Tödliche Schüsse Femizid von Bad Lauchstädt: Innenministerium räumt Behördenfehler ein
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24. März 2023, 16:49 Uhr
Vor dem Femizid von Bad Lauchstädt hätte die Polizei weiter ermitteln und die Abstimmung mit der Waffenbehörde enger ausfallen müssen. Zu dieser Einschätzung kommt Sachsen-Anhalts Innenministerium. Die ermordete 59-jährige Frau hätte womöglich geschützt werden können. Die Polizei selbst reagiert verhalten auf Nachfragen.
- Bereits Wochen vor dem Femizid von Bad Lauchstädt hatte das spätere Opfer seinen Ex-Mann bei der Polizei angezeigt. Sachsen-Anhalts Innenministerium bemängelt nun die polizeilichen Ermittlungen, die die Tat möglicherweise hätten verhindern können.
- Nach Auffassung des Innenministeriums hätten Polizei und Waffenbehörde enger zusammenarbeiten müssen.
- Als Konsequenz aus dem Femizid von Bad Lauchstädt sollen diverse Sofortmaßnahmen ergriffen werden.
Sachsen-Anhalts Innenministerium hat nach den tödlichen Schüssen von Bad Lauchstädt am 8. März Fehler der Behörden im Vorfeld der Tat eingeräumt. Die bisherigen Informationen legten den Schluss nahe, "dass der polizeiliche Umgang mit dem Geschehen hätte anders und vor allem professioneller erfolgen müssen", teilte das Ministerium am Mittwoch mit.
Man sei vor allem der Frage nachgegangen, was unternommen worden war, nachdem das Opfer am 1. Februar 2023 die Polizei eingeschaltet und Anzeige erstattet hatte. Der von der Frau getrennt lebende Ehemann und spätere Täter hatte die 59-Jährige zuvor mit dem Auto verfolgt und versucht, sie aus ihrem Wagen zu ziehen. Seit diesem Zeitpunkt sei der 61-Jährige als Waffenbesitzer bekannt gewesen, so das Ministerium am Mittwoch.
Gefährderansprache hätte wiederholt werden müssen
Aus Sicht des Innenministeriums hatte die Polizei danach nicht genug getan, um die Frau zu schützen. "Das Polizeirevier Saalekreis hätte seit dem 1. Februar vertieft weiter ermitteln, unbedingt die vorgeschriebene Gefährderansprache umsetzen, eine Gefährdungsanalyse treffen und gewonnene Informationen beweissicher dokumentieren müssen."
Das ist eine Gefährderansprache
Eine Gefährderansprache ist eine Präventivmaßnahme der Polizei, bei der diese versucht, vor einer möglichen Straftat das Gespräch mit einem potenziellen Gefährder zu suchen. Hiermit will die Polizei in der Regel die Straftat verhindern und deutlich machen, dass ihr das Gefahrenpotenzial bekannt ist. Gleichzeitig kann die Gefährderansprache dazu dienen, an weitere Informationen zu kommen. Weitere Schritte beinhaltet eine solche Maßnahme erstmal nicht.
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All das passierte nicht. Nach der Aufnahme der Anzeige Anfang Februar sollte eine Gefährderansprache beim 61-Jährigen erfolgen, der jedoch nicht angetroffen wurde. Die Maßnahme sei als Aufgabe an die nächste Schicht übergeben worden, so das Ministerium. "Warum im Nachgang keine Gefährderansprache erfolgte, kann von der Polizeiinspektion Halle bislang nicht aufgeklärt werden", heißt es weiter.
Ministerium widerspricht Saalekreis
Auch bei der Waffenbehörde wurde der Fall nach Einschätzung des Ministeriums nicht mit der nötigen Konsequenz behandelt. Um die waffenrechtliche Eignung zu überprüfen und dem Täter seine Waffen zu entziehen, "wäre es dringend erforderlich gewesen, dass Polizei und Waffenbehörde bei der Gefährdungsbewertung enger zusammengearbeitet hätten."
Die Erkenntnisse des Ministeriums widersprechen aber vor allem der Darstellung des Saalekreises, dass der Waffenbezug der Bedrohungen für die Waffenbehörde nicht deutlich genug gewesen sei. Schriftlich habe die Polizei explizit darauf hingewiesen, dass die Gefahr besteht, dass der Mann seine Waffen missbräuchlich einsetzt. Liegt solch eine Annahme vor, gilt ein Waffenbesitzer nach Einschätzung von Experten laut Waffengesetz (zum Beispiel Paragraf 5) nicht mehr als zuverlässig und kann entwaffnet werden.
Waffenbehörde stufte Täter als zuverlässig ein
Die Waffenbehörde stufte den Mann dennoch als zuverlässig ein. Wie nun aus einer Antwort der Landesregierung an mehrere Landtagsabgeordnete hervorgeht, kam die Behörde zu dieser Einschätzung, weil der Mann die Waffen nicht unmittelbar als Drohmittel eingesetzt hatte. Für eine Entwaffnung hätten unter anderem deshalb die rechtlichen Voraussetzungen gefehlt, teilte der Kreis vergangene Woche per Pressemitteilung mit.
Die Aussagen der Frau bei der Anzeigenaufnahme am 1. Februar fielen offenbar weniger schwer ins Gewicht. Laut Innenministerium hatte die 59-Jährige gesagt, dass der 61-Jährige unter Alkoholeinfluss hochaggressiv sei und sie Angst vor ihm habe. Zudem schilderte sie, dass sie die Befürchtung habe, der Mann könne seine Waffen einsetzen, wenn er volltrunken sei.
Dabei gingen dem Amt laut Innenministerium noch weitere Hinweise zu. So habe das Polizeirevier Saalekreis der Waffenbehörde am 13. Februar ergänzend zwei weitere Sachverhalte mitgeteilt, an denen der 61-Jährige als Tatverdächtiger beteiligt war: eine Strafanzeige vom 19. März 2020 wegen Gewalttätigkeit gegenüber seiner Frau, dem späteren Mordopfer, sowie eine Strafanzeige vom 12. August 2022 wegen einer telefonischen Bedrohung einer anderen Betroffenen.
Wie der Waffenexperte Lars Winkelsdorf MDR SACHSEN-ANHALT bereits am Dienstag sagte, hätte die Waffenbehörde den Mann schon bei geringerem Kenntnisstand entwaffnen können und müssen. Die Behauptung des Saalekreises, dass dafür die Voraussetzung gefehlt hätten, sei erkennbar falsch.
Zieschang: "Es gilt, Waffen schnellstmöglich zu entziehen"
Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) stellte am Mittwoch klar: "Waffen gehören nicht in die Hände von aggressiven, gewalttätigen oder extremistischen Menschen. In solchen Fällen gilt es, diesen ihre Waffen schnellstmöglich zu entziehen." Es sei in jedem Einzelfall entscheidend, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft würden, wenn Anhaltspunkte vorlägen, dass legal besessene Waffen missbräuchlich verwendet werden könnten.
Ob von der Waffenbehörde alle Möglichkeiten eines Waffenentzugs im Fall Bad Lauchstädt ausgeschöpft wurden oder nicht, dazu äußerte sich das Innenministerium als oberste Waffenbehörde Sachsen-Anhalts auf MDR-Nachfrage bislang nicht.
Häusliche Gewalt: Innenministerium kündigt Maßnahmen an
Um Fälle wie in Bad Lauchstädt künftig zu vermeiden, hat das Innenministerium mehrere Maßnahmen angekündigt. Als Sofortmaßnahme sei es nunmehr vorgeschrieben, dass es bei Fällen von häuslicher Gewalt im familiären Umfeld, bei denen Tatverdächtige über Waffen verfügen, verpflichtende Fallkonferenzen zwischen Polizei sowie den zuständigen Behörden gibt. Durch eine engere Zusammenarbeit sollen die Möglichkeiten des Waffenrechts künftig stringent vollzogen werden.
Zudem würden Polizei und Waffenbehörden jetzt landesweit sensibilisiert, wie mit Fällen von häuslicher Gewalt im familiären Umfeld umzugehen sei. Dabei werde auf die bereits bestehenden, umfangreichen Regelungen nachdrücklich hingewiesen. Darüber hinaus werde ein Hochrisikomanagement für Fälle häuslicher Gewalt im familiären Umfeld bei der Landespolizei ab Frühsommer 2023 landesweit eingeführt.
Polizei reagiert verhalten auf Nachfragen
Die Polizeiinspektion Halle selbst reagierte nur teilweise auf die Fragen von MDR SACHSEN-ANHALT zum polizeilichen Vorgehen in Bad Lauchstädt.
Auf die Fragen, warum es zu keiner zweiten Gefährderansprache gekommen ist, welche Fehler die Polizei einräume, wieso auf die Bedrohungslage der Frau nicht oder nur unzureichend reagiert wurde, welche Konsequenzen die Polizei ziehe und wie sie wieder Vertrauen herstellen könne, verwies die Polizeiinspektion auf die Pressemitteilung des Ministeriums.
Auf die Frage, ob Personalmangel Grund für das Vorgehen gewesen sei, antwortete die Polizeiinspektion, sie sei immer einsatzfähig. Zudem sollten sich Menschen, die sich bedroht fühlten, in jedem Fall der Polizei und Hilfsorganisationen anvertrauen. Entscheidend sei, dass Sachverhalte angezeigt würden.
MDR (Daniel Salpius, Leonard Schubert) | Hinweis der Redaktion: Zuerst veröffentlicht am 22.03.2023 um 16 Uhr. Die Reaktion der Polizei wurde am 24.03.2023 ergänzt.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. März 2023 | 07:20 Uhr
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