Steigende Mietpreise WG-Projekt in Magdeburg: Wie 15 Menschen in einem selbstverwalteten Wohnhaus leben

05. Juni 2023, 14:16 Uhr

Steigende Mieten und der Wunsch nach Gemeinschaft: Aus diesem Grund entstehen in Deutschland immer mehr alternative Hausprojekte. Eines davon ist "Thiembuktu" im Magdeburger Stadtteil Buckau. Hier sind die Mieter gleichzeitig die Eigentümer und kümmern sich zusammen um verwaltungstechnische Aufgaben. Das Projekt möchte auch das Leben im Viertel mitgestalten und Menschen bei gemeinsamen Veranstaltungen zusammenbringen.

"Irgendwas mit selbstverwaltet." Der Schriftzug prangt an der Seite der gelbgestrichenen Fassade des Thiembuktu-Hauses in Magdeburg-Buckau. Mit den von Plakaten bepflasterten Türen und dem Verschenke-Regal vor dem großen Ladenfenster sticht das Wohnprojekt in der Thiemstraße heraus. In dem vierstöckigen Gebäude leben aktuell 15 Erwachsene, drei Kinder und zwei Hunde. Das Besondere: Sie haben das Haus gemeinschaftlich gekauft und dafür eine GmbH gegründet. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind damit nicht direkt die Eigentümer, sondern bleiben weiterhin Mieter. Jedoch mit weitaus mehr Gestaltungsmöglichkeiten als in einem normalen Mietverhältnis.

Die Bewohnerinnen von Thiembuktu stehen vorm Wohnhaus.
Im Thiembuktu-Wohnprojekt leben aktuell 15 Erwachsene, drei Kinder und zwei Hunde. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Sicherheit bei steigenden Mietpreisen

"Das gibt einem eine gewisse Sicherheit, langfristig hier leben zu können, eine bezahlbare Miete zu haben. Und auch ein bisschen Teil vom Stadtteil zu sein, mehr Begegnung zu haben, mehr Interaktion, mehr solidarisches", erzählt Bettina, die seit fünf Jahren im Projekt lebt. Neben dem Eigentumsverhältnis, ist es vor allem der soziale Aspekt, der das Zusammenleben hier ausmacht.

Das gibt einem auch eine gewisse Sicherheit, langfristig hier leben zu können, eine bezahlbare Miete zu haben. Und auch ein bisschen Teil vom Stadtteil zu sein.

Bettina, Bewohnerin von "Thiembuktu"
Eine junge Frau steht in der Küche und schneidet einen Apfel
Bettina studiert Erziehungswissenschaften und lebt seit fünf Jahren im Wohnprojekt. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Die Menschen im Thiembuktu-Haus leben in WGs oder Einzelwohnungen auf 495 Quadratmetern. Insgesamt gibt es zwölf abgeschlossene Wohneinheiten. Darüber hinaus teilen sie sich mehrere Gemeinschaftsküchen, eine Werkstatt, eine Sauna und den Garten hinter dem Haus. Entscheidungen werden zusammen im wöchentlichen Sonntagsplenum getroffen. Jeder Mitbewohner übernimmt im Wohnprojekt jeweils eine Verwaltungs- und eine Haushaltsaufgabe. Alle gestalten und helfen mit. "Jeder Mensch in der Gruppe bringt was anderes mit ein", meint Bettina.

Gemeinschaftsgedanke über die Hausgrenze hinaus

Genau aus diesem Grund habe sie sich für das Leben im Hausprojekt entschieden. In den WGs, in denen die 33-Jährige zuvor gewohnt hat, habe jeder sein eigenes Ding gemacht, die Mitbewohner hätten oft gewechselt. Was ihr fehlte, war die Gemeinschaft. "Mein Wunsch war es, an einem Ort zu leben, wo wir Dinge teilen, wo wir zusammen kochen, wo wir uns austauschen. Dass man Beziehungen zu den Menschen hat, mit denen man zusammen wohnt."

Mein Wunsch war, an einem Ort zu leben, wo wir Dinge teilen, wo wir zusammen kochen, wo wir uns austauschen. Dass man Beziehungen zu den Menschen hat, mit denen man zusammen wohnt.

Bettina, Bewohnerin von "Thiembuktu"

Das Thiembuktu-Hausprojekt möchte sich darüber hinaus aber auch mit den Menschen in der Nachbarschaft vernetzen. Alle zwei Wochen findet der sogenannte "Koch-Freitag" statt, zudem alle, die Interesse haben, kommen können. Mit dem Verschenke-Regal vor dem Haus möchten sie den Menschen zudem die Möglichkeit bieten, Dinge, die sie nicht mehr brauchen, die aber noch in gutem Zustand sind, weiterzugeben.

Das Verständnis in der Nachbarschaft für das alternative Wohnprojekt sei da, erzählt der 35-jährige Anurag, der über die Freundschaft zu Bettina in das Wohnprojekt gekommen ist. Wenn es bei den Veranstaltungen mal lauter werde, dann werde das kommuniziert und nicht direkt die Polizei gerufen. Das stimme ihn sehr hoffnungsvoll, sagt er.

Vom Jugendwohnprojekt zum Mietshäuser Syndikat

Das Haus in der Thiemstraße hat eine besondere Geschichte. Es wurde 2001 saniert und danach viele Jahre als Jugendwohnprojekt genutzt. Als die Genossenschaft die Immobilie 2015 verkaufen will, beschließen die damaligen Bewohner "Thiembuktu" zu erhalten. Sie entscheiden sich für das Konzept des Mietshäuser Syndikats. Jetzt gehört "Thiembuktu" denen, die darin wohnen.

Was ist das Mietshäuser Syndikat? Das Mietshäuser Syndikat ist ein Verbund von 184 Hausprojekten und 17 Initiativen in ganz Deutschland. Die Idee dahinter: Eine Gruppe von Menschen schließt sich zusammen, um leere Häuser bewohnbar zu machen oder sich den Verkaufsplänen des Hausbesitzers gemeinschaftlich entgegenzustellen. Alle diese Projekte sind autonom und als GmbH selbstorganisiert. Häufig sind auch öffentliche Räume für Veranstaltungen oder Gruppen daran gekoppelt. Mietshaussyndikat und Hausverein besitzen in der GmbH beide ein Stimmrecht. So soll sicher gestellt werden, dass das Haus nicht wieder verkauft wird und in der Gemeinschaft bleibt.

Alternative Wohnprojekte kaum Einfluss auf Wohnungsmarkt

Professor Harald Simons, ein Mann mit Brille und braunen Haaren steht vor Stuhlreihen und schaut in die Kamera
Professor Harald Simons sieht im Mietshäuser Syndikat nur ein Nischenprodukt. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

In Deutschland gibt es immer häufiger Projekte, bei denen sich Menschen zusammenschließen, um eine Immobilie zu sichern. Vor dem Verkauf oder vor steigenden Mieten. Einen Einfluss auf den Wohnungsmarkt haben sie jedoch nicht, meint Harald Simons, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). "Das sind Nischenanbieter und Nischenprodukte. Das wird nie einen großen Effekt haben, schon gar nicht in entspannten Wohnungsmärkten, wie wir es in Sachsen-Anhalt haben."

Im Land liegt der durchschnittliche Quadratmeterpreis der Miete bei rund 6,30 Euro. "Sachsen-Anhalt ist eine Insel der Glückseligen auf dem Wohnungsmarkt", so Simons. "Wir haben in rauen Mengen Wohnungen und eher das Problem, dass wir zu viele Leerstände haben, was dann auch auf das Stadtbild oder auf die Wohnungsunternehmen negativ wirkt." Setze man die Mieten mit dem Einkommen der Menschen in Verhältnis, habe sich die Leistbarkeit von Wohnraum in Sachsen-Anhalt in den vergangenen zehn Jahren sogar verbessert.

Trotzdem stünden Projekte wie das Mietshäuser Syndikat vor dem gleichen Problem wie alle anderen auch: Der Bau eines Hauses und der Kauf eines Grundstücks sind teuer. Die Situation auf dem Markt aktuell schwierig. Doch Wohnhäusern wie "Thiembuktu" geht es abseits der Miete, die teilweise auch solidarisch gezahlt wird, vor allem um den Gemeinschaftsgedanken. Trotzdem birgt diese Art des Wohnens auch einen verwaltungstechnischen Aufwand.

"Das ist eine verschärfte Form der Eigentumswohnung. Ich habe weniger Entscheidungskraft über meine eigene Wohnung als bei einer Eigentumswohnung und natürlich noch viel weniger als beim selbstgenutzten Haus", erklärt Professor Simons. Man müsse sich zudem klar machen, dass man in eine Gemeinschaft komme, mit der man sich arrangieren muss. "Das kann natürlich enorm schön werden. Aber es wird auch viel Zeit damit verbracht, über Sachen zu diskutieren, die man sonst als Einzeleigentümer allein entscheidet."

Leben zwischen Kompromissen und Gestaltung

Für die die Bewohner von "Thiembuktu" bedeutet das Leben im Hausprojekt vor allem Spielraum. "Wir können die Räume gestalten, wie wir es wollen. Wir können über die Miete sprechen. Und wir haben die Projektflächen. Das finde ich ganz toll“, sagt Bettina. Die Bewohner machen viele Dinge selbst und gestalten das Gebäude nach ihren eigenen Wünschen. "Ich habe hier mein erstes Hochbett gebaut", erinnert sie sich.

Dass bei 15 Menschen unter einem Dach auch Kompromisse eingegangen werden müssen, ist den Bewohnerinnen und Bewohnern klar. Das fange beim Essen an und Ende bei Dingen wie Lautstärke oder die Art und Weise, wie man seinen Alltag verbringen möchte. Was für eine Art von Beziehung man zu den anderen eingehen wolle. Das müsse immer wieder neu ausgehandelt werden, meint Anurag.

Gemischte Reaktionen aus dem Umfeld

Trotz konflikthafter Momente können sich die meisten der Mieter aktuell keine bessere Wohnform vorstellen. "Das bedeutet nicht, dass das immer so bleibt", sagt Bettina. Bei ihrer Familie stieß ihr neues Wohnhaus zunächst auf Ablehnung: "Meine Eltern haben das nicht verstanden. Sie haben mich lange Zeit auch nicht besucht. Ich glaube, das war für sie irgendwie eine Überwindung", erinnert sich die Masterstudentin. Es habe seine Zeit gebraucht. Inzwischen waren sie ein paar Mal da und würden es verstehen.

Im Freundeskreis kam das Konzept dagegen gut an. "Ich kenne einfach auch viele Menschen, die inzwischen in Wohnprojekten leben. Das ist irgendwie ein Selbstverständnis geworden."

Meine Eltern haben das nicht verstanden. Sie haben mich lange Zeit auch nicht besucht.

Bettina, Bewohnerin von "Thiembuktu"

Die Idee von alternativen Wohnprojekten in die Welt zu tragen, ist Bettina deshalb eine Herzensangelegenheit. "Das mit Menschen zu teilen, unsere Erfahrungen zu teilen und zu ermutigen, alternative Wohnformen auszuprobieren." Manchmal fehle es einfach an der Vorstellung, wie so etwas aussehen könne. Sie sagt aber auch: "Es muss nicht für alle etwas sein, das ist total okay."

Eine junge Frau lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Über Sarah-Maria Köpf Sarah-Maria Köpf arbeitet seit Mai 2021 für MDR SACHSEN-ANHALT. Sie ist in Leipzig aufgewachsen und hat dort Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert, bevor es sie für den Master in "Multimedia & Autorschaft" nach Halle zog.

Neben dem Studium arbeitete sie für den Radiosender Mephisto 97.6, die Leipziger Volkszeitung und das Grazia Magazin. Ihr Schwerpunkt liegt in den Bereichen Social Media sowie Polititik und Gesellschaft.

Michaela Reith
Bildrechte: MDR/Michaela Reith

Über Michaela Reith Michaela Reith volontierte 2018 beim MDR. Land und Leute haben sie seither nicht mehr losgelassen. Ihr Herz schlägt für Gesellschaftsthemen, Reportagen und für die Menschen hinter den Zahlen. Bevor sie zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, beschäftigte sie sich im Studium in Leipzig, Cork und Mainz mit der deutschen Sprache und der Medienlandschaft.

MDR (Sarah-Maria Köpf)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 04. Juni 2023 | 19:00 Uhr

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