Flüchtlingsrat Abschiebung nach Marokko: Erneut scharfe Kritik an Landesdirektion und Stadt Chemnitz

23. Juli 2024, 16:17 Uhr

Erst Anfang der vergangenen Woche sorgte eine geplante Abschiebung aus Sachsen für Proteste. Jetzt kritisiert der Flüchtlingsrat erneut die Behörden. Dabei geht es um die Abschiebung eines Mannes nach Marokko - offenbar trotz eines anders lautenden Gerichtsbeschlusses.

Der sächsische Flüchtlingsrat hat erneut das Vorgehen der Behörden bei der Abschiebung eines Mannes aus Chemnitz kritisiert. So sei vergangene Woche ein Marokkaner abgeschoben worden, obwohl das Verwaltungsgericht Chemnitz per Eilbeschluss dagegen entschieden hatte, teilte der Flüchtlingsrat mit. Die Gerichtsentscheidung sei missachtet worden.

Dieser Eilbeschluss ist allerdings am Dienstag vom sächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG) gekippt worden. Wie das OVG mitteilte, ist die Stadt Chemnitz nicht verpflichtet, den Mann nach Deutschland zurück zu holen. Der Mann sei ausreisepflichtig gewesen. Damit sei der ursprüngliche Eilbeschluss des Chemnitzer Verwaltungsgerichts ungültig, den sowohl Landesdirektion als auch die Stadt missachtet haben sollen.

Laut Flüchtlingsrat ist der Mann mit einer deutschen Staatsbürgerin verheiratet und hat Kinder mit ihr. Die Ehe mit einer Deutschen reiche allerdings nicht aus, so das OVG. Eine Vater-Kind-Beziehung habe der Mann nicht glaubhaft gemacht.

Ein Ausweis der Bundesrepublik Deutschland eines Asylbewerbers mit dem Vermerk «Aussetzung der Abschiebung (Duldung) - Kein Aufenthaltstitel
Die Landesdirektion hatte nach eigenen Angaben keine Informationen darüber, dass ein Gericht die Abschiebung untersagt hatte. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa | Patrick Pleul

Gerichtsbeschluss ignoriert?

Die Kritik hatte sich an der Missachtung des Eilbeschlusses entzündet und hat auch unabhängig vom OVG-Urteil Bestand. Die Anwältin des abgeschobenen Marokkaners sagte, die Sachbearbeiterinnen bei der Stadt Chemnitz und der Landesdirektion Sachsen hätten in Telefonaten mit ihr erklärt, sich nicht an den ursprünglichen Beschluss gebunden zu fühlen. Sie hätten ihn auch nicht an die Bundespolizei weitergeleitet, die deswegen die Abschiebung fortgesetzt habe.

Die Stadt Chemnitz gibt an, nicht für die Abschiebung zuständig gewesen zu sein. Ein Sprecher der Stadt sagte, das habe man sowohl dem Gericht als auch der Anwältin mitgeteilt.

Der Landesdirektion war der Eilbeschluss eigenen Angaben zufolge nicht bekannt. Dieser sei an die Ausländerbehörde der Stadt Chemnitz gerichtet gewesen. Man sei in das Verfahren nicht eingebunden gewesen, so die Sprecherin der Landesdirektion. Als man davon erfahren habe, sei ein Stopp der laufenden Rückführung aus Zeitgründen nicht mehr möglich gewesen.

Landesdirektion räumt Fehler ein

Am Dienstag räumte die Behörde dann auf Nachfrage der "Freien Presse" erstmals Fehler ein. Gerichtsentscheide würden "selbstverständlich beachtet und respektiert". Die Landesdirektion werte den Vorgang derzeit intern aus und prüfe auch die Möglichkeit, dass der Marokkaner vorläufig wieder einreisen darf. Die Rechtsanwältin hatte nach eigenen Angaben beim Verwaltungsgericht Chemnitz die Rückholung ihres Mandanten beantragt. Das Gericht hatte ihr Recht gegeben und beschlossen, dass die Wiedereinreise von Marokko in die Bundesrepublik Deutschland auf Kosten der sächsischen Behörden zu ermöglichen sei.

Wann und wie die Rückholung erfolgen soll, ist derzeit noch unklar. Das OVG teilte in der Urteilsbegründung vom Dienstag mit, dass die Landesdirektion nach jetzigem Stand keine Rechtsmittel gegen die Rückholung eingelegt habe.

Kritik aus der Politik

Kritik an der Abschiebung gab es auch von mehreren Parteien. "Dass die Abschiebung trotz einer klaren Gerichtsentscheidung nicht gestoppt wird, macht uns fassungslos", sagt die Chemnitzer Grünen-Kreisvorsitzende Coretta Storz.

Auch die sächsischen Piraten forderten in einem Statement Konsequenzen. Anne Herpertz, Stadträtin der Piraten in Dresden und Listenkandidatin für die Landtagswahl, sagte, das Verhalten der Behörden in Chemnitz sei rechtswidrig und zutiefst unmenschlich. Die Häufung solcher Fälle zeige, dass "diese Vorgehensweise System hat." Sie forderte eine unabhängige Prüfung aller Abschiebungen der Ausländerbehörde Chemnitz.

Zweiter Fall in wenigen Tagen

Erst zu Beginn der vergangenen Woche hatte es Wirbel um die geplante Abschiebung eines anderen Mannes aus Sachsen nach Serbien gegeben. Politiker mehrere Parteien hatten das Vorgehen kritisiert. Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte die Abschiebung vorläufig ausgesetzt. Jetzt soll sich die Härtefallkommission mit dem Fall des 31-Jährigen befassen.

Auch im vergangenen Jahr hatte es ein wochenlanges Tauziehen um den Verbleib des Vietnamesen Pham Phi Son in Chemnitz gegeben. Insgesamt hatte sich die Härtefallkommission drei Mal mit der Abschiebung beschäftigt.

MDR (ben)/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 23. Juli 2024 | 15:30 Uhr

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