Partei um Sahra Wagenknecht BSW: "Wir wollen keine Linke 2.0 sein, sondern eine wirkliche Alternative"

02. August 2024, 14:38 Uhr

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – da sind sich die politischen Beobachter einig – wird bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen mitentscheiden, wer regieren wird. Auch in Sachsen-Anhalt erfährt die Partei viel Zuspruch: Bei den Europawahlen wurde sie aus dem Stand drittstärkste Kraft. Dabei gibt es in Sachsen-Anhalt weder Büros noch Vorsitzende, auch Beitrittswillige werden vertröstet. Wie aber kann die Gruppe ohne Basis und regionale Verankerung so erfolgreich sein?

MDR-Reporter André Damm
Bildrechte: André Damm

160.000 – das ist eine Zahl, die erstaunt. Denn etwa 160.000 Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter machten bei der zurückliegenden Europawahl vom 9. Juni ihr Kreuz beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Damit hievten sie das erst im Januar gegründete Bündnis auf Anhieb auf Platz drei, gleich hinter CDU und AfD.

BSW: 30 Mitglieder in Sachsen-Anhalt

Dabei ist Sachsen-Anhalt für das BSW, was Parteistrukturen angeht, ein unbeschriebenes Blatt. Florian Thomas, ein 25-jähriger Lehramtsstudent aus Wittenberg, war beim Gründungsparteitag in Berlin dabei, gehörte zu den 13 ersten Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt. Inzwischen zählt das Bündnis im Land 30 Mitstreiter.

Ein Wahlplakat mit dem Gesicht von Sahra Wagenknecht.
Etwa 160.000 Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter stimmten bei der Europawahl für das BSW. Bildrechte: MDR/Engin Haupt

"Ich bin gerade dabei, für die Region Ost Strukturen aufzubauen", sagt Thomas. "Das sind die Landkreise Wittenberg und Anhalt-Bitterfeld sowie Dessau-Roßlau." Er verteile Flyer, suche aber auch das Gespräch mit Interessenten, die in die Partei aufgenommen werden wollen. "Der Zuspruch ist unglaublich gut", sagt Thomas. Natürlich muss er dann immer erklären, warum das BSW auf einen ganz langsamen Parteiaufbau setzt. Dazu gehöre auch die Aufnahme neuer Mitglieder.

Bundesvorstand des BSW entscheidet über neue Mitglieder

Das Verfahren, erklärt der Wittenberger, sei nicht kompliziert, aber ausschließlich online möglich. Über die BSW-Webseite könne man seine Kontaktdaten hinterlassen und einen Aufnahmeantrag stellen. Über den entscheide immer der Bundesvorstand.

Diesen Weg nehme man bewusst, so Thomas: "Damit vermeiden wir Konflikte, wie wir sie bei der AfD gerade sehen oder bei den Linken, die sich immer weiter spalten. Wir wollen wissen, wer zu uns kommt." Die meisten Bürger hätten für das Vorgehen Verständnis.  

Thomas besaß früher selbst das Parteibuch der Linken, war Mitglied des Wittenberger Stadtrates. Etliche Monate vor der Kommunalwahl wechselte er zum Bündnis Sahra Wagenknecht und musste die Fraktion verlassen. Heute sagt er: "Es ist eine spannende Zeit, ich bereue meinen Schritt überhaupt nicht."

Landesverband soll im September gegründet werden

Eine ähnliche Einstellung hat ein anderer Lehramtsstudent: John Lucas Dittrich aus Magdeburg. Der erst 19-Jährige ist Landeskoordinator für Sachsen-Anhalt, quasi der Landeschef, wenn es einen Landesverband denn geben würde. "Am 7. September werden wir den Landesverband gründen, mit zunächst bis zu 40 Parteimitgliedern."

Dann werde man auch daran gehen, Strukturen aufzubauen. Dazu gehören Büros und hauptamtliche Mitarbeiter. Dittrich findet nicht, dass dies beim BSW zu lange dauert. "Wenn wir uns die AfD anschauen, die haben zwei bis drei Jahre gebraucht. Dagegen sind wir schnell."

BSW-Hochburgen: Magdeburg, Jerichower Land und die Altmark

Aktuell werde das Bündnis von etwa 1.000 Bürgern unterstützt, die Hälfte von ihnen bemühe sich um eine Parteimitgliedschaft, so der Landeskoordinator. Hochburgen sind derzeit Magdeburg, das Jerichower Land und die Altmark. In Halle habe man noch Reserven, aber man stehe "ja erst am Anfang".

Wir wollen dort deutlich machen, dass wir keine Linke 2.0 sind, sondern eine wirkliche Alternative.

Florian Thomas, BSW-Mitglied aus Wittenberg

Dass das BSW – ohne regional verankert zu sein, ohne politische Erfolge vorweisen zu können – derart gut in der Bevölkerung ankomme, stimme ihn zuversichtlich, sagt Dittrich. Deshalb werde man den Schwung für die Ost-Wahlkämpfe nutzen. In Thüringen und Sachsen tritt die Wagenknecht-Truppe erstmals bei Landtagswahlen an. "Wir leisten dort Schützenhilfe", bestätigt das Wittenberger BSW-Mitglied Thomas. "Wir wollen dort deutlich machen, dass wir keine Linke 2.0 sind, sondern eine wirkliche Alternative."

CDU-Politiker: "Ein einziges Dilemma"

Für Parteienforscher steht fest, dass vor allem ein Thema bei der potentiellen BSW-Klientel zieht: die Sorge vor einem Krieg in Europa, in den Deutschland mit hingezogen wird. Die in Aussicht stehenden Stimmengewinne machen das Bündnis Sahra Wagenknecht, obwohl es in Sachsen-Anhalt gerade erst im Entstehen ist, bereits zu einem ernsthaften politischen Gegner. Einflussreiche Christdemokraten schauen schon mit Sorge auf das Jahr 2026.

Ein Spitzenpolitiker der CDU, der nicht genannt werden will, spricht von einem einzigen Dilemma. Denn der CDU könnten die Koalitionspartner abhandenkommen. Die SPD schrumpft, FDP und Grüne sind möglicherweise nicht mehr im Landtag vertreten und mit der AfD und den Linken wolle man nicht koalieren. Blieben nur die politischen Nobodys vom BSW, mit denen die Christdemokraten wenig gemein haben, die sie aber wohl nicht mehr ignorieren können.

MDR (Cornelia Winkler), zuerst veröffentlicht am 01.08.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 31. Juli 2024 | 19:00 Uhr

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