Unabhängig im Alter Alternatives Wohnen: Warum ein Ehepaar aus Aken eine WG für Senioren betreibt

04. Juni 2023, 16:51 Uhr

Wohngemeinschaften sind nicht nur etwas für junge Menschen. Wer im Alter nicht allein, aber trotzdem selbstbestimmt wohnen möchte, kann in eine Senioren-WG ziehen. Bisher ist das Angebot in Sachsen-Anhalt begrenzt. Viele Wohngemeinschaften sind zudem an einen Träger oder einen Pflegedienst angeschlossen. Ein Projekt aus Aken geht einen anderen Weg und setzt auf die Unabhängigkeit der Bewohner.

"Solange wie ich rüstig und unternehmungslustig bin, ist das doch prima", sagt Irene Fritz mit einem Lachen. Die 84-Jährige lebt in der Seniorenwohngemeinschaft "Elbaue" mitten im Zentrum von Aken im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Bereits seit acht Jahren bewohnt sie hier ein gemütliches Zimmer im Dachgeschoss der 1912 erbauten Villa. Damit ist sie ein alter Hase in Sachen WG-Leben. Sie hat schon einige Mitbewohnerinnen und Mitbewohner kommen und gehen sehen und weiß deshalb auch genau, was sie an der besonderen Wohnform fürs Alter findet. "Ich fühle mich sauwohl! Ich kann machen, was ich will. Und wem es nicht passt, der guckt halt mal weg", scherzt sie.

Alte Villa in Aken wird zum gemeinnützigen Projekt

Das überhaupt erst möglich gemacht haben Thomas und Anja Schwalenberg. 2012 erben sie das Haus und beschließen, ein gemeinnütziges Projekt daraus zu machen. "Diese Villa war schon immer was Besonderes hier in Aken. Als mein Mann sie übernommen hat, wollten wir was Soziales machen. Dann kam relativ schnell die Idee, dass viele Leute alleine sind und die Kinder arbeiten." So entstand die Senioren-Wohngemeinschaft.

Die Villa wird saniert. Die vier WG-Zimmer bekommen jeweils ein eigenes Bad. Es gibt zwei Wohnküchen, einen Leseraum und einen großen Garten, indem Gurken, Zucchini, aber auch Sonnenblumen wachsen. Die Gartenpflege übernehmen die Bewohner selbst.

Am Anfang ist die Nachfrage groß. Zwischendrin flachte sie auch mal ab, erinnert sich Anja Schwalenberg. Aktuell ist noch ein Zimmer zu vermieten. "Es liegt auch daran, dass Aken einfach klein ist", vermutet sie. "Dabei ist es hier eigentlich gemütlich. Gleich nebenan ist die Elbe, man ist zentral direkt in der Stadt und trotzdem hat man es hier hinten ganz ruhig."

Wohngemeinschaften in Deutschland beliebt

In Deutschland erfreuen sich WGs besonders in der jungen Zielgruppe großer Beliebtheit. Nicht nur wegen des finanziellen Aspekts, sondern auch wegen der Gemeinschaft, die das Zusammenleben ausmacht. Insgesamt haben 2022 rund 4,62 Millionen Menschen in einer Wohngemeinschaft gelebt, zeigt eine Analyse des Instituts für Demoskopie Allensbach. In Sachsen-Anhalt gab es laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr rund 38.000 Menschen, die alleinstehend sind und mindestens in einem Zwei-Personen-Haushalt leben – etwa in einer Wohngemeinschaft, zusammen mit Familienmitgliedern oder in anderen Wohnformen. Die Anzahl an Menschen, die alleine lebt, wird sich nach einer Prognose in den kommenden Jahren verringern.

Von der Senioren-WG zum Mehrgenerationenhaus

Und auch das Konzept aus Aken ist in Bewegung. Obwohl das Projekt zunächst als Senioren-WG gestartet ist, liegt die Altersspanne aktuell zwischen 41 und 89 Jahren. Denn im Mai ist Stefan Brendel eingezogen. Auch für ihn ist das neue WG-Leben eine spannende Erfahrung. Nachdem er sich vor Kurzem getrennt hat, war er auf der Suche nach einer neuen Wohnmöglichkeit innerhalb der Stadt. Und so wurde die Senioren-WG auf einmal zum Mehrgenerationenhaus.

"Ich bin ein bisschen aufgeregt, weil das ja der erste Sommer hier für mich ist. Mal gucken, wie das so wird. Ich habe noch nie so richtig in einer WG gewohnt und dann noch in einer Senioren-WG", sagt er. Für ihn sei die Villa aber trotzdem nur eine Zwischenstation, da ist er ganz offen. Er freue sich aber, von den Lebenserfahrungen der anderen Bewohnerinnen profitieren zu können.

Die Seniorinnen freuen sich wiederum über den frischen Wind im Haus. Das Projekt "Elbaue" zeigt, das Wohngemeinschaften nicht nur etwas für junge Menschen sind. Ganz im Gegenteil: gemeinsame Spieleabende, Grillen und zusammen Kaffee trinken stehen in der Villa in Aken auf der Tagesordnung. Auch beim alljährlichen Aufbau des Pavillons im Garten packen nicht nur die Mieter der WG, sondern auch das Ehepaar Schwalenberg mit an. Die beiden wohnen direkt um die Ecke und kommen oft vorbei, um die Bewohner zu unterstützen.

Senioren-WG: Unabhängigkeit ist wichtig

Das Thema Unabhängigkeit ist ihnen an dem Projekt besonders wichtig. Einen gekoppelten Pflegeservice gibt es hier nicht. Wer das benötige, dürfe sich selbst darum kümmern.

Irene Fritz hofft, dass sie so etwas als bald noch nicht braucht. Sie möchte so lange, wie es möglich ist, in der "Elbaue" bleiben. "Entweder werde ich rausgeschmissen oder ich gehe im Liegen. Oder ins Altersheim", sagt sie. Auch ihre Tochter lebt in Aken. Sie war überhaupt erst der Grund, warum es sie 2015, nach dem Tod ihres Mannes, von Dessau in die Kleinstadt gezogen hat. Um näher bei der Familie zu sein, ihr aber trotzdem nicht zur Last zu fallen.

In der Wohngemeinschaft ist sie vor allem für den Garten verantwortlich. Sie gießt die Blumen und sprengt den Rasen. Sie trifft sich mit ihren Mitbewohnern in der Gemeinschaftsküche, sie essen zusammen und trinken gemeinsam Kaffee. In ihrem Zimmer hat sie einen Laptop, den sie gekonnt bedienen kann. Sie rätselt gern oder liest Bücher in ihrem großen gemütlichen Sessel.

Diese Idee fand ich in der WG eigentlich am schönsten: Dass jeder auf den anderen aufpasst, jeder nach den anderen guckt, dass es allen gut geht, dass die Kinder auch unbesorgt arbeiten gehen können.

Anja Schwalenberg, Vermieterin Senioren-WG Elbaue

Gegenseitiges aufeinander Acht geben

Für das Zusammenleben haben sich die Bewohner eine gemeinsame Regel geschaffen: sich immer abzumelden. "Wenn jemand einkaufen geht, da warten wir im Stillen auch immer schon. Wenn da eine Stunde vergeht, werden wir auch unruhig", meint Irene Fritz.

Die Bewohner geben aufeinander acht und kümmern sich – das bemerkt auch Vermieterin Anja Schwalenberg: "Diese Idee fand ich in der WG eigentlich am schönsten, dass jeder auf den anderen aufpasst. Jeder nach den anderen guckt, dass es allen gut geht, dass die Kinder auch unbesorgt arbeiten gehen können." Dieses herzliche Verhältnis ist es, was das Zusammenleben in der WG in Aken so schön mache. "Ich habe es nicht eine Minute bereut", sagte sie.

Eine junge Frau lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Über Sarah-Maria Köpf Sarah-Maria Köpf arbeitet seit Mai 2021 für MDR SACHSEN-ANHALT. Sie ist in Leipzig aufgewachsen und hat dort Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert, bevor es sie für den Master in "Multimedia & Autorschaft" nach Halle zog.

Neben dem Studium arbeitete sie für den Radiosender Mephisto 97.6, die Leipziger Volkszeitung und das Grazia Magazin. Ihr Schwerpunkt liegt in den Bereichen Social Media sowie Polititik und Gesellschaft.

Michaela Reith
Bildrechte: MDR/Michaela Reith

Über Michaela Reith Michaela Reith volontierte 2018 beim MDR. Land und Leute haben sie seither nicht mehr losgelassen. Ihr Herz schlägt für Gesellschaftsthemen, Reportagen und für die Menschen hinter den Zahlen. Bevor sie zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, beschäftigte sie sich im Studium in Leipzig, Cork und Mainz mit der deutschen Sprache und der Medienlandschaft.

MDR (Sarah-Maria Köpf)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 04. Juni 2023 | 19:00 Uhr

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