Der Dresdner Architekt Günter Gruner, ein Mann mit hellen, kurzen Haaren, Bart und Brille, steht im Anzug mit verschränkten Armen vor einer besprühten Hauswand. 4 min
Der Dresdner Architekt Günter Gruner ist am 21. Dezember 2024 gestorben. Für MDR KULTUR würdigt Wolfram Nagel sein Schaffen. Bildrechte: Netzwerk ostmodern / Marco Dziallas
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Rundkino, "Fresswürfel" oder "Picknick: Diese Bauten prägten zu DDR-Zeiten die Innenstadt von Dresden. Am 31. Januar wird Günter Gruner zu Grabe getragen. Eine Würdigung von Wolfram Nagel im Stadtrundgang.

MDR KULTUR - Das Radio Di 28.01.2025 14:35Uhr 03:59 min

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Nachruf auf Günter Gruner Abschied vom Architekten der Ostmoderne in Dresden

31. Januar 2025, 03:00 Uhr

Seine Bauten prägten Dresdens neues Zentrum: Mit entworfen hat er markante Gebäude wie das Rundkino, die sogenannte HO-Gaststätte "Am Zwinger" oder das Schnellrestaurant "Picknick". In der DDR prämiert, wurden viele seiner Bauten nach 1990 abgerissen, meist war er mit vor Ort und hat zugesehen. Am 21. Dezember 2024 starb Günter Gruner im Alter von 93 Jahren, am 31. Januar ist seine Beerdigung in Meißen. Eine Würdigung.

Am Straßburger Platz in Dresden stand bis 2022 das "Picknick", ein markanter Flachbau mit geschosshohen Fenstern und überkragendem Dach. Nichts erinnert mehr an die einst modernste Selbstbedienungsgaststätte Dresdens, im Volksmund "Dreckscher Löffel" genannt. Sie musste Wohn- und Geschäftshäusern weichen.

Die HO-Schnellgaststätte Picknick, ein Flachbau mit geschosshohen Fenstern und überkragendem Dach sowie holzvertäfelter Innenausstattung.
Ein Lokal, in dem der Gast schnell zu seinem Essen kommt, entwarf Günter Gruner gemeinsam mit seinen Kollegen Gerhard Landgraf und Herbert Löschau im Auftrag der HO. 1961 wurde das "Picknick" mit "Durchlaufsystem" eröffnet. Bildrechte: imago images/Sylvio Dittrich

Wir haben Dresden Stück für Stück wieder aufgebaut. Und dann nach der Wende kamen die Bagger und haben alles wieder abgerissen. Ich könnte meinen Enkeln nichts mehr zeigen von dem, was ich gemacht habe.

Günter Gruner, Architekt (1931-2024) Im MDR-Umschau-Interview, 2021

Dabei hätte sich Günter Gruners Gebäude nach der Wende ins neue Umfeld integrieren lassen, findet der Sohn des Architekten: "Da gab es Ideen und Pläne, auch Studentenarbeiten. Aber der Investor hat gesagt, das passe nicht in sein Konzept", berichtet Michael Gruner, der selbst Restaurator und Denkmalpfleger ist. Ihn schmerzt der Verlust von Bauten der Ostmoderne, nicht nur weil sie einmal zu seinem Leben gehörten. Es waren Zeugnisse guter, zeitgemäßer Architektur, so wie das "Picknick".  

Die HO-Schnellgaststätte Picknick, ein Flachbau mit geschosshohen Fenstern und überkragendem Dach, ist mit Grafitti besprüht und von Unkraut überwuchert.
Die ehemalige HO-Schnellgaststätte "Picknick" am heutigen Straßburger Platz als Ruine: 2022 wurde der Bau im Beisein des Architekten abgerissen. Bildrechte: imago images/Sylvio Dittrich

Lebensaufgabe: Neues Zentrum fürs zerstörte Dresden

Vor dem Abriss 2022 kam sein Vater, der bereits über 90 Jahre alte Architekt Günter Gruner, um sich von seinem "Picknick" zu verabschieden, das da bereits eine Ruine ist. Festgehalten ist der Moment in einem Beitrag des MDR-Fernsehens, sein Erschrecken über den Zustand des Gebäudes klingt an. Vor allem aber erinnert er sich an die Freude über den Auftrag, den er gemeinsam mit Gerhard Landgraf und Herbert Löschau im VEB Hochbauprojektierung Dresden realisierte: "Ich hatte 1954 in dem Betrieb angefangen, und 1961 ist das 'Picknick' schon eröffnet worden. Wir waren alle sehr jung damals und begeistert von der Aufgabe."

 

Prager Straße in Dresden mit Filmtheater (Rundkino) und Centrum-Warenhaus, 1979
Blick auf das neue Stadtzentrum von Dresden an der Prager Straße mit Rundkino und Centrum-Warenhaus, 1979 Bildrechte: picture alliance / Archiv Sächsische Zeitung | Hans-Dieter Opitz

Wir waren alle sehr jung damals und begeistert von der Aufgabe.

Günter Gruner (1931-2024) Architekt in Dresden

Gaststätten, Kaufhäuser, Theater, Kinos, vor allem aber Wohnungen mussten gebaut werden im vom Krieg schwer gezeichneten Dresden. Eine städtebauliche Herausforderung, nicht anders als beispielsweise in Nürnberg oder Frankfurt am Main: "Als mein Vater das erste Mal nach Dresden kam, sah er vom Hauptbahnhof Richtung Schloss auf eine riesenfreie Fläche. Er wusste, dass das eine Lebensaufgabe sein wird." 

Ikone der Nachkriegsarchitektur: Rundkino

Der Städtebau lag Günter Gruner sehr am Herzen, zugleich hat er markante Einzelbauwerke geschaffen. Darüber erzählt Michael Gruner beim Stadtrundgang auf den Spuren des Vaters am inzwischen völlig zugebauten Rundkino. Auf einem Foto von 1972 steht es völlig frei. Heute eine Ikone der Nachkriegsarchitektur, war es damals ein Novum mit besonderer Ausstattung, etwa der größten Halbrund-Leinwand Deutschlands mit 200 Quadratmetern Fläche und einem großen Saal auch für besondere Filme, wie Michael Gruner erläutert.

Rundkino Dresden 1975 und heute

Rundkino, 1975: Eine Schwarz-weiß-Aufnahme von einem zylinderförmigen Gebäude auf einem großen, freien Platz.
Das Rundkino in Dresden entstand unter Gruners Leitung, hier eine Aufnahme von 1975. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS
Rundkino, 1975: Eine Schwarz-weiß-Aufnahme von einem zylinderförmigen Gebäude auf einem großen, freien Platz.
Das Rundkino in Dresden entstand unter Gruners Leitung, hier eine Aufnahme von 1975. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS
Rundkino Dresden, Prager Straße, 2013: Ein zylinderförmiges Gebäude ist in am Ende einer Straßenschlucht zwischen verschiedenen Gebäuden erkennbar.
Es hat bis heute überdauert, allerdings sind ringsherum zahlreiche weitere Gebäude entstanden. Bildrechte: IMAGO / Torsten Becker
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Immerhin, das Rundkino steht noch, anders als der Gaststättenkomplex "International" neben dem ebenfalls abgerissenen Centrum-Warenhaus auf der Prager Straße.

Menschen auf einem mit Bäumen gesäumten Fußweg, laufen unter einem dreibeinigen Gestell durch. 45 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Büroturm statt Ostmoderne: "Politische Entscheidung"?

Besonders getroffen habe seinen Vater aber der Verlust der HO-Gaststätte "Am Zwinger", erinnert sich Michael Gruner. Der dreigeschossige Kubus mit über 1.400 Sitzplätzen in mehreren Restaurants wurde 1967 eingeweiht. Der Abriss des sogenannten "Fresswürfels" 2007 sei eine politische Entscheidung gewesen, glaubt er. Auch weil er auf dem Grund der im Krieg zerstörten gotischen Sophienkirche stand.

"Es war für ihn ein Gesamtbauwerk, mit der Gestaltung der Gaststätten waren viele freiberufliche Künstler beschäftigt. Aus meiner Sicht hat es sich sehr gut eingefügt in das gesamte Ensemble des damaligen Postplatzes." 

Postplatz: HO-Gaststätte "Am Zwinger" damals und das neue Bürogebäude heute

Ein schwarz-weiß-Foto von einem Flachbau mit zahlreichen Fenstern und dem Schriftzug "Am Zwinger" über dem Eingang.
Bildrechte: Deutsche Fotothek/Manfred Thonig, Gerhard Müller
Ein schwarz-weiß-Foto von einem Flachbau mit zahlreichen Fenstern und dem Schriftzug "Am Zwinger" über dem Eingang.
Bildrechte: Deutsche Fotothek/Manfred Thonig, Gerhard Müller
Ein rechteckiges Betongebäude mit sechs Stockwerken.
Bildrechte: IMAGO / Sylvio Dittrich
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Errichtet wurde an dessen Stelle der schlichte Sechsgeschosser eines großen Software-Unternehmens, der für Michael Gruner einer "gewisse Langeweile" ausstrahlt. "Der Grundtenor einer städtebaulichen Gestaltung ist heute nicht mehr zu erkennen, wenn man auf den Postplatz sieht."

Der Grundtenor einer städtebaulichen Gestaltung ist heute am Postplatz nicht mehr zu erkennen.

Michael Gruner, Sohn des Architekten Restaurator und Denkmalpfleger

Heute würde man so einen Bau wie die Zwinger-Gaststätte wahrscheinlich unter Denkmalschutz stellen, denkt Michael Gruner, so wie die Robotron-Kantine oder den Dresdner Kulturpalast. Damit käme man nun aber zu spät.

 Quelle: MDR KULTUR (Wolfram Nagel), Redaktionelle Bearbeitung: ks

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 31. Januar 2025 | 07:40 Uhr

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