Zwei Personen stehen am Ufer des Goitzsche-Sees und blicken auf den Pegelturm.
Bitterfeld-Wolfen und der Kreis Anhalt-Bitterfeld verkauften 2013 Goitzsche-Grundstücke an Privat. Die niedrigen Preise sorgen seit langem für Kritik. Bildrechte: MDR/Norbert Claus

Umstrittene Privatisierung Verkauf von Goitzsche-Grundstücken: Wie Politiker persönlich profitiert haben sollen

Von Daniel Salpius und Lucas Riemer, MDR SACHSEN-ANHALT

31. August 2023, 14:40 Uhr

An der Goitzsche sind ab 2013 attraktive Seegrundstücke günstig aus öffentlicher Hand an Privat verkauft worden. Die Vorgänge sind heute umstritten und werden rechtlich geprüft. Nach MDR-Recherchen hat sich damals auch der CDU-Landespolitiker Lars-Jörn Zimmer zum kleinen Preis ein Grundstück in Bestlage gesichert. Pikant: Er saß zum Zeitpunkt des Kaufs im Aufsichtsrat des kommunalen Unternehmens, das die Flächen unter finanziellem Druck vermarktete.

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Das Paradies beginnt in Pouch bei Bitterfeld-Wolfen gleich hinter dem Supermarkt. Eine schmale Betonstraße schlängelt sich dort vom etwas höher gelegenen Ortskern herab zur Goitzsche. Am Ufer des Sees ist in den letzten Jahren ein hübsches Neubaugebiet entstanden: die Schlossterrassen. Vor manchen der weiß gestrichenen Ein- und Mehrfamilienhäuser parken bereits Autos, andere sind noch im Bau. Wer schon eingezogen ist und im ersten oder zweiten Stock wohnt, kann bei gutem Wetter vom Balkon aus die Sonne auf dem See glitzern sehen.

Flächen an Goitzsche zu niedrigen Preisen und andere Ungereimtheiten

Ob allerdings bei der Vermarktung der Premiumlage vor gut zehn Jahren alles mit rechten Dingen zuging, daran gibt es Zweifel. Spätestens ab 2013 wurden nach MDR-Recherchen an der Goitzsche attraktive Seegrundstücke aus kommunalem Besitz zu Quadratmeterpreisen zwischen einem und zehn Euro an Privatpersonen und Investoren verkauft, die heute zum Teil Hunderte Euro pro Quadratmeter wert sind.

Insgesamt 1.500 Hektar hatte etwa die zum Merckle-Konzern gehörende Blausee GmbH für 2,9 Millionen Euro von der finanziell gebeutelten Bitterfelder Qualifizierungs- und Projektierungsgesellschaft (BQP) erworben.   

Die kommunale Gesellschaft BQP war 2013 in finanzielle Schieflage geraten und über eine Liquidation aufgelöst worden. Die großen Goitzsche-Flächen in Bestand der Gesellschaft wurden in diesem Zusammenhang vermarktet.

Rund um den See hält sich seither hartnäckig das Gefühl, dass vor zehn Jahren öffentliche See-Flächen verscherbelt wurden. Eine Arbeitsgruppe im Bitterfeld-Wolfener Stadtrat nahm deshalb seit Ende 2022 die rund 3.000 Aktenordner umfassenden Unterlagen über die Verkäufe im Zuge der BQP-Pleite unter die Lupe. Dabei stießen sie nach eigenen Angaben auf sehr niedrig erscheinende Preise und andere Ungereimtheiten. Seit knapp zwei Monaten prüft nun eine Leipziger Anwaltskanzlei im Auftrag der Stadt Bitterfeld-Wolfen die damaligen Vorgänge.

Grundstück mit Seeblick: Ferien bei CDU-Politiker Lars-Jörn Zimmer

Lars-Jörn Zimmer
Der CDU-Landtagsabgeordnete Lars-Jörn Zimmer hat 2013 ein kommunales Goitzsche-Grundstück zum kleinen Preis gekauft. Heute vermietet er dort Ferienhäuser. Bildrechte: imago/foto2press

Wie Recherchen von MDR SACHSEN-ANHALT zeigen, profitierten neben Investoren auch Mandatsträger aus der Lokal- und Landespolitik privat von den Flächenverkäufen vor zehn Jahren. Einer von ihnen soll Lars-Jörn Zimmer sein, CDU-Landtagsabgeordneter aus Bitterfeld-Wolfen, Chef des Tourismusverbands Sachsen-Anhalt und Vorsitzender im Ausschuss Wirtschaft und Tourismus des Landtags. Ihm gehören zwei Ferienhäuser an den Schlossterrassen.  

Die beiden terrakottafarben und dunkelblau gestrichenen Bauten liegen circa 100 Meter Luftlinie vom See entfernt – gleich hinter den brandneuen Ein- und Mehrfamilienhäusern in der ersten und zweiten Reihe. Zwei Übernachtungen Mitte Februar 2024 für bis zu vier Personen kosten in einem von Zimmers "Lifestyle Ferienhäusern" aktuell 437 Euro – so gesehen auf der Buchungsplattform booking.com. Gäste loben auf der Plattform die "geschmackvolle Einrichtung" der Häuser, den "fußläufig erreichbaren Strand" – und das "riesige Grundstück".

Goitzsche-Fläche für Quadratmeterpreis unter fünf Euro gekauft

Tatsächlich ist das Goitzsche-Grundstück, auf dem die Ferienhäuser stehen, fast 5.000 Quadratmeter groß. Einen Teil davon – genauer 1.142 Quadratmeter – hat Zimmer Ende 2013 aus kommunaler Hand gekauft: von der zur BQP gehörenden Entwicklungs-, Betreiber- und Verwertungsgesellschaft Goitzsche mbH (EBV).

Laut Grundbuchakte, die MDR SACHSEN-ANHALT einsehen konnte, zahlte er 5.338,50 Euro für das vormals kommunale Grundstück, also rund 4,67 Euro pro Quadratmeter. Die restlichen 3.730 Quadratmeter des heutigen Grundstücks kaufte Zimmer einem Ehepaar ab, für 26.000 Euro, also 6,97 Euro pro Quadratmeter. 

Touristische Bedeutung des Grundstücks schon 2013 vorgezeichnet

Ein Bodenrichtwert, mit dem sich der Wert des Bodens bestimmen lässt, war für das Grundstück zum Zeitpunkt des Kaufes Ende 2013 zwar nicht festgelegt. Wie die Gemeinde Muldestausee MDR SACHSEN-ANHALT jedoch bestätigte, war die Fläche bereits 2011 als Bauland ausgewiesen worden – konkret als Sonderbaugebiet für Wochenendhäuser.

Der Boden war damit definitiv sehr viel mehr wert als bloßes Ackerland und die künftige, touristische Bedeutung des Areals vorgezeichnet. Noch dazu war das Grundstück schon damals durch die dortige Talgasse erreichbar und somit bereits an eine öffentliche Straße angebunden – neben dem bestehenden Baurecht ein weiterer wertsteigernder Faktor. 

Angrenzende Goitzsche-Flächen sechsmal so viel wert

Für direkt angrenzende Flächen betrug der Bodenrichtwert laut Sachsen-Anhalts Geodatenportal denn auch schon damals 30 Euro pro Quadratmeter – mehr als das Sechsfache von dem, was Zimmer zahlte.

Mittlerweile gibt es auch für Zimmers Grundstück an der Goitzsche einen offiziellen Bodenrichtwert: Er lag laut der Gemeinde Muldestausee zum Stichtag 1. Januar 2022 bei 160 Euro pro Quadratmeter.

Interessenkonflikt wegen Stadrats- und Kreistagsmandat?

Fragwürdig ist das Immobiliengeschäft mit der Gesellschaft EBV vor allem deshalb, weil Zimmer zum Zeitpunkt des Kaufs für die CDU im Stadtrat von Bitterfeld-Wolfen sowie im Kreistag von Anhalt-Bitterfeld saß. Kreis und Stadt wiederum waren die kommunalen Eigentümer von BQP und EBV. Als gewählter Repräsentant beider Gebietskörperschaften hätte Zimmer im Sinne seiner Wähler also eigentlich an einem möglichst hohen Verkaufserlös für die kommunalen EBV-Flächen interessiert sein müssen – erst recht angesichts der Schieflage der beiden Unternehmen.

Außerdem pikant: Zimmer saß ab 2004 und auch zum Zeitpunkt des Grundstückskaufes zusätzlich im Aufsichtsrat der EBV. Es ist davon auszugehen, dass er dadurch exklusive Einblicke in die Flächen-Verkäufe erhielt. Auch hatte er über Verkäufe mitabzustimmen – allerdings nicht über seinen eigenen Kauf. 

Eindruck einer Bevorteilung sollte vermieden werden

Die Gefahr, dass durch das Geschäft der Eindruck eines Interessenskonfliktes entstehen könnte, hegten seinerzeit offenbar auch die Gesellschaftervertreter Uwe Schulze (CDU), damals Landrat von Anhalt-Bitterfeld, und Bitterfeld-Wolfens damalige Oberbürgermeisterin Petra Wust (parteilos). Der Beschluss des EBV-Aufsichtsrats zum Verkauf an Zimmer enthält jedenfalls den ausdrücklichen Vermerk von Wust und Schulze, dass der Eindruck vermieden werden müsse, dass Aufsichtsratsmitglieder bevorteilt würden. Das Dokument liegt MDR SACHSEN-ANHALT vor.

Das Dokument enthält auch Entlastendes: So wird vermerkt, dass der mit Zimmer vereinbarte Quadratmeterpreis höher sei, als in einem nicht näher benannten Gutachten ausgewiesen.

Dass der Preis angemessen war, heißt das allerdings noch nicht. Dem stehen die damaligen Bodenrichtwerte im Umfeld, das bestehende Baurecht sowie die 2013 zu erwartende Entwicklung des Areals entgegen. Zudem ist auch das Thema Flächen-Gutachten aus Sicht des Bitterfeld-Wolfener Stadtrats klärungsbedürftig.

Zimmer: "Sehe keine Interessenskonflikte"

Lars-Jörn Zimmer erklärte auf MDR-Anfrage, er sehe keine Interessenskonflikte zwischen den einzelnen Mandaten. Entsprechende Mitwirkungsverbote seien eingehalten worden. "Der Preis für das von der EBV erworbene Grundstück entspricht dem sachverständig vom Gutachter ermittelten Preis", so Zimmer. Er habe die Fläche im Dezember 2013 erworben als Grünfläche, Wegefläche und Wasserlauf. "Das Grundstück wird auch heute noch genau so genutzt."

Angaben dararüber, was er jährlich mit seinen Ferienhäusern verdient, machte Zimmer nicht. Er halte es jedoch für wichtig und sinnvoll, dass ein Politiker Fachwissen habe, wenn er über eine Sache rede. Er sei seit vielen Jahren für den Tourismus ehrenamtlich tätig und "hatte schon länger die Idee, in diesem Bereich selbst tätig zu werden". Mit dem Bau der Ferienhäuser habe er dies verwirklicht und sehe nunmehr aus der politischen Richtung und aus Unternehmenssicht auf die Themen der Branche. "Dies hilft mir immens, die einzelnen Themen einzuordnen."

Stadträte zweifeln Notwendigkeit der Grundstücksverkäufe an

Die Verwertungsgesellschaft EBV war gegründet worden, "um die Entwicklung des Goitzscheareals im allgemeinen Interesse zu einem touristischen Zentrum voranzutreiben", wie es im Beteiligungsbericht der Stadt Bitterfeld-Wolfen heißt. Als die Stadt Bitterfeld-Wolfen und der Kreis Anhalt-Bitterfeld sich 2013 für die Liquidation der angeschlagenen Muttergesellschaft BQP entschieden, wurde die Tochtergesellschaft EBV mit aufgelöst und alle Flächen an der Goitzsche sowie in Thalheim und Sandersdorf verkauft. 

Die parteiübergreifende Arbeitsgruppe des Bitterfeld-Wolfener Stadtrats ist inzwischen davon überzeugt, dass die Liquidation nicht unbedingt notwendig war und den Abgeordneten im Kreistag und Stadtrat, die der Abwicklung vor zehn Jahren zustimmten, Informationen über die tatsächliche Lage fehlten oder möglicherweise sogar vorenthalten wurden. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sprechen von einem Ausverkauf des Vermögens der Gesellschaften. 

Arbeitsgruppe beklagt fehlende Gutachten und Ausschreibungen

Mit den Flächenverkäufen betraut war als Liquidator der Rechtsanwalt Veit Wolpert, der parallel für die FDP mehrere Mandate als Lokalpolitiker innehatte. Der ehemalige FDP-Landeschef und FDP-Fraktionschef im Landtag ist bis heute Kreistagsvorsitzender von Anhalt-Bitterfeld und gehört aktuell wie Lars-Jörn Zimmer zur Fraktion CDU/FDP.

Zusätzlich saß Wolpert damals auch im Gemeinderat von Muldestausee und gehört diesem Gremium bis heute an. Ob sich aus diesen Mandaten und der Liquidatoren-Tätigkeit ein Interessenkonflikt ergab, ist nach MDR-Informationen ein weiterer Punkt, den die Leipziger Anwaltskanzlei nun untersucht.  

Wolpert soll für seine Dienste als Liquidator Insidern zufolge insgesamt circa 450.000 Euro kassiert haben. Indirekte Kritik an seiner Arbeit kommt wiederum von der Arbeitsgruppe des Bitterfeld-Wolfener Stadtrats, die eigenen Angaben zufolge in den 3.000 Aktenordnern zum Goitzsche-Verkauf bislang weder Wertgutachten für die Grundstücke noch öffentliche Ausschreibungen für die verkauften Flächen finden konnte. "Wie sind letztlich Käufer und Verkäufer zusammengekommen?", fragen die Stadträte daher im Bericht der Arbeitsgruppe, der MDR Sachsen-Anhalt vorliegt. 

Wolpert beruft sich auf Verschwiegenheitspflicht

Veit Wolpert wollte sich auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT zu seinem Honorar sowie der Frage nach Wertgutachten und Ausschreibungen für die Grundstücke nicht äußern. Er sei seinerzeit im Rahmen eines anwaltlichen Mandats beauftragt worden, weshalb ihn die Pflicht zur Verschwiegenheit treffe, begründete er.

Ein Interessenskonflikt zwischen seiner Funktion als Kreistagsvorsitzender und der Liquidatoren-Tätigkeit bestand aus Wolperts Sicht nicht. In Angelegenheiten der kommunalen Gesellschaften BQP und EBV habe für ihn ein Mitwirkungsverbot im Kreistag gegolten. "Als Vorsitzender habe ich dazu für den jeweiligen Tagesordnungspunkt die Leitung abgegeben und in nicht öffentlichen Sitzungen den Sitzungssaal verlassen." Zu Sitzungen sei er ausnahmsweise punktuell hinzugezogen worden, wenn er als Liquidator Bericht erstatten oder Fragen erläutern sollte. 

Über die MDR-Recherche Dieser Artikel ist im Rahmen eines neuen Investigativ-Teams des Mitteldeutschen Rundfunks entstanden, in dem Journalistinnen und Journalisten aller drei Landesfunkhäuser (MDR SACHSEN-ANHALT, MDR THÜRINGEN, MDR SACHSEN) zusammenarbeiten. Ziel ist, regionale Kompetenzen zu stärken.

Recherche-Schwerpunkte sollen unter anderem Rechtsextremismus, organisierte Kriminalität und Korruption auf kommunaler Ebene sein. Bei Anregungen zu investigativen Themen erreichen Sie das neue Investigativnetzwerk MDR Recherche unter recherche@mdr.de

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MDR (Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 31. August 2023 | 07:40 Uhr

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