Schwangerschaftsabbrüche "Besorgniserregende Zahlen": Immer weniger Kliniken ermöglichen Abtreibungen
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24. Juli 2024, 05:00 Uhr
In Sachsen-Anhalt gibt es 22 Krankenhäuser, die eine Abteilung für Frauenheilkunde haben. Einen Schwangerschaftsabbruch führen jedoch nur 14 der Kliniken durch, zwei weniger als noch im vergangenen Jahr. Im Salzlandkreis gibt es gar kein Krankenhaus mehr, in dem eine Abtreibung möglich ist.
- Die Zahl der Krankenhäuser und ambulanten Praxen, die Abtreibungen durchführen, sinkt in Sachsen-Anhalt.
- Dabei gibt es genug Frauenärztinnen und -ärzte: Die gesetzlichen Vorgaben zur Versorgung werden sogar übererfüllt.
- Der Landesfrauenrat findet die stetig abnehmenden Zahlen, landes- und bundesweit, besorgniserregend.
Es gibt immer weniger Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen durchführen – in Sachsen-Anhalt sind es derzeit 30. Das gibt die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA) an. Die Entwicklung folgt damit dem bundesdeutschen Abwärtstrend.
14 von 22 Krankenhäusern in Sachsen-Anhalt führen Abtreibung durch
Seit 2022 haben sieben Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, die über eine Genehmigung verfügen, Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu können, ihre Tätigkeit in Sachsen-Anhalt beendet, drei kamen seitdem hinzu.
Wie viele Ärztinnen und Ärzte führen Schwangerschaftsabbrüche durch?
Nach Angaben der KVSA waren im August 2022 34 ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte im Land Sachsen-Anhalt berechtigt, Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu können. Zum Ende des Jahres 2022 waren es 33, mittlerweile (Stichtag 2. Juli 2024) sind es 30.
In Sachsen-Anhalt gibt es 37 anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Diese Zahl hat sich seit 2022 nicht verändert.
Die Bundesärztekammer hat online eine Liste, die Ärztinnen und Ärzte sowie Kliniken und sonstige Einrichtungen listet, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die Aufnahme in die Liste ist freiwillig, sie ist daher nicht vollständig.
Altmarkkreis Salzwedel | 1 |
Anhalt-Bitterfeld | 2 |
Börde | 5 |
Halle | 3 |
Jerichower Land | 4 |
Magdeburg | 8 |
Mansfeld-Südharz | 0 |
Salzlandkreis | 2 |
Stendal | 3 |
Wittenberg | 2 |
Gesamt | 30 |
Quelle: Arztregister der KVSA |
Von 22 Krankenhäusern, die eine Haupt- oder Belegabteilung für Frauenheilkunde haben, führen 14 Schwangerschaftsabbrüche durch. 2023 waren es noch 16. Im Salzlandkreis gibt es 2024 keine Klinik mehr für betroffene Frauen, im Jahr davor waren es zwei.
2022 | 2023 | 2024 | |
---|---|---|---|
Altmarkkreis Salzwedel | keine Daten | 1 | 1 |
Stendal | - | 1 | |
Magdeburg | 2 | 3 | |
Jerichower Land | 1 | 1 | |
Salzlandkreis | 2 | - | |
Harz | 2 | 2 | |
Mansfeld-Südharz | 1 | 1 | |
Halle | 1 | 1 | |
Saalekreis | 1 | 1 | |
Burgenlandkeis | 2 | 1 | |
Anhalt-Bitterfeld | 2 | 1 | |
Dessau-Roßlau | 1 | 1 | |
Gesamt | 16 | 14 | |
Quelle: Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt |
An Frauenärztinnen und -ärzten fehlt es in Sachsen-Anhalt insgesamt aber nicht. Die gesetzlichen Vorgaben zur Versorgung werden sogar übererfüllt. Das geht aus der Antwort einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung hervor.
Grüne: "Katastrophe für das Land und die hier lebenden Frauen"
Die stetig sinkenden Zahlen seien "eine Katastrophe für das Land und die hier lebenden Frauen", sagt Susan Sziborra-Seidlitz, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion. Sie hat die Kleine Anfrage an die Landesregierung zum Thema Schwangerschaftsabbrüche gestellt.
Nicht alle darin gestellten Fragen von Sziborra-Seidlitz konnten beantwortet werden. Über Erreichbarkeit und zumutbare Wegezeiten lägen zum Beispiel "keine Anhaltspunkte vor, um zu der Ansicht zu gelangen, dass die Sicherstellung der Versorgungssituation für ungewollt Schwangere im Land Sachsen-Anhalt nicht ausreichend sei", heißt es.
Das Gegenteil sei aber der Fall, sagt Susan Sziborra-Seidlitz. Man schaue tatenlos zu, wie sich die Versorgungslage Jahr für Jahr verschlechtere. Es müsse sicher sein, dass in den Kliniken und Praxen in Sachsen-Anhalt Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt und im Rahmen der Fachärzte-Ausbildung erlernt werden können, fordert sie außerdem. Studierende, die eine mangelhafte Ausbildung beklagen, müssten ernst genommen werden.
Frauen-Rat: Zahlen sind "besorgniserregend"
Der Frauen-Rat in Sachsen-Anhalt beschreibt die aktuellen Zahlen als besorgniserregend: "Jede Einengung des Zugangs ist einer Diskriminierung betroffener Frauen gleichzusetzen."
Michelle Angeli, Vorsitzende des Frauen-Rats, geht auf die Ausbildungs-Situation ein: "Dass studentische Initiativen wie die "Medical Students for Choice" in Halle Workshops zum Thema Schwangerschaftsabbrüche in Selbstorganisation durchführen müssten, weil die Ausbildung zu diesem Thema ungenügend sei, dürfe nicht zum Normalzustand werden.
Vor allem die Kriminalisierung von Abbrüchen sei nicht nachzuvollziehen, sagt Dr. Jana Maeffert, und führe letztlich zu den beklagten Lücken bei der Versorgung. Maeffert setzt sich mit dem Verein "Doctors for Choice" für die Streichung des Paragrafen 218 ein.
Geteilte Reaktionen aus der Politik
Dass Paragraf 218 gestrichen werden sollte, schreibt auch Dr. Heide Richter-Airijoki von der SPD. Sie bewertet die Zahlen aber als "stabil" und findet, in Sachsen-Anhalt sei die Lage "gut bis sehr gut".
Paragraf 218 Nach der aktuell gültigen Regelung nach Paragraf 218 ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig. Er bleibt aber straffrei, wenn er innerhalb der ersten drei Monate und nach einer Konfliktberatung durchgeführt wird. Nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung ausdrücklich, wenn "eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt", schreibt der Gesetzgeber.
Die Linken-Politikerin Nicole Anger sieht das anders. Sie nennt die Versorgungslage im Land gerade in den ländlichen Regionen "desolat". Schwangerschaftsabbrüche müssten ein normaler Teil der gesundheitlichen Versorgung werden – ohne Zwangs-Beratung und Wartepflicht, findet Anger.
Aus den diesjährigen Debatten ließe sich keine Versorgungs-Knappheit schließen, schreibt hingegen Gordon Köhler, familienpolitischer Sprecher der AfD.
Die FDP betont als Reaktion ihre Werte "Selbstbestimmung, Freiheit und Eigenständigkeit" und dass jede Frau niedrigschwelligen Zugang zu medizinischer Versorgung und Beratung haben sollte. Von der CDU heißt es, die Entfernung für einen Abbruch solle weiterhin zumutbar gehalten werden. Niemand solle gezwungen sein, dafür in ein anderes Bundesland zu reisen.
Bundesweite Debatte um Paragraf 218
Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission empfiehlt die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und fordert neben Präventionsangeboten und kostenfreier Beratung den gut erreichbaren, barrierefreien und zeitnahen Zugang zu Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Auch das Parlament der Europäischen Union hat sich für die Aufnahme des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in die Grundrechte-Charta der EU ausgesprochen.
MDR (Nastassja von der Weiden)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 24. Juli 2024 | 05:00 Uhr
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