Kai Langer, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, in seinem Büro, stehend vor einer Zwischentür.
Kai Langer hofft, dass der Prozess gegen Björn Höcke für Klarheit sorgt. Bildrechte: MDR/Daniel Salpius

Interview zum Prozess in Halle "Höcke bedient sich in der untersten Schublade politischer Rhetorik"

19. April 2024, 12:19 Uhr

Auch der Stiftungsdirektor der sachsen-anhaltischen Gedenkstätten, Kai Langer, blickt auf den Prozess gegen Björn Höcke. Für ihn ist klar, dass der Thüringer AfD-Chef mit einem bestimmten Kalkül auf eine Rhetorik setzt, in der sich diverse Anleihen aus dem Nationalsozialismus fänden. Dass der Politiker von der Herkunft des Satzes, den er in Merseburg gebraucht haben soll, nicht gewusst haben will, hält Langer für unglaubwürdig.

Daniel Salpius schaut freundlich
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Der rechtsextreme Thüringer AfD-Chef Björn Höcke muss sich ab dem heutigen Donnerstag vor dem Landgericht Halle verantworten. Ihm wird vorgeworfen, 2021 in Merseburg bei einer Wahlkampfveranstaltung die verbotene nationalsozialistische SA-Parole "Alles für Deutschland" verwendet zu haben. 2023 soll er sie in Gera zudem wiederholt haben.

Für den Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt und promovierten Historiker für Zeitgeschichte, Kai Langer, unterstreicht Höckes Rhetorik dessen völkisch-faschistisches Weltbild. Wie er auf den Prozess in Halle blickt, hat er MDR SACHSEN-ANHALT im Interview erzählt.

Herr Langer, der Satz "Alles für Deutschland" wirkt ohne das Wissen um den NS-Kontext im ersten Moment eher wenig radikal. Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass die AfD oder ihre Anhänger den Prozess gegen Björn Höcke als Ausdruck "sprachlicher Gängelung" oder "übertriebener Erinnerungskultur" umdeuten und Herr Höcke quasi gestärkt daraus hervorgeht?

Dr. Kai Langer: Bei diesem Satz handelt es sich um die Losung der nationalsozialistischen Sturmabteilung. Das ist ein strafrechtlich relevanter Satz. Da geht es um einen juristischen Tatbestand und nicht darum, Herrn Höcke in seiner Meinungsfreiheit einzuschränken.

Anhänger von Herrn Höcke wird dieser Prozess sicherlich nicht zum Umdenken bewegen. Und das finde ich schon erschreckend, wenn so etwas auf einen großen Teil der Gesellschaft nicht mehr abschreckend wirkt, weil entweder das Geschichtsbewusstsein fehlt oder es den Leuten vielleicht auch schlichtweg egal ist, aus welcher trüben Quelle das kommt.

Was erwarten Sie vom Prozess?

Ich erwarte jetzt nicht unbedingt, dass der Prozess mit einer Gefängnisstrafe endet. Aber juristische Entscheidungen sind deshalb notwendig, weil sie gemeinhin hohe Akzeptanz genießen. Bestenfalls sorgt der Ausgang des Verfahrens für Klarheit.

Im Fall von Herrn Höcke wäre es ja nicht die erste juristische Entscheidung, die Klarheit herstellt. Man darf ihn ja bereits als Faschisten bezeichnen, weil ein Gericht zu der Schlussfolgerung gekommen ist, dass alle Kriterien dafür erfüllt sind.

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Kommen wir noch mal zur Parole zurück: Warum ist sie verboten in Deutschland?

Von Deutschland ist schließlich der Zweite Weltkrieg und der Völkermord an den Jüdinnen und Juden ausgegangen. Von daher war es richtig und konsequent, nach 1945 alles unter Strafe zu stellen, was sich in der Tradition des Nationalsozialismus bewegt. Dazu gehören das Hakenkreuz und das Zeigen des Hitlergrußes. Hinzu kommt, dass man bestimmte Kampfparolen ächtet.

Ob alles nun immer juristisch geschehen muss, sei mal dahingestellt. Aber dazu gehört, dass Begriffe und Losungen, die eindeutig nationalsozialistisch konnotiert sind, nicht in den öffentlichen Diskurs gehören. Und dass sich jeder, der sich ihrer bedient, selbst aus dem demokratischen Diskurs ausschließt und sich politisch unmöglich macht.

Welches ideologische Weltbild steckt denn konkret inhaltlich in der Parole?

Da steckt drin, was der erste Teil des Deutschlandliedes aussagt, der zurecht nicht mehr Teil der deutschen Hymne ist: "Deutschland, Deutschland über alles". Also sprich, dass Deutschland an erster Stelle in der Welt steht, dass es ein deutsches Herrenvolk gibt und sich alle anderen Länder und Völker dem unterzuordnen haben. Die von Herrn Höcke verwendete Parole spiegelt also eins zu eins das nationalsozialistische Weltbild wider.

Herr Höcke behauptet, er habe nicht gewusst, dass es sich bei dem Satz um eine SA-Parole handelt. Kann man das einem ehemaligen Geschichtslehrer abnehmen?

Ich kann natürlich nicht wissen, was Herr Höcke weiß, aber ich halte es für sehr unglaubwürdig, dass er als studierter Geschichtslehrer die Herkunft des Satzes nicht kannte. Ich gehe davon aus, dass er ihn bewusst eingesetzt hat.

Er hatte jüngst ja behauptet, er habe eigentlich nur Trumps "America First" übersetzen wollen. Die deutsche Übersetzung hätte allerdings "Deutschland zuerst" gelautet. Auch das wäre noch immer eine nationalistische Aussage in seinem Sinne gewesen. Aber die hat er nicht genommen, sondern lieber eine SA-Parole bemüht. Und diese hat er Ende 2023 in Gera noch mal wiederholt. Da gab es ja schon längst die Anzeige gegen ihn. Spätestens da hätte er genau wissen können, was er sagt.

Herr Höcke verwendet in seinen Reden und Publikationen ja immer wieder Stilmittel und Begriffe, die an die Rhetorik der Nationalsozialisten erinnern. Was sagt das über ihn aus?

Herr Höcke ist ein amtlich beglaubigter Rechtsextremist und Faschist. Und seine Wortwahl unterstreicht genau das.

In seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluß" spricht er ja beispielsweise auch von einer großangelegten "Remigration", die einer "wohltemperierten Grausamkeit" bedürfe. Allein, dass ein deutscher Politiker Grausamkeit als politisches Mittel präsentiert, ist in der parlamentarischen Geschichte der Bundesrepublik beispiellos. Also zumindest, was Parteien angeht, die im Deutschen Bundestag sitzen.

Ich mache mir aber weniger Sorgen um Herrn Höcke als um die Leute, bei denen solche Aussagen auf fruchtbaren Boden treffen. Das ist für mich beängstigender als eine solche traurige Gestalt.

Bevor wir dazu kommen: Welche Strategie steckt aus Ihrer Sicht hinter Höckes Rhetorik?

Nun, Herr Höcke testet auf der Straße und auf den Plätzen Parolen aus, die gut ankommen. Und was besonders beklatscht und bejohlt wird, das übernimmt er dann. Und dabei nimmt er zumindest billigend in Kauf, nationalsozialistisches Vokabular wieder hoffähig zu machen. Er tut das natürlich in der Absicht, die Grenzen des Sagbaren immer weiter auszuweiten.

Selbstverständlich probieren alle Politiker die Wirkung bestimmter Begriffe aus. Aber das Perfide bei Höcke und seinen Gesinnungsgenossen ist eben, dass sie sich in der untersten Schublade politischer Rhetorik bedienen. Eine Schublade, die eigentlich für immer geschlossen sein sollte. Sich daraus zu bedienen, ist nicht akzeptabel, ganz egal ob das strafrechtlich relevant oder nicht. Es ist einfach nicht akzeptabel.

Und doch scheinen immer mehr Menschen dieser Rhetorik auf den Leim zu gehen, wie erklären Sie sich das?

Höcke triggert auf alle Fälle tiefsitzende nationalistische Gefühle und Empfindungen, die bestimmte Leute haben, weil sie sich bei jeder Gelegenheit übervorteilt sehen und für alle Unbill der Welt Migranten und Flüchtlingen verantwortlich machen.

Mit bestimmten Begriffen, die entweder technisch und neutral klingen wie "Remigration", oder auch mit völkischen Begriffen und Parolen, die vermeintlich an einen "gesunden Patriotismus" appellieren, bringt er bei manchen Leuten eine Saite zum Klingen, die andere nicht bewusst nicht anschlagen und das halte ich für etwas Gefährliches. Denn Herr Höcke ist ja kein Patriot, sondern er ist ein völkischer Nationalist, dem es darum geht, das europäische Einigungswerk abzuwickeln, Menschen mit Migrationsgeschichte auszuweisen und nur noch Politik für Deutsche, die schon immer hier gelebt haben, zu machen.

Aber es gibt ja auch moderate AfD-Wähler, warum wenden auch sie sich nicht ab?

Höcke ist janusköpfig. Er redet bei Kundgebungen auf der Straße anders als im TV-Interview, seine Diktion und Wortwahl unterscheidet sich drastisch. Auf der Straße brüllt und schreit er, dass man sich wirklich an den NS-Propaganda-Minister Goebbels erinnert fühlt. Im Fernsehstudio ist er dagegen sehr bedächtig, ruhig und auch ein bisschen weinerlich. Nach dem Motto, "man dreht mir das Wort im Munde um, ich werde absichtlich missverstanden".

Verkörpert Herr Höcke für Sie die AfD?

Er repräsentiert die Spitze einer extremen Richtung innerhalb der AfD, die inzwischen den Mainstream in der Partei abbildet. Noch vor einigen Jahren mit Parteiausschluss bedroht, orientiert sich die gegenwärtige Parteiführung inzwischen an ihm. Insofern ist es nicht unerheblich, was dieser Mann sagt und tut.

Welche Auswirkungen hat das auf das Gedenken in Sachsen-Anhalt?

Die AfD arbeitet sich aktuell nicht an der Stiftung Gedenkstätten ab. Aber ihre wenigen parlamentarischen Initiativen zeigen, dass es ihr darum geht, eine andere Geschichtspolitik zu etablieren. So gab es beispielsweise schon den Vorstoß, eine zentrale Gedenkstätte in Sachsen-Anhalt für die deutschen Opfer der alliierten Bombardierungen zu errichten. Auch ihre jüngste Anfrage, die sich nach der Zahl von Angriffen auf "Kriegerdenkmäler" für Gefallene des Ersten Weltkriegs erkundigte, zielte wieder nur auf deutsche Opfer.

Darüber hinaus sehe ich auch eine Tendenz, das Gedenken an den Herbst 1989 zu instrumentalisieren, um die Bundesrepublik als "DDR 2.0" zu verunglimpfen, welche man auf revolutionärem Wege beseitigen müsse.

Aber ja, man möchte sich gar nicht nicht ausmalen, wie es wäre, wenn Politiker vom Schlage eines Björn Höcke Zugriff auf die demokratische Erinnerungskultur unseres Landes hätten.

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MDR (Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. April 2024 | 10:00 Uhr

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