Waggonbau Niesky Was aus den Waggonbauern ein Jahr nach der Insolvenz wurde
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01. Mai 2024, 08:00 Uhr
Vor einem Jahr hat der Waggonbau Niesky Insolvenz angemeldet. Schon davor hat auf den Waggonbauern eine schwere Zeit mit Entlassungen und Kurzarbeit gelastet. Für den Erhalt des Traditionsbetriebs wurde seitens der Belegschaft lange gekämpft. Doch alles umsonst. Die letzte Auffanggesellschaft für die letzte Handvoll Mitarbeiter ist mit Maibeginn Geschichte. Aber wie geht es den Waggonbauern jetzt?
Sie arbeiten als Busfahrer, Zugbegleiter, sogar in der Molkerei. Nieskys Waggonbauer habe es in alle Winde verstreut, sagt Siegmund Schmidke. "Manche sitzen noch daheeme, die sind jetzt arbeitslos." Der 65-Jährige war auf dem Weg zum Einkaufen, da hatte er einen Schlenker über die Muskauer Straße gemacht, um auf seinen alten Betrieb zu gucken. Er habe es noch geschafft, konnte nach fast 48 Berufsjahren im Juni letzten Jahres in Rente gehen.
Manche sitzen noch daheeme, die sind jetzt arbeitslos.
Zeichen eines sterbenden Betriebs
Damals lief das Insolvenzverfahren und die Waggonbauer sendeten mit wöchentlichen Mahnwachen Hilferufe, sowohl an den Mutterbetrieb im slowakischen Poprad als auch an die sächsische Regierung. Schon in den Monaten davor gab es aller Beschwichtigungen seitens der Chefetage zum Trotz Zeichen im Werk, die in der Belegschaft ein mieses Gefühl hinterlassen.
Zeichen, die auf das Ende einer Firma hindeuteten: "Wenn nichts mehr erneuert wird, Reparaturen ausstehen, wichtige Mitarbeiter aufhören", zählt Ex-Waggonbauer Steffen Beier auf. "Von den Gabelstaplern fuhren zum Schluss nur noch zehn. Zuletzt haperte es sogar am Toilettenpapier und den Handtüchern zum Abtrocknen."
Sicherheitsdienst soll Randalierer abschrecken
Nun steht der Werkzeugmacher vor dem Pförtnerhäuschen des toten Betriebes. Beier ist einer der letzten verbliebenen paar Mitarbeiter, die bis zum 30. April über eine Auffanggesellschaft finanziert wurden. Betreten kann er das Werk längst nicht mehr. Im Dezember waren für ihn die letzten Handgriffe getan.
Ein Sicherheitsdienst wacht seither über das riesige Betriebsgelände, um es vor Einbrüchen und Vandalismus zu schützen. Die Zukunft ist ungewiss. Von Seiten des slowakischen Eigentümers Tatravagonka wurde sich dazu noch nicht geäußert. Sporadisch laufen in den Hallen Demontagearbeiten.
Enttäuscht von der Politik
Der Blick auf das verwaiste Gelände stimmt Beier traurig: "Das nimmt einen ganz schön mit. Wir waren eine super Truppe über Jahrzehnte, haben unsere Arbeit hier top gemeistert und das ist jetzt alles zerschlagen worden." Er sei im Rückblick immer noch enttäuscht, dass sich die Politik zu wenig der Sache angenommen habe.
Der Ministerpräsident war hier in Niesky – zur Eröffnung eines Angelteiches.
Die Gewerbetreibenden hätten das Kollegium sehr unterstützt und auch die lokalen Politiker. Aber von der Landesregierung hätte Beier mehr erwartet bei einem Werk dieser Größe. "Wenn da ich vergleiche, der Ministerpräsident war zum Beispiel hier in Niesky und das ist noch gar nicht so lange her – zur Eröffnung eines Angelteiches."
Mit 61 Jahren auf Jobsuche
Beiers Sohn, der mehr als 20 Jahre als Schweißer beim Waggonbau war, hat jetzt wieder Arbeit. "Er ist auch glücklich in dem Job." Steffen Beier selbst hätte diesen September seine 45 Arbeitsjahre voll gehabt und damit nach so vielen Beitragsjahren Anspruch auf einen früheren Renteneintritt. Nun sucht er einen neuen Arbeitgeber und hat Kontakt zu Vermittlungsfirmen aufgenommen. "Aber, ich werde Anfang Mai 61 Jahre alt, ich glaube es wird sehr schwierig."
Siegmund Schmidke stimmt ihm zu: "Gerade die Kollegen, die ein paar Jahre vor der Rente sind – die nimmt doch keiner mehr wegen drei, vier, fünf Jahren. Die hängen in der Luft."
Tatravagonka schenkt Traditionswaggon
Eine Sache finden die beiden ehemaligen Waggonbauer sehr gut: Nieskys Stadtverwaltung hatte Interesse am historischen Waggon bekundet, der auf dem Betriebsgelände ausgestellt war. Dieser gedeckte, zweiachsige Güterwaggon mit Baujahr 1918 ist nun als Geschenk ins städitsche Eigentum übergegangen. Und er wurde ins Blickfeld nach vorn an die Muskauer Straße versetzt. Mitarbeiter des Bauhofs haben in den vergangenen Tagen groben Kies um den mehr als 100 Jahre alten stummen Zeitzeugen verteilt und Rasen eingesät.
"Es ist ein Stück Geschichte", sagt Siegmund Schmidke und blickt stolz auf den Waggon. "Man sollte schon ein Zeichen setzen, dass es hier mal was gab. Etwas Großes."
Was vom Waggonbau Niesky übrigbleibt
* Neben dem mehr als 100 Jahre alten Güterwaggon hat die Stadt Niesky mehrere große und kleine Waggonmodelle sowie Teile des historischen Betriebsarchives übernommen.
* Alles wird als Inventar des Museums Niesky geführt.
* Das historische Betriebsarchiv wird in den nächsten Monaten neu strukturiert und detailgenau verzeichnet.
* Sowohl der Waggon, die Waggonmodelle, die Archivalien als auch kleinere Einzelobjekte sind Sammlungsgut zur Erinnerungspflege der Stadtgeschichte.
* Sie sollen außerdem bei museumspädagogischen Angeboten mit einbezogen werden und stehen der Forschung zur Verfügung.
Museum Niesky
MDR
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 26. April 2024 | 12:30 Uhr