Politikpsychologe im Interview Frustriert über Politik: Warum Engagement sich trotzdem lohnt
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27. Februar 2024, 10:52 Uhr
Seit 14 Jahren engagiert eine Bürgerinitiative in Roitzsch sich gegen eine Mülldeponie – ohne große Ergebnisse. Was bedeutet es für eine Demokratie, wenn Menschen sich so lange engagieren, aber so wenig bewegen können?
- 14 Jahre Protest einer Bürgerinitiative in Roitzsch haben nur wenig bewegen können – die Menschen sind frustriert.
- Wenn Menschen solche Erfahrungen machen, kann ihr Vertrauen in die Demokratie schwinden, erklärt Politikpsychologe Thomas Kliche.
- Helfen könne dennoch vor allem eines: Engagement.
In Roitzsch bei Sandersdorf-Brehna protestiert eine Bürgerinitiative seit 14 Jahren gegen eine Mülldeponie. Ohne große Ergebnisse: Die Deponie wächst und soll möglicherweise sogar erweitert werden. Die Engagierten vor Ort sind frustriert.
Was bedeutet es für eine Demokratie, wenn Menschen sich so lange engagieren, aber so wenig bewegen können? Das hat MDR SACHSEN-ANHALT Thomas Kliche gefragt. Kliche ist Professor für Bildungsmanagement und Politologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sein Schwerpunkt ist die Politische Psychologie.
MDR SACHSEN-ANHALT: In Roitzsch engagiert sich die Bürgerinitiative seit 14 Jahren gegen die Deponie im Ort. Bisher mit nicht allzu durchschlagendem Erfolg: Die Deponie steht noch, es sind sogar Erweiterungen geplant. Was macht das mit den Leuten der Bürgerinitiative und ihrem Engagement?
Thomas Kliche: Sie lernen negative Politik, also Entmutigung, zerstörtes Engagement. Damit schwindet in der Regel das Vertrauen in Parteien und Politik, oft auch in die Demokratie. Das ist dann keine vorübergehende Stimmungsdelle, sondern ein fast unumkehrbarer Weg in die Anomie oder, wenn Sie so wollen, in die politische Verzweiflung. Die kann dann auch das Bild von der Gesellschaft, von Menschen überhaupt vergiften.
Bei einer Straßenumfrage in Roitzsch haben uns mehrere Menschen gesagt: Die Politik macht ja nichts, die redet nur. Warum haben Menschen den Eindruck?
Demokratie ist ein oft anonymer und oft unübersichtlicher Aushandlungsvorgang zwischen gewählten Vertretungen, einzelnen Fachleuten in den Parteien, Verwaltungen und oft auch Gerichten und Unternehmen, auf mehreren Ebenen. Das ist oft nur mit großem Zeiteinsatz genauer durchschaubar, dann kennt man ein kleines Gebiet, etwa Müllentsorgung, oder eine Ebene, etwa den Kreistag.
Das geht auch vielen Politikern so, und wenn sie dann einen Standpunkt darüber hinaus einnehmen müssen, kommt oft Rechtfertigungsgeschwafel heraus. Politik redet also nicht nur, sie redet die Dinge auch schön. Das geht auf Dauer nur, wenn das Gerede ein Gegengewicht findet: in wirkungsvollen Problemlösungen und in langfristigen Strategien. Aber gerade daran hapert es ja in den letzten zwanzig Jahren zunehmend. Und deshalb geht es nicht nur um eine einzelne Müllkippe, sondern die meisten von uns haben irgendwann sozusagen so eine Müllkippen-Erfahrung gemacht.
Sind Situationen wie in Roitzsch Einzelfälle oder eher die Regel?
Die gab es immer, sie werden aber häufiger und größer. Wir haben seit Jahrzehnten NIMBY-Konflikte, also Leute, die sagen: "Not in my backyard", nur nicht bei mir. In Roitzsch gibt es dafür sogar gute Gründe. Aber nehmen Sie Bayern: Da erwartet ein ganzes Bundesland, dass die anderen ihm günstigen Öko-Strom verschaffen, statt selbst Erzeugung, Netze und Speicher auszubauen. Wenn diese Methode durchkommt, zerbröselt rasch die Gestaltungsfähigkeit von Wirtschaft und Politik.
Was bedeuten diese Fälle für unsere Demokratie?
Demokratie ist einerseits Mehrheitsmacht, andererseits Schutz der Minderheiten und ihrer Rechte, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit. Man muss also unterm Strich den Einzelfall abwägen, sensibel auf Protest achten und hochtransparent prüfen, ob der Protest berechtigt ist und ob es bessere Lösungen für alle gibt. Das klingt banal, ist es aber nicht.
Politik funktioniert nämlich wie ein Tanker, viele Abläufe sind pfadabhängig: Wenn die Apparate der Verwaltung mal einen Weg eingeschlagen haben, geben sie ihn als alternativlos aus, prüfen keine anderen Möglichkeiten mehr und bringen damit auch gewählte Volksvertretungen dazu, ihnen zu folgen. Das Ergebnis sind dann ewig lange Prozessgänge vor überlasteten Verwaltungsgerichten, die selbst keine Kompromisse gestalten, sondern Normen prüfen. Die Aufgabe der Politik ist also, klare Zukunftswege im Interesse aller zu organisieren, dabei aber niemanden dauerhaft schwer zu belasten und bei Bedarf Teillösungen auszuhandeln.
Kann man in Deutschland und Sachsen-Anhalt als engagierter Bürger politische Veränderung bewirken?
Ja, unbedingt. Sonst gäbe es doch nicht so großen Streit um Heizungsgesetz, Bürgergeld, Wirtschaftsförderung oder Landwirtschaft. Fragt sich aber, wie viel und um welchen Preis man als Einzelner etwas bewirkt.
Die meisten, die sich missachtet fühlen, stellen sich ja unter politischer Veränderung vor allem vor, ihre Meinung durchzusetzen. Tatsächlich ist Politik aber ein zähes, langwieriges Geschäft über Jahre. Man braucht dafür viel Sachverstand, etwa Kenntnis der Kommunalverfassung oder der Sozialgesetzbücher oder worum es eben geht. Das ist voraussetzungsreich bis ätzend. Und dann handelt Politik immer von Bündnisbildung und Kompromissen – man muss Mehrheiten organisieren und Unterstützer einbinden. Man muss also viel Zeit und Nerven investieren – da liegt eine Hürde.
Was müsste sich denn ändern, damit mehr Menschen das Gefühl haben, Sie können etwas verändern, wenn Sie sich politisch engagieren?
Da gibt es viele Ansatzpunkte. Ganz pragmatisch: Für eingegrenzte Anliegen kann man ganz viel erreichen, indem man in Vereinen und Verbänden aktiv wird, also Politik und Medien beeinflusst und berät und Anliegen bekannt und stark macht.
Dann die immer wichtigere Kommunalpolitik. Generell lassen sich in viel mehr Planungen Schöffen einschalten. Schöffenplanungen wie etwa Bürgerzellen haben sich seit 50 Jahren nachweislich bewährt, gerade für Kreise und Kommunen. Dort könnten auch Referenden einen guten Platz finden, auch in der Sonderform des Bürgerbudgets, und eine durchlässigere und durchsichtigere Politik ließe sich durch erweiterte Fragerechte und Anhörungen sachkundiger Bürger unterstützen. Aber die Gemeinderäte und Kreistage wie auch die Verwaltungen geben halt ungern Macht ab.
Langfristig brauchen wir also eine innere Reform der Parteien, eine Demokratisierung wie in der CDU unter Biedenkopf und Geißler. Dafür sehe ich wenig Aussichten. Die technischen Bedingungen werden zwar besser, Stichwort Abstimmung mit dem Handy, aber die politischen schlechter: Es hat sich für Söder machttechnisch gelohnt, den Kandidaten der eigenen Partei Laschet zu demontieren. Und die CDU in der Altmark hat nach der Wahlfälschungsaffäre lieber eine Spaltung in Kauf genommen, als das eigene Haus aufzuräumen. Die innerparteilichen Oligarchien sind überall stark.
Deshalb brauchen wir vor allem viele Bürgerinnen und Bürger, denen es nicht nur um einzelne Meinungen geht, sondern um eine bessere Demokratie. Nur so können wir auf Dauer Parteien dazu erziehen, die Menschen wirklich zu vertreten. Wenn man nicht in die alten Parteien eintreten will, um die zu verändern, muss man halt neue gründen. Aus psychologischer Sicht ist dafür die Erfahrung von Selbstwirksamkeit der Schlüssel: Menschen lernen über das ganze Leben am Erfolg ihrer Handlungen. Man muss Politik also schlicht immer wieder probieren und mindestens mittelfristig dranbleiben.
Die Fragen stellte Alisa Sonntag.
MDR (Alisa Sonntag)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 25. Februar 2024 | 19:00 Uhr
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