"Die gespaltene Generation" in Chemnitz Ausstellung arbeitet vergessene DDR-Kunstgeschichte auf
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23. Januar 2024, 19:19 Uhr
Eine neue Ausstellung in der Neuen Sächsischen Galerie Chemnitz möchte einen vergessenen Teil der DDR-Kunstgeschichte aufarbeiten. Die Schau "Die gespaltene Generation" beschäftigt sich mit eher unbekannten Künstlerinnen und Künstlern der 60er-Jahre. Sie schufen Kunst fernab des damaligen staatskonformen Mainstreams.
- In der Ausstellung "Die gespaltene Generation" ist nicht die typische staatskonforme DDR-Kunst zu sehen.
- Auf das Vorführen sozialistischer Ikonenmaler wird verzichtet, vielmehr wird ein innerer Konflikt der Kunstschaffenden deutlich.
- Nur die Designer in der Region waren freier – und bescheren der Schau mit verschiedenen Stücken einen optimistischen Auftakt.
Wer an die Kunstszene in Chemnitz denkt, dem fallen zuallererst der Expressionist und Altvordere Karl Schmidt-Rottluff ein. Vielleicht denkt man noch an die Mosch-Gruppe und die Galerie Oben oder an bekannte Künstler der aktuellen, mittleren Generation. Eher nicht denkt man an jene Künstlergeneration, die in der Stadt in den 1960er-Jahren wirkte.
Eine "gespaltene Generation" ist ebenjene Generation von Malern, Bildhauern, Designern und Werbegrafikern, die die aktuelle Ausstellung in der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz wieder ins Bewusstsein bringen will. Eben weil sie in den Köpfen nicht so präsent ist.
Vielfalt der DDR-Kunstszene in den 60ern
Wer an staatskonforme DDR-Kunst der 60er denkt, hat vielleicht Walter Womacka im Kopf und seinen Wandfries von 1964 am Haus des Lehrers in Berlin, mit glücklichen, weil sozialistischen Familien, Bauern, Brigadiers und Lehrern. Ähnliches erwartet, wer den Titel "Die gespaltene Generation" liest, die die Kunstentwicklung der 1960er-Jahre in Chemnitz verhandelt – und wird enttäuscht! Einzig eine sehr rot gewandete, laut Titel "Barbara aus meinem Zirkel" von 1971 mit rotem Kopftuch, roter Kittelschürze und rotem Haaren, des erzgebirgischen Malers Carl-Heinz Westenburger schlägt voll ins Kontor.
Die Zeichnung eines "Arbeiters vom Wasserkraftwerk Irkutsk" des Zwickauers Klaus Matthäi ist viel zu zart für Propaganda. Fast expressiv-bunt erscheint das "Kraftfuttermischwerk Neumark" von Fredo Bley aus dem Jahr 1969. Was ist da los, gab es im Chemnitz der 60er keine glücklicheren Brigadiers? Eine Frage an Matthias Lindner, Direktor der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz und Mitkurator der Ausstellung. Er betont, "dass es in den 1960er-Jahren in Chemnitz einfach nur wenige Kunstausstellungen gab. Kataloge wurden wenig publiziert. Bis dato unbekannte Namen tauchten auf. Es war, als würden wir in ein schwarzes Loch hineingreifen."
Die Schere im Kopf
Bis auf Heinz Schumann, der den Schriftspiegel hinter dem Marx-Kopf entworfen hat, verweigert die Ausstellung "Die gespaltene Generation" das Vorführen sozialistischer Ikonenmaler – im Gegensatz zu unangepassten Künstlern, da es vor allem Letztere im Chemnitz der 60er so auch gar nicht gab. Der Altenburger Gerhard Altenbourg und der meist in Annaberg lebende Carlfriedrich Claus müssen in der Schau herhalten als unangepasste Künstler der Region Chemnitz, und ihre Werke sind nach wie vor wohltuend anzuschauen.
Den Spalt hatten die Künstler vielmehr in sich selbst, gewarnt durch die Formalismus-Debatten der 1950er-Jahre, die "Bitterfelder Konferenzen", die von '59 bis '64 die Kulturrevolution proklamierten. So illustriert der Grafiker und Zeichner Robert Diedrichs in den 60ern Szenen von Heinrich Mann im Stil Josef Hegenbarths, malt für die Presse freche Trampeltiere und dann kreuzbrav, gar in anderem Stil die "Grube Karl Liebknecht" sowie Clara Zetkin.
Carl-Heinz Westenburger malte zwar seine rote Barbara aber 1970 dann rein abstrakte Bilder, die martialische Titel tragen wie "Zeugen des faschistischen Mordes im Urwald von Białowieża".
Es lebe das Design!
Natürlich waren jene Chemnitzer Künstler und Künstlerinnen der 60er, die die Ausstellung vorstellt, nicht nur in sich gespalten, sondern auch von der internationalen Entwicklung abgeschnitten. Der Rückzug ins Private ist in ihren Bildern ersichtlich, Stillleben und Landschaften dominieren. Waren sie in den 50ern noch vom Expressionismus geprägt, macht sich eine realistische Darstellung breit.
Einzig die vielen Designer der Industrieregion waren freier, mussten doch die vielen Produkte auch ins westliche Ausland verkauft werden. Mit ihnen beschert sich die Schau einen optimistischen Auftakt: mit Bestecken und Geschirren, Möbeln und Radios im Stil der 60er sowie einer "Ständerlampe Kontrast" des namhaften DDR-Formgestalters Lutz Rudolph und Werbegrafik von Harry Scheuner. "Das Design der 60er Jahre, das sich aus Chemnitz heraus entfaltet hat, ist eben tatsächlich gekennzeichnet von einer absoluten Modernität, die sich international zeigen konnte", erklärt Mitkurator Matthias Lindner.
Bereits 2018 machte sich die Neue Sächsische Galerie daran, die wenig beachteten DDR-Künstlergenerationen der Chemnitzer Region wieder ins Bewusstsein zu rücken. Zunächst waren die 40er- und 50er-Jahre dran und nun 21 Kunstpositionen aus den 60ern, was auf jeden Fall lehrreich und interessant ist.
Mehr Informationen zur Ausstellung
"Die gespaltene Generation"
Neue Akteure in der Kunst der 1960er Jahre in Chemnitz und der umgebenden Region.
bis zum 5. Mai 2024
Adresse:
Neue Sächsische Galerie
Moritzstraße 20
09111 Chemnitz
Zur Ausstellung erscheint ein lesenswerter Katalog.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 23. Januar 2024 | 08:40 Uhr