Insolvenz Keine Demontage im Waggonbau Niesky

22. September 2023, 23:55 Uhr

Erst lange Kurzarbeit, dann im Mai die Insolvenz und im August die Schließung des Werks. Die Belegschaft des Traditionsunternehmens Waggonbau Niesky hat bittere Monate hinter sich. Sie haben für ihren Standort gekämpft und gehofft. Und sie haben gesehen, wie Vorrichtungen und Anlagen auf Laster verladen und zum slowakischen Mutterbetrieb abtransportiert wurden. Demontiert Tatravagonka den sächsischen Betrieb? MDR SACHSEN hat nachgefragt.

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Ende August ist das Waggonbauwerk Niesky geschlossen worden. In diesen Tagen rollten auch beladene Lkw durch die Betriebstore in Richtung Mutterbetrieb in die Slowakei. Hier habe keine Demontage des Werks stattgefunden, betonte der zuständige Insolvenzverwalter Franz-Ludwig Danko über einen Sprecher auf Nachfrage von MDR SACHSEN. "Das wäre nach dem Insolvenzrecht gar nicht zulässig."

Verkäufe zur Finanzierung der Auffanggesellschaft

Sämtliche Transporte hätten mit der Stilllegung des Geschäftsbetriebs Ende August zu tun gehabt. Dabei seien auch fertige und halbfertige Transportwagen, Ersatzteile und Ähnliches aus dem Eigentum der ELH Waggonbau Niesky an Tatravagónka verkauft worden. "Im Vorfeld wurden die Teile bewertet und ein angemessener Kaufpreis ausgehandelt", so die Insolvenzverwaltung. Die Einnahmen seien unter anderem in die Finanzierung der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft geflossen.

Im Vorfeld wurden die Teile bewertet und ein angemessener Kaufpreis ausgehandelt.

Franz-Ludwig Danko Insolvenzverwalter

Seit der Werksschließung ist die Mehrheit der Belegschaft in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft übernommen worden. Sie gibt dem Personal eine finanzielle Sicherheit bis zum Ende des Jahres und beispielsweise Zeit für die Suche nach neuen Jobs. Mehr als 90 Prozent der Mitarbeitenden hatten für diese Lösung gestimmt, sagte Peter Jurke, der einstige Betriebsratsvorsitzende der Waggonbauer.

Seit Werksstillegung keine Demontage erfolgt

Jurke bestätigte ebenfalls, dass seit der Werksstilllegung keine Demontage erfolgt ist. Die Hallen seien bei Weitem nicht leer, Anlagen und Maschinen stünden noch. Von der slowakischen Mutterfirma Tatravagónka seien projektbezogene Vorrichtungen abgeholt worden. "Rechtlich ist es sauber, aber moralisch ein Skandal", so Jurke. Er ist der Ansicht, dass die Nieskyer Waggonbauer durchaus in der Lage gewesen wären, die dazu gehörenden Aufträge selbst abzuschließen.

Rechtlich ist es sauber, aber moralisch ein Skandal.

Peter Jurke ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von Waggonbau Niesky

Dass künftig die Deutsche Bahn im slowakischen Poprad ihre Waggons bauen lassen wird, ist für Jurke ein trauriges Ende. "Es war der größte politische Fehler, dass die Deutsche Bahn uns an Investoren verschenken durfte", sagt er mit Blick auf den Verkauf der 100-prozentigen Tochter der Bahn AG im Jahr 2014.

Auch Geschäfte vor dem Konkurs werden überprüft

Aber schon vor der Insolvenz wurden Produktionsmöglichkeiten nach Osteuropa verlagert. So sei im November eine große Roboteranlage nach Poprad verkauft und abgebaut worden, berichtet Jurke. "Damit war besiegelt, dass wir nie wieder Schiebewandwaggons bauen werden." Dabei seien die Technik und Prototypen hier in Niesky in den 1970er-Jahren entwickelt worden, so der 61-Jährige, der 1978 seine Ausbildung im Waggonbaubetrieb begonnen hatte.

Nach Angaben des Insolvenzverwalters sind auch die Abtransporte vor der Insolvenz nach ordnungsgemäßem Verkauf und Zahlung des Kaufpreises erfolgt. Sollte es gegenteilige Hinweise geben, werde man dem selbstverständlich nachgehen.

Der Insolvenzverwalter ist der verlängerte Arm des Insolvenzgerichts.

Christian Berger Professor und Direktor des Ernst-Jaeger-Instituts für Unternehmenssanierung und Insolvenzrecht, Uni Leipzig

Das sei auch Aufgabe des Insolvenzverwalters - zu verhindern, dass unrechtmäßig Dinge aus der Konkursmasse verschwinden, verdeutlicht der Direktor des Ernst-Jaeger-Instituts für Unternehmenssanierung und Insolvenzrecht an der Universität Leipzig, Christian Berger. "Der Insolvenzverwalter ist der verlängerte Arm des Insolvenzgerichts." Da bestehe eine ziemlich enge Überwachung.

Der Insolvenzverwalter prüft, ob bei einer Unternehmenspleite der Eigentümer kurz vorher unrechtmäßig Werte aus der Firma genommen hat. "Rechtsgeschäfte, die zu einer Benachteiligung der Gläubiger geführt haben, könnten unter bestimmten Voraussetzungen anfechtbar sein", erklärt Insolvenzverwalter Danko über seinen Sprecher. Dies erfolge routinemäßig im späteren Verlauf des Verfahrens.

In den ersten Monaten liege der Fokus immer auf der Unternehmensfortführung und der Investorensuche. So liefen auch jetzt noch Verhandlungen mit möglichen Interessenten an dem Betrieb.

Letzte Waggonbauer wickeln Betrieb ab

Waggonbau Niesky ist seit dem 31. August stillgelegt. Von den knapp 200 Mitarbeitenden ist noch ein Team von 23 Leuten geblieben. Sie kümmern sich um die Abwicklung des Betriebs, erfassen unter anderem die Bestände, kümmern sich um die Dokumentation, gucken, was verschrottet werden muss. Schätzungsweise im November sollen die Arbeiten beendet sein. Dann gehen auch die letzten Waggonbauer in die Auffanggesellschaft.

Historie von Waggonbau Niesky - 1917 begann in Niesky die Produktion von Schienenfahrzeugen, wie Güter-, Post-, Reisezugwagen und Straßenbahnen.
- 1950 konzentrierte man sich auf die Herstellung von Güter- und Kesselwaggons sowie Drehgestelle.
- Nach der Wende firmierte das Werk innerhalb der Deutschen Waggonbau AG (DWA).
- 1998 übernahm Bombardier die DWA.
- 2005 wurde Waggonbau Niesky eigenständig, 2008 dann 100-prozentige Tochter der Deutsche Bahn AG.
- 2014 folgte die Übernahme durch Quantum Capital Partners AG.
- Nach einer Insolvenz 2018 wurde das Werk vom slowakischen Waggonbauer Tatravagónka Poprad gekauft.

MDR (ama)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 22. September 2023 | 11:30 Uhr

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