Kommentar Endstation: Datenschutz – Ein Drama, bei dem das Ende fehlt

13. April 2023, 10:35 Uhr

Seit mehr als fünf Jahren sucht Sachsen-Anhalt einen neuen Datenschutzbeauftragten. Zwei Koalitionen haben sich am Thema bereits abgearbeitet. Eine Lösung war nur eine erfolglose Änderung des Wahlverfahrens. Deswegen versucht der Landtag es genau so noch ein zweites Mal. Ein Kommentar von MDR SACHSEN-ANHALT Reporter Lars Frohmüller.

Happy Birthday – alles Liebe zum Geburtstag Albert Cohaus nachträglich! Am vergangenen Wochenende 64 Jahre alt geworden und aktuell der Landesbeauftragte für Datenschutz in Sachsen-Anhalt mit dem Nachsatz "Vertreter im Amt". Sachsen-Anhalt hat einen Datenschutzbeauftragten? Na ja, seit Jahren so halb, denn für den Landtag ist Datenschutz kein Stiefkind, das man wenig beachtet. Sondern es ist die bucklige Verwandtschaft, zu der man am liebsten gar keinen Kontakt hat. Ausdruck dieser Missachtung sind seit mehr als fünf Jahren die mehr als nur kläglichen Versuche, einen Nachfolger für Harald von Bose zu finden, der gern 2017 schon in Rente gegangen wäre und es 2020 frustriert dann auch durchzog.

Am Ende übernahm der Stellvertreter Cohaus. Der hat aber ebenfalls nur noch zwei Jahre, dann wäre regulär Schluss. Sein Problem: Er kann sich selbst nicht verlängern, weil er sich dann wie Münchhausen am Schopf aus dem Sumpf ziehen müsste. Es gibt weiterhin keinen Amtschef. Datenschutz in Sachsen-Anhalt: Ein Drama nimmt seinen Lauf.

Früher war alles besser

Auf eins konnte man sich in der Politik verlassen: Wichtige Posten sind im besten Fall schon verteilt, bevor der Bär – sprichwörtlich – erlegt worden ist. Diese Grundregel der Politik scheint für den Datenschutzbeauftragten in Sachsen-Anhalt nicht zu gelten. Das Amt scheint unattraktiv. Das hat man im Landtag schon den Vorgänger spätestens dann wissen lassen, wenn der wieder nach Personal rief und nur ein müdes Lächeln erntete. Egal wie sehr man mit Gutachten wedelte oder auf die gesetzlichen Aufgaben verwies, die nicht zu erfüllen sind: Mehr Mitarbeiter gibt es für den Datenschutz nicht. Am Ende würde die Behörde noch wie der Landesrechnungshof auf die Idee kommen, selbstständig sich Prüfaufgaben zu setzen oder Präventionsarbeit in Schulen zu leisten.

Datenschutz scheint bei vielen Abgeordneten dieses Gefühl auf der Zunge zu hinterlassen, wie man es sonst nur von vergorener Milch kennt. Darum gab man sich auch nur wenig Mühe, den Posten neu zu besetzen – am Ende noch aus Versehen mit einer Fachkraft, die das Thema voranbringen könnte. Nils Leopold war so einer. Smart, digital unterwegs. Aber: mit grüner Empfehlung und damit ein rotes Tuch für die CDU in Sachsen-Anhalt. Rot-Grün-Schwäche macht im Straßenverkehr und im Landtag Probleme. Drei Anläufe später landet der aussichtsreiche Kandidat im Straßengraben und musste nach Berlin abgeschleppt werden. Diagnose: Mehrheitsversagen.

Nils Leopold
Nils Leopold kandidierte 2018 erfolglos für das Amt. Bildrechte: picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Vier! Jahre später – und das klingt schon wie ein Treppenwitz – trat der Übergangschef der Behörde selbst an. Gut eingearbeitet in die drängendsten Themen, aber nicht mehr taufrisch mit 62 Jahren. Und trotzdem willens, im März 2022 seinen Hut in den Ring zu werfen.

Mittlerweile hatte die CDU sich dem grünen Partner entledigt. Und zur Sicherheit, um sich nicht auf Menschen außerhalb der Koalition verlassen zu müssen, hatte man auch die Mehrheitsverhältnisse bei der Wahl zum Datenschutzbeauftragten geändert. Statt Zwei-Drittel-Mehrheit reicht nun die geballte Kraft der neuen Koalition aus CDU, SPD und FDP. Also fix einen Blumenstrauß gekauft, für den bereits vorbesprochenen Kandidaten der Koalition. Und: Mit drei Stimmen an der Mehrheit vorbei geschrammt. Der Bär kommt zum Jäger, sagt "Bitte erschieß mich und Teile mich auf" und am Ende: politische Ladehemmung. Das hat es so in Sachsen-Anhalt auch noch nicht gegeben.

Schlangengrube sucht neues Kaninchen

Jetzt soll alles besser werden. Keine Ausschreibung mehr. Denn nach den peinlichen Wahlschlappen würde sich kein Datenschützer oder wenigstens Jurist mehr bewerben, der noch bei Verstand sei, hört man es auf den Fluren des Landtags tuscheln. Das heißt: Jetzt kommt der Vorschlag aus den Reihen der Landtagsabgeordneten. Dafür soll auch das Gesetz zur Wahl des Datenschutzbeauftragten geändert werden.

Grundsätzlich ein cleverer Schachzug, den man aber auch ohne eine Anpassung des Gesetzes schon spielen könnte. Und weil sich das aus fachkundiger Hand immer besser liest als von Journalisten: Das sagt auch Professor Dr. Winfried Kluth vom Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: "Der jetzt praktisch vorgezeichnete Weg einer frühen und jedenfalls politisch verbindlichen Abstimmung zwischen den Fraktionen, der auch bei der Wahl der Mitglieder des Landesverfassungsgerichts beschritten wird, hätte auch im bisherigen Rechtsrahmen beschritten werden können."

Weniger verklausuliert steht hier also: Wenn ihr euch einigt, dann braucht ihr kein neues Gesetz. Und da man das offenbar gar nicht oft genug lesen kann, hat der Innenausschuss sich gleich vier Sachverständige zum Gesetzentwurf bestellt, die mehr oder minder ausführlich zum gleichen Ergebnis kommen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist Murks. Das Aushebeln einer Ausschreibung entspricht offenbar nicht dem gelten Recht. Und eigentlich braucht man den ganzen Vorgang auch nicht. Außer man hat Angst, man könne gar kein Kaninchen mehr anlocken. Dann wäre der Aufwand aber ebenfalls zweifelhaft.

Endstation: Datenschutz – ein Demokratieversagen

Und wie nun weiter? Am Donnerstag landet der Gesetzentwurf im Innenausschuss des Landtages. Im besten Falle haben hier die Abgeordneten die bestellten Stellungnahmen auch gelesen. Wenn sie daraus auch die Schlüsse ableiten, am Ende das Gesetz noch einmal anzupassen, dann wäre noch Hoffnung im Datenschutz. Es kann jedoch auch sein, das Gesetz dient nur dazu, ein leidiges Thema endlich abzuräumen. Die peinlichen Wahlvorgänge zu beenden, um das Amt neu zu besetzen. Dann wären vier Fachleute umsonst bemüht worden. Am Ende wird sich dann ein Kandidat finden, egal wer, Hauptsache er stört nicht und man hört nichts mehr von ihm. Wie die bucklige Verwandtschaft, die man nur bei der Beerdigung sieht. Nur das hier der Landtag den Datenschutz zu Grabe tragen wird.

Schülerinnen und Schüler nehmen im Klassenzimmer einer 9. Klasse der Gemeinschaftsschule Leutenbach am Geografieunterricht mit Hilfe von Laptops und Tablets teil.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Marijan Murat

MDR (Lars Frohmüller, Cornelia Winkler)

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