Femizid in Bad Lauchstädt Experte erhebt schwere Vorwürfe gegen Waffenbehörde
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Von Daniel Salpius, MDR SACHSEN-ANHALT
22. März 2023, 09:02 Uhr
In der vergangenen Woche hatte der Saalekreis Fehler seiner Waffenbehörde in Bezug auf den Femizid in Bad Lauchstädt ausgeschlossen. Um dem Sportschützen seine Waffen zu entziehen, hätte es einer rechtskräftigen Verurteilung bedurft, so das Argument. Für den Waffenexperten Lars Winkelsdorf ist das Unfug.
- Im Fall des Femizids von Bad Lauchstädt kommt ein Experte zu dem Schluss, dass die zuständige Behörde den Täter hätte entwaffnen müssen.
- Der Saalekreis weist die Schuld von sich, aber mehrere Experten widersprechen. Unter anderem, weil der mutmaßliche Täter die Frau schon vorher bedroht hatte.
- Landtagspolitiker kritisieren das Vorgehen des Saalekreises ebenfalls.
Nach den tödlichen Schüssen auf eine Frau in Bad Lauchstädt am 8. März wird die Kritik an der Waffenbehörde des Saalekreises breiter und lauter. Anders als vom Saalekreis in der vergangenen Woche per Pressemitteilung dargestellt, hätte die Behörde den Ex-Mann des Opfers und späteren mutmaßlichen Täter womöglich doch rechtzeitig vor der Bluttat entwaffnen können.
Zu dieser Einschätzung kommt jedenfalls der Waffenexperte Lars Winkelsdorf. Wie die Pressemitteilung des Saalekreises zeigt, hätten alle notwendigen Informationen und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein Waffenverbot gegen den 61-Jährigen zur Verfügung gestanden, sagte er MDR SACHSEN-ANHALT.
Winkelsdorf, der als Journalist für das ZDF Investigativ-Magazin "Frontal" oder die Tagesschau gearbeitet hat und auch schon als Sachverständiger beim Thema Waffenrecht für den Innenausschuss des Bundestages tätig war, geht sogar noch weiter: Aus seiner Sicht hätte die Waffenbehörde sogar zwingend einschreiten müssen.
Das ist in Bad Lauchstädt passiert ↓
Am Frauentag, am 8. März 2023, war eine 59-jährige Frau in ihrer Wohnung in Bad Lauchstädt mutmaßlich von ihrem Ex-Mann erschossen worden. Als die Polizei eintraf, schoss der 61-Jährige aus einem Fenster der Wohnung auch in Richtung der Beamten. Ein Sondereinsatzkommando (SEK) verschaffte sich Zugang zur Wohnung und fand die Frau und den Mann mit Schussverletzungen. Mutmaßlich hatte der 61-Jährige erst auf die Frau und dann auf sich selbst geschossen. Beide starben noch am Unglücksort.
Waffenentzug nur bei rechtskräftiger Verurteilung?
Rückblick: Nachdem sich die Hinweise auf ein Polizei- und Behördenversagen beim Femizid von Bad Lauchstädt verdichteten, schloss der Saalekreis in der vergangenen Woche Fehler seiner Waffenbehörde per Pressemitteilung aus.
Die Behörde sei über die Bedrohung der Frau durch den Sportschützen und Waffenbesitzer am 1. Februar von der Polizei informiert worden. "Bei der gemeldeten Tat ging es um eine Gefährdungssituation im Straßenverkehr im Rahmen eines Beziehungsstreites", präzisierte der Kreis.
Mehrere Medien berichteten über diesen Vorfall. Der 61-Jährige soll demnach versucht haben, seine Ex-Frau mit dem Auto zu rammen und sie dann aus ihrem Wagen gezerrt haben. Die 59-Jährige ging zur Polizei und sagte nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung dort aus, dass ihr Ex-Mann legal mehrere Waffen besitze und sie daher Angst vor ihm habe.
Waffenexperte: "Straßenverkehrsdelikt hätte ausgereicht"
Genau diese Information, also der Waffenbezug der Bedrohung, habe der Waffenbehörde allerdings gefehlt, argumentierte der Saalekreis. Außerdem sei der Mann regelmäßig ohne Beanstandungen auf seine "waffenrechtliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung" kontrolliert worden. Für ein Waffenverbot hätte, so der Saalekreis, "eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat, wegen einer fahrlässigen Straftat mit Waffenbezug oder wegen eines Verstoßes gegen die Waffengesetze vorliegen" müssen. Da es keine Verurteilung gab, habe man keine Unzuverlässigkeit des Mannes feststellen können.
Da wird versucht, sich aus der Schuld zu stehlen.
Dieser Darstellung widerspricht Waffenexperte Winkelsdorf vehement. "Es ist erkennbar falsch, dass eine Verurteilung vorliegen müsste. Da wird versucht, sich aus der Schuld zu stehlen." Und: "Die Kenntnis von der Bedrohung und dem Straßenverkehrsdelikt hätten ausgereicht, um den Mann zu entwaffnen." Der Experte nennt hier Paragraf 5 des Waffengesetzes. Demnach sind Personen nicht zuverlässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Waffen missbräuchlich verwendet werden. Laut Winkelsdorf war dies im Fall Bad Lauchstädt gegeben.
Mit dem Paragrafen 41 gebe es sogar noch eine weitere Stelle im Waffengesetz, die ein Waffenverbot ermöglicht hätte, so Winkelsdorf. Dort heißt es, dass Waffen entzogen werden können, soweit es zur Verhütung von Gefahren für die Sicherheit geboten ist.
Nach Femizid: Politiker sprechen von Behördenversagen
Auch unter Landespolitikern mehren sich Zweifel an der Darstellung des Saalekreises. Dass die Behörde den Waffenentzug an eine Verurteilung knüpfe, sei irritierend, sagte etwa der innenpolitische Sprecher der FDP im Landtag, Guido Kosmehl, am Montag in Magdeburg. "Die Zuverlässigkeit kann man schon viel früher in Zweifel ziehen", erklärte er. Um den Fall jedoch in Gänze bewerten zu können, fehle ihm bislang noch der Gesamtüberblick beim Thema.
Zuvor hatte in der vergangenen Woche schon die Fraktion "Die Linke" Zweifel am Vorgehen der Waffenbehörde geäußert. "Was die zuständige Waffenbehörde des Saalekreises aktuell zu dem tragischen Femizid veröffentlicht hat, überzeugt in keiner Weise. Selbstverständlich bestanden bereits vor der Tat Zweifel an der Zuverlässigkeit des Täters", teilte die innenpolitische Sprecherin Henriette Quade per Pressemitteilung mit. Das Waffengesetz biete die Möglichkeit einzugreifen.
"Dass der Saalekreis schon jetzt eigene Fehler bei der waffenrechtlichen Überprüfung des Mannes ausschließt, ist angesichts der vorliegenden Erkenntnisse befremdlich", sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Sebastian Striegel in der vergangenen Woche.
Keine Fehler: Saalekreis bleibt bei seiner rechtlichen Auffassung
Trotz der Vorwürfe bleibt der Saalekreis auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT bei seiner Einschätzung. "Die Waffenbehörde hat umgehend nach Kenntnis der Anzeige die rechtlich möglichen Schritte durchgeführt", teilte die Dezernentin für Kreisentwicklung Christina Kleinert am Dienstag mit. Nach der Zuverlässigkeitsprüfung durch die Waffenbehörde habe sich kein Tatbestand ergeben, um die Waffenerlaubnis zurückzunehmen oder zu widerrufen. Wie Kleinert zudem bestätigte, liefen derzeit umfassende Ermittlungen des Innenministeriums und des Landesverwaltungsamtes.
Kritik gibt es beim Fall weiterhin auch an der Polizei. Das spätere Opfer hatte in den Wochen vor der Tat mehrfach Hilfe gesucht. Am 1. Februar erstattete sie Anzeige gegen ihren Ex-Mann. Eine Gefährderansprache durch die Polizei noch am selben Tag scheiterte, weil die Polizisten den Mann nicht antrafen. Der Versuch einer zweiten Gefährderansprache unterließ die Polizei. Warum wird jetzt "kritisch nachbereitet". Die 59-Jährige selbst wurde an eine Beratungsstelle verwiesen.
Femizid beschäftigt den Landtag
Das Thema wird am Donnerstag auch den Landtag beschäftigen. Die Linke hat einen Antrag zur Verschärfung des Waffenrechts angekündigt. Deren parlamentarischer Geschäftsführer Stefan Gebhardt sagte am Montag, es sei im völlig unerklärlich, warum jemand Waffen bei sich zu Hause lagere.
Die Idee, eine bedrohte Frau ins Frauenhaus zu schieben, statt den Mann entwaffnen, ist abwegig.
Für die übrigen Parteien im Landtag hängt die Gewalttat eher weniger mit einem zu laschen Waffenrecht zusammen, sondern mit einem Behördenversagen. "Die Idee, eine bedrohte Frau ins Frauenhaus zu schieben, statt den Mann entwaffnen, ist abwegig", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Rüdiger Erben, am Montag in Magdeburg.
Wahrscheinlich ist, dass der Linken-Antrag in den Innenausschuss verwiesen wird. Dort soll das Innenministerium auf Antrag der Grünen über den Kenntnisstand beim Fall informieren.
MDR (Daniel Salpius) | Erstmals veröffentlicht am 21.03.2023
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 21. März 2023 | 17:00 Uhr
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