Reformationstag Wie die evangelische Kirche mit dem Mitgliederschwund umgeht

31. Oktober 2023, 06:46 Uhr

Die evangelische Kirche feiert heute den Reformationstag. Doch wer feiert eigentlich noch mit und welche Rolle spielt Religion heutzutage noch in der Gesellschaft? Religionssoziologe Gert Pickel sagt, die Bedeutung nehme ab. Die Kirche selbst sucht nach Auswegen, auch in Mitteldeutschland.

Wenn heute Nachmittag in Serba am Hermsdorfer Kreuz Reformationstag gefeiert wird, werden in der Dorfkirche 15 Leute erwartet. Für Pfarrer Eckhard Waschnewski wird es der zweite von drei Gottesdiensten sein, er pendelt zwischen Serba, Thalbürgel und Graitschen hin und her. Früher sei das anders gewesen, erinnert sich der 67-Jährige. Als er 1999 in diesen Bereich gekommen sei, habe er drei Kollegen gehabt. Inzwischen stehe er alleine in der geistlichen Verantwortung. Das sei eine gewaltige Herausforderung, auch für seine Frau.

Der evangelischen Kirche gehe es im Augenblick nicht so gut, sagt Pfarrer Eckhard Waschnewski. Das Personal und die Mitglieder würden knapper und älter. Neben den Gottesdiensten bleibe immer weniger Zeit, sich um die Menschen in der Gemeinde zu kümmern, etwa wenn sie krank seien. Waschnewski wünscht sich regelmäßigeren Kontakt, auch zu Menschen, die eine Trauersituation durchlebten. Hier entwickelten sich Defizite, auch beim Kontakt zu den Familien. "In dem Maße, wie wir Mitglieder verlieren, wird diese Situation verschärft. Schade, es gibt offenbar auch kaum ein Konzept dagegen."

Religionssoziologe: Kirche nicht mehr zeitgemäß

Knapp 15 Prozent der Ostdeutschen waren im vergangenen Jahr noch Mitglied in der evangelischen Kirche. Sieben Jahre zuvor waren es noch rund 18 Prozent, geht aus den Zahlen der Evangelischen Kirche hervor. Die Zahl der Austritte ist hoch, die Kirche verliere an Bedeutung, erklärt Gert Pickel, Religionssoziologe an der Universität Leipzig. Er sagt, das Kernproblem sei, dass relativ viele Menschen wüssten, dass sie eigentlich keine Kirche und keine Religion bräuchten, um ganz normal leben zu können: "Es ist nicht so, dass die Leute gegen Kirche oder gegen Religion sind, sondern man findet es nicht wichtig und teilweise eben auch nicht mehr zeitgemäß."

Das Kernproblem ist natürlich, dass relativ viele Menschen wissen, ich brauche eigentlich keine Kirche und ich brauche auch keine Religion und kann trotzdem ganz normal leben.

Gert Pickel Religionssoziologe an der Universität Leipzig

Die Kirche sucht nach Wegen, um mit der Krise umzugehen. Ein Team aus Theologen, Pfarrern und jungen Kirchenvertretern stellte vor drei Jahren "elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche" vor. Sparsamer sollte die Kirche demnach werden, Bürokratie, Hierarchien und sogar Seelsorge-Angebote sollte sie abbauen. Dezentral, dynamisch, digital und – Zitat – NGO-ähnlich sollten sich Gemeinden aufstellen.

Bischof Bilz sieht Diskussionsbedarf beim Sonntagsgottesdienst

Sogar vom traditionellen Sonntagsgottesdienst sollte sich die Kirche in bestimmten Orten verabschieden, das werde ernsthaft diskutiert, sagt Sachsens Landesbischof Tobias Bilz. "Wir müssen schon schauen, ob der Gottesdienst seinem Wesen nach noch gefeiert werden kann." Wenn in einer großen Kirche irgendwo auf dem Land fünf Menschen säßen und versuchten, eine klassische Liturgie zu singen, dann müsse man nachfragen, ob der Gottesdienst dort in dieser Form noch sinnvoll sei. "Das halte ich für richtig und das müssen wir uns auch zumuten."

Auch finanziell dürfte sich die schrumpfende Mitgliederzahl auf die evangelische Kirche auswirken. Wie stark, das ist allerdings ein gut gehütetes Geheimnis. Noch dürfte die evangelische Kirche nicht in Not geraten, Kirchenkritiker schätzen ihr Vermögen allein in Deutschland auf etwa 200 Milliarden Euro.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 31. Oktober 2023 | 06:11 Uhr

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