Ein junger Mann macht ein Selfie mit Björn Höcke
Bildrechte: MDR/Kevin Groß

Nach der Wahl "Ich will, dass es wie früher wird": Warum junge Menschen in Thüringen die AfD wählen

06. September 2024, 13:11 Uhr

Die AfD hat bei der Wahl in Thüringen abgeräumt. Auffällig dabei: Besonders viele junge Menschen haben die rechtsextreme Partei gewählt. Warum eigentlich? Ein Besuch in Sömmerda.

Ein junges Paar räumt in Sömmerda am Marktplatz den Kofferraum eines Autos aus. Sie sind sehr zufrieden mit dem Wahlergebnis in Thüringen. Ein Interview wollen sie nicht geben. "Ihr seid schon die dritten Reporter, die uns ansprechen. Ich bin da vorsichtig", sagt der 19-Jährige. Seine Freundin neben ihm ist 15 und sagt auf die Frage, welches Thema ihr bei den Wahlen am wichtigsten ist, prompt: "die Remigration."

Die AfD spricht Themen an, die leider wahr sind.

Lena Mehlgarten

Lena Mehlgarten steigt von ihrem Fahrrad ab und will offen über die Wahlergebnisse sprechen. Sie versteht, warum so viele junge Menschen die AfD gewählt haben: "Die AfD spricht Themen an, die leider wahr sind. Weil wir einen sehr starken Überfluss an ausländischen Personen haben. Alles nicht schlimm - es ist nicht so, dass wir sie gar nicht haben möchten. Das Problem ist nur: Mit diesen Menschen kommen auch sehr viele Kriminelle."

Die junge Frau, Lena Mehlgarten lächelt. Sie hat kurze blonde Haare und trägt eine Brille mit schwarzem Gestell und ein schwarzes Top mit bunten Aufdruck.
Lena Mehlgarten aus Sömmerda Bildrechte: MDR/Elisabeth Czech

Ressentiments gegenüber Migranten

Die 21-Jährige arbeitet im Einzelhandel in Sömmerda und behauptet, dass viele Ausländer klauen würden. Dafür habe die AfD eine Lösung: "Sie sagt der Jugend: Wir möchten hier gerne, dass die Kriminellen rausgehen. Weil das nicht so sein kann, dass hier Läden ausgeraubt werden, dass Menschen verletzt werden. Und trotzdem sitzt jeder auf seinem Hintern und tut nichts."

So gering ist der Ausländeranteil in Thüringen im Vergleich

Im Landkreis Sömmerda liegt der Ausländeranteil laut Statistischem Landesamt bei 5,8 Prozent (Stand 2022). Das ist relativ niedrig im Vergleich der Thüringer Landkreise. Generell macht die ausländische Bevölkerung in Thüringen 8,3 Prozent aus. In Sachsen und Sachsen-Anhalt sind die Zahlen ähnlich. In Berlin (23,3) oder auch Baden-Württemberg (18,5) sind die Anteile deutlich höher. Als Ausländer wird bezeichnet, wer nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, Statista

Lena geht außerdem auf die finanziellen Sorgen der Menschen ein: "Wir haben Probleme mit unserer Wirtschaft. Die Preise gehen hoch wie sonst was. Die Rentner haben zu wenig Rente. Man muss diese Themen betrachten: Erstmal kümmert man sich um sein eigenes Land, bevor man sich um irgendwelche anderen Personen aus andere Ländern und deren Kulturen kümmert."

Paar macht sich Sorgen

Ganz anders sehen es Jacob Hanika und seine Freundin Lenka Loszkorih. Lenka kommt aus Ungarn und lebt erst seit einigen Jahren in Deutschland. Die beiden 19-Jährigen machen sich Sorgen wegen der Abschiebepläne der AfD, die in Thüringen vom Verfassungsschutz auch als rechtsextrem eingestuft wird.

Ich habe vor, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Da bin ich mir jetzt auch nicht mehr so sicher.

Lenka Loszkorih

Lenka: "Ich habe Bedenken, was jetzt mit meiner Zukunft passiert. Ich hatte vor, in Deutschland zu studieren und mache jetzt die zwölfte Klasse. Aber ich weiß nicht, wie es dann wird. Ich habe vor, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Da bin ich mir jetzt auch nicht mehr so sicher."

In einem grünen Park steht ein junges Paar, das in die Kamera lächelt. Rechts steht Jacob Hanika. Er trägt ein gelbes Kurzarmhemd, hat dunkle Haare und trägt einen Rucksack. Dich neben ihm steht seine Freundin Lenka Loszkorih in einem blauen Sportshirt.Beide halten eine Vita-Cola in der Hand.
Jacob Hanika und Lenka Loszkorih im Park in Sömmerda Bildrechte: MDR/Elisabeth Czech

Lenka hat Angst, dass sie und ihre Familie nach Ungarn abgeschoben werden könnten. Obwohl innerhalb der EU das Freizügigkeitsrecht gilt - es wäre rechtlich gar nicht möglich, sie abzuschieben.

Was bedeutet rechtsextrem?

Rechtsextreme vertreten einen aggressiven Nationalismus, der Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit abwertet und das eigene Volk überhöht. Ferner lehnen sie freiheitliche demokratische Grundordnung, ihre Institutionen und deren Repräsentanten ab. Stattdessen schwebt ihnen eine gesellschaftliche Neuordnung nach dem Führerprinzip vor, bei dem die Freiheit des Einzelnen durch das Kollektiv beliebig eingeschränkt werden kann. Zur Durchsetzung dieser Vorstellungen sind Rechtsextreme zu Gewalt bereit oder nehmen diese billigend in Kauf. 

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung/MDR

Lenka: Viele nicht so aufgeklärt

Warum so viele junge Menschen die AfD wählen? "Ich denke, sehr viele sind gar nicht so aufgeklärt darüber, was die AfD jetzt wirklich machen will", antwortet Lenka. "Sie denken auch nicht so darüber nach, was passieren wird, wenn die Migranten zum Beispiel abgeschoben werden. Im Krankenhaus in Sömmerda sind sehr viele Ärzte, die einen Migrationshintergrund haben."

Narrative der Eltern werden übernommen

Franziska Kattge hat vor Kurzem ihr Abitur in Sömmerda mit 1,0 abgelegt, erzählt sie stolz. Sie möchte bald in Jena Jura studieren. Sie kritisiert wie Lenka, dass junge AfD-Wähler sich nicht genug mit der Partei auseinandersetzen würden: "Von einigen Gleichaltrigen habe ich gehört, dass sie halt einfach so sagen: 'Deutschland sollte deutsch bleiben.' Weil sie es von den älteren Generationen vermittelt bekommen, zum Beispiel von den Eltern, Großeltern. Und ich denke, dass sie das dann einfach wie ein Schwamm aufsaugen."

Franziska Kattge steht im Vordergrund des Fotos. Sie hat lange dunkle Haare und mehrere Nasenpiercings. Sie trägt ein dunkles Top mit Game-of-Thrones Aufdruck. Im Hintergrund sieht man den gepflastereten Marktplatz von Sömmerda.
Franziska Kattge hat vor Kurzem die Schule abgeschlossen. Bildrechte: MDR/Elisabeth Czech

In ihrer Schule in Sömmerda erlebte sie bei Mitschülern Zustimmung für die AfD: "Vorher war ich auf einer Schule in Erfurt, da waren mehr Leute mit Migrationshintergrund, da sah das ganz anders aus. Und jetzt, da ich auf einem Gymnasium war, wo auch sehr viele Deutsche waren, habe ich mitbekommen, dass einfach sehr viel darüber gewitzt wird."

Dabei gehe es auch um Gruppenzugehörigkeit, sagt Franziska: "Viele finden es gerade lustig, zu sagen 'oh die linken Zecken' und und sich dann abzuspalten. Obwohl wir mehr zusammenarbeiten sollten. Und es ist dann diese Abspaltung 'ihr seid die Zecken und wir sind die AfD Wähler', was ich schade finde."

Soziale Medien als Diskursverstärker

Eine Einrichtung, die dazu beitragen soll, dass jungen Menschen demokratische Grundwerte vermittelt werden, ist die Landeszentrale für politische Bildung. Franzsika Wittau leitet die Thüringer Zentrale in Erfurt. Sie ist zum Beispiel mit dem Wahl-O-Mat an Schulen unterwegs und spricht von einer "Normalisierung von politischen Positionen, die deutlich rechts der Mitte sind".

Es reiche nicht mehr aus zu sagen, das seien ausschließlich Protestwähler: "Wenn wir uns die aktuelle Studienlage anschauen, sehen wir eben auch: Es sind vor allem ökonomische Ängste, die die Jugend ganz stark beschäftigen. Also die Frage: Finde ich eigentlich einen Ausbildungsplatz, der gut finanziert ist?" All das seien Sorgen, die junge Menschen beschäftigten und bei denen sie "der AfD einen Kompetenzvorsprung zuschreiben, dass sie diese Probleme besser lösen kann." Soziale Medien spielten da auch eine große Rolle als Diskursverstärker.

Ein Politiker steht vor Mikrofonen, lächelt in die Kamera und reckt beide Daumen nach oben. Das Foto hat mehrere digitale Bildfehler. 7 min
Werden Fake News und Desinformation zur Gefahr für die kommenden Wahlen? Manche Experten halten die Panikmache vor Fake News für übertrieben. Bildrechte: MEDIEN360G | Panthermedia

Zu wenig politische Bildung an Schulen

Um das Demokratieverständnis zu verbessern, bräuchte es mehr politische Bildung im Schulunterricht. In Thüringen gibt es im Gymnasium in der neunten und zehnten Klasse nur eine Stunde Sozialkundeunterricht. Da lasse sich nicht umfänglich vermitteln, wie Politik funktioniert: "Es braucht Unterricht, der Freiräume gewährleistet, der Schülerinnen und Schüler auch nachvollziehen lässt: Wie kommen politische Entscheidungen eigentlich zustande? Und warum ist es manchmal so schwer, Kompromisse zu finden?"

Außerdem bräuchte es Unterricht, der Empathie fördert: "Denn Demokratie heißt eben nicht nur, eine Mehrheit entscheidet, sondern Demokratie heißt immer, eine Mehrheit entscheidet unter Berücksichtigung von Schutz auch von Minderheiten."

Franzsika Wittau ist eine junge Frau mit braunen Haaren. Sie lächelt und trägt ein blaues Oberteil. Hinter ihr sind links und rechts Bücherregale mit vielen Büchern der Landeszentrale für politische Bildung.
Franzsika Wittau von der Landeszentrale für politische Bildung Bildrechte: MDR/Elisabeth Czech

Landeszentrale mit neuem Format

Franziska Wittau formuliert einen Lösungsansatz: "Wir brauchen eine politische Bildung, die Menschen befähigt, auch wieder positiv in die Zukunft zu blicken, optimistisch in die Zukunft zu blicken und auch Visionen für eine Zukunft zu entwickeln."

Die Landeszentrale für politische Bildung entwickelt deshalb aktuell sogenannte Zukunftswerkstätten. Laut Wittau ein Format, "in dem Menschen wirklich miteinander an einem Tisch sitzen und überlegen und diskutieren: Wie soll die Welt denn zu einem gewissen Zeitpunkt aussehen?"

Ich würde mir wünschen, dass es so wie früher wird.

Sophie

Auf dem Marktplatz in Sömmerda steht auch eine junge Mutter mit zwei Kindern. Sophie hat nicht gewählt. "Ich habe zwei kleine Kinder und ich habe da nicht so viel Zeit und interessiere mich auch nicht so dafür", sagt die 21-Jährige fast entschuldigend.

Sophie Schröder lächelt in die Kamera. Die junge Frau trägt eine schwarz umrandete Brille und sie hat lange dunkle Haare. Im Hintrergrund sieht man Geschäfte der Innenstadt von Sömmerda.
Sophie macht sich Sorgen um die Zukunft ihrer beiden Kinder. Bildrechte: MDR/Elisabeth Czech

In Sophies Freundeskreis haben einige die AfD gewählt: "Weil die beim Thema Ausländer denken, dass sich da was verändert und weil ja die AfD für das Arbeiten und gegen Bürgergeld ist. Ich habe viele im Freundeskreis, die arbeiten und die sich immer aufregen, weil die Bürgergeldempfänger mehr beziehen würden als sie."

Sophie macht sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Kinder. "Ich würde mir wünschen, dass es so wie früher wird. Dass man die Kinder alleine im Alter von neun oder zehn Jahren auf die Straße lassen kann. Weil: Heute muss man ja auch aufpassen, dass nicht irgendjemand mit einem Messer kommt."

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MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 03. September 2024 | 18:26 Uhr

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