Gedenken Ihre Namen und Gesichter leben weiter: Sachsen erinnert an NS-Opfer und Verantwortung
Hauptinhalt
27. Januar 2025, 06:00 Uhr
Vor 80 Jahren, am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Mehr als eine Million Menschen sind dort von den Nationalsozialisten ermordet worden. Der Tag der Befreiung von Auschwitz ist ein bundesweiter Gedenktag. In Sachsen wurde am Montag mit eindringlichen Worten an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert und betont, warum das uns Heutige immer noch betrifft. Dass auch die AfD Reden hält, finden Opferverbände "heuchlerisch" und "verhöhnend".
- Gedenkveranstaltungen in Sachsen mit Namenslesungen, Buch- und Fotoprojekten und stillem Gedenken
- Freistaat gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus in Pirna und im Sächsischen Landtag.
- Vereinigung der NS-Verfolgten und Holocaustüberlebende sehen AfD-Reden am Gedenktag als "Verhöhnung der Opfer"
Kranzniederlegungen, Gedenken, Ausstellungen und Namensverlesungen - an vielen Orten in Sachsen gedenken Menschen am Montag der Opfer des Nationalsozialismus. Veranstaltungen gibt es in allen Landesteilen an Mahnmalen, in Gedenkstätten, Rathäusern, Kirchen und auf Friedhöfen. Vor 80 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. Seit 1996 ist der Tag bundesweiter Gedenktag.
Annaberg erinnert an "Tänzerin von Auschwitz"
Das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz erinnert mit einer szenisch-musikalischen Lesung aus dem Roman "Die Tänzerin von Auschwitz" an Rosie Glaser. Die Jüdin hatte trotz Verbots ihrer Tanzschule auf dem Dachboden ihrer Eltern weitergemacht, war von ihrem Mann verraten und deportiert worden.
Leipzig und Großschweidnitz geben Opfern ihre Namen
Im Neuen Rathaus in Leipzig wird an einer Erinnerungstafel der ermordeten Stadtverordneten gedacht.
Gerhard, zehn Jahre alt
Während am 27. Januar 1945 das KZ Auschwitz befreit wurde, "ging in der Landesanstalt Großschweidnitz das Sterben unvermindert weiter", informiert die Gedenkstätte Großschweidnitz im Kreis Görlitz. Das Personal in der damals überfüllten Landesanstalt habe "mit einer Intensivierung der Morde" reagiert. "Von den mehr als 5.500 Opfern der NS-Krankenmorde in Großschweidnitz starben mehr als 1.600 in den letzten Kriegsmonaten 1945."
Am Montagnachmittag ist bei einer Gedenkstunde ein neues Heft der Reihe "Den Opfern ihren Namen geben" die Biografie des zehn Jahre alten Gerhard Böhm vorgestellt worden.
Verein Augen auf Oberlausitz bekommt Preis aus den USA
In Berlin hat der Verein "Augen auf e.V." den Obermayer Award der US-Stiftung für die Bewahrung jüdischer Geschichte bekommen. Der im Jahr 2000 gegründete Verein in Zittau engagiert sich gegen Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Antisemitismus und Antiziganismus.
Erinnern mit Klang und Großformat in Dresden
In Dresden riefen am Montag Schülerinnen und Schüler an der Gedenktafel vor der Kreuzkirche Namen in Erinnerung an mehr als 2.000 Jüdinnen und Juden aus Dresden, die zwischen 1933 und 1945 ermordet oder deportiert wurden. Sie erinnerten auch an getötete Sinti und Roma und verstorbene Zwangsarbeiter-Kinder.
Sichtbar in Dresden vor und in der Frauenkirche, vor dem Staatsschauspiel, im Festspielhaus Hellerau und im Deutschen Hygiene Museum stehen 80 großformatige Porträt-Fotos. Die Bilder des deutsch-italienischen Fotografen und Filmemachers Luigi Toscano sind Teil des internationalen Erinnerungsprojekts "Gegen das Vergessen", das als Wanderausstellung schon in mehreren Städten zu sehen waren. Die Bilder und Info-Tafel beschreiben, wie Menschen in die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten gerieten und überlebten. Offizielle Eröffnung ist am Montagnachmittag in der Frauenkirche.
Am Montagabend will die Stadt Dresden in einer Feierstunde an die Opfer des Nationalsozialismus in der Gedenkstätte Münchner Platz erinnern.
Oper Chemnitz erinnert an Anne Frank
Im Landtag Dresden hat die Oper Chemnitz das Stück "Das Tagebuch der Anne Frank" aufgeführt - zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, wohin auch das jüdische Mädchen deportiert wurde. Der Sächsische Landtag versammelte sich traditionell im Plenarsaal. Aus den unfassbaren Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus und in der Erinnerung an die Opfer wächst nach Überzeugung von Sachsens Landtagspräsident Alexander Dierks (CDU) Verantwortung für die Gegenwart. "Deshalb rufe ich uns alle auf, unsere Demokratie zu schützen und auf unser Land aufzupassen", sagte er bei der Gedenkstunde. Demokratie und Rechtsstaat seien die richtigen Lehren aus diesem Kapitel der deutschen Geschichte. Und: "es gibt nichts Wertvolleres".
Gift der Nazi-Sprache in der Gegenwart
Der Völkermord hat nach Worten des dienstältesten Landtagsabgeordnete Marko Schiemann (CDU) mit Wegsehen, Schweigen und Verharmlosen begonnen. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklung in der Gesellschaft fürchte er, dass Hass und Gleichgültigkeit Menschen wieder blind werden ließen.
"Das Gift der Sprache des Dritten Reiches scheint bei einigen immer noch zu wirken. Wie schnell aus Hass Gewalt werden kann, ist auch heute leider wieder allgegenwärtig." Daher sei die Kenntnis der Folgen von Rassismus und Totalitarismus und der Anfänge oft im Kleinen oder Banalen immer noch wichtig. "Wir alle sind dafür verantwortlich, dass sich diese Verbrechen niemals wiederholen."
Wir alle sind dafür verantwortlich, dass sich diese Verbrechen niemals wiederholen.
Neue Jüdische Kammerphilharmonie bringt in Pirna "die Musik nach Hause"
Bereits am Vorabend des Gedenktages hatten Parlamentspräsident Dierks und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) beim zentralen Gedenken des Freistaates an der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein Kränze niedergelegt. Beim Gedenken waren mehrere Minister, Vertreter des diplomatischen Corps, der Jüdischen Gemeinden und der Kirchen anwesend.
Die Nazis machten die dortige Heil- und Pflegeanstalt zum Tatort für ihr verbrecherisches "Euthanasie"-Programm. Dort wurden etwa 15.000 vorwiegend psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet. Kretschmer sagte dazu: "Der Weg in die Vernichtungslager begann mit der Verachtung von kranken Menschen, mit der Beurteilung von Menschen als lebenswert und lebensunwert." Auch auf dem Sonnenstein und in Großschweidnitz seien aus Heilanstalten Orte geworden, an denen Menschenleben planvoll ausgelöscht wurden.
Beim anschließenden Gedenkkonzert in der Pirnaer Stadtkirche St. Marien am Sonntagnachmittag unter dem Titel "Die Musik nach Hause bringen" spielte die Neue Jüdische Kammerphilharmonie Werke jüdischer Komponisten, die von den Nazis verfolgt, deren Musik als "entartet" diffamiert und verboten worden waren. Zum Gedenken nach Pirna hatte Ministerpräsident Kretschmer als Schirmherr und die Stiftung Sächsische Gedenkstätten eingeladen.
Klepsch: "Historische Fakten anerkennen"
Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) dankte allen, die sich in Sachsen für die Erinnerungskultur engagieren. "Heute, 80 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, sehen sich die Jüdinnen und Juden in unserem Land teils ganz offenen Anfeindungen ausgesetzt, oftmals verbunden mit einer Relativierung der Menschheitsverbrechen des NS-Regimes. Das ist nicht hinnehmbar, und es geht uns alle an." Zum historischen Bewusstsein für eine Gesellschaft "gehört ganz grundlegend die Anerkennung der Fakten, und dazu gehört die Erinnerung an die persönlichen Schicksale der Opfer", betonte Klepsch.
Zum historisches Bewusstsein für eine Gesellschaft gehört ganz grundlegend die Anerkennung der Fakten, und dazu gehört und die Erinnerung an die persönlichen Schicksale der Opfer.
Opfer des NS-Regimes werfen AfD Opferverhöhnung vor
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes hat gegen ein gemeinsames Gedenken mit der AfD am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus protestiert. Die geplante Rede eines AfD-Mitglieds in Coswig und die Teilnahme von AfD-Vertretern an solchen Veranstaltungen andernorts in Sachsen sei "eine Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes", kritisierte Landessprecherin Kerstin Köditz.
Die Vereinigung sieht in der AfD zudem "eine im Kern faschistische Partei, das heutige Gesicht des Faschismus in der Bundesrepublik". Köditz verwies auf Ermittlungen zur terroristischen Vereinigung "Sächsische Separatisten" und zur "Gruppe Reuß", die zeigten, dass es auch personelle Verbindungen der AfD in dieses Milieu gebe.
Auschwitz-Komitee empört
Auch das Internationale Auschwitz-Komitee kritisiert die geplante Rede eines AfD-Mitglieds in Coswig. "Für Auschwitz-Überlebende ist dieser Vorgang empörend und auch verletzend", hieß es in einer Erklärung. Sie sähen sich beständigen Diffamierungen und Angriffen aus den Reihen der AfD ausgesetzt, die sich auch gegen die gesamte Erinnerungskultur in Deutschland richteten.
Dass ein Repräsentant dieser Partei an dem Gedenktag für die in Auschwitz Ermordeten und die Überlebenden sprechen will, ist schamlos und heuchlerisch.
Das Landesamt für Verfassungsschutz hatte den Landesverband der AfD im Dezember 2023 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Eine Beschwerde der AfD dagegen wurde vorige Woche zurückgewiesen. Für das Sächsische Oberverwaltungsgericht ist die Einstufung der AfD rechtens.
MDR (kk)/dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 27. Januar 2025 | 19:00 Uhr