Ein Mann mit Brille und Abzeichen am Jacket 1 min
Matthias Schumann ist Freiwilliger Feuerwehrmann, Kreisbrandmeister und Mitfahrer bei der Motorradstaffel. Einsätze auf Autobahnen sind für ihn Alltag. Bildrechte: Landkreis Börde
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MDR SACHSEN-ANHALT Fr 20.09.2024 17:16Uhr 00:46 min

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Landkreis Börde Als Feuerwehrmann bei Unfällen auf der A2: "Da liegen Trümmerteile, da wird geschrien"

22. September 2024, 12:25 Uhr

Matthias Schumann ist seit rund 40 Jahren Ehrenamtlicher bei der Freiwilligen Feuerwehr Zielitz in der Börde. Viele Einsätze haben ihn schon auf die Autobahn 2 geführt – mit dutzenden Schwerverletzten und Toten. Auch bei den schweren Unfällen im August war er vor Ort. Mit MDR SACHSEN-ANHALT sprach er darüber, was er als Erstes macht, wenn er an einer Unfallstelle ankommt, wie er mit den Erlebnissen umgeht und was ihn nach Jahren als Feuerwehrmann noch überrascht.

Luise Kotulla
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MDR SACHSEN-ANHALT: Wie oft waren Sie schon bei Unfällen auf der A2 im Einsatz?

Matthias Schumann, Freiwillige Feuerwehr Zielitz & Kreisbrandmeister Börde: Bei den tödlichen Einsätzen dieses Jahr fast jedes Mal. Zum Beispiel bei dem großen Brand mit den drei Lkw und dem Wohnmobil Mitte August, dann der Auffahrunfall Ende August. Dann war ich draußen, als der Fußgänger überfahren wurde, der im Frühjahr kurz vor Helmstedt vom Lkw erfasst und tödlich verletzt wurde. Da gibt es eine Vielzahl.

Dann darf man nicht vergessen: Wir haben jetzt auch schon ein Stück A14 in Richtung Lüderitz. Da gab es vor einigen Wochen den großen Unfall mit zwei tödlich Verletzten. Einige Feuerwehren aus unserem Landkreis waren erstmalig draußen – für die sind Autobahneinsätze Neuland. Es gab auch schon die ersten Auswertungen, Gespräche usw. wo man nachjustieren kann, wie man besser wird.

Ein Mann steht mit Handy am Ohr in Feuerwehr-Kleidung vor einem Rettungswagen
Matthias Schumann ist seit Jahrzehnten Freiwilliger Feuerwehrmann in der Börde. Bildrechte: privat

Matthias Schumann Matthias Schumann ist seit 1980 Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr Zielitz in der Börde. Der 52-Jährige wird als Zugführer bei seiner Heimatwehr eingesetzt. Außerdem ist er seit 2019 ehrenamtlich Kreisbrandmeister des Landkreises Börde und damit zuständig für ein sehr großes Gebiet mit insgesamt 157 Wehren. Die Position wird jeweils für sechs Jahre per Wahl besetzt.

Immer wieder koordiniert er als Einsatzleiter große Feuerwehreinsätze auf Kreisebene, auch auf der A2. Außerdem ist Schumann Mitglied der Motorradstaffel, die auf Autobahnen nach Unfällen im Einsatz ist. Je nach "Dienstplan" der Ehrenamtlichen ist er als Feuerwehrmann vor Ort, mit der Motorradstaffel oder als Führungskraft.

Was machen Sie zuerst, wenn Sie bei einer Unfallstelle auf der Autobahn ankommen?

Sie müssen sich vorstellen: Da ist Chaos. Da liegen Trümmerteile, da raucht es, da qualmt es, da wird geschrien. Da heißt es Ruhe bewahren und sich erst einmal den Überblick verschaffen. Wir haben gewisse Regeln, nach denen wir vorgehen. Wir haben Menschenrettung, Tierrettung, was beides priorisiert wird. Wir schauen: Wie viele Verletzte haben wir? Was ist überhaupt los? Qualmt es irgendwo? Müssen wir irgendwelche Sachen bekämpfen? Könnte ein Feuer entstehen? Müssen wir Löschbereitschaft herstellen?

Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen an einer Unfallstelle auf der Autobahn.
Mitte August fuhr ein Lkw an einem Stauende ungebremst auf ein Wohnmobil und zwei weitere Lkw auf. Matthias Schumann war vor Ort. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das sind die Grundsätze, die bei jedem Einsatz gleich sind. Die fahren wir systematisch ab. Wenn das Erste abgearbeitet ist, fangen wir mit dem Zweiten an, und so weiter und so fort. So läuft jeder Einsatz.

Wie ist es, vor Ort zu sein? Kommen alle Feuerwehrleute damit zurecht?

Das sind Bilder, die vergisst man so schnell nicht. Die Leute, die da eher sensibel sind und die man schon aus Erfahrung heraus kennt, die braucht man nicht unbedingt in die erste Reihe zu bringen. Da muss man als Führungskraft ein bisschen vorsichtig rangehen.

Neulinge oder sensible Leute könne auch vieles im rückwärtigen Bereich erledigen, wo man nicht unmittelbar die Bilder vor Augen hat. Das ist dann etwa im 50 Meter Umkreis vom Gefahrenbereich. Auch da gibt es eine Vielzahl von Arbeiten – Sicherung des Einsatzortes, bei Atemschutzflaschen helfen, Verpflegung, Aufräumen. Was immer wichtig ist: das Erlebte und Gesehene aufzuarbeiten, darüber zu sprechen.

Ich habe es für mich so festgelegt: Das ist jetzt ein Einsatz, der wird nach "Schema F" abgearbeitet. Man hat den Führungskreislauf [Anm. d. Red.: Lagefeststellung, Planung, Befehlsgebung] im Kopf, an den man denken muss. Bei mir steht sozusagen der Einsatzerfolg im Vordergrund.

Der nächste Einsatz kann schon in ein paar Minuten kommen und da muss man wieder funktionieren.

Matthias Schumann, Freiwillge Feuerwehr

Die Bilder, die man vor Augen hat, die blendet man halt einfach aus. Bei mir klappt es eigentlich sehr gut, ich nehme das nicht mit nach Hause. Ich habe da irgendwie einen Schutzmechanismus entwickelt, wo ich sage: Okay, das ist halt so. Der nächste Einsatz kann schon in ein paar Minuten kommen und da muss man wieder funktionieren. Es ist aber jeder Mensch anders.

Ein kaputtes Fahrrad, ein kaputtes Auto und eine Person läuft vor eine Straßenbahn. 3 min
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Sie können hinnehmen, dass der Einsatz kommt, es manchmal Tote gibt, und dann eben getan wird, was noch getan werden kann?

Das ist so, ja. Manchmal kann man wirklich nichts mehr machen, es ist auch für uns frustrierend. Wir sprechen da von abgeschlossenen Ereignissen. Die werden von uns hingenommen – wir können nichts mehr tun.

Brände sind keine abgeschlossenen Ereignisse. Da müssen wir agieren, weil es schlimmer wird, wenn wir nichts machen. Bei einem Brand oder anderen Dingen, bei denen man mit einem Zeitfaktor kämpft, ist es dann schon deutlich schwieriger.

Ein Feuerwehrmann löscht einen brennenden Lkw
Mit Bränden kann Schumann besser umgehen als mit Unfällen mit Toten. (Symbolbild) Bildrechte: Ronny Hofmann/Feuerwehr Schleiz

Das sind zwei verschiedene Szenarien. Ein Unfall ist eben abgeschlossen. Es sei denn, es läuft noch irgendetwas aus oder es sind eventuell noch verletzte Personen zu retten.

Motorradstaffel und Seelsorger sollen die Autobahneinsätze einfacher machen – klappt das?

Wir haben hier bei uns im Landkreis Börde unsere Notfallseelsorger schon vor zwei Jahren ins Leben gerufen: Sie werden bei jedem Einsatz mit alarmiert und fahren je nach Bedarf raus. Sie betreuen nicht nur die Kameradinnen und Kameraden, sondern sämtliche Einsatzkräfte und Beteiligte, die am Unfallort sind. Das funktioniert gut. Sie kümmern sich auch um die Nachbetreuung solcher Einsätze.

Was auch seit diesem Jahr hervorragend funktioniert: der Einsatz unserer Motorradstaffel, die wir erstmalig haben. Sie werden mit alarmiert und kümmern sich dann um die rückwärtigen Dienste. Das sind zum Beispiel Rettungsgasse bilden, weitere Bergungsdienste durchlotsen oder im Stau Stehende helfen.

Ich bin auch Mitfahrer bei der Motorstaffel und in dieser Funktion öfters bei so einem Einsatz dabei. Die Motorradstaffel ist in Zielitz stationiert. Wir fahren für die Johanniter als Hilfsorganisation und bieten unsere ehrenamtliche Hilfe zusätzlich an.

Zwei Männer auf rot-gelben Motorrädern vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Ehrenamtlich im Einsatz: Matthias Schumann und Staffelleiter Fabian Harsteln bei der Absicherung des Berliner Marathons im Jahr 2023. Bildrechte: Matthias Schumann

Inwiefern sind die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr für die Einsätze auf der Autobahn ausgebildet?

Die Autobahneinsätze sind schon ein bisschen spezieller, das muss man ganz ehrlich sagen. Wir sprechen bei uns im Landkreis gerne von den sogenannten Autobahnfeuerwehren, weil sie häufiger mit solchen Situationen konfrontiert werden. Sie haben im Prinzip keine andere Schulung, keine andere Ausbildung, aber sie gehen mehr auf die technische Hilfe im Detail ein.

Autobahneinsätze sind schon ein bisschen spezieller, das muss man ganz ehrlich sagen.

Matthias Schumann, Freiwillge Feuerwehr

Die Grundlagen sind natürlich in Sachsen-Anhalt und deutschlandweit gleich – vom Löschen angefangen über Erste Hilfe, über technische Hilfe. Da fällt zum Beispiel auch der Umgang mit schweren Rettungsgeräten, Spreizer, Schere, Rettungszylinder rein. Diesen Umgang lernt jeder Feuerwehrmann in seiner Grundausbildung und verfestigt das dann in seiner Standortausbildung, wenn seine Feuerwehr diese Spezialgeräte hat. 

Ein Beispiel: Unsere Autobahnfeuerwehren haben Rettungsplattformen, was sonst eine kleine örtliche Feuerwehr gar nicht hat. Das ist eine Art Gerüst, von dem aus man auch in einer entsprechenden Höhe arbeiten kann, wenn Lkw verunfallt sind. Da brauchen wir schon gewisse Arbeitsbühnen, damit wir auch vernünftig arbeiten können oder die anderen Rettungskräfte an den Verletzten herankommen.

Freiwillige Feuerwehr im Landkreis Börde Es gibt fast 160 Wehren im Landkreis Börde mit 3.500 bis 4.000 Einsätzen im Jahr. Die überwiegende Zahl sind kleine Einsätze, jedoch rücken die Kameraden auch immer wieder zu schweren Unfällen auf den Autobahnen aus. Insgesamt haben die Feuerwehren 7.000 Mitglieder: aktive, passive, Kinder und Jugendliche.

Haben Sie eine Idee, warum es immer wieder schwere Unfälle auf der A2 gibt?

Wir müssen uns alle eingestehen: Unfälle werden immer passieren. Ich denke, die Hauptursache ist die Konzentration: dass man nicht aufpasst, auf ein Staunende auffährt. Das sind die schlimmen Unfälle. Wir hatten letztes Jahr diesen Busunfall mit 43 verletzten Personen. Es war mitten in der Nacht, als wir sie dann rausgeholt haben. Das war auch die Konzentration, vielleicht noch mit Sekundenschlaf.

Wir haben die A2 schon immer als Schwerpunkt bei uns im Landkreis, wo viele Verletzte und auch Tote zu beklagen sind. Und in der Tat ist es so: Es häufen sich hier schwere Unfälle. Ich denke, das hängt auch mit der Großbaustelle zusammen: Von Alleringersleben bis nach Helmstedt gibt es viele Staus — und da ist auch mit Unachtsamkeit der Verkehrsteilnehmer zu rechnen.

Gibt es überhaupt noch Situationen, die Sie überraschen?

Grundsätzlich kann man sagen: Wir sind gut strukturiert, wir sind auch vorbereitet. Wir fallen nicht aus allen Wolken, wenn ein schwerer Einsatz ansteht. Wir kennen die Lagen, die auf uns zukommen können. Ich bin auch stolz auf die Leute, die Kameraden, die sich jeden Tag dieser Herausforderung stellen. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Man muss sich vorstellen: Man wird vom Arbeitsplatz oder nachts aus dem Schlaf gerissen, sieht solche Bilder und geht dann wieder den ganz normalen Dingen nach. Da verdienen die Kameraden hohen Respekt. Aber es nützt nichts: Wir müssen das in unserer Gesellschaft auf ehrenamtlicher Schiene abwickeln. Und das funktioniert bei uns im Landkreis sehr gut und darauf kann man auch ein Stück weit stolz sein.

Die Fragen stellte Luise Kotulla.

MDR (Luise Kotulla) | Erstmals veröffentlicht am 19.09.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 22. September 2024 | 19:00 Uhr

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