Zum Reformationstag Der Klimawandel als Fegefeuer: Wir alle sind Sünder

Ein Kommentar von Uli Wittstock, MDR SACHSEN-ANHALT

31. Oktober 2023, 15:54 Uhr

"Hier stehe ich und kann nicht anders" – mit diesen Worten soll Martin Luther seine ketzerischen Thesen vor dem Kaiser auf dem Reichstag in Worms verteidigt haben. Später verfasst er eine wichtige Schrift: "Von der Freiheit eines Christenmenschen". Wie aber verhalten sich Freiheit und Verantwortung für das Gemeinwohl zueinander und wieviel Moral verträgt die Politik? Diese Fragen sorgen noch immer für Debatten, bei der Impflicht etwa oder auch beim Klimaschutz. Ein Kommentar.

  • Wird die Kirche politischer und die Politik kirchlicher?! Manche haben diesen Eindruck. Die Generalsekretärin des Kirchentages, Kristin Jahn, hält wenig von zu viel Politik auf der Kanzel.
  • Der sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel sagt: Nur, weil Parteien auf Klimawandel und Erderhitzung hinweisen, sind sie keine "Klimasekte".
  • Unser Autor wirbt darum, wieder verstärkt auf eigene Überzeugungen zu setzen.

Martin Luther hatte sich offenbar wirklich bemüht, als Mönch ein frommes Leben zu führen. Er hatte gefastet und gebeichtet und war dennoch immer wieder gescheitert, denn irgendeine der zahlreichen kirchlichen Vorschriften übertrat er immer. Was ihn zudem störte, war die Tatsache, dass von all diesen Zwängen in der Bibel nichts zu lesen war. Und so kam er zu dem Schluss: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan."

Allerdings fügte er hinzu: "Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan." Das klingt wie ein Widerspruch, ist aber keiner: Der Mensch steht zu seinen Überzeugungen, egal was die Öffentlichkeit davon halten mag, allerdings muss der Mensch eben auch die Folgen seines Tuns für andere bedenken.

Politik und Kanzel – ein Problemfall?

Als vor rund einem Jahr die Synode der evangelischen Kirche, das ist das Kirchenparlament, in Magdeburg tagte, gab es einen umstrittenen Mehrheitsbeschluss. Die Synode legte fest, dass für alle kirchlichen Dienstfahrten 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen gelten sollen. Anders jedoch als noch zu Luthers Zeiten, droht nunmehr bei Überschreitung nicht das Fegefeuer. Aber es wundert trotzdem nicht, dass dieser Beschluss auch innerkirchlich ziemlich kritisiert wurde. Also: Wie viel Politik verträgt die Kanzel?

Dr. Kristin Jahn ist Generalsekretärin des Kirchentages und arbeitete selbst als Pastorin in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM), unter anderem auch an der Stadtkirche Wittenberg. Aus ihrer Sicht ist die Kirche ein Denkraum: "Die politische Sprengkraft von Kirche liegt für mich daran, dass sie eine andere Logik vertritt. Und das heißt eben nicht, fertige Positionen zu vertreten, sondern den Dialograum zu eröffnen. Ich finde nicht, dass es Aufgabe von einer Predigt ist, für politische Positionen zu werben."

Ich finde nicht, dass es Aufgabe von einer Predigt ist, für politische Positionen zu werben.

Kristin Jahn Generalsekretärin des Kirchentages

Politik als neue Religion?

So mancher hat ja seit längerem den Eindruck, dass die Kirchen immer politischer werden, während die Politik immer kirchlicher wird. Da ist zum Beispiel immer wieder von den Grünen als "Klimasekte" die Rede. Sebastian Striegel, Mitglied der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Magdeburger Landtag, kennt diesen Vorwurf natürlich – und hält dagegen: "Das ist nichts Sektenartiges, wir nehmen naturwissenschaftliche Fakten zur Kenntnis. Es gibt eine massive Erderhitzung und es muss nun darum gehen, miteinander Wege zu finden, wie wir diese Erderhitzung begrenzen können."

Den Lutherspruch "Hier stehe ich und kann nicht anders" nehmen jedoch sowohl Befürworter wie auch Kritiker der Klimapolitik für sich in Anspruch. Und während die einen zu einer Reformation im Heizungskeller aufrufen, ziehen andere unter dem Titel Reformation 2.0 durch Sachsen-Anhalts Innenstädte und fordern den Rücktritt der Regierung, den Austritt aus der UNO und den Erhalt des Bargelds. Schränkt Klimaschutz die Freiheit ein? Tatsächlich wird ja inzwischen der Klimaschutz von vielen als eine Anreihung von Verbotsvorschriften wahrgenommen, mit Auswirkungen auf das tägliche Leben, vom Essen über das Autofahren bis hin zum Heizen.

So direkt waren wohl die Folgen politischer Entscheidungen in der Bundesrepublik nur selten spürbar. Die Grünen, die ja einst auch mit dem Kampf für mehr Bürgerrechte erfolgreich waren, trifft der Vorwurf, eine Verbotspartei zu sein, besonders. Dabei spiele das Thema in der Partei weiterhin eine große Rolle, so Striegel: "Wir wollen die Freiheit nicht nur für uns im Hier und Jetzt bewahren, sondern die Freiheit auch für zukünftige Generationen sichern. Wenn Dinge auch in Zukunft funktionieren sollen, dann müssen wir heute Dinge ändern."

Sebastian Striegel, Landtagsabgeordneter der Grünen SAH
Grünen-Landtagsabgeordneter Sebastian Striegel wirbt für notwendige Veränderungen. (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa | Ronny Hartmann

Das freilich sorgt vor allem in Ostdeutschland nicht unbedingt für Begeisterung, denn nach all den Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte ist die Skepsis groß. Das bestätigt Sebastian Striegel: "Die Leute sagen, ich habe in meinem Leben genug rasante Veränderungen und Krisen erlebt. Ich muss das nicht mehr haben. Das verstehe ich, aber das scheint mir an den Notwendigkeiten vorbeizugehen." Wenn denn der Klimawandel so eine Art menschengemachtes Fegefeuer ist, dann wäre es wohl fatal, die Folgen auszublenden, aus welchen Gründen auch immer.

Klima oder Karma?

Wenn wir mit Luther auf die Debatte blicken, dann bleibt wohl nur die Erkenntnis, dass wir alle Klimasünder sind. Und der Versuch, uns gegen die Erwärmung zu engagieren, macht uns deshalb nicht zu besseren Menschen. Dies ist der zentrale Punkt der Reformation: Der Mensch kann nicht aufgrund eigenen Handelns zum Heil finden, sondern nur durch göttliche Gnade. Das aber enthebt den Menschen nicht von der Aufgabe, sich um seinen Nächsten zu kümmern. Und der Nächste ist natürlich auch die nächste Generation. Nur sollte man nicht aktiv werden, um Schlagzeilen zu produzieren oder beim jüngsten Gericht verschont zu werden, sondern wegen der Sache an sich, also wegen der eigenen Überzeugung. Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn die Debatten etwas sachlicher geführt würden.

Aber da wiederum ist Luther kein gutes Vorbild. Was seinerzeit in Wittenberg gedruckt wurde, hätte heute wohl eine Klageflut an deutsche Gerichten zur Folge.

Mehr zum Thema: Reformationstag in Sachsen-Anhalt

MDR (Uli Wittstock, Luca Deutschländer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 31. Oktober 2023 | 12:00 Uhr

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