Jahrelanger Konflikt Bitterfeld-Wolfen: Prozess um Goitzsche-See-Verkauf gestartet
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27. Februar 2025, 16:19 Uhr
Weil Wegerechte nicht wie vereinbart dokumentiert wurden, trat Bitterfeld-Wolfen 2023 vom Verkauf des Goitzsche-Sees zurück. Nun muss ein Gericht entscheiden, ob das rechtmäßig war. Die Stadt geht aus dem ersten Verhandlungstag geschwächt hervor.
- Die Streitparteien haben außergerichtliche Gespräche über einen Kompromiss angekündigt.
- Für die vorsitzende Richterin waren die Gründe der Stadt für den Rücktritt vom Goitzsche-Verkauf nach erster Einschätzung zu schwach.
- Bernstein-Vorkommen sollen für eine Neu-Bewertung des Kaufpreises für den Goitzsche-See herangezogen werden.
Der umstrittene Verkauf des Goitzsche-Sees bei Bitterfeld beschäftigt seit Donnerstag das Landgericht Dessau. Im Zentrum des Verfahrens steht die Frage, ob die Privatisierung des Sees womöglich rückgängig gemacht werden kann. Der Stadtrat von Bitterfeld-Wolfen hatte im Dezember 2023 einen Rücktritt vom Kaufvertrag mit dem privaten Investor forciert. Dabei handelt es sich um die zum Merckle-Konzern gehörende Goitzsche Grundstücksgesellschaft (GGG). Die GGG hält den Rücktritt vom Verkauf für unwirksam und hatte dagegen geklagt.
Die Verhandlung fiel angesichts des komplexen Themas überraschend kurz aus. Im Ergebnis erklärten sich die Streitparteien bereit, binnen zwei Monaten Gespräche über einen möglichen, außergerichtlichen Kompromiss zu führen.
Goitzsche-Verkauf: Stadt will Seefläche zurück
Die Seite der Stadt hatte sich offen dafür gezeigt, nicht auf die Rückabwicklung der gesamten Goitzsche-Flächen zu bestehen. Stattdessen könne man sich womöglich auf die Seefläche sowie einige noch nicht bebaute Uferflächen beschränken, sagte Anwalt Matthias Degen, der allerdings betonte, dass darüber der Stadtrat entscheiden müsse.
Allerdings geht Bitterfeld-Wolfen – vor Gericht repräsentiert durch deren Stadtentwicklungsgesellschaft (STEG) – geschwächt aus der Gerichtsverhandlung hervor. So hatte die vorsitzende Richterin in ihrer "vorläufigen Rechtsauffassung" bereits durchblicken lassen, dass ihr die von der STEG angeführten Gründe für den erklärten Rücktritt nicht ausreichend erscheinen.
Die Stadt begründet ihr Vorgehen mit Vertragspflichten, die der Investor aus ihrer Sicht nicht erfüllt hat. Vertraglich vereinbart war, dass bestimmte Wege am Ufer sowie Wasserflächen öffentlich zugänglich bleiben müssen. Diese Wegerechte sind jedoch vom Käufer nicht ins Grundbuch eingetragen worden. Der Anspruch hierauf wäre Ende 2023 verjährt, weshalb sich die Stadt zum Handeln genötigt sah. "Sonst wären wir dann auf den guten Willen des Investors oder späterer Käufer angewiesen gewesen", sagte Degen.
Richterin: "Kein Nachteil für Beklagte ersichtlich"
Die vorsitzende Richterin erklärte dazu, dass die Flächen bislang öffentlich zugänglich seien, der Anspruch der Stadt also erfüllt werde vom Investor. Zudem seien die Grundbuch-Eintragungen Ende 2023 und 2024 bereits nachgeholt worden. Für sie sei daher kein Nachteil für die Stadt beziehungsweise die STEG ersichtlich, der einen Rücktritt rechtfertige.
STEG-Anwalt Degen bezeichnete die Wegerechte und deren Eintragung hingegen als eine "Hauptleistungspflicht" im Kaufvertrag, der der Investor neun Jahre und zehn Monate nicht nachgekommen sei. "Es geht um die langfristige Sicherung verbrieften Rechts im Grundbuch." Zugleich gab er zu, dass es bei dem Rücktritt sehr wohl auch um die "Befindlichkeiten einer Region" gehe, die mit der Privatisierung des Sees bis heute hadere. So habe es beim Verkauf 2013 weder Ausschreibungen noch ein ordnungsgemäß strukturiertes Bieterverfahren gegeben, so Degen.
GGG-Anwalt Torsten Steglich ließen diese Aussagen aufhorchen. "Ich finde es gut, dass jetzt mal deutlich wird, warum wir eigentlich hier sitzen." Die Region könne sich glücklich schätzen, dass ein Investor den See gekauft habe, der mehr als zwei Millionen Euro bereits investiert und viel gemacht habe, statt die Flächen weiterzuverkaufen. Die GGG geht nun gestärkt in die angekündigten Gespräche über einen möglichen Kompromiss.
Preis für Goitzsche zu niedrig wegen Bernstein?
Sollten sich die Parteien nicht vorher einigen, wird die Richterin am 22. Mai ihr Urteil sprechen. Bis dahin haben GGG und STEG auch noch einmal Zeit, auf die jeweiligen Gegenargumente schriftlich zu reagieren – dies wird im Urteilsspruch berücksichtigt. Die STEG hat bereits angekündigt, im Fall einer Niederlage höhere Instanzen anzurufen.
Möglich, dass dabei auch der von Stadtrat und Bevölkerung als zu niedrig angesehene Kaufpreis auf den Tisch kommt. 2,7 Millionen Euro hatte die GGG für 1.500 Hektar große Goitzsche-Paket gezahlt. Wegen der Bodenschätze in der Goitzsche habe dieser Preis weit unter dem Wert gelegen, so STEG-Anwalt Degen. Ob der Verkauf dadurch aber auch ungültig wird, müssen Gerichte klären.
Am Grund der Goitzsche lagern laut sachsen-anhaltischem Wirtschaftministerium noch 800 Tonnen Bernstein. Dem Vernehmen nach könnte der Wert mindestens im höheren zweistelligen Millionen-Bereich liegen. Der bitterfeld-wolfener Stadtrat und Bundestagsabgeordnete Kay Uwe Ziegler (AfD) spricht offen von 200 Millionen Euro. Ziegler und weitere Stadträte verfolgten die Verhandlung am Donnerstag vor Ort. "Das wichtigste Argument für uns ist der zu niedrige Preis, der damals gezahlt wurde", so Ziegler, der die Gesprächsbereitschaft der GGG begrüßte. "Ein Kompromiss ist einfacher als eine komplette Rückabwicklung. Wir würden auf alle Fälle gerne die Wasserfläche zurücknehmen."
See- und Uferflächen schon 2013 verkauft
Der Rücktritt vom Verkauf und der nun gestartete Prozess markieren den vorläufigen Höhepunkt eines seit über zehn Jahren andauernden Konflikts. Öffentliche See- und Uferflächen waren 2013 wegen der finanziellen Schieflage eines kommunalen Unternehmens an die GGG verkauft worden. Jedoch bestehen in der Region seither zum Teil hartnäckige Zweifel, ob dabei alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Ab 2023 ließ deshalb Bitterfeld-Wolfens Stadtrat die Privatisierung durch eine Anwaltskanzlei juristisch neu aufrollen. Dabei kamen Ungereimtheiten zum Vorschein, die jedoch wahrscheinlich nicht strafrechtlich relevant sind.
Sollte die Klage der GGG abgewiesen werden, könnten in der Folge Ufer- und Seeflächen an die STEG zurückübertragen werden. Allerdings nur solche, die nicht bereits weiterverkauft wurden. Den Kaufpreis müsste die STEG dann jedoch entsprechend erstatten und die Kosten für bereits getätigte Investitionen ausgleichen.
MDR (Daniel Salpius, Oliver Leiste)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – HEUTE | 27. Februar 2025 | 19:00 Uhr