Mehrere Stühle in einem Klassenzimmer in der Grundschule stehen auf dem Tisch 1 min
Viele Grundschulen in Sachsen-Anhalt könnten durch die Reformpläne in ihrer Existenz bedroht sein. Mehr dazu im Audio. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Daniel Schäfer

Wegen Mindestschülerzahlen Droht Sachsen-Anhalts Grundschulen eine Schließungswelle?

05. August 2024, 09:09 Uhr

Sachsen-Anhalts Bildungsministerium plant, dass in neu eingerichteten Schulklassen in Zukunft mindestens 25 Schüler sitzen sollen, in ländlichen Gebieten 20. Damit wären viele Grundschulen außerhalb von Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau in ihrer Existenz bedroht. Zunehmend verunsichert und besorgt fallen die Reaktionen von Bürgermeistern aus.

MDR-Reporter André Damm
Bildrechte: André Damm

Heike Dorczok flüchtet sich in Galgenhumor. "Es wäre doch ein Schildbürgerstreich", sagt die parteilose Bürgermeisterin von Bad Schmiedeberg, "im September den millionenschweren Umbau der Trebitzer Grundschule zu feiern, wenn diese ein paar Jahre später schließen müsste."

Denn die Bildungsstätte auf dem flachen Land wäre – wenn die politischen Pläne für eine Mindestklassengröße umgesetzt werden – ein klassischer Streichkandidat. Der Rathauschefin zufolge könnten die Bürger nicht mehr nachvollziehen, warum immer auf Kosten ländlicher Regionen gespart werden solle. Manchmal habe sie den Eindruck, erzählt sie mit sarkastischem Unterton, dass die Politik den ländlichen Raum entvölkern wolle, um hier noch mehr Windräder und Solarparks errichten zu können.

Bad Schmiedebergs Bürgermeisterin Heike Dorczok vor dem leeren Brunnen am Marktplatz
Heike Dorczok ist Bürgermeisterin von Bad Schmiedeberg. Bildrechte: MDR/André Damm

"Das ist natürlich etwas zugespitzt formuliert" gibt Heike Dorczok zu, "drückt aber meine Enttäuschung aus." Denn bei der angekündigten Schulreform gehe es ja auch nicht um einen verbesserten Unterricht, sondern ausschließlich um Modelle, Lehrkräfte einzusparen.

Schulverbünde auf dem Land schwer umzusetzen

So bringt das Bildungsministerium immer wieder sogenannte Schulverbünde ins Spiel. Grundschulen mit wenigen Schülern könnten sich zusammenschließen. Dann gibt es nur einen Schulleiter, die Lehrer müssten – je nach Bedarf – an beiden Standorten unterrichten. Ist das in Bad Schmiedeberg umsetzbar? Die Rathauschefin schüttelt den Kopf. "Bei einem Schulverbund müssen die Lehrer von Schule zu Schule springen. Bei den langen Wegen auf dem Land sei das gar nicht möglich.

Ob das möglich ist, lässt derzeit der Jessener Bürgermeister Michael Jahn (SPD) prüfen. Er plant in den kommenden Jahren solch einen Verbund, zwischen der Grundschule Seyda, die nicht genug Schüler und Schülerinnen hat, und der Max-Lingner-Grundschule in Jessen. Das müsse sich langsam entwickeln, findet Jahn, da müsse man auch die Lehrer für gewinnen.

Wenn aber das Land schon wieder den Druck durch neue Mindestschülerzahlen erhöht, kann es passieren, dass viele Pädagogen sich das nicht antun wollen und lieber eine Stelle in der Stadt annehmen. Und dann würden die Pläne des Bildungsministeriums nach hinten losgehen, befürchtet Jahn.

Ländliche Gebiete zu dünn besiedelt

Auch in der Kemberger Stadtverwaltung ist die Stimmung im Keller. Bürgermeister Torsten Seelig von der CDU sagt, ihm platze gleich der Kragen, bei dem, was seine Parteifreundin, die Bildungsministerin Feußner, vorhabe. Denn sollte die Neuregelung kommen, wären gleich zwei der vier Kemberger Grundschulen in ihrem Bestand bedroht – die Schulen in Radis und Dabrun. Für Seelig wäre das ein Grund, um "auf die Barrikaden" zu gehen.

Denn die Stadt habe viel Geld in die Schulen und das Schulumfeld investiert. Gerade auf dem Land seien solche Bildungsstätten unverzichtbar – da gehe es um Wohnstandorte, Kindertagesstätten und auch um Lebensqualität.

Das müssen wir uns einfach leisten können!

Torsten Seelig (CDU), Bürgermeister von Kemberg

Andererseits wird nicht bestritten, dass viele Grundschulen es nicht schaffen, dauerhaft Klassen mit mindestens 20 Schülern zu bilden – dafür sind die ländlichen Gebiete zu dünn besiedelt. "Das müssen wir uns einfach leisten können", findet Seelig.

Elmer Emig, Pressesprecher im Bildungsministerium, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, dass auch das Land kleine, ländliche Schulen erhalten will. "Wir wollen keinen Standort aufgeben, aber wir haben eine demografische Entwicklung, die uns Sorgen bereitet. Es kommen zu wenige Schüler nach, außerdem lässt sich das Problem des Lehrermangels nicht kurzfristig lösen. Deshalb sind wir dafür, dass sich Schulverbünde finden." Emig zufolge muss man dann keinen Standort aufgeben und kann das Schulpersonal effizienter einsetzen.

Keine Änderungen bis 2027

Ohnehin versteht der Ministeriumssprecher die ganze Aufregung um die neuen Mindestschülerzahlen nicht. Nach seinen Worten wird es bis 2027 keine Änderungen geben. Und auch sonst stehe die Debatte um den Gesetzentwurf erst am Anfang. "Wir sind jetzt in einem ganz frühen politischen Stadium. Das ist ein Referentenpapier aus dem Bildungsministerium, das kann noch diskutiert und verändert werden." Noch sei überhaupt nichts entschieden, so Emig.

MDR (André Damm, Max Schörm) | Erstmals veröffentlicht am 02.08.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 02. August 2024 | 13:30 Uhr

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