Medizinische Versorgung in Havelberg "Wurden jahrelang belogen": eine ehemalige Krankenschwester gibt nicht auf
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23. Februar 2025, 16:33 Uhr
Die finanzielle Situation viele Krankenhäuser sieht nicht rosig aus. Einige stehen vor dem Aus. Im Landtag von Sachsen-Anhalt wurde in dieser Woche darüber diskutiert. Was es bedeutet, dass ein Krankenhaus schließt, haben die Menschen in Havelberg erlebt. Selbst der Kampf um eine medizinische Grundversorgung ist zäh. Trotzdem: Der Verein Pro Krankenhaus Havelberg wird auch nach fünf Jahren nicht müde. Eine die von Anfang an dabei ist, ist die ehemalige Krankenschwester Sandra Braun.
Das Thermometer zeigt minus acht Grad Celsius an. Die Wangen sind rot. Der Atem wird zu Qualm. Sandra Braun und eine Hand voll Mitstreiter vom Verein "Pro Krankenhaus Havelberg" harren vor der Geschäftsstelle der landeseigenen Krankenhausgesellschaft Salus in Magdeburg aus. Mahnwache ist angesagt. Den ganzen Tag über will die Havelberger Delegation ausharren. Eine zweite Gruppe des Vereins steht heute vor dem Sozialministerium.
"Wir wollen denen den Spiegel vorhalten", sagt Sandra Braun und beantwortet damit die Frage, warum sie und ihre Mitstreiter auch fünf Jahre nach der Schließung ihres Krankenhauses in Havelberg nicht nachlassen mit ihrem Protest. "Wir wurden Jahre lang belogen", sagt sie. "Es wurde immer wieder alles rausgezögert."
Der Kampf um die medizinische Versorgung
Dass sie ihr Krankenhaus nicht zurückbekommen können, ist allen klar. Ihnen geht es um eine medizinmische Grundversorgung. Ein kleines medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Für einen Arztbesuch müssen sie jetzt weit fahren, ins brandenburgische Kyritz, nach Seehausen oder nach Stendal. Eine Stunde Fahrzeit ist das allemal.
Sandra Braun hat 38 Jahre lang im Havelberger Krankenhaus gearbeitet, als Betriebsrätin organisierte sie von Anfang an den Protest. Mit einer "aktiven Mittagspause" ging es los. Es wurde auf der Straße gesungen und laut gegen die Schließungspläne der KMG-Kliniken protestiert. "Wir waren immer eine große Familie", sagt die 60-Jährige heute. Sie selbst hatte gleich nach der Schule eine Lehre begonnen und arbeitet dann als Krankenschwester. "Ein Traumberuf", sagt sie. Bei allen saß der Schock tief, als der Gesundheitskonzern im Januar 2020 ankündigte, noch im selben Jahr das Krankenhaus in ein Seniorenheim umzuwandeln.
Protest ohne Erfolg
Zeitweise konnten Hunderte Havelberger für Proteste auf die Straße geholt werden. Am Ende ging dann alles schnell. Die Mitarbeiter wurden gekündigt und neun Monate später wurde das Krankenhaus abgewickelt. Was viele bis heute stört: Aus dem Krankenhausstrukturfonds gab es 7,3 Millionen Euro für die Schließung noch obendrauf. Und das für ein Krankenhaus, das Jahrzehnte lang immer wieder mit Fördergeld vom Land erweitert und modernisiert worden war. "Da hat sich das Land über den Tisch ziehen lassen", sagt der Vorsitzende Holger Schulz von "Pro Krankenhaus Havelberg".
Sandra Braun fand damals eine neue Arbeit, zeitweise in der Altenpflege wie sehr viele ihrer Kolleginnen auch. Heute arbeitet sie bei der Berufsbildungsakademie Altmark (BBA) in Stendal. "Das ist das Beste, was mir passieren konnte", sagt sie rückblickend. Einerseits könne sie ihre berufliche Erfahrung weitergeben, andererseits bleibe ihr die harte körperliche Arbeit in der Pflege erspart. Die eigene gute berufliche Perspektive lässt sie aber in ihrem Protest nicht nachlassen. "Wir können doch jetzt nicht aufgeben", sagt sie. Vereinschef Holger Schulz bewundert ihr Engagement. "Eine Zeitung hat sie mal als ewige Revoluzzerin bezeichnet", sagt er mit einem Schmunzeln. "Das hängt ihr bis heute an."
Die Havelberger setzten 2020 alle Hebel in Bewegung, schalteten den Stendaler Kreistag an und sprachen mit Landespolitikern und vor allem auch mit Ministerin Petra Grimm-Benne (SPD) und der Spitze der landeseigenen Salus gGmbH. Die Schließung war nicht zu verhindern. Schon bald richteten sich die Forderungen auf einen Ausgleich in der medizinischen Versorgung – bis heute.
"Lauter" Protestverein mit Kreativität
Der Havelberger Bürgermeister Matthias Bölt (parteilos) nimmt die Protestgruppe als "laut" und im Land "wohl auch etwas gefürchtet" wahr. "Sie sind aber auch der Grund, warum wir auf politischer Ebene überhaupt noch über das Thema reden", sagt er. Der Verein sei kreativ und immer auch konstruktiv. "Sie haben sich ja selbst auch um Ärzte bemüht, sie hier nach Havelberg zu bekommen."
"Es gab schon so viele Versprechungen, immer wieder sollte es losgehen, passiert ist aber nichts", sagt Sandra Braun. Schon vor dreieinhalb Jahren hatte Ministerin Grimm-Benne im Rathaus von Havelberg angekündigt, ein Medizinisches Versorgungzentrum mit einigen Fachärzten eröffnen zu wollen. Es war die Rede von einem Modellprojekt für die ländliche Region.
Keine Verträge für neue Ärzte
Eingerichtet werden sollte das MVZ in ungenutzten Räumen des ehemaligen Krankenhauses. Doch gelang es der Salus nach eigenen Angaben nicht, Ärzte vertraglich zu binden. "Wir haben denen mehrere Ärzte besorgt, die bereit waren, nach Havelberg zu kommen", sagt Holger Schulz. Verträge seien aber nicht zustande gekommen.
Im Januar nun hieß es, dass die Salus künftig einen Arzt vom nächstgelegenen Salus-Krankenhaus in Seehausen stundenweise für eine chirurgische Sprechstunde nach Havelberg entsenden werde. Alles sei rechtlich mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abgesichert, sagte Salus-Geschäftsführer Jürgen Richter. Doch bedauerlicherweise stünden die Räume im KMG Seniorenheim nun doch nicht zur Verfügung. "Die haben Eigenbedarf angemeldet", so Richter.
Der Protest geht weiter – auch bei Eiseskälte
Die Transparente des Vereins "Pro Krankenhaus" sind längst angepasst, als die Protestgruppe unlängst Mitte Februar vor der Salus-Geschäftsstelle protestiert: "Die Salus kann keinen Arbeitsvertrag! Salus kann keinen Mietvertrag! Salus kann nur hinhalten", steht dort zu lesen. Bei Eiseskälte lässt es sich Salus-Chef Jürgen Richter nicht nehmen, 45 Minuten lang mit den Havelberger zu reden. "Mich ärgert es auch, dass die Sache jetzt an einer derart lapidaren Sache wie einem Mietvertrag hängt", sagt er. Er lobt ausdrücklich das Engagement des Vereins. Er verspricht, dran zu bleiben. Landtagspolitiker Wulf Gallert (Linke) ist mit einer kleinen Kuchenlieferung kurzfristig dazugestoßen. "Es wurde schon so viel versprochen, jetzt muss mal geliefert werden", sagt er.
"Wir sind einen Marathon gelaufen und sind jetzt kurz vorm Ziel. Wir müssen weitermachen", sagt der Vereinsvorsitzende Holger Schulz. "Aufgeben ist keine Option mehr", sagt auch Sandra Braun bei aller Skepsis. Nach dem Gespräch mit dem Salus-Chef rollen sie ihre Fahnen ein und wärmen sich erst einmal auf.
MDR (Bernd-Volker Brahms)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 21. Februar 2025 | 19:00 Uhr