Abschied als Stadtschreiberin Charlotte Gneuß: Dresden ist gespalten und müde geworden
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11. Dezember 2024, 03:30 Uhr
Mit dem letzten Teil der von ihr veranstalteten Gesprächsreihe "Wort & Welt" hat die Schriftstellerin Charlotte Gneuß ihr Amt als Stadtschreiberin in Dresden beendet. Für ein halbes Jahr hatte sie das Amt inne. Neben der Arbeit an einer Anthologie und ihrem zweiten Roman hat sich Gneuß auch mit der politischen Situation in Dresden und Sachsen beschäftigt. Warum der Einsturz der Carolabrücke für sie die gesellschaftliche Spaltung symbolisiert, verriet sie im Gespräch mit dem MDR.
- Die Autorin Charlotte Gneuß war ein halbes Jahr Stadtschreiberin von Dresden.
- Sie blickt zufrieden auf ihren Aufenthalt, ist aber über die politische Entwicklung in Dresden besorgt.
- Den Einsturz der Carolabrücke deutet sie die Autorin als Symbol der gesellschaftlichen Spaltung.
Ein halbes Jahr ist die Schriftstellerin Charlotte Gneuß Stadtschreiberin von Dresden gewesen. Nun hat sich die für ihren Debütroman "Gittersee" vielfach ausgezeichnete Autorin aus ihrem Amt verabschiedet. Am Dienstag fand das dritte und letzte Literaturgespräch in der von ihr konzipierten Reihe "Wort & Welt" in der Dresdner Zentralbibliothek statt.
Der Aufenthalt als Stadtschreiberin in Dresden sei ein "totales Heimspiel" gewesen, erzählt Charlotte Gneuß im Gespräch mit dem MDR. Sie sei hier sehr glücklich gewesen. Die Autorin hat eine enge Verbindung zu Dresden: Ihre Eltern stammen von dort und haben die DDR kurz vor dem Mauerfall verlassen. Ihr Vater lebt mittlerweile wieder in der sächsischen Landeshauptstadt. Gneuß selbst hat vor zehn Jahren in Dresden Soziale Arbeit studiert und in dieser Zeit auch angefangen zu schreiben. Ihr erster Roman "Gittersee" spielt in dem gleichnamigen Dresdner Stadtteil.
Pegida und AfD in Dresden
Neben der Freude über ihre Rückkehr, habe sie aber auch deutlich gespürt, dass in Dresden "politisch ganz viel geschehen" ist – sowohl während ihres Stadtschreiber-Aufenthalts, als auch in den Jahren ihrer Abwesenheit. Als sie Dresden 2014 verließ, hatte sich Pegida gerade gegründet. "Zehn Jahre später kam ich zurück. Pegida hatte die letzte Demonstration und gleichzeitig ist die AfD bei den Landtagswahlen zweitstärkste Kraft geworden", resümiert die Autorin.
Das Gedankengut von Pegida existiere weiter: "Der Protest begann auf der Straße und jetzt scheint die Straße nicht mehr notwendig zu sein, weil die Gesinnung und das Denken sozusagen in die Parlamente gezogen ist", sagt Charlotte Gneuß.
Jeder ist sozusagen in seinem eigenen Kiez und zieht sich zurück.
Eingestürzte Carolabrücke als Symbol
Laut Gneuß zeichnet sich in Dresden wie vielerorts eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung ab. Zwar habe sich die Stadtgesellschaft lange bemüht, Brücken zu bauen. Doch Diskussionen und Gespräche fänden kaum mehr statt. "Jeder ist sozusagen in seinem eigenen Kiez und zieht sich zurück", sagt sie. Ein Sinnbild dafür sieht die Autorin in einem Ereignis, das in Dresden in diesem Jahr für großes Aufsehen gesorgt hat: dem Einsturz der Carolabrücke im September 2024.
"Die Carolabrücke ist ja die Brücke zwischen der Alt- und der Neustadt. In der Altstadt lief Pegida, die Neustadt ist für ein alternatives linkes Milieu bekannt. Dass diese Brücke eingestürzt ist, ist natürlich symbolisch für die Stadt", sagt Genuß. Ein befreundeter Architekt habe als Grund für den Brücken-Einsturz "architektonische Müdigkeit" genannt. Müdigkeit trifft es für Gneuß es auch mit Blick auf die Stadtgesellschaft gut: "Ich glaube, dass die Stadt sehr müde geworden ist durch die Debatten der letzten zehn Jahre."
Dass diese Brücke eingestürzt ist, ist natürlich symbolisch für die Stadt.
Als Stadtschreiberin habe sie sich mitunter zerrissen gefühlt, erzählt Gneuß im MDR-Gespräch. Einerseits habe sie die Gesprächsreihe "Wort & Welt" veranstaltet, eine Anthologie zum Erzählen über die DDR herausgegeben, an ihrem zweiten Roman gearbeitet und sich sehr wohl gefühlt in Dresden. Andererseits habe sie die aktuelle politische Situation sehr beschäftigt. Das wird wohl auch in Zukunft so bleiben: Sie wolle nicht völlig in der Literatur versinken, sondern gesellschaftliche Entwicklungen weiterhin kritisch beobachten, kündigte Gneuß an.
Quellen: MDR Sachsen (Stephan Bischof)
Redaktionelle Bearbeitung: lig, bh
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Aufgefallen – der sächsische Kulturpodcast | 09. Dezember 2024 | 18:00 Uhr