Rückkehrertag im Landkreis Harz "Seit ich aus der Schule raus bin, fahre ich mit dem Auto in den Westen zum Arbeiten"

28. Dezember 2022, 11:43 Uhr

Das Kloster Michaelstein bei Blankenburg ganz geschäftig: Der Landkreis will Menschen aus dem Harz, die weggezogen sind oder zur Arbeit pendeln, wieder zurück in die Heimat holen. Wie in vielen Orten in Sachsen-Anhalt fand kurz nach Weihnachten der Rückkehrertag statt. Insgesamt 39 Harzer Betriebe und Verwaltungen verwandelten das Kloster in eine große Jobbörse. Und ihr Nachwuchs muss durchaus nicht jung sein. Welche Chancen die Rückkehrer sehen, haben zwei von ihnen vor Ort erzählt.

Das Kloster Michaelstein bei Blankenburg ist ein ruhiger Ort. Wer sich zurückziehen will, ist hier richtig. Das passt, sagten sich die Organisatoren und legten den Rückkehrertag des Landkreises Harz genau dorthin.

Es gibt genug Platz, ringsherum eine schöne Gegend und vom Kloster sind es nur zwei Minuten Autofahrt bis zur A 36. Laut Navi 36 Minuten bis Goslar, dort gilt "Westtarif". Auch nach Braunschweig oder Wolfsburg fahren Harzerinnen und Harzer gern für mehr Lohn. Das ist schon die erste Erklärung für den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel im Landkreis Harz. Landrat Thomas Balcerowski (CDU) sagt: "Sie können eigentlich im Landkreis Harz alles werden. Jeder sucht." Deshalb zeigt auch Balcerowski im Kloster Michaelstein Flagge. Und wirbt um Rückkehrer auch für die eigene Verwaltung. An deren Stand gibt's übrigens kleine Notizblöcke mit Blumensamen.

Sie können eigentlich im Landkreis Harz alles werden. Jeder sucht.

Thomas Balcerowski (CDU) Landrat im Landkreis Harz

10.000 Euro Wechselprämie funktionieren nicht

Einer der 39 Aussteller ist die Umwelttechnik und Wasserbau GmbH (U&W). Die Firma hat ihren Sitz in Blankenburg. Das Spezialunternehmen hat das Wehr der Selke in Gatersleben gebaut, die Schierker Feuerstein Arena, die Teufelsbachbrücke gleich im Wald beim Kloster. "Keine Null Acht fuffzehn Projekte", betont Geschäftsführer Jörn Frankenfeld. Bauleitern versprach U&W im Herbst 10.000 Euro Wechselprämie, das große gelbe Plakat stand direkt an der A 36. Gemeldet hat sich kein Einziger.

Die neue Kampagne setzt auf Work-Life-Balance. Geschäftsführer Frankenfeld listet auf, was künftige Bauleiter erwarten können: "Gewinnbeteiligung, individuelle Arbeitszeiten und Unterstützung bei den Kita-Gebühren", er zielt also direkt auf junge Familien. Das zieht, Frankenfeld wird an diesem Tag oft angesprochen, verteilt Visitenkarten und Werbemappen.

Blankenburger will endlich im Osten arbeiten

Gunnar Harth hat schon ein paar Mappen unter dem Arm. Der Blankenburger schlendert mit seiner Tochter über den Hof wie ein Tourist auf Klostertour. Und irgendwie trifft es das auch, stressfrei sollen die Besucher des Rückkehrertages die Angebote entdecken. Harth ist Kraftfahrzeugtechnikermeister und sucht eine neue Herausforderung. Zum Beispiel bei U&W. Auf jeden Fall zu Hause im Harz, denn da, meint er, gebe es relativ viele attraktive Arbeitgeber.

Der 44-Jährige war beruflich viel im Ausland unterwegs, hat sich dann erfolgreich bei VW beworben und ist geblieben. Seitdem fährt er täglich nach Wolfsburg, reine Fahrzeit bis zu eineinhalb Stunden – drei Stunden am Tag auf der Straße. "Seit ich aus der Schule raus bin, bin ich eigentlich fast immer mit dem Auto unterwegs in den Westen zum Arbeiten", sagt der Blankenburger.

Seit ich aus der Schule raus bin, bin ich eigentlich fast immer mit dem Auto unterwegs in den Westen zum Arbeiten.

Gunnar Harth Kraftfahrzeugtechnikermeister bei VW in Wolfsburg

Wobei er gute Erfahrungen als technischer Sachbearbeiter gesammelt hat: das Geld stimmt, er konnte sich ein Häuschen leisten. In Niedersachsen gelten höhere Tarife. Aber Homeoffice war nichts für ihn, erzählt Harth. "Den ganzen Tag allein im Wohnzimmer sitzen, über zweieinhalb Jahre. Das erste Jahr hab ich gesagt, ja geht. Aber irgendwann hatte ich die Nase voll davon. Ich muss unter Leute".

Auch in Bitterfeld-Wolfen gab es einen Rückkehrertag. Sehen Sie hier das Video dazu:

Harth kennt sein Potential: Erfahrung, Routine und solche Alltäglichkeiten wie beispielsweise Pünktlichkeit, die wieder seltener wird. Mit seinen 44 Jahren kommt er gut an bei den Personalern. Er schaut weiter, setzt sich nicht unter Druck.

24-Jährige bekommt gute Angebote

Madeleine Wöhler ist deutlich jünger, hat aber ähnliche Pläne. Die 24-Jährige will wieder im Harz arbeiten. Seit zwei Jahren arbeitet sie in Uelzen, die Fahrerei schlaucht. Die Spritkosten will sie sparen und auch die Zeit. Dabei ist sie schon wieder hergezogen, eine echte Rückkehrerin. Zum wahren Glück fehlt jetzt noch der passende Job. Sie hat schon einige gute Angebote entdeckt.

Als gelernte Kauffrau für Büromanagement hat die 24-Jährige Chancen in vielen Branchen. Derzeit disponiert sie bei einem Küchenunternehmen Tourenpläne und Lieferungen. Ein Bürojob im Harz wäre ihr Traum. Dafür würde sie auch ein paar Kilometer Anfahrt in Kauf nehmen. Aber das Geld muss stimmen. Also zieht sie von Stand zu Stand und hofft das Beste – von der Verwaltung des Landkreises über die Tourismusgesellschaft Thale bis zu einer Steuerberaterkanzlei.

Harz-Magnete, Zollstöcke und Tassen

Sie arbeitet im Homeoffice und möchte auch wieder unter Leute. Vor allem aber nicht mehr pendeln. Am besten: nie mehr. Bevor sie geht, steckt sie noch einen "Zuhause im Harz"-Magneten mit Brockensilhouette ein.

Auch ihrer Mutter gefällt der Rückkehrertag. Der sei viel besser als ein Bewerbungsgespräch in einem sterilen Büro. Kein Druck. Es geht locker zu, gibt kleine Naschereien und Mitnehmsel: Zollstöcke, Tassen und vor allem jede Menge Infomaterial.

Wo kommen Sie her? Was können Sie?

Das gibt es auch am Stand der Verkehrs Industrie Systeme GmbH aus Halberstadt. Die rund 250 Angestellten halten Schienenfahrzeuge aller Art in Stand. Vertriebsleiter Dr. Marco Schumann sucht vor allem Handwerker: Schlosser, Elektriker, Schweißer. Er sagt: "Bei uns ist immer sehr viel Abwechslung, das macht den Tag spannend. So ziemlich alle Eisenbahn-Verkehrsunternehmen aus Deutschland lassen bei uns arbeiten."

Dann zeigt ihm ein junger Mann ein Handyfoto: sein Arbeitsplatz – in Bruchsal, mehr als fünf Stunden Fahrt von hier. So fangen viele Gespräche an: Wo kommen Sie her, was können Sie, wollen Sie zurück? Schon sind die Beiden mitten im Bewerbungsgespräch. Ob sie sich einig werden? Der Erfolg des Rückkehrertages zeigt sich erst später. Zumal auch online eingeladen wurde. Aber 500 Wechselwillige sind ein gutes Zeichen: der Arbeitsmarkt im Harz ist in Bewegung.

Rückkehrertag auch in anderen Städten Auch in anderen Regionen in Sachsen-Anhalt fand am 27. Dezember ein Rückkehrertag statt. Zahlreiche Firmen präsentierten sich unter anderem in Bitterfeld-Wolfen, Dessau-Roßlau, Köthen, Staßfurt, Stendal und Wittenberg. Die Wirtschaft im Land versucht so, neue Arbeitskräfte zu finden. Unternehmen und Einrichtungen bieten seit Jahren in lockerer Atmosphäre offene Stellen für Berufspendler und aus der Heimat Weggezogene an. Im Süden fiel der Rückkehrertag vielerorts aus. Doch das "WelcomeCenter" bot landesweit ein Online-Treffen an. In Halle wird es im Februar eine Rückkehrermesse geben.

MDR (Elke Kürschner, Daniel Salpius, Luise Kotulla)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 27. Dezember 2022 | 19:00 Uhr

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