Kommentar Heiligabend nach dem Anschlag: "Der Zusammenhalt ist stärker als Hass"
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24. Dezember 2024, 16:33 Uhr
Heiligabend nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg: Wie soll das angesichts des Unfassbaren gehen? Unser Autor beschreibt, wie er die letzten vier Tage erlebt hat, was ihn bewegt und was ihm Trost schenkt. Ein Kommentar.
Vier Tage nach dem Anschlag gelingt es mir immer noch nicht, wirklich zu begreifen, was da passiert ist. Angemessene Worte zu finden. Und doch ist diese furchtbare Tat Realität.
Magdeburg ist seit mehr als acht Jahren mein Zuhause. Obwohl 240.000 Menschen hier leben, fühlt Magdeburg sich oft an, wie ein großes Dorf. Hier ist alles sehr nah. Man kennt sich, kennt die Orte und Rituale. Jeder von meinen Freunden war auf genau diesem Weihnachtsmarkt. Der Anschlag trifft kollektiv so tief in die Herzen der Menschen.
Versuche, den Anschlag zu instrumentalisieren
Die meisten Magdeburger, die ich kenne, sind wie diese Stadt: Nach außen vielleicht manchmal schroff, aber innen schlägt ein riesiges Herz. Die meisten fingen sofort an zu helfen, wie und wo sie gerade konnten. Menschen zu versorgen, Leute zu fahren, zu trösten, zu spenden. Ganz pragmatisch. Zusammenhalten. Sich auffangen in tiefem Schmerz und im Versuch, das Unfassbare zu begreifen.
Und doch scheint es kaum Gelegenheit zum Trauern zu geben, weil viele das Gefühl haben, sich positionieren zu müssen. Schon kurz nach dem Anschlag begann die politische Aufarbeitung und auch Versuche, ihn zu instrumentalisieren. Ihn für Wahlkampf oder auch für rechtsextreme Narrative zu nutzen. Als "Grund", Menschen mit vermeintlich ausländischem Aussehen in Magdeburg anzufeinden. Hass zu säen.
Ich war am Tag des Anschlags zu meinem Bruder gereist, um ihn vor Weihnachten noch einmal zu sehen. Von dort aus musste ich erleben, wie sehr es viele meiner Freundinnen und Freunde zerriss, im Schock und Schmerz auch noch auf diesen Hass reagieren zu müssen.
Für mich war es nicht einfach, nicht vor Ort zu sein. Zweimal bin ich von dort aus beim MDR eingesprungen um die Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu unterstützen. Unzählige Meldungen, Videos, Bilder, und auch viele Falschmeldungen erreichten uns im Minutentakt. Dazwischen immer wieder Menschen die fragen, ob es mir gut geht. Berichte von Bekannten, die verletzt worden sind. Aufgelöste Freunde, die sich melden.
Gedenkandacht im Dom
Als Journalist versucht man, einen klaren Kopf zu bewahren und das Geschehene schnell und gut aufzubereiten. Während der Dienste funktioniert man, hält möglichst eine professionelle Distanz, arbeitet mit dem Kopf. Aber als Menschen geht uns das Geschehene nahe.
Abends und nachts spüre ich die Bilder und Gedanken durch meinen Kopf und mein Herz wandern. Ich denke an mein Magdeburg, an die Eindrücke, die Freunde und Bekannte, an alle Betroffenen. An die Menschen dieser Stadt.
Ich verfolgte mit Tränen in den Augen die Gedenkandacht im Dom. Die weinenden Menschen, die tapferen Rettungskräfte, und dazu die Worte vom evangelischen Landesbischof Friedrich Kramer, der dafür betete, dass es uns gelingen möge, unsere Herzen weiterhin Orte des Friedens sein zu lassen. Und zu sehen, wie die Magdeburger zu diesen Worten zusammen standen.
Der Anschlag muss aufgearbeitet werden
Zu merken, dass diese Menschen da sind, dass sie zusammenhalten, dass sie einander aufhelfen, berührt und tröstet mich. Den Hass nicht gewinnen zu lassen, erfordert Mut und Kraft. Und doch wünsche ich mir, dass wir das schaffen. Ich sehe die Menschen in ihrem tiefen Schmerz zusammenstehen und sich helfen. In Gedenken und Gebeten, mit Blumen und kleinen Gesten der Anteilnahme, mit Spenden und praktischer Hilfe. Die Polizisten, Rettungskräfte und Seelsorger.
Ich spüre in dieser Trauer, Wut und Ohnmacht eine tiefe Liebe, die vereint und Hoffnung gibt. Jeder Mensch, der Unterstützung anbietet, der fragt, der zuhört und unterstützt. All die, die im Stillen da sind. Das zu spüren, bedeutet mir viel. In den kurzen Momenten zwischen allem zu spüren, dass wir nicht alleine sind.
Der Anschlag muss und wird aufgearbeitet werden. Aber eins weiß ich schon heute: Die Menschen in Magdeburg stehen zusammen – an Weihnachten und an schweren Tagen – wie gestern bei der Menschenkette um den Alten Markt. Dieses Gefühl versuche ich mitzunehmen in die Weihnachtstage.
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MDR (Leonard Schubert)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 24. Dezember 2024 | 11:00 Uhr
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