannten nicht dem extremen öffentlichen Interesse aussetzen. Ist das ein selbstloser Akt wahrer Freundschaft oder ein Dreh, um die Nachprüfbarkeit der fast zu schönen Geschichte zu verhindern? Das Gericht akzeptiert die Erklärung jedenfalls.
24. Februar 2023: Ein müder Angeklagter
Noch bevor der Prozess heute losgehen kann, kommt es zu einer erheblichen Verzögerung. Stefan König, der Verteidiger von Ahmed Remmo, weist darauf hin, dass es seinem Mandanten nicht gut gehe. Seit zwei Wochen habe der gesundheitliche Probleme - anfallsartige Episoden mit Herzrasen, Atemnot und Schwäche. In der Justizvollzugsanstalt Dresden gehe man darauf nicht angemessen ein. So habe man Ahmed am Vorabend ein spezielles Beruhigungsmittel verweigert. Das Ersatzmittel habe nicht geholfen, sodass der Angeklagte quasi die zweite Nacht in Folge nicht geschlafen habe. König gibt an, dass sein Mandant darum möglicherweise nicht verhandlungsfähig sei und von einem Arzt untersucht werden müsse.
Nach einigem Hin und Her und einer einstündigen Beratungspause entscheidet der Richter, dass die Verhandlung durchgeführt wird. Eine Verhandlungsunfähigkeit wegen Müdigkeit könne er nicht akzeptieren. Außerdem sei es nicht Aufgabe des Gerichtes, die grundsätzliche Krankengeschichte von Ahmed Remmo aufzuklären. Hier müsse nur geprüft werden, ob der Angeklagte der Verhandlung im Moment folgen kann, wenn nötig mit Pausen. Ausnahmsweise könne der 25-Jährige heute im Gerichtssaal Kaffee bekommen oder einen Energydrink. Dieses Angebot nimmt Ahmed am Ende nicht an. Aber im weiteren Verlauf des Tages lümmelt er meist schlaff auf dem Tisch und steht, auch wenn das Gericht den Saal betritt, nicht auf.
In der Mittagspause wird der 25-Jährige dann doch noch vom Anstaltsarzt der JVA Dresden untersucht. Dieser bestätigt schriftlich, dass der junge Mann verhandlungsfähig ist. Auch Ahmed Remmo betont immer wieder, dass er an der Verhandlung teilnehmen wolle, weil er ja auch möchte, dass der Prozess endlich zu Ende gehe. Wie der Richter mitteilt, wird der Angeklagte in der kommenden Woche in die JVA Leipzig verlegt, wo ein Haftkrankenhaus angeschlossen ist, und er besser medizinisch versorgt werden kann.
Ergänzungen zu einem der Geständnisse
Einer der Geständigen gibt über seinen Verteidiger an, dass er sich nach den umfangreichen Einlassungen von Rabieh Remo nun doch etwas besser an den Diebstahl und die Vorbereitungsphase erinnern könne. In seinem ursprünglichen Geständnis hatte sich der 27-Jährige extrem kurz gefasst und das mit erheblichen Gedächtnislücken begründet. Heute nun folgt eine ergänzende Stellungnahme mit ein paar mehr Erinnerungsfetzen. So gibt der Angeklagte an, dass er bereits zwei Wochen vor dem Einbruch vom Tatplaner angesprochen wurde. Es sei kurzfristig eine Person gebraucht worden. Er habe den Eindruck gehabt, dass jemand abgesprungen sei.
Anders als in seinem Geständnis gibt der Angeklagte heute auch zu, dass er bereits vor der eigentlichen Tatnacht in Dresden war. Dabei sei ihm alles gezeigt und erklärt worden. Bei dieser Gelegenheit habe er auch in Dresden übernachtet – gemeinsam mit zwei Mittätern. Für uns ist wenig überzeugend, dass sich der junge Mann an diese zweitägige Fahrt angeblich erst jetzt nach der Befragung seines Mitangeklagten erinnern kann. Hier scheint uns wahrscheinlicher, dass eben nur stückchenweise zugegeben wird, was unbedingt notwendig ist. Ein umfassendes und nachvollziehbares Geständnis, wie im Deal verlangt, sieht für uns anders aus.
Überhaupt verfestigt sich nach den Befragungen von drei der vier Geständigen der Eindruck, dass von ihnen mehr oder weniger nur das eingeräumt wird, was in der Beweisaufnahme sowieso schon deutlich wurde. Zu spannenden offenen Fragen sagen die Angeklagten kaum etwas. So gibt es bisher keine neuen Erkenntnisse zur Planung des Einbruchs, zur Beschaffung der beiden Tatfahrzeuge, zum Verbleib der Beute und dazu, wie man diese zu Geld machen wollte. Auch zum Anzünden des Flucht-Mercedes auf einem Sicherstellungsgelände der Berliner Polizei schweigen die Männer.
Sachverständigengutachten zu Wissam Remmo geplant
Am nächsten Verhandlungstag wird mit der Befragung von Wissam Remmo begonnen. Der junge Mann, der in Berlin die 100-Kilo-Goldmünze stahl, gilt noch immer als einer der Köpfe der Dresdner Bande. In seinem Geständnis räumte er ein, dass er über mehrere Monate lang an der Planung des Einbruchs beteiligt und darum mehrmals in Dresden gewesen sei. Er habe das Grüne Gewölbe innen und außen ausgekundschaftet. Dort eingestiegen sei er am 25. November vor drei Jahren aber nicht. Er habe stattdessen "nur" das Pegelhaus angezündet. Während des gesamten Coups will er high gewesen sein und noch kurz vor der Brandstiftung Drogen konsumiert haben.
Überhaupt habe er 2019 den Bezug zur Realität verloren und sei größenwahnsinnig gewesen. Im Grunde genommen drehte sich bei ihm damals alles nur noch um die Finanzierung seiner Medikamenten- und Kokainsucht. Am 10. März wird ein psychiatrischer Gutachter über eine daraus möglicherweise resultierende Verminderung der Schuldfähigkeit von Wissam Remmo aussagen.
7. März 2023: Ein kurzes Vergnügen
Der heutige Prozesstag hat gerade erst begonnen, da ist er auch schon wieder zu Ende. Es steht ausschließlich die Befragung von Wissam Remmo auf dem Programm. Bei dem "Verhör" will sein Verteidigerduo unbedingt komplett sein. Und da einer der beiden Anwälte mittags weg muss und die Kammer darauf Rücksicht nimmt, wird die Verhandlung schon um 12.30 Uhr beendet - nach zweieinhalb Stunden.
Ganze zwei Frageblöcke werden in diesem Zeitraum von Wissam Remmo beantwortet. Viel Neues kommt dabei nicht ans Licht. Er gibt über seine Verteidiger an, dass der Tatplan bei seinem Einstieg in das Projekt noch nicht sehr konkret war. Zu diesem Zeitpunkt habe man noch vorgehabt, den grünen Diamanten aus dem Neuen Grünen Gewölbe zu stehlen. Wie und warum genau dieser Plan verworfen wurde, erfahren wir nicht.
Diebe mit erstaunlichem elektrischen Sachverstand
Wie man darauf gekommen sei, das sogenannte Pegelhaus anzuzünden, beantwortet der 26-Jährige relativ ausführlich. Man habe gewusst, dass am Ende der Augustusbrücke Kabel zusammenlaufen. Daraufhin habe man sich dort umgesehen und die Stromkästen im Pegelhaus entdeckt. Man sei dann dort eingedrungen und habe an den Kästen Beschriftungen gefunden. Außerdem hätten Wissam und seine Komplizen gesehen, wohin die Kabelbündel führen. Darüber hinaus habe man mehrere Stromkästen in der Umgebung des Residenzschlosses aufgebrochen. Aus den so gesammelten Informationen will der junge Mann gemeinsam mit den anderen beiden Tatplanern geschlussfolgert haben, welcher Kasten fürs Schloss zuständig war. Allerdings habe er damals angenommen, dass er durch ein Feuer an dieser Stelle die Stromversorgung im Grünen Gewölbe lahmlegen könne. Dass das Residenzschloss hier autark versorgt wurde, habe er angeblich nicht gewusst.
Die Grundidee zu der Aktion stammte laut Wissam Remmo von einem Vorfall in Berlin. Im Februar 2019 gab es einen stundenlangen Stromausfall im Stadtteil Köpenick. Verursacht durch Bauarbeiten an der Salvador-Allende-Straße. So etwas habe ihm und seinen Mittätern auch in Dresdens City vorgeschwebt.
Psychisch angeschlagen oder ein guter Simulant?
In der nächsten Antwort-Runde gibt Wissam Remmo noch zu, dass er den Kauf des Audis - eines der Tatfahrzeuge - mitfinanziert habe. Im Anschluss weisen die Verteidiger des jungen Mannes auf dessen schlechte psychische Verfassung hin. Die sei der Grund dafür, dass manche Angaben so ungenau seien. Verteidiger Moritz Baum beschreibt die Kommunikation mit seinem Mandaten im Moment als "sehr schwierig". Sein Kollege Mario Thomas ergänzt, dass sich der 26-Jährige nicht vom Sachverständigen Dr. Jan Lange befragen geschweige denn untersuchen lasse werde. Hierfür fehle das Vertrauen.
Lange ist forensisch-psychiatrischer Sachverständiger an der Universitätsklinik Dresden. Er soll am Freitag ein Gutachten zur langjährigen Drogensucht Wissam Remmos abgeben und bewerten, inwiefern dieser dadurch im November 2019 womöglich vermindert schuldfähig war. Der Sachverständige verfolgt heute bereits aufmerksam den Prozess.
10. März 2023: Zähe Befragung bis dem Staatsanwalt der Geduldsfaden reißt
Wie schon an den zurückliegenden Prozesstagen setzt sich heute die zähe Frage-Antwort-Prozedur fort. Gericht und Staatsanwaltschaft befragen Wissam Remmo. Es folgen immer wieder längere Unterbrechungen von bis zu einer Stunde. In dieser Zeit beraten sich die Anwälte mit ihrem Mandanten, um dann nur das zu sagen, was schon bekannt ist oder keine Antwort zu geben. Ausgerechnet der "Meisterdieb" - so wurde er seit dem Coup mit der Goldmünze bezeichnet - will nur eine Nebenrolle gespielt haben. Auch er sagt nichts über den Verbleib der Beute.
Er gab aber zu, im Vorfeld das Grüne Gewölbe während offizieller Besuchszeiten ausgekundschaftet und Fotos bzw. Videos gemacht zu haben. Im Juwelenzimmer fragte er einen Wachmann, ob die Steine hier alle echt seien. Dieser bestätigte das und verwies auf die Vitrinen in einer Ecke, wo die teuersten Stücke lägen. Auch für die Klärung des Fluchtweges war Wissam zuständig. Er checkte an der Augustusbrücke, die damals eine große Baustelle war, wie man an den Absperrungen vorbeikommt.
Details zur Bergung der Einbruchswerkzeuge aus der Spree
Wissam Remmo hatte im Dezember 2018 bei der Firma Lukas in Erlangen mehrere hydraulische Rettungswerkzeuge gestohlen. Allerdings hatte er diese noch vor dem Diebstahl in Dresden in die Spree geworfen. Im Januar dieses Jahres suchten Polizeitaucher danach und fanden insgesamt fünf Akku-Spreizer und -Schneider sowie ein dazugehöriges Ladekabel. Vier dieser Geräte stammten tatsächlich aus Erlangen, ein Gerät war von einem amerikanischen Hersteller. Vor Gericht wurden Fotos der Tauchaktion und der gefundenen Werkzeuge gezeigt.
Wissam Remmo: Ausschweifendes Leben vor der U-Haft
Bevor sich der vom Gericht bestellte psychiatrische Gutachter Dr. Jan Lange von der Uniklinik Dresden zum Drogenkonsum von Wissam Remmo äußert, gibt dessen Anwalt eine Erklärung seines Mandanten zu diesem Thema ab.
Bis Ende 2019 habe er, Wissam Remmo, ein ausschweifendes Nacht-, Party- und Promileben geführt. Sein Leben habe eigentlich nur in der Nacht stattgefunden. Er habe alles andere (Eltern, Freunde, Sport, Arbeit) vernachlässigt und abwechselnd Kokain, Subutex, Cannabis und Alkohol konsumiert. Während ihn die 0,5 bis 2 g Kokain pro Tag aufputschten, habe er eine bis vier Tabletten vom Opioid Subutex gebraucht, um wieder runterzukommen. Aus welchen Quellen er diesen Drogenkonsum finanzierte, sagte er nicht. Sein Antritt der U-Haft im November 2020 sei ein kalter Entzug gewesen, mit Kopfschmerzen, Übelkeit und anderen Nebenwirkungen. Gleichzeitig sprach er davon, auch im Gefängnis Drogen konsumiert zu haben.
Unter Drogen aber nicht vermindert schuldfähig
Das deckt sich weitestgehend mit der Aussage des psychiatrischen Gutachters. Dr. Lange hat allerdings nicht mit Wissam direkt gesprochen, denn dieser lehnte eine Begutachtung ab. Langes Aussagen stützen sich auf Gerichts- und Gefangenenakten aus Berlin, Leipzig und Dresden. Sowohl in der JVA Berlin als auch in Dresden gab es Vorfälle, wie zum Beispiel Bewusstlosigkeit wegen einer Überdosis Subutex und Cannabis und wiederholte Drogenfunde im Haftraum.
Wissam Remmo sei kokainabhängig und nehme wahllos verschiedenen Substanzen. Er habe zeitweise Psychosen wegen zu vieler oder zu weniger Suchtmittel. Die Drogen wirken schnell, flauen aber schnell wieder ab. Auch die Kokaineinnahme am Tattag würde nicht zu einem Verlust der Handlungskontrolle führen oder die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigen. Die eindeutige Diagnose des Gutachters: keine verminderte Schuldfähigkeit oder gar Schuldunfähigkeit.
Der Staatsanwaltschaft platzt der Kragen und am Ende auch der Deal?
Nachdem nun mit Wissam Remmo das letzte Geständnis hinterfragt worden ist, vermuten alle ein abschließendes Wort des Richters zum weiteren Prozessverlauf mit Blick auf ein baldiges Urteil. Doch weit gefehlt. Oberstaatsanwalt Matthias Allmang macht in einer geschliffenen Rede deutlich, dass das bisher Gehörte die Staatsanwaltschaft nicht überzeugt hat. Sie hatte bereits bei den Geständnissen Zweifel an deren Glaubwürdigkeit.
"Der magere Ertrag der Vernehmungen" habe daran nichts geändert. Es sei unwahrscheinlich, dass es zwei unbekannte Beteiligte gegeben habe, die die zentralen Tatplaner und -ausführenden gewesen sein sollen. Genauso sei zu hinterfragen, wie das 200 Meter vom Schloss entfernte Pegelhaus per Zufall gefunden wurde. Zum Verbleib der Beute gibt es keinerlei Angaben. Und niemand will etwas von den Waffen im Fluchtfahrzeug gewusst haben. Immer wenn objektiv nachprüfbare Fragen gestellt wurden, hätten die Angeklagten die Antworten verweigert. Der Staatsanwalt wird deutlich: "Man soll hier einfach alles glauben!" Doch es widerspreche der Strafprozessordnung und das kritische Hinterfragen sei Bestandteil des Deals gewesen, an den man sich unter diesen Bedingungen nicht mehr gebunden fühle.
Vielzahl an neuen Beweisanträgen gestellt
Die Staatsanwaltschaft beantragt deshalb die Vernehmung von fünf weiteren Zeugen, um die Aussagen der Angeklagten zu prüfen. Auch die Tatbeteiligung von einem der beiden Zwillingsbrüdern müsse neu betrachtet werden. Der hofft bisher auf ein mildes Urteil, da er in Dresden angeblich nicht dabei gewesen sei und nur Tatwerkzeug besorgt habe. Allerdings hat ihn, laut Recherchen der Sächsischen Zeitung, die Berliner Staatsanwaltschaft vor wenigen Wochen wegen versuchtem Raub und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Er soll im August 2020 eine Bankfiliale in Berlin-Wilmersdorf überfallen haben.
Nach dem heutigen Gerichtstag scheint der Prozess noch einmal Fahrt aufzunehmen. Wenn die Kammer die neuen Beweisanträge zulässt, ist der knappe Zeitplan des Gerichtes sicher nicht mehr zu halten. Ursprünglich sollte am 31. März 2023 das Urteil fallen.
20. März 2023: Ein Sturm im Wasserglas
Nachdem die Staatsanwaltschaft am vergangenen Verhandlungstag den Aufstand probte und etliche neue Beweisanträge stellte, zieht sie heute den Großteil davon ziemlich sang- und klanglos zurück. Erste Nachfragen bei verschiedenen Institutionen hätten die offenen Fragen hinreichend geklärt. In einer Verhandlungspause erklärt der Sprecher des Landgerichtes Andreas Feron dazu: "Ich denke, es ging der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen darum, Unmut über die letzten Verhandlungstage hinsichtlich der Fragetechnik zu bekunden, die von den Verteidigern dem Gericht etwas aufgedrängt worden ist. Außerdem wollte sie mit ihren Anträgen sicher eine gewisse Botschaft rüberbringen, ihre vorläufige Sicht auf die Geständnisse darlegen. Und anscheinend sieht sie insoweit ihr Statement schon als erfüllt an."
Bei uns drängt sich trotzdem der Eindruck auf, dass die Anklagevertreter hier nicht besonders souverän agierten. So hatten sie vor einer guten Woche beantragt, einen Brand-Gutachter zu laden. Der sollte bestätigen, dass 2,5 Liter Brennmittel in einem Topf innerhalb von fünf Tagen fast komplett verdunsten. Einer der Angeklagten hatte in seinem Geständnis behauptet, dass er die Töpfe im Pegelhaus schon so früh vor der eigentlichen Brandstiftung befüllt hatte.
Heute nun wird nach einem Test der SOKO Epaulette und Experimenten von Verteidigern der Antrag von der Staatsanwaltschaft zurückgezogen. Die SOKO hatte 2,5 Liter Benzin in einen Eimer gefüllt. Nach 5 Tagen waren noch 1,2 Liter vorhanden, die sich problemlos mit einer Lunte anzünden ließen. Wissam Remmos Einlassungen zu dem Thema könnten also durchaus stimmen. Hätte man so einen Versuch nicht auch durchführen können, bevor man so einen Beweisantrag stellt?
Der Deal hat Bestand
Vor dem heutigen Tag hatten auch wir darüber spekuliert, ob der sogenannte Deal wackelt. Nun, nachdem fünf von sechs der von der Staatsanwaltschaft gestellten Beweisanträge zurückgenommen wurden, ist klar, dass das nicht so ist. Mit den Beweisanträgen wollte die Staatsanwaltschaft ja belegen, dass und wo die Angeklagten in ihren Geständnissen gelogen haben.
Der Pressesprecher des Landgerichtes schätzt dazu ein: "Also die Verständigung gilt weiterhin. Aus meiner Sicht ist sie auch nicht gefährdet. Sollte das Gericht irgendwann tatsächlich der Auffassung sein, dass es sich nicht mehr an den vereinbarten Deal gebunden fühlt, wäre es rechtlich verpflichtet dies auch unmittelbar den Prozessbeteiligten mitzuteilen. Dies gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens." Momentan deutet nichts darauf hin.
Ein Zeuge ohne Erinnerungen
Auch die Aussage eines Zeugen, der aufgrund der Intervention des Staatsanwaltschaft heute gehört wird, ist mehr als dünn. Der junge Mann ist der Cousin eines der Angeklagten und soll etwas dazu sagen, ob er mit diesem am 19.11.2019 telefoniert hat und ob sie über den Einbruch ins Grüne Gewölbe redeten. Außerdem soll ihm der Angeklagte am 25. November nach der Tat ein Video geschickt haben, in dem über den Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe berichtet wurde.
Der 26-jährige Zeuge will nicht mal bestätigen, ob die betreffende Telefonnummer damals seine war. Der Zeuge gibt stattdessen an, sich nicht mehr an 2019 erinnern zu können. "Fragen Sie mich zu letzter Woche. Dazu kann ich vielleicht etwas sagen", betont er nassforsch. Auch an etwaige Gespräche mit seinem Cousin über den geplanten Einbruch kann er sich nicht erinnern. Also im Grunde genommen kein Output nach dieser Befragung.
Zu tollpatschig für einen Einbruch?
Im Anschluss wird einer der beiden angeklagten Zwillingsbrüder befragt. Der hat dem Deal zwar nicht offiziell zugestimmt und kein eigentliches Geständnis abgelegt, gab aber im Januar eine Erklärung ab. Darin hat er eingeräumt, von dem Einbruch gewusst und dafür Werkzeug und andere Gegenstände besorgt zu haben. Beim eigentlichen Einbruch aber will er nicht dabei gewesen und auch nie nach Dresden gereist sein.
Das glaubt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten offenbar nicht. Sie hält seine Erzählung von sich als einen eher tollpatschigen und unbedarften Jugendlichen, der von seinen mitangeklagten Verwandten als nicht geeignet für so einen Coup angesehen wurde und deshalb nicht mitmachen durfte, für nicht glaubhaft.
Ein Angeklagter kommt ins Stottern
Darum stellen die Anklagevertreter heute nochmal einen neuen Beweisantrag. Sie wollen einen Polizisten aus Berlin befragen, der die Ermittlungen zu einem versuchten Raubüberfall mit schwerer Körperverletzung leitet. Dabei geht es um eine Attacke auf eine Berliner Volksbankfiliale im August 2020. Bei diesem Angriff war zweimal auf einen Wachmann geschossen worden, der zum Glück eine schusssichere Weste trug und ansonsten wohl schwer verletzt worden wäre. An einem der Tatfahrzeuge hatte man DNA vom in Dresden angeklagten Zwilling gefunden. Von eben dem jungen Mann, der hier den etwas beschränkten Helfershelfer gibt.
Der 24-Jährige ergreift beim Antworten auf die Fragen von Gericht und Staatsanwaltschaft einmal sogar selbst das Wort. Der Richter hatte ihn dazu explizit aufgefordert. Und so wird der junge Mann erneut hochemotional, als es um die Anschuldigungen eines Mannes geht, der einige Wochen mit ihm auf der gleichen Station in der Justizvollzugsanstalt Dresden saß und dort belastende Aussagen vom Angeklagten gehört haben will. Aus dem Angeklagten bricht förmlich ein Redeschwall hervor, so konfus, dass man ihm kaum folgen kann. Mitunter verfällt der Angeklagte sogar ins Stottern. Der Mann behauptet, dass er fast nichts mit dem Belastungszeugen zu tun gehabt und nur einmal mit ihm geredet habe. Er habe nie mit ihm über den Einbruch ins Grüne Gewölbe gesprochen und auch nicht über andere von ihm vermeintlich begangene Straftaten.
Die Kammer zögert beim Zwilling
Für den jungen Mann geht es um viel, nämlich ob er als Mittäter verurteilt wird oder nur wegen Beihilfe. Das muss die Kammer am Ende entscheiden und scheint hier noch nicht ganz festgelegt zu sein. Glaubt sie dem durchaus etwas zwielichtigen Belastungszeugen oder dem Angeklagten. Eine beisitzende Richterin erinnert diesbezüglich an einen Haftprüfungstermin, den sie selbst durchführte. An diesem Tag habe der Zwilling sehr wohl erklärt, dass es ein Gespräch mit dem Belastungszeugen gab und dass es dabei auch um andere Straftaten ging. Wie die Kammer die Rolle des Zwillings am Ende bewertet, wird wohl erst eindeutig klar, wenn sie sein Urteil fällt.
Entscheidung zu Schadenersatz nicht im Strafprozess
Zum Schluss macht Richter Andreas Ziegel kurzen Prozess mit der Adhäsionsklage des Freistaates Sachsen. Darin hatten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Anspruch auf Schadenersatz erhoben. Erst nachdem ihn seine Beisitzerin daran erinnert, verliest Ziegel den Beschluss der Kammer dazu. Darin heißt es, dass das Verfahren über die Einziehung des Tatertrages vom Strafprozess abgetrennt wird. Als Grund dafür wird angegeben, dass die Wertermittlung zu den noch fehlenden Schmuckstücken und zu den Schäden am Zurückgegebenen so aufwendig sei, dass es dadurch zu einer unangemessenen Verzögerung kommen würde. Und das sei den schon seit Jahren in U-Haft sitzenden Angeklagten nicht zuzumuten.
Der weitere Fahrplan
Nach den Verzögerungen der letzten Wochen werden heute neue Prozesstage angesetzt. Damit stehen nun insgesamt vier Termine fest. Am nächsten - dem 31. März - wird wohl die Staatsanwaltschaft plädieren. Der letzte feststehende Verhandlungstag ist der 16. Mai. An diesem Tag könnten – falls nichts Unvorhergesehenes passiert – die Urteile gesprochen werden.
31. März 2023: Prozess nun endlich auf der Zielgeraden
An diesem 45. Prozesstag soll die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer halten. Nachdem die drei Anklagevertreter an den letzten Verhandlungstagen ihre Unzufriedenheit mit den Geständnissen und dem Frage-Antwort-Prozedere sehr deutlich gemacht hatten, fragen wir uns im Vorfeld wie andere Journalisten auch, ob die Staatsanwaltschaft sich an den sogenannten Deal halten würde. So viel schon mal vor weg – Oberstaatsanwalt Christian Kohle und sein Kollege Staatsanwalt Christian Weber, die heute beide das Wort ergreifen, kippen die Prozessverständigung nicht. Sie halten sich an den im Deal verabredeten Strafrahmen und andere darin getroffene Vereinbarungen. Doch bevor die beiden plädieren können, muss die Kammer noch über insgesamt acht offene Beweisanträge entscheiden.
Ende der Beweisaufnahme
Sechs der offenen Beweisanträge stammen von den Verteidigern eines der angeklagten Zwillingsbruders. Bei ihm geht es – so unser Eindruck - noch um viel. Der junge Mann hatte sich entschieden, dem Deal nicht zuzustimmen. Er legte auch kein umfangreiches Geständnis ab, stattdessen zwei Mal eine Erklärung. Darin räumte er ein, dass er vom Einbruch ins Grüne Gewölbe wusste und auch Dinge dafür gestohlen habe, zum Beispiel die Äxte in einem Baumarkt. Er betonte aber immer wieder, dass er beim eigentlichen Einbruch und auch beim Ausspähen nicht dabei gewesen sei.
Das Gericht lehnt alle Anträge des Zwillings ab und begründet dies vor allem damit, dass die Bearbeitung dieser Beweisanträge die Entscheidung der Kammer nicht beeinflussen würde.
Auch ein Antrag der Staatsanwaltschaft zur Befragung von zwei weiteren Zeugen wird abgelehnt. Genauso verfährt die Kammer mit einem noch offenen Anliegen der Adhäsionskläger. Die hatten gefordert, einen Sachverständigen zu hören, der etwas zum Wert der noch fehlenden Stücke und zu den Schäden am Zurückgegebenen sagen sollte.
Damit ist die Beweisaufnahme in diesem Mammutprozess nach einem Jahr und zwei Monaten abgeschlossen.
Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft – auch eine Rechtfertigung
Nun kann die Staatsanwaltschaft plädieren. Noch vor der Mittagspause tritt Oberstaatsanwalt Christian Kohle an ein extra dafür bereit gestelltes Stehpult. Er macht allgemeine Anmerkungen. Als erstes hebt er hervor, wie außergewöhnlich dieses Verfahren auch für die Anklagevertreter ist. Schon dass sie im Grüne-Gewölbe-Prozess zu dritt auftreten, sei alles andere als normal. Kohle betont im Weiteren die Leistungen der Polizei, die in einer einmaligen Jagd schließlich sechs mutmaßliche Täter verhaften konnte.
Im Anschluss begründet Kohle, warum die Staatsanwaltschaft Dresden sich im Dezember letzten Jahres auf den stark umstrittenen sogenannten Deal eingelassen hat. Einige Kritiker sehen es als No-Go an, überhaupt mit der Organisierten Kriminalität und kriminellen Teilen von Clans zu verhandeln. Andere monieren, dass man so quasi Nachahmer einlade. Falls Verbrecher nach ähnlich spektakulären Einbrüchen geschnappt würden, könne man ja immer noch einen Deal machen und dann auf milde Strafen hoffen. Kohle zitiert einige Zeitungsberichte. Darin hieß es unter anderem: "Willkommen auf dem deutschen Justizbasar" und "Verkauft der Staat seine Prinzipien?"
Christan Kohle erklärt das Vorgehen von ihm und seinen Kollegen damit, dass Ende letzten Jahres trotz intensiver dreijähriger Ermittlungen keine Spur zu den gestohlenen Schmuckstücken führte. Hätte man sich nicht auf den Deal eingelassen, wären Teile des Sachsenschatzes wahrscheinlich nie wieder aufgetaucht. Die Justiz sei im Übrigen sogar dazu verpflichtet, alles dafür zu tun, dass ein entstandener Schaden gemildert wird. Das alles sei in der Strafprozessordnung geregelt und durch diese gedeckt.
Der Oberstaatsanwalt wertet in seiner Plädoyer-Einleitung das Verfahren trotz allem als Erfolg. Es sei durchaus nicht selbstverständlich, dass man bei so einer Straftat überhaupt Täter findet. Diese dann auch noch vor Gericht stellen zu können und am Ende Verurteilungen zu erzielen, sei bemerkenswert und nur durch die akribische Arbeit von Ermittlern und Laboren möglich gewesen.
Staatsanwaltschaft fordert fünf Haftstrafen
Nach der Mittagspause übernimmt Christian Weber. Er war bei den Ermittlungen der sachbearbeitende Staatsanwalt, kennt also alle Details des Falls am besten. Weber betont nochmal die Skrupellosigkeit der Täter. Diese hätten billigend in Kauf genommen, dass Leben und Leib von Unbeteiligten gefährdet werden. So rasten sie bei der Flucht mit ihrem Audi über die gesperrte Augustusbrücke, wo ihnen eine Fahrradfahrerin nur knapp ausweichen konnte. Beim Anzünden ihres Fluchtwagens in einer Tiefgarage sei ihnen egal gewesen, dass die Mieter, die darüber ahnungslos schliefen, womöglich verletzt werden. Außerdem hätten die Täter – anders als von den Angeklagten beteuert - ganz bewusst Schusswaffen mitgeführt, um diese beim Eingreifen von Polizei oder Wachleuten auch einzusetzen. Für Wissam Remmo und Rabieh Remo fordert Weber darum sechs Jahre und acht Monate Haft und bleibt damit einen Monat unter der im Deal vereinbarten möglichen Höchststrafe. Die beiden gelten für ihn als Haupttäter.
Wissam sei sehr früh in die Planung des Einbruchs eingestiegen, habe das Residenzschloss innen und außen ausgespäht, das Gitter vorm Einstiegsfenster zerschnitten und die Stromverteiler im Pegelhaus angezündet. Er habe außerdem einige der anderen Beteiligten rekrutiert. Das alles habe er während er in Berlin wegen des Diebstahls der 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum vor Gericht saß gemacht. Außerdem sei er einschlägig jugendrechtlich vorbelastet.
Auch Rabieh Remo sei monatelang in die Planung involviert gewesen, er habe für die Umfolierung eines der Tatfahrzeuge gesorgt und sei schließlich als einer von Zweien direkt in das Grüne Gewölbe eingestiegen, wo er die Vitrinen zerschlagen und die Schmuckstücke eigenhändig entwendet habe. Rabieh hatte schon vor dem Juwelencoup zwölf Eintragungen im Bundeszentralregister. In diesem Register werden strafgerichtliche Verurteilungen, bestimmte Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, Vermerke über Schuldunfähigkeit und besondere gerichtliche Feststellungen eingetragen. Auch er ist also kein unbeschriebenes Blatt.
Für einen dritten Angeklagten fordert die Staatsanwaltschaft vier Jahre und sechs Monate Haft. Der Mann habe beim Einbruch ins Grüne Gewölbe nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Er sei erst sehr spät eingestiegen, wohl als Ersatz für einen anderen. Erwähnt wird aber auch bei ihm, dass er die Tat während einer laufenden Bewährungsstrafe verübte.
Für die beiden Zwillinge beantragt die Staatsanwaltschaft, Jugendstrafrecht anzuwenden. Die beiden waren im November 2019 noch keine 21 Jahre alt und damit für die Justiz Heranwachsende. Für einen der beiden Zwillinge fordert die Staatsanwaltschaft vier Jahre und sechs Monate Jugendstrafe. Er habe zwar die Idee zum Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe geliefert, später aber eine untergeordnete Rolle gespielt.
Harte Bandagen für den zweiten Zwilling
Für den anderen Zwilling beantragt Christian Weber sechs Jahre als Einheitsjugendstrafe, wobei eine Bewährungsstrafe aus Berlin einbezogen wird. Das ist eine kleine Überraschung, denn der junge Mann hatte immer wieder beteuert, dass er beim eigentlichen Einbruch in Dresden nicht mitgemacht habe. Um aufzuklären, ob das stimmt, hat das Gericht seit Mitte letzten Jahres einige Polizeibeamte und insgesamt vier Mithäftlinge des Zwillings vernommen. Einer der Mithäftlinge belastete den 24-Jährigen dabei schwer. Er behauptete, dass ihm A. M. Remmo in der Justizvollzugsanstalt erzählt habe, dass er in Dresden dabei war und auch bei anderen Straftaten mitgemacht hat.
In ihrem Plädoyer macht die Staatsanwaltschaft deutlich, dass sie dem Belastungszeugen glaubt. Weber betont, dass noch andere Dinge für die Mittäterschaft des Zwillings sprächen. In einem der Tatfahrzeuge habe man gleich mehrere DNA-Spuren des 24-Jährigen gefunden. In der Tatnacht sei er mit den geständigen Dieben in einem Auto in Berlin unterwegs gewesen. Das war bei einer Polizeikontrolle kurz vor der Abfahrt nach Dresden festgestellt worden. Außerdem sei der junge Mann in den Tatplan eingeweiht gewesen und habe sogar Werkzeug für den Einbruch besorgt. Er hätte ein enges Vertrauensverhältnis zu den mutmaßlichen Tätern – einer davon ist sein Zwillingsbruder, ein anderer sein bester Freund und die restlichen sind seine Cousins.
Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass A. M. Remmo der gesuchte fünfte Mann ist, der am 25. November in Dresden beim Diebstahl war. Aus ihrer Sicht gibt es nur einen, nicht zwei unbekannte Beteiligte.
In dubio pro reo
Im Zweifel für den Angeklagten - mit diesem Rechtsgrundsatz begründet die Staatsanwaltschaft den Freispruch für den sechsten Angeklagten. Wie wir finden - eher zähneknirschend. Christian Weber lässt in seinem Plädoyer durchblicken, dass aus seiner Sicht auch Ahmed Remmo durchaus in den Fall verwickelt sein könne. Es wäre durchaus denkbar, dass er bei der Tatvorbereitung mitgewirkt habe, aber zu einem späten Zeitpunkt ausgestiegen sei - möglicherweise krankheitsbedingt. Eine Mitwirkung aber könne man dem 25-Jährigen nicht nachweisen. Es fehlen objektive Belege dafür wie etwa DNA-Spuren. Außerdem habe Ahmed Remmo ein Alibi für die Tatnacht. Er war wohl in der Notaufnahme einer Berliner Klinik.
Nach Urteilsverkündung auf freiem Fuß
Nach dem Fällen der Urteile sollen vier Angeklagte aus der U-Haft entlassen werden. Das sind die vier Männer, die dem Deal zugestimmt und Geständnisse abgelegt hatten. In der Prozessvereinbarung war die Haftverschonung verabredet worden. Die Staatsanwaltschaft hält sich nun daran. Die vier müssten bei einer Verurteilung ihre Reststrafen erst später – bei Rechtskraft der Urteile – antreten. Möglicherweise als Selbststeller in einer Berliner JVA.
Der fünfte Angeklagte, der zweite Zwilling A. M. Remmo, soll - wenn es nach der Staatsanwaltschaft geht - nicht in den Genuss dieser Vergünstigung kommen. Er hat dem Deal nach einwöchiger Bedenkzeit schlussendlich nicht zugestimmt, hoffte wohl auf eine Verurteilung nur wegen Beihilfe. Da hat sich der junge Mann möglicherweise verzockt. Die Staatsanwaltschaft begründet ihr eher hartes Vorgehen unter anderem damit, dass bei ihm Fluchtgefahr bestehe.
Das Journalisten-Team bei MDR SACHSEN Die Journalistinnen Ina Klempnow und Heike Römer-Menschel verfolgen für MDR SACHSEN den Prozess um den Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe. In den vergangenen zwei Jahren haben sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Adina Rieckmann mehrere Dokumentationen für ARD und MDR über den Diebstahl von kulturhistorisch unschätzbar wertvollen Juwelen aus dem 18. Jahrhundert produziert. Sie sprachen mit verschiedensten Experten: vom Edelsteinschleifer über die ehemalige Chefrestauratorin des Grünen Gewölbes bis hin zu einem Kunstdieb. Mit diesem Hintergrundwissen berichten sie über die Prozesstage und ihre persönlichen Eindrücke.
Quelle: MDR (pri/cnj/cba)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 20. März 2023 | 19:00 Uhr