Friedenstaube auf einer Betonwand in den Farben der Ukrainenfahne 4 min
Wie kommen wir zu mehr Frieden? Brauchen wir wieder die Wehrpflicht? Auch über den künftigen Weg in der Friedenspolitik dürfte zur Bundestagswahl am 23. Februar abgestimmt werden. Bildrechte: picture alliance / imageBROKER | Klaus Rein

Bundestagswahl 2025 | Frieden und Verteidigung Wehrpflicht? – Wenn, dann gleichberechtigt

02. Februar 2025, 19:59 Uhr

Das neue Gesetz für den Wehrdienst wurde beschlossen, kurz bevor die Bundesregierung zerbrach. Bei der kommenden Bundestagswahl geht es deshalb auch um eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht. In Sachsen-Anhalt gibt es dazu unterschiedliche Meinungen. Die Bundeswehr selbst würde eine neue Wehrpflicht zwar umsetzen, könnte das aber gar nicht sofort. Was sich die Truppe und andere von der neuen Bundesregierung wünschen: Teil 3 der MDR-Reihe zur Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt.

Adrian ist 18 Jahre alt – ein Alter, in dem junge Männer in Deutschland lange Zeit zum Wehrdienst einberufen wurden. Auch Adrian hätte sich gewünscht, zur Bundeswehr zu gehen und sich vor eineinhalb Jahren sogar dort beworben: "Es hat leider nicht geklappt." Heute lebt er in Osterwieck im Harz und arbeitet als Baumpfleger. Dass die Bundeswehr ein guter Arbeitgeber ist, denkt er immer noch: "Die Chancen, sich bei der Bundeswehr weiterzuentwickeln, sind einfach besser als im Betrieb."

Wir wären in Krisenzeiten besser aufgestellt und vorbereitet.

Adrian, 18 aus Osterwieck im Harz

Darin, die Wehrpflicht wieder einzuführen, sieht Adrian Chancen. Denn obwohl die Bundeswehr vielen jungen Menschen ermöglichen könnte, einen guten Job zu bekommen, würden sich aktuell nicht viele dafür interessieren. Und: "Wir wären in Krisenzeiten besser aufgestellt und vorbereitet." Dafür könnten junge Männer und Frauen zur Grundausbildung in den Wehrdienst, wenn sie mit der Schule fertig sind: "Am besten ein Jahr lang, damit man auch gut ausgebildet ist."

Wehrdienst oder Freiwilligendienst: "Qualität ist höher, wenn Menschen dahinter stehen"

Marc Zager aus Augsdorf im Kreis Mansfeld-Südharz sieht das anders. Mit 36 Jahren gehört er zu den letzten Jahrgängen junger Männer, die bis 2011 rund um ihren 18. Geburtstag zum Wehr- oder Zivildienst herangezogen wurden, wenn sie nicht ausgemustert wurden. Die Dauer der Dienste wurde bereits seit der Wende immer wieder gesenkt. Bis 2004 war sie im Zivildienst länger als bei der Bundeswehr. Als Zager volljährig war, dauerten beide Dienste neun Monate. Kurz bevor die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, wurden sie auf sechs Monate verkürzt.

Das sei zu wenig, sagt Marc Zager: "Ich bin der Meinung, dass man in der Zeit keine komplizierten Waffensysteme erklären kann, das reicht einfach nicht aus." Ein längerer Wehrdienst würde jedoch bedeuten, dass anderswo Fachkräfte fehlen. Zager unterstützt als Erzieher im Außendienst Familien – ein Berufsfeld, in dem das Personal knapp ist. Eine Pflicht hält er für ungeeignet, um mehr Menschen dafür zu gewinnen. Stattdessen sollten Freiwilligendienste attraktiver gestaltet sein, findet er. "Außerdem ist die Qualität viel höher, wenn Menschen hinter dem stehen, was sie machen." Das sei beim Dienst an der Waffe nicht anders, denkt er.

Ich denke, es ist auch möglich, ohne eine riesen Bundeswehr in Frieden zu leben.

Marc Zager, 36 aus Augsdorf im Kreis Mansfeld-Südharz

Wie die Bundeswehr aktuell gestärkt und modernisiert wird, sieht Zager kritisch. Das Geld sollte aus seiner Sicht eher in Schulen oder Kitas investiert werden. Das würde heranwachsende Fachkräfte unterstützen – die zudem lernen sollten, gewaltfrei und respektvoll miteinander umzugehen: "Ich denke, es ist auch möglich, ohne eine riesen Bundeswehr in Frieden zu leben."

Stichwort: Freiwilligendienste

Seit 2011 gibt es als Ersatz für den Zivildienst den Bundesfreiwilligendienst, kurz BFD. Der BFD kann in Voll- oder Teilzeit über sechs Monate bis zwei Jahre absolviert werden. Die Freiwilligen engagieren sich in Einrichtungen wie Kindergärten, Sportvereinen, Kulturstätten, der Pflege oder dem Naturschutz und erhalten dafür ein monatliches "Taschengeld" von bis zu 644 Euro. Zudem sind sie automatisch gesetzlich renten-, unfall-, kranken-, pflege- und arbeitslosenversichert. Der BFD kann unabhängig vom Alter und mehrmals geleistet werden.

  • Das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) ist ein Freiwilligendienst ähnlich wie der BFD, den man nur bis zum Alter von 26 Jahren und nur einmal absolvieren kann. Ein Freiwilliges Soziales Jahr ist auch im Ausland möglich. Ansonsten gelten ähnliche Regelungen wie für den BFD.
  • Das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) ist gezielt auf die Bereiche Natur- und Umweltschutz, Landschafts- und Forstpflege, Gartenbau, Tierpflege und Tierschutz ausgerichtet. Dafür gibt es anerkannte Träger.
  • Der Freiwillige Wehrdienst dauert sieben bis 23 Monate und kann ab einem Alter von 17 Jahren in verschiedenen Bereichen der Bundeswehr absolviert werden. Wer sich zu mehr als zwölf Monaten verpflichtet, erklärt sich damit auch zu Auslandseinsätzen bereit. Der monatliche Sold liegt je nach Dienstgrad zwischen 1.800 und 2.200 Euro.

Neues Wehrdienstgesetz: Kein Beschluss vor der Bundestagswahl erwartet

Die Wehrpflicht ist in Deutschland im Grundgesetz verankert. Im Jahr 2011 war sie unter der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP ausgesetzt worden, aber nicht abgeschafft. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wird die Bundeswehr gestärkt – und diskutiert, die Wehrpflicht wieder einzuführen.

Ein Gesetzentwurf aus dem November sieht vor, dass junge Männer einen Fragebogen beantworten müssen, wenn sie 18 werden. Darin sollen sie ihre Fitness und Qualifikationen einschätzen und angeben, ob sie bereit sind, Soldat zu werden. Für junge Frauen soll der Fragebogen freiwillig sein, denn für sie gilt keine Wehrpflicht. Wer den Wehrdienst antritt, soll eine sechsmonatige Basisausbildung erhalten. Für Spezialisierungen soll der Dienst auf bis zu 23 Monate verlängert werden können.

Die Bundesregierung hatte sich Anfang November auf den Entwurf geeinigt – nur Stunden vor dem Zerbrechen der Ampel-Koalition. Bevor das neue Wehrdienstgesetz in Kraft treten kann, müssen Bundestag und Bundesrat zustimmen. Wahrscheinlicher sei jedoch, dass die Wehrpflicht ein Thema für den kommenden Bundestag und die zukünftige Regierung wird, sagte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) dem Bayerischen Rundfunk im November.

Wehrpflicht in Deutschland: Das gilt laut Gesetz

In Deutschland ist die Wehrpflicht im Grundgesetz verankert. Laut Artikel 12a können volljährige Männer "zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden." Wer dies verweigert, kann zum Ersatzdienst verpflichtet werden. Im Verteidigungsfall können Männer zu weiteren Diensten herangezogen werden – und auch Frauen zu zivilen Diensten. Zum Dienst an der Waffe dürfen Frauen laut Gesetz "auf keinen Fall" verpflichtet werden. Die genaue Umsetzung der Wehrpflicht ist im Wehrpflichtgesetz geregelt.

Seit 2011 ist die Wehrpflicht jedoch ausgesetzt. Unter der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP hieß es zum Beschluss des Gesetzentwurfs, die Grundrechtseingriffe, die die Wehrpflicht für Männer bedeutet, seien angesichts "der dauerhaft veränderten sicherheits- und verteidigunspolitischen Lage Deutschlands" nicht zu rechtfertigen. Das gilt demnach jedoch nur in Friedenszeiten: Im "Spannungs- oder Verteidigungsfall" soll die Wehrpflicht "wieder aktiviert werden".

Bundeswehr-Gefechtsübungszentrum in der Altmark stellt sich auf neue Szenarien ein

Soldaten sitzen und stehen in einem Büro des Gefechtsübungszentrums Altmark der Bundeswehr.
Blick in das Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr in der Altmark Bildrechte: MDR/Beatrix Heykeroth

Der russische Angriff auf die Ukraine hat nicht nur die Debatte um Wehrpflicht und Verteidigung verändert, sondern auch die Szenarien, auf die die Bundeswehr sich vorbereitet, berichtet Heiko Diehl. Diehl ist Oberst und Dienststellenleiter im Gefechtsübungszentrum (GüZ) der Bundeswehr in der Altmark. Das GüZ gilt als das modernste Übungszentrum für Streitkräfte in Europa. Mit Simulationstechnik, die an eine Profi-Variante des Hobbysports Lasertag erinnert, üben auf dem gut 23.000 Hektar großen Platz nicht nur deutsche, sondern auch internationale Kräfte – mit kontinuierlich steigenden Teilnehmerzahlen, so Diehl. Wenn der Oberst von Übungen mit internationalen Kräften redet, meint er Streitkräfte von Nato-Partnern. Und: Diehl erzählt, dass die Zahl der Übungen und Manöver nie so hoch war wie jetzt. Auch das: eine Folge der "Zeitenwende".

Und nicht nur die Zahl, auch die Intensität der Übungen hat sich laut Diehl seit der "Zeitenwende" geändert: Während Soldatinnen und Soldaten zuvor darauf vorbereitet wurden, in Gebieten wie Mali oder Afghanistan gegen aufständische Kräfte zu kämpfen, gehe es nun stärker um Landes- und Bündnisverteidigung. Der Fokus liege auf gemeinsamen Einsätzen größerer Verbände, auch hier mit Partnern verschiedener Nato-Nationen.

Die Bundeswehr im GüZ in der Altmark stelle sich darauf ein, gegen einen gleichwertigen Gegner zu kämpfen, der sich immer weiter entwickle, erklärte Diehl. "Und wenn wir in die Ukraine schauen, sehen wir, wie momentan das Gefecht läuft und ziehen unsere Lehren daraus." Das solle schnell in die Übungen einfließen, die man dementsprechend anpasse.

So haben die Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter bei der vergangenen Bundestagswahl im Jahr 2021 gewählt – mehr Details dazu finden Sie im MDR-Wahlarchiv:

Oberst zur Wehrpflicht: "Wenn der politische Wille da ist, dann werden wir es umsetzen"

Diehl sieht die Bundeswehr aktuell auf einem guten Weg und stellt sowohl aus der Politik als auch aus der Gesellschaft stärkeren Rückhalt fest. "Natürlich hat, glaube ich, jeder verstanden, unabhängig von welcher Partei, auch in den verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft, dass wir in die Bundeswehr und so in die Sicherheit unseres Landes investieren müssen. Ich wünsche mir, dass wir auf diesem Weg weitergehen."

Natürlich hat [...] jeder verstanden, [...] dass wir in die Bundeswehr und so in die Sicherheit unseres Landes investieren müssen.

Heiko Diehl Oberst der Bundeswehr und Dienststellenleiter im GüZ

Wie er persönlich zur Wehrpflicht steht, dazu äußert der Oberst sich nicht. "Wenn die Politik von uns möchte, dass wir die Wehrpflicht wieder einführen, dann müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen", sagt Diehl. Mit den aktuellen Plänen, junge Menschen für den Wehrdienst zu registrieren, würde die Bundeswehr bereits die Kapazitäten für die Ausbildung erhöhen. Um Beschlüsse umzusetzen, die darüber hinaus gehen, brauche man Zeit und Ressourcen zur Vorbereitung. "Aber wenn der politische Wille da ist, dann werden wir es umsetzen."

Ein Mann mit braunen Haaren und braunen Pullover auf der linken Bildhälfte salutiert mit einem skeptischen Blick und hochgezogener Augenbraue. Auf der rechten Bildseite befinden sich zwei uniformierte Soldaten mit Helm und Gewehr vor einer Rauchwolke. 30 min
Past Forward: Muss ich in den Krieg? Bildrechte: MDR
30 min

Zwischen Frieden und Pflicht: Erik Koszuta erkundet in einer neuen Folge von "Past Forward" die Bedeutung der Wehrpflicht und die Realitäten des Krieges. Würden junge Menschen ihre Heimat verteidigen?

Past Forward Mi 04.09.2024 21:15Uhr 30:24 min

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Zahl der Rekruten aus Sachsen-Anhalt gestiegen

In Sachsen-Anhalt haben sich in den Jahren 2019 bis 2023 jeweils mehrere Hundert Menschen freiwillig entschieden, zur Bundeswehr zu gehen. Seit der russischen Invasion in die Ukraine stieg die Zahl nach Angaben der Bundeswehr an, liegt aber noch unter dem Niveau von 2019.

Hinzu kommen jährlich Tausende Menschen, die einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren. In Sachsen-Anhalt haben sich 2024 im Monatsschnitt mehr als 1.500 sogenannte Bufdis zivilgesellschaftlich engagiert, etwa in Kindergärten, Krankenhäusern oder im Naturschutz. Die Zahlen stammen vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben – und sind entgegen des bundesweiten Trends zuletzt gestiegen.

Menschen helfen anderen Menschen - Beispiele aus dem Bundesfreiwilligendienst 1 min
Bildrechte: BMFSFJ/Bertram Hoekstra
1 min

In Sachsen-Anhalt gab es 2024 etwas mehr Bufdis als noch im Jahr zuvor.

MDR SACHSEN-ANHALT So 19.01.2025 15:00Uhr 00:27 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/audio-statistik-bundesfreiwillige-100.html

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Laut Stimmungsbild doppelt so viele Wehrpflicht-Befürworter wie -Gegner

Ob die Wehrpflicht reaktiviert werden sollte, wollte auch das Team des MDR-eigenen Meinungsbarometers MDRfragt wissen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der rund 6.000 Befragten aus Sachsen-Anhalt sind für eine Rückkehr der Wehrpflicht. Der Anteil derjenigen, die gegen eine Reaktivierung der Wehrpflicht sind, ist halb so groß. Die Ergebnisse von MDRfragt sind auch dank der hohen Teilnehmendenzahl aussagekräftig für die Stimmungslage im Sendegebiet, aber nicht repräsentativ.

Weniger eindeutig fällt das MDRfragt- Stimmungsbild mit Blick darauf aus, ob eine mögliche reaktivierte Wehrpflicht wieder nur für Männer – oder gleichermaßen für Männer und Frauen gelten sollte: Rund die Hälfte (51 Prozent) der sachsen-anhaltischen Befragten wäre dafür, dass die Wehrpflicht für Männer und Frauen gleichermaßen gilt. Nur etwas weniger, nämlich vier von zehn Befragten, fände es besser, wenn weiterhin nur Männer herangezogen werden. Ein Zehntel positioniert sich in dieser Frage nicht.

Positionen aus Sachsen-Anhalt zur Wehrpflicht: Wenn, dann gleichberechtigt

In den Wahlprogrammen der Parteien zur Bundestagswahl gibt es unterschiedliche Positionen zur Wehrpflicht, von Wiedereinführung über freiwillige Dienste bis zu Ablehnung. Der 18-jährige Adrian aus Osterwieck, der in einer Wehrpflicht Perspektiven für junge Menschen sieht, und Marc Zager, der Erzieher aus Augsdorf, der eine Pflicht ablehnt, haben trotz ihrer gegensätzlichen Haltungen einen gemeinsamen Standpunkt: Die Gesetze sollten für Männer und Frauen gleichermaßen gelten.

"Wenn, dann jede und jeder", meint Marc Zager, "Auch Frauen können Wehrdienst leisten. Wir haben ja auch in den vergangenen Jahren gesehen, dass Frauen, die bei der Bundeswehr sind, einen guten Job machen." Für diese Gleichberechtigung müsste die neue Bundesregierung nicht nur Gesetze zum Wehrdienst ändern, sondern das Grundgesetz.

Wie wollen die Parteien Deutschland gestalten? Hintergründe zu den Wahlprogrammen finden Sie hier.

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MDR (Beatrix Heykeroth, Cynthia Seidel, Maren Wilczek, Franziska Höhnl)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 02. Februar 2025 | 19:00 Uhr

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