Rassistische Stereotype abbauen Diskriminierende Sprache: Wie die Polizei gegen Rassismus vorgehen will
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15. Januar 2025, 11:14 Uhr
Die Polizei steht immer wieder in der Kritik, wenn es um Diskriminierung, Rassismus und Machtmissbrauch geht. Rassistische Gruppenchats von Polizeianwärterinnen und -anwärtern haben in Sachsen-Anhalt für Diskussionen gesorgt. Ähnliche Vorfälle gab es in Hessen und Berlin. Durch Fort- und Weiterbildungsprogramme wird versucht, Vorurteile abzubauen. Ein Schwerpunkt liegt dabei in Sachsen-Anhalt auch auf diskriminierungsarmer Sprache.
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Polizeischüler, die in Chat-Nachrichten unter anderem antisemitische und volksverhetzende Inhalten teilen – das ist bei der Polizei und dem Innenministerium in Sachsen-Anhalt nicht ohne Folgen geblieben. Suspendierungen folgten, Strafverfahren wurden eingeleitet und wieder eingestellt. Aber auch in der Ausbildung wurden andere Wege eingeschlagen. Um Polizeikräfte auch auf Vorurteile in ihrer Sprache aufmerksam zu machen, gibt es seit 2022 Workshops, die in Kooperation mit der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und dem Innenministerium entstanden sind.
Kathrin Hamann von der Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung (AlGf) leitet die Workshops in den Polizeiinspektionen Sachsen-Anhalts. "Um sich mit diskriminierender und rassistischer Sprache auseinanderzusetzen, ist es wichtig, die Bedeutung und Relevanz von Sprache zu erkennen", erklärt sie im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.
Sprechen baue Beziehungen zu anderen Menschen auf oder breche sie ab, sagt Hamann. "Um die Bedeutung von achtsamem Sprechen zu verstehen, spreche ich mit den Teilnehmenden über die Herausforderung der Mehrdeutigkeit von Sprache", so Hamann. Auf dieser Grundlage sprechen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Gesprächssituationen, "in denen ein Ungleichgewicht zwischen den Beteiligten herrscht".
Workshops: Polizisten sprechen über diskriminierende Wörter
Eine der ersten Teilnehmerinnen des Workshops war Grit Merker. Die Polizistin aus Magdeburg ist auch die hauptamtliche Ansprechperson für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen bei der Polizei in Sachsen-Anhalt. Im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT erinnert sie sich, dass sie den Workshop als sehr bereichernd empfunden hat. "Es gab eine tiefe Reflexion: Wie verwenden wir Worte, welche Bedeutungen transportieren sie?", erinnert sich Merker.
Ein Beispiel sei die Diskussion um den Begriff "Kanake" gewesen. "Ursprünglich aus einem diskriminierungsfreien Kontext stammend, ist er in der deutschen Sprache heute aufgrund der kolonialen Vergangenheit negativ besetzt", sagt Merker.
Polizistin: Sprache als Werkzeug
Die 36-jährige Polizistin Gertraud Eckert aus Dessau gibt selbst interkulturelle Workshops an der Fachhochschule der Polizei. Sie sagt: Weil manche Wortbedeutungen nicht allen Menschen bewusst sind, sei es wichtig, "auch die Sprache regelmäßig zu trainieren, genauso wie alle anderen Einsatzmittel der Polizei." Durch die Schilderungen von Betroffenen sei zum Beispiel deutlich geworden, dass Diskriminierung oft unbewusst geschieht und wie wichtig es ist, die eigene Sprache zu hinterfragen.
Auch sie hat am Workshop teilgenommen: "Insgesamt hat mich die Auseinandersetzung mit dem Thema darin bestärkt, Sprache als Werkzeug zu sehen, das reflektiert und bewusst eingesetzt werden muss." Zudem würden solche Trainings nicht nur die Kommunikation im Einsatz, sondern auch das Miteinander innerhalb der Polizei stärken.
So bereichernd der Workshop für die beiden Polizistinnen war, so zwiespältig war die Resonanz ihrer Kolleginnen und Kollegen, erinnert sich Grit Merker. "Viele hatten eine Art Handlungsanweisung erwartet – wie spreche ich diskriminierungsfrei? Stattdessen wurde eine Reflexion angeregt, die Eigeninitiative erfordert. Das hat einige frustriert", meint sie.
Polizistin: "Gefahr als Nestbeschmutzer zu gelten"
Ein Workshop allein löst aber noch nicht alle Diskriminierungsprobleme einer Behörde. Grit Merker meint, dass die Strukturen innerhalb der Polizei die Umsetzung einer diskriminierungssensiblen Sprache erheblich erschweren. "Die starren Hierarchien können Veränderungen behindern. Junge Menschen, zum Beispiel in der Ausbildung, sind oft sehr abhängig von ihrem Team und können Schwierigkeiten bekommen, wenn sie diskriminierendes Verhalten offen ansprechen. Es gibt Berichte von Studierenden, die eine negative Praktikumsbewertung erhielten, nachdem sie rassistische Äußerungen kritisiert hatten", erzählt sie.
Wenn jemand Diskriminierung anspricht, läuft er oder sie Gefahr, als Nestbeschmutzer zu gelten
Auch die enge Teamarbeit, die im Polizeialltag unerlässlich ist, könne beim Umgang mit Diskriminierung zur Hürde werden, sagt Merker: "Wenn jemand Diskriminierung anspricht, läuft er oder sie Gefahr, als Nestbeschmutzer zu gelten." Das gefährde den sozialen Rückhalt im Team und mache es dem Einzelnen schwer, sich gegen die Mehrheit zu stellen. "Die Angst vor sozialer Ausgrenzung ist ein großes Problem", sagt auch ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT.
Auch Workshopleiterin Hamann sieht in den festen Hierarchien ein Hindernis für den offenen Austausch in den Workshops. "Die Polizei mit ihren einzelnen Dienststellen ist eine stark hierarchisch gegliederte Institution. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich die Teilnehmenden gehemmt fühlen, ihre Fragen zu stellen, wenn ihre direkten Vorgesetzten auch anwesend sind." Deshalb sollen solche Konstellationen in Zukunft vermieden werden.
Notiz des Autors: Ein schwieriges Thema Das Hierarchien bei der Polizei eine große Rolle spielen, wurde bei dieser Recherche schnell klar. Es zeigte sich, dass das Thema heikel und der Umgang der Beteiligten damit von großer Vorsicht und Skepsis gegenüber der Berichterstattung geprägt war. Die Teilnahme an einem der Workshops war nicht erwünscht. Eine Polizeiinspektion verweigerte einem Teilnehmer die Erlaubnis für ein Interview.
Studie: Interkulturelle Teams hilfreich
Dass die Teilnahme an den Workshops für viele Polizeibeamte verpflichtend ist, habe anfangs für Skepsis gesorgt. "Gerade am Anfang mussten wir viel Vertrauensarbeit leisten", erinnert sich Hamann. Inzwischen habe sich herumgesprochen, dass die Workshops "besser sind als gedacht".
Die im September veröffentlichte Megavo-Studie der Hochschule der Polizei sieht verpflichtende Schulungen als problematisch an. Diese könnten Widerstände bei den Polizeikräften verstärken. Empfohlen werden stattdessen freiwillige Sozialpraktika, etwa in Drogenberatungsstellen oder Obdachlosenheimen.
Hilfreich seien auch interkulturelle Teams innerhalb der Polizei. Deshalb werde derzeit versucht, mehr Menschen mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst zu gewinnen, heißt es aus dem Innenministerium.
Megavo-Studie: Rassismus bei der Polizei kein Einzelfall
Dass diskriminierende und rassistische Denkmuster bei Mitarbeitenden der Polizei keine Einzelfälle sind, hat jüngst die Studie Megavo (Menschenfeindlichkeit und Gewaltakzeptanz in Organisationen) gezeigt. Die von der Deutschen Hochschule der Polizei durchgeführte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten zu demokratischen Grundwerten bekennt.
Eine kleine Gruppe weise jedoch menschenfeindliche Einstellungen auf und eine größere Gruppe bleibt laut Studie ambivalent gegenüber Vielfalt und Demokratie. Ein Drittel der Beschäftigten gab zudem an, rassistische oder sexistische Äußerungen von Kolleginnen und Kollegen erlebt zu haben. Auch Abwertungstendenzen gegenüber Asylsuchenden und Obdachlosen sind laut Studie in der Polizei etwas stärker verbreitet als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.
Das Innenministerium Sachsen-Anhalt verweist in diesem Zusammenhang auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT auf ein umfangreiches Fortbildungsangebot, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Dazu gehören unter anderem Antidiskriminierungstrainings, Gedenkstättenbesuche, interkulturelle Workshops und Praxisreflexionstage.
Diskriminierung und Rassismus kein reines Polizei-Problem
Dass Diskriminierung und Rassismus in der Sprache kein isoliertes Problem der Polizei ist, weiß Kathrin Hamann und betont: "Sprache formt Gesellschaft und Gesellschaft formt Sprache". Diskriminierende Sprachmuster seien oft tief in gesellschaftlichen Strukturen verankert. Wer diese erkenne und sich bewusst mache, könne die Muster aufbrechen – aber nur, wenn auch institutionelle Strukturen und Routinen (Anm. d. Red.: nicht nur innerhalb der Polizei) kritisch hinterfragt würden.
Die Gewerkschaft der Polizei schlägt als Lösung für dieses Problem unter anderem sogenannte Reflexionsräume und interkulturellen Trainings vor. Der Kampf gegen Diskriminierung sei "eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe", so ein GdP-Sprecher.
Mit zahlreichen Weiterbildungsangeboten werde versucht, die Sensibilisierung aller Polizeibeschäftigten zu fördern, "um diskriminierende und/oder rassistische Stereotypen" nicht entstehen zu lassen. "Menschen im Einsatz brauchen dafür regelmäßige Supervision, um das Erlebte zu reflektieren und zu verarbeiten", ergänzt die Polizistin Grit Merker. Dies könne dazu beitragen, Vorurteile abzubauen.
Die Autorinnen und Autoren der Megavo-Studie sehen das ähnlich. Wenn Polizistinnen und Polizisten immer wieder negative Erfahrungen machen (auch als Praxisschock bezeichnet), könnten diese Erfahrungen verallgemeinert werden – besonders dann, wenn es keinen Ausgleich gibt, wie zum Beispiel positive Kontakte im privaten Umfeld.
Man kann nicht den ganzen Tag im Dreck wühlen, ohne selbst dreckig zu werden.
Eine Befragung innerhalb der Studie kam zu dem Ergebnis, dass rassistische Einstellungen im Laufe der Ausbildung abnehmen und im ersten Jahr der Berufspraxis zunehmen. "Man kann nicht den ganzen Tag im Dreck wühlen, ohne selbst dreckig zu werden", wird ein Ausbilder zitiert.
Auf dem Weg zu einer "guten Fehlerkultur"
Ein zentrales Ziel der Sensibilisierungsarbeit ist auch die Schaffung einer "guten Fehlerkultur" – so empfiehlt es zumindest die Megavo-Studie. "Fehlverhalten sollte nicht nur sanktioniert, sondern auch als Chance zur Verbesserung genutzt werden", erklärt eine Sprecherin des Innenministeriums. Hierarchieübergreifende Workshops, in denen kritische Alltagssituationen analysiert werden, könnten daher dazu beitragen, Offenheit und Reflexion zu fördern.
Seit den "Chatgruppen" sei viel unternommen worden, um diskriminierende oder rassistische Stereotype gar nicht erst entstehen zu lassen, ergänzt die Gewerkschaft der Polizei. Seit 2022 gebe es an der Fachhochschule ein neues Prüfverfahren im Rahmen der Neueinstellungen für die Ausbildung und das Studium mehrerer Laufbahnen.
MDR (Moritz Arand)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 15. Januar 2025 | 12:00 Uhr
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