Arbeitswelt Ost und West Tarif nur im Westen: Kampf um Lohngleichheit im KEB Schneeberg
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29. April 2025, 17:14 Uhr
Die KEB Antriebstechnik bezahlt am Stammsitz im nordrhein-westfälischen Barntrup nach Tarif, im sächsischen Schneeberg nicht. Die Beschäftigten in Schneeberg kämpfen nun um mehr Gerechtigkeit und haben dafür gestreikt. Ein Beispiel für noch immer große Lohnunterschiede in Ost und West mit Blick auf den 1. Mai, den Tag der Arbeit.
IG Metall: Lohnminus von 1.000 Euro bei Facharbeitern ohne Tarifbindung bei KEB
Die Firma KEB in Schneeberg ist Hersteller von Getrieben und Motoren mit 130 Beschäftigten. Vor knapp vier Wochen wurde dort gestreikt, um dieselben Rechte wie ihre Kollegen am Stammsitz in Barntrup einzufordern und endlich auch nach Tarif bezahlt zu werden. "Der erste Streik in der Firmengeschichte" des Standortes, wie Florian Hartmann von der IG Metall Zwickau am Streiktag zum MDR-Magazin Umschau sagte. Dies sei "einzig und allein dem Verhalten der Geschäftsführung zu verdanken, die sich bisher konsequent jeden Verhandlungen verweigert", erklärte er damals.
Die Geschäftsführung in Schneeberg lehnt laut Gewerkschaftsinformationen einen Tarifvertrag ab. Das finden auch Kollegen am Stammsitz in Nordrhein-Westfalen ungerecht. 900 Menschen sind dort beschäftigt. "Allerdings zu ganz anderen Konditionen als ihre Kollegen im ostdeutschen Schneeberg", so Daniel Salewski von der dort zuständigen IG Metall Detmold. "Hier in Barntrup ist KEB voll flächentarifgebunden in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens", führt der Gewerkschafter weiter aus. Anders als am Standort im Osten mache sich die Geschäftsführung sogar dafür stark, dass die Arbeitsbedingungen in Tarifverträgen geregelt werden. "Ich erkenne da auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung von KEB hier in Barntrup, dass sie sagen, sie stehen zu dem Flächentarifvertrag. Deswegen wunderte es mich wirklich sehr, dass man sich in Schneeberg quer stellt und eine Flächentarifbindung nicht haben möchte. Unfassbar."
Von der KEB-Geschäftsführung wollte sich am Rande des Streikes vor vier Wochen niemand dazu vor der Kamera äußern. Im Westen Flächen-Tarifvertrag, im Osten soll darüber nicht einmal geredet werden. Für einen qualifizierten Facharbeiter bedeutet das laut IG Metall Zwickau bis zu 1.000 Euro weniger im Monat. "Wir wollen nicht Menschen zweiter Klasse sein. Dafür stehen wir hier", begründete ein KEB-Mitarbeiter in Schneeberg seinen Unmut gegenüber dem MDR-Magazin Umschau.
Wir wollen nicht Menschen zweiter Klasse sein. Dafür stehen wir hier.
Lohnlücke Ost und West allgemein noch bei 18 Prozent
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag der Durchschnittsverdienst in Deutschland laut letzter aktueller Erhebung im Westen bei 4.586 Euro im Monat, im Osten bei 3.769 und damit 817 Euro weniger. Die allgemeine Lohnlücke beläuft sich also auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung auf 18 Prozent.
Ein Grund ist, dass Löhne im Osten seltener durch Tarifverträge geregelt sind. 2023 waren laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Betriebspanel, in Westdeutschland immerhin 51 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden, im Osten nur 44 Prozent. Das macht sich dann auch in den Regionen bemerkbar. Malte Lübker, Referatsleiter für Tarif- und Einkommensanalysen am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, beziffert einen "Abstand von zwölf Prozent in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt unter dem Tarifniveau. Es kommt dann ein ziemliches Lohndumping zustande, auch dadurch, dass Arbeitgeber sich aus der Tarifbindung verabschieden."
Experte: Bereits Bereiche mit wenig Lohnunterschieden vorhanden
Malte Lübker von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat die Einkommensunterschiede in verschiedenen Berufszweigen betrachtet. Nach seinen Erkenntnissen gibt es Bereiche, in denen Lohngleichheit bereits weitgehend gilt: "Nehmen wir den Bereich öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht, auch Gesundheit teilweise. Da gibt es im Prinzip keine relevanten Unterschiede mehr zwischen Ost- und Westdeutschland. Das liegt daran, dass die Tarifbindung da sehr hoch ist, die Tariflöhne keine Unterschiede machen zwischen Ost und West."
Ganz anders sei die Situation im verarbeitenden Gewerbe, also den Industrie- und Handwerksbetrieben. Hier verdienten Beschäftigte in Ostdeutschland im Durchschnitt weiterhin deutlich weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen. "Da sind die Löhne in Ostdeutschland ein Viertel unter dem Niveau von Westdeutschland. Das ist ein Bereich, wo die Tarifbindung deutlich geringer ist. Man sieht ja auch gerade in diesem Bereich, dass es bei den Beschäftigten rumort, dass die das nicht länger hinnehmen wollen, dass die Löhne unter das Westniveau zurückfallen." Einen Automatismus, dass die Löhne steigen, könne nicht erwartet werden. "Die Lösung heißt da, Tariflöhne durchsetzen. Das geht nur, wenn die Beschäftigten sich engagieren, in die Gewerkschaft gehen und es gemeinsam durchsetzen. Aber das ist natürlich ein Weg, der dazu führt, dass die Löhne dann in den ostdeutschen Betrieben steigen, auf das Westniveau, auf das Tarifniveau."
Auch Angleichung im verarbeitenden Gewerbe in zehn Jahren möglich?
Reint Gropp, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, hält es für möglich, dass sich auch die Ost-Westlöhne in den Industrie- und Handwerksbetrieben in den nächsten zehn Jahren angleichen werden. Den Grund dafür sieht er in der demographischen Entwicklung: "Insgesamt werden in den nächsten zehn Jahren rund 400.000 Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden", ohne dass neue dazukommen würden. Dies würde sich im Osten noch in verschärfter Form zeigen. "Aufgrund der schlechteren Demografie", betont er.
Die Prognose deute darauf hin, dass vor allem in Ostdeutschland die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren in den kommenden Jahren sinken werde. Das würde den Fachkräftemangel noch verschärfen. "Die Löhne im Osten werden sich besser entwickeln als im Westen", sagt er dem MDR-Magazin Umschau. Die Einkommen würden dann schneller steigen als im Westen und sich damit allmählich angleichen. 2035 könnte dann auch im verarbeitenden Gewerbe die Ost-Westlücke endgültig geschlossen sein, 45 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung.
MDR (cbr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 29. April 2025 | 20:15 Uhr