Zu Unrecht vergessen Wittenberg erinnert an Malerin Thea Schleusner
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30. August 2024, 03:35 Uhr
Überraschungen gibt es immer wieder mal in der Kunstwelt. Da tauchen plötzlich Werke auf, die als verschollen galten oder die einem berühmten Künstler zugeordnet werden. Doch dass mehr als 300 Bilder in einer Ausstellung gezeigt werden, die bislang nur wenigen Menschen bekannt waren, ist tatsächlich ungewöhnlich. Und dann sind Werke der Künstlerin Thea Schleusner auch 60 Jahre nach ihrem Tod noch erschreckend aktuell.
- Die Expressionistin Thea Schleusner ist dem breiten Publikum kaum bekannt – nun werden ihre Werke in Wittenberg groß präsentiert.
- In ihren Gemälden verarbeitete sie die beiden Weltkriege, deren Erfahrung sie tief geprägt haben.
- Schleusner war eine vielseitige Künstlerin, die die Grenzen der Stilrichtungen überschritt.
Am Markt 10 in Wittenberg findet sich ein Hinweisschild auf die Malerin Thea Schleusner, die hier als Tochter eines Theologieprofessors geboren wurde. Im Online-Lexikon Wikipedia kann man lesen, dass Thea Schleusner "eine deutsche Malerin, Illustratorin und Verfasserin von Essays und Reiseimpressionen war".
Wer aber Bilder der Malerin suchte, der hatte bislang kaum eine Chance sie zu studieren. Denn außer ein paar Reproduktionen im Internet waren ihre Arbeiten kaum sichtbar. Dabei zeigt die aktuelle Ausstellung in Wittenberg, dass Thea Schleusners Bildwelten auch sechzig Jahre nach ihrem Tod durchaus bedeutsam sind.
Selbstbewusst und zielstrebig
1879 geboren, gehört Thea Schleusner zu jener Gruppe von Frauen, die frühzeitig ihren eigenen Weg suchen. Dabei wird sie von ihrem Vater unterstützt, der ihre Ausbildung als Künstlerin finanziert. Zunächst geht die junge Frau nach Berlin, später nach Paris, dann nach London und kehrt schließlich nach Berlin zurück. Allzu viel ist über ihre frühen Jahre in Berlin jedoch nicht bekannt.
Reiche Gönner hatte sie nicht, erklärt die Kuratorin der Schau, Monika Kaiser: "Meine Vermutung ist, dass sie ihr Geld mit angewandter Kunst verdient hat – mit Glasmalerei für Kirchen zum Beispiel. Sie hatte aber auch Aufträge für Privathaushalte.“ Thea Schleusner wird Teil der Berliner Großstadtkultur, ist aktiv im Ausdruckstanz und gestaltet Bühnenkostüme. Außerdem ist sie schriftstellerisch tätig, schreibt Reiseberichte und Essays, vor allem für Monatshefte.
Krieg als Trauma
Wer die Ausstellung in Wittenberg besucht, kann die Entwicklung der Künstlerin nachverfolgen. Der erste Weltkrieg scheint eine einschneidende Erfahrung für die junge Frau zu sein, die bereits frühzeitig den Schrecken des Krieges verinnerlicht. In dem Zyklus "Kriegsvisionen", der von 1916 bis 1918 entsteht, zeigt sie ihre Nähe zum Expressionismus. Die intensiven Farben erinnern nicht zufällig an Emil Nolde. Sie lernt den Künstler persönlich kennen und schätzen.
Auch wenn Thea Schleusner künstlerisch sehr aktiv ist, so finden ihre Arbeiten zu Lebzeiten kaum einen Weg in die Museen. Einerseits ist das ein Glücksfall für sie, denn als die Nationalsozialisten die sogenannte entartete Kunst aus den Museen verbannen, bleiben ihre Bilder verschont, da sie in ihrem Atelier lagern. Doch genau das sollte zugleich zum Verhängnis werden, denn am 30. April 1945, in der Nacht ihres 66. Geburtstages wird ihr Atelier bei einem Luftangriff zerstört. Unter Lebensgefahr gelingt es ihr, wenigstens zwei Skizzenbücher zu retten.
Künstlerin der verschollenen Generation
Nach diesem Verlust findet sie die Kraft zum Neuanfang und setzt ihr Lebenswerk fort. Erneut ist es der Krieg, der sie beschäftigt, der "Menschenwahnwitz", wie eines ihrer Werke betitelt ist. Allerdings sind die Zeiten nun künstlerisch andere. Der Kalte Krieg hat Auswirkungen auf das Kunstverständnis. Während unter sowjetischem Einfluss die figürliche Malerei bevorzugt wird, setzt der Westen auf Abstraktion. Grenzgänger haben es auf beiden Seiten schwer.
Kunstsammler Rainer Naser hat sich auf diese figürlichen Grenzgänger spezialisiert. Seit Jahren trägt er die Arbeiten von Thea Schleusner zusammen: "Es geht um die sogenannte verschollene Generation – Künstler, die im Zuge des Wütens der Abstraktion in der frühen Bundesrepublik keine Chance mehr hatten im damaligen Kulturbetrieb." Ohne das Engagement des Privatsammlers Rainer Naser wäre wohl die Ausstellung in Wittenberg nicht zustande gekommen.
Ausstellung an vier Standorten
Die über 300 Arbeiten sind auch aus einem anderen Grund eine Entdeckung, denn die Ausstellung erstreckt sich über vier Stationen in der Lutherstadt. Dabei hat Wittenberg einen weiteren Standortvorteil, denn mit dem "Kriegszyklus" verfügt die Stadt über ein Hauptwerk, das die Bombardierung überlebt hat, weil die Künstlerin diese Arbeit zuvor der Stadt geschenkt hatte.
Für den Leiter der Städtischen Sammlungen, Andreas Wurda, ist die Ausstellung ein Glücksfall: "Wir können jetzt erstmals das Gesamtwerk einer Künstlerin zeigen, die in Wittenberg geboren ist, dank der Sammlung von Rainer Naser.“ Inzwischen hat der Sammler die Naser-Stiftung der (wieder) entdeckten Kunst gegründet, mit Sitz in der Lutherstadt Wittenberg. Das lässt auf weitere Neuentdeckungen hoffen.
Mehr Informationen zur Ausstellung
"Ein Leben für die Kunst. Die expressiv-symbolistischen Welten der Thea Schleusner"
Lutherstadt Wittenberg
von 31. August 2024 bis 12. Januar 2025
KUNST.Witttenberg im Alten Rathaus
Dienstag bis Sonntag: 10 Uhr - 18 Uhr
Museum im Zeughaus, Juristenstraße 16a
Dienstag bis Sonntag: 10 Uhr bis 18 Uhr
Cranach-Stiftung, Markt 4
Montag bis Samstag: 10 Uhr - 17 Uhr
Sonn- und Feiertage: 13 Uhr - 17 Uhr
November bis März:
Dienstag bis Samstag: 10 Uhr - 17 Uhr
Sonn- und Feiertage: 13 Uhr - 17 Uhr
Stiftung Christliche Kunst, Schlossplatz 1
Dienstag bis Samstag: 10 Uhr - 16 Uhr
Sonn- und Feiertage: 12 Uhr - 16 Uhr
Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Lutherstadt Wittenberg.
Redaktionelle Bearbeitung: tis, bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. August 2024 | 06:15 Uhr