Sicherheit Warum es ausgerechnet in Sachsen-Anhalt so viele Verkehrstote gibt
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21. September 2024, 13:23 Uhr
Sachsen-Anhalt ist bei den Verkehrstoten unter allen Bundesländern trauriger Spitzenreiter. Warum passieren hier so viele tödliche und schwere Unfälle? Und was unternimmt die Landesregierung dagegen?
- In ländlich geprägten Regionen wie Sachsen-Anhalt passieren vergleichsweise viele schwere Unfälle.
- Auf der A2 gibt es zu wenig Polizeikontrollen, kritisiert ein Experte.
- Etwa jeder dritte tödliche Unfall ist darauf zurückzuführen, dass ein Verkehrsteilnehmer zu schnell unterwegs war.
Anfang der Woche war es wieder soweit: Als ein Autofahrer in der Nähe der Stadt Südliches Anhalt auf die B183 abbiegen wollte, wurde er von einem Lkw erfasst und auf die Gegenfahrbahn geschleudert, wo er mit einem weiteren Lkw kollidierte. Die beiden Lkw-Fahrer erlitten leichte Verletzungen, der Autofahrer starb. Ein weiterer Verkehrstoter, zusätzlich zu den mehr als 500, die seit 2019 auf Sachsen-Anhalts Straßen umgekommen sind. Pro Einwohner passieren in keinem anderen Bundesland so viele tödliche Unfälle wie hier.
Sachsen-Anhalt liegt in diesem Ranking seit vielen Jahren an der Spitze. Auch bei den schweren Unfällen belegt Sachsen-Anhalt einen der vorderen Plätze. Nur in Sachsen müssen noch mehr Menschen nach einem Verkehrsunfall stationär im Krankenhaus behandelt werden. Warum ist das so?
Anruf bei Nils Horschick, verkehrspolitischer Sprecher des ADAC Niedersachsen/Sachsen-Anhalt. Horschick sitzt im Beirat für Verkehrssicherheitsarbeit, der dafür sorgen soll, dass es auf Sachsen-Anhalts Straßen künftig nicht mehr so häufig kracht. Er nennt drei Ursachen für Sachsen-Anhalts Spitzenposition bei den Verkehrstoten.
Tödliche Unfälle passieren in Deutschland am häufigsten auf Landstraßen
Erstens: In keinem anderen Bundesland sind die Menschen so alt wie hier. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei rund 48 Jahren. Seniorinnen und Senioren seien anfälliger für schwere Verletzungen und im Verkehr oft nicht mehr sicher unterwegs, sagt Horschick.
Zweitens: Sachsen-Anhalt ist ländlich geprägt. "Hier gibt es viel Wald, viele Straßen, auf denen es wegen überhöhter Geschwindigkeit oder Wildwechseln zu schweren Unfällen kommen kann", sagt Horschick. In Städten wie Hamburg oder Berlin passieren zwar insgesamt viel mehr Unfälle als in Sachsen-Anhalt – die gehen wegen der geringeren Geschwindigkeiten innerorts aber meist glimpflich aus. Tödliche Unfälle passieren in Deutschland hingegen am häufigsten auf Landstraßen. Auch die anderen Bundesländer mit vielen Verkehrstoten – Brandenburg, Schleswig-Holstein, Thüringen – sind dünn besiedelt.
Und drittens: der hohe Lkw-Anteil auf der A2. Die Autobahn gilt als eine der meistbefahrenen Ost-West-Verbindungen Europas. Berechnet auf die Zahl der Fahrzeuge passieren hier zwar kaum Unfälle – aber wenn es kracht, dann richtig.
Jedes Jahr kommt es auf dem 85 Kilometer langen Abschnitt zwischen Helmstedt und Ziesar nach einer Analyse von MDR Data zu rund 40 schweren und zehn tödlichen Unfällen. "Viele Fahrer schalten ihre Abstandsautomatik aus oder sind übermüdet, weil sie ihre Pausenzeiten nicht einhalten", sagt Horschick. Die Folge: schwere Auffahrunfälle, etwa wenn ein Lkw-Fahrer ein Stauende übersieht. Auf der A2 gebe es zu wenige Polizeikontrollen hinsichtlich der Sicherheitsabstände, kritisiert Horschick.
Innenministerium will Abstandskontrollen verstärken
Die Landesregierung hat das Problem auf dem Schirm. Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT verweist ein Sprecher des Infrastrukturministeriums darauf, dass der überregionale Transitverkehr auf Sachsen-Anhalts Straßen "eine besondere Rolle" spiele. Das Innenministerium beabsichtige, die Abstandskontrollen auf den Autobahnen zu verstärken. Außerdem will der Bund es Lkw-Fahrern verbieten, ihre Notbrems-Assistenzen abzuschalten; eine entsprechende Novelle der Straßenverkehrsordnung soll in den kommenden Wochen verkündet werden.
Auch viele lokale Unfallkommissionen arbeiten daran, den Verkehr sicherer zu machen. Vertreter von Polizei, Verkehrsbehörde und Baubehörde untersuchen dabei Kreuzungen und Straßenabschnitte, an denen besonders viele Verkehrsunfälle passieren und erarbeiten Maßnahmen, um diese Stellen zu entschärfen: Warnschilder, veränderte Ampelphasen, neue Radwege oder sogar der Umbau ganzer Kreuzungen.
Häufig ist das Ziel, die Geschwindigkeit der Verkehrsteilnehmer zu reduzieren. Denn etwa jeder dritte tödliche Unfall in Sachsen-Anhalt passiert, weil jemand zu schnell unterwegs war. Trotzdem geschehe nicht genug, um das Problem in den Griff zu bekommen, kritisiert Wulf Hoffmann von der Verkehrssicherheitswacht Sachsen-Anhalt. Es brauche "mehr Blitzer, mehr Polizeikontrollen, mehr Geschwindigkeitsbegrenzungen", um die Sanktionswahrscheinlichkeit für Raser zu erhöhen.
Das ehrgeizige Ziel: Null Tote und Schwerverletzte im Straßenverkehr
In Brandenburg gibt es Hoffmann zufolge in vielen kleinen Ortschaften seit einigen Jahren stationäre Blitzer. In Sachsen-Anhalt ist es Kommunen mit weniger als 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner hingegen nicht erlaubt, Blitzer aufzustellen. Das Verkehrsministerium begründet das damit, dass nicht nur die Geräte, sondern auch Personal für die Verwaltung und Geld notwendig seien – und daran fehle es oft in kleineren Gemeinden.
Trotzdem hält das Land gemeinsam mit dem Bund und den anderen Bundesländern am ehrgeizigen Ziel der "Vision Zero" fest: auf lange Sicht keine Toten und Schwerverletzten mehr im Straßenverkehr. Davon ist man noch weit entfernt. Die Zahl der Verkehrstoten geht zwar langfristig zurück, in den 1990ern kamen auf deutschen Straßen noch dreimal so viele Menschen ums Leben wie heute. Trotzdem dürfte die "Vision Zero" in Sachsen-Anhalt auf absehbare Zeit eine Utopie bleiben.
MDR (David Wünschel)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 22. September 2024 | 19:00 Uhr
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