Interview mit Notfalldozenten Amokschulung: "Verbarrikadieren, verstecken und im Zweifel auch bewaffnen"
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24. Januar 2025, 12:00 Uhr
Sie nennen sich Notfalldozenten, kommen aus dem Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr und schulen bundesweit Erwachsene in Amok-, Gewalt- und Bedrohungslagen. Regelmäßig sind sie auch für Lehrerfortbildungen an Schulen. Warum Amoksituationen mit Kindern und Jugendlichen nicht durchexerziert werden sollten, erklärt der selbstständig tätige Notfalldozent Peer-Niclas Unger mit Interview mit MDR SACHSEN.
Herr Unger, Sie nennen sich Notfalldozent? Was machen Sie und Ihr Team?
Es handelt sich um verschiedene Referenten aus dem Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr. Wir versuchen, die Lücke zu füllen zwischen dem, was die Polizei leisten kann und die Schulen sich gern an Präventionsmaßnahmen wünschen - insbesondere im Bereich Amok. Wir machen ausschließlich Schulungen mit Lehrerinnen und Lehrern - also mit Erwachsenen. Kinder unterweisen wir grundsätzlich nicht. Und das empfehlen wir auch niemandem.
Wie läuft eine Amokschulung ab?
Unsere Schulungen beinhalten einen Theorieteil, in dem wir erst einmal unsere Teilnehmer - in der Regel Lehrerinnen und Lehrer - auf den gleichen Stand bringen. Wir haben da ein Konzept, eine Art Stufenschema, wie man sich im Ernstfall ideal verhalten sollte. Dazu gehören Komponenten von Fluchtmöglichkeiten, Komponenten von Verbarrikadieren und in letzter Instanz auch - um das eigene Überleben zu sichern -, wie man auf den Täter einwirkt.
Dann folgt ein praktischer Teil?
Ja, denn am besten schafft man Handlungssicherheit, indem man Theorie und Praxis verknüpft. Wir üben dann mit unseren Teilnehmern im Schulsetting in einem Klassenraum tatsächlich den Ernstfall. Also wir simulieren ein Stück weit eine Amoklage. Wir üben dann mit den Lehrern im Klassenraum, sich zu verbarrikadieren, sich zu verstecken und sich im Zweifel auch zu bewaffnen, um einem Täter, falls er dann doch in den Raum kommt, begegnen zu können.
Eine Amokübung ist mindestens dynamisch. Da geht selbst bei Erwachsenen das Adrenalin hoch.
Das sind Abläufe, die man keinem Kind zumuten möchte…
Tatsächlich gibt es in unserem Teilnehmerkreis immer wieder die Frage, ob man die Übung auch mit den Schülern machen sollte. Davon raten wir aus zwei Gründen ganz klar ab. Zum einen: Je jünger die Schüler sind, umso eher kann das die Kinder traumatisieren. Traumatisieren ist natürlich ein großes Wort, aber man setzt Kinder zumindest so sehr unter Stress, dass das für sie zu einem Erlebnis werden kann, was später therapeutisch aufbereitet werden muss.
Werdegang von Peer-Niclas Unger (zum Ausklappen):
Peer-Niclas Unger kommt aus dem Polizeibereich. Er hat einen Hochschulabschluss Bachelor of Arts Polizeivollzugsdienst mit den Fachgebieten Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften und polizeilichem Management.
Als Hochschuldozent unterrichtet er Polizeistudenten. Als Notfalldozent führt er Lehrerfortbildungen an Schulen durch.
Zum anderen muss man sich gewahr machen, aus welchem Personenkreis die Täter kommen. Und da ist es tatsächlich so, dass bei den meisten Amoktaten an Schulen der Täter entweder Schüler oder ehemaliger Schüler der Schule ist. Das heißt, man würde, wenn man Amoktaten exemplarisch mit den Kindern durchexerziert, möglicherweise dem Täter an die Hand geben, wie er am besten die Schutzmechanismen der Schule umgeht. Aus beiden Gründen sagen wir ganz klar, sollte man Amokübungen nicht mit Schülern machen.
Kinder unterweisen wir grundsätzlich nicht. Und das empfehlen wir auch niemandem.
Auch theoretisch nicht?
Grundsätzlich würde ich es generell nicht mit Schülern durchsprechen oder umsetzen, sondern ich würde einen anderen Ansatz fahren. Die Lehrkräfte sind in der Verantwortung, sich zu informieren und vorzubereiten. Wir sehen die Lehrer als diejenigen, die die Anführerrolle einnehmen sollen und den Kindern sagen müssen, wo es hingeht.
Wir sehen die Lehrer als die, die die Anführerrolle einnehmen sollen und den Kindern sagen, wo es hingeht.
Wir empfehlen nicht, das mit Kindern durchzusprechen, weil es keinen nennenswerten Vorteil bringt. Wenn sich eine Schule aber entscheidet, das zu tun, dann sollte man das absolut kindgerecht machen und eben nicht von Amokfällen, sondern von Bedrohungen sprechen.
Halten Sie Amokübungen auch in anderen Bereichen für sinnvoll, in Betrieben zum Beispiel?
Die Frage, die sich hier stellt ist, wie wahrscheinlich überhaupt das Worst-Case-Szenario Amok ist? Da können wir Gott sei Dank in Deutschland noch sagen, die Wahrscheinlichkeit ist relativ gering. Aber es ist nun mal das schlimmste anzunehmende Ereignis. Das kann uns alle treffen, ohne Panik schüren zu wollen. Und es gibt auch bei uns bereits Firmen und Institutionen in der Erwachsenenbildung oder auch einfach nur im normalen Arbeitsumfeld, die sich da schulen lassen.
Gab es eine Amoktat, die zur Gründung der Notfalldozenten führte?
Mein Geschäftspartner und ich kommen beide aus dem hauptamtlichen polizeilichen Bereich. Es hat uns gestört, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem, was die Polizei als Institution auch wegen Personalmangel leisten kann und dem, was sich die Schulen wünschen. Es gab keinen expliziten Fall, weswegen wir gesagt haben, jetzt müssen wir etwas machen. Unser Angebot ist nach und nach gewachsen.
MDR (ama)